Gegen die Militarisierung der Gesellschaft

 In FEATURED, Friedenspolitik, Gesundheit/Psyche

Wie bitte? Eine „Kooperationsveranstaltung der Bundeswehr mit der Psychotherapeutenkammer Berlin“ im Februar? Die neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) legt gegen diese politische Übergriffigkeit Widerspruch ein!

 

Die Psychotherapeutenkammer Berlin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Jeder approbierte Psychotherapeut muss zwangsweise Mitglied dieser Einrichtung sein, deren Aufsichtsbehörde die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ist. Dadurch ist das öffentliche Interesse am Tun und Handeln der Psychotherapeutenkammer gegeben.

Die Kammer droht zu einem Instrument der Militarisierung zu werden. Die Mitwirkung an einer „Kooperationsveranstaltung der Bundeswehr“ im Februar 2023 ist in der Umsetzung. Und das zu einem Zeitpunkt, wo der Krieg in der Ukraine tobt und weltweit 220 zwischenstaatliche, innerstaatliche und andere Konflikte mit militärischen Mitteln ausgetragen werden.

Die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) wendet sich mit aller Entschiedenheit gegen die „Kooperationsveranstaltung der Bundeswehr mit der Psychotherapeutenkammer Berlin“ am 7. Februar 2023 sowie gegen diesen Versuch der Militarisierung und gegen diese Art der Zusammenarbeit von Psychotherapeutenkammer und Bundeswehr.

Stellungnahme der Neuen Gesellschaft für Psychologie

zur „Kooperationsveranstaltung der Bundeswehr mit der Psychotherapeutenkammer Berlin“

Die Psychotherapeutenkammer lädt ihre Zwangs-Mitglieder zu einem Informationstag mit der Bundeswehr am 7.2.2023 ein.

Die Veranstaltung wird mit 6 Fortbildungspunkten zertifiziert. Die Themen sind:

„Fragen der Organisation der Bundeswehr, den Besonderheiten des Soldatenberufes, und des psychosozialen Netzwerks der Bundeswehr“, „Einsatzsituationen in aktuellen Einsatzgebieten“, die Aufgaben der „Truppenpsycholog:innen im Einsatz“: mit Soldatinnen und Soldaten auf Patrouille/ auf Wache/im Feldlager“, schließlich „Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Bundeswehr; Symptom- und Belastungslagen von SoldatInnen-PatientInnen, Schnittstellen zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung, Heilbehandlung für die Bundeswehr: Beantragung – Überweisung – Abrechnung.

Die Referenten bzw. Referentinnen sind ausschließlich Angehörige der Bundeswehr vom Oberstarzt oder Korvettenkapitän bis zum Brigadegeneral, z. Tl. mit Psychologie-Diplom.

Wir fragen uns, wer hat die Psychotherapeutenkammer, deren Präsidentin Frau Schweitzer-Köhn eine Grußbotschaft zur Eröffnung vorträgt und ansonsten alles in den Händen der Bundeswehr mit ihren diversen Beamten lässt, ermächtigt, eine derartige Veranstaltung, die dann im Namen ihrer Zwangs-Mitglieder firmiert, durchzuführen? Im Klartext: Die Kammer (zu denen wir als Psychotherapeuten ebenfalls zwangsmäßig gehören!) bietet der Bundeswehr eine Plattform für ihre Zielsetzung und Anliegen an, ohne selbst dazu ihre eigene Agenda zu äußern. Sind deren Mitglieder darüber informiert und/oder befragt worden? Nein!

Die neue Gesellschaft für Psychologie – NGfP legt gegen diese politische Übergriffigkeit Widerspruch ein:

Eine so einseitige militaristische Positionierung der Kammer ist mit dem Tatbestand der Zwangs-Mitgliedschaft der einzelnen berufsausübenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten nicht vereinbar.

„Die Psychotherapeutenkammer ist eine demokratische, auf Selbstverwaltung beruhende Interessenvertretung aller approbierten Psychotherapeut:innen“ (Definition der Psychotherapeutenkammer auf ihrer Website). Im Impressum heißt es jedoch: „KöR“ (Körperschaft des öffentlichen Rechts); Aufsichtsbehörde: Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales.

Wie passt das zusammen? Demokratische Interessenvertretung und behördliche Anbindung? Es erhebt sich vor diesem Hintergrund auch die Frage der Finanzierung! Dienen die Zwangs-Beiträge (€ 455,-/Jahr!) eventuell auch noch zur Finanzierung dieser Militär-Plattform? Und werden eventuell auch Abzweigungen der Beiträge für Waffenlieferungen an die Ukraine missbraucht? Dies wäre sicherlich zum Wohlgefallen der gegenwärtigen Ampelregierung!

Diese Einladung ist eine Verletzung des Neutralitätsgebotes und des demokratischen Anspruches der Kammer! Besonders bedauerlich ist, dass es sich hierbei nicht um die erste Grenzüberschreitung der Psychotherapeutenkammer Berlin handelt.

Zum Hintergrund

Am 16. September 2013 trat eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Bundespsychotherapeutenkammer in Kraft, nach der zivile Psychotherapeuten in Privatpraxen Soldaten nach Verfahren behandeln, die von der Bundeswehr geregelt sind. Der Vereinbarung ging eine gleichartige Übereinkunft des Bundesministeriums der Verteidigung mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung voraus.

Die Bundeswehr und die Psychotherapeutenkammer veranstalteten zudem am 13. März 2014 in Berlin im Offiziersheim der Blücher-Kaserne eine erste gemeinsame Fortbildungsveranstaltung, die Therapeut:innen auf die Therapie mit Soldaten vorbereiten sollte. Es wurde kein Zweifel daran gelassen, dass Zielsetzung und Behandlung der Soldat:innen unter der Regie der Bundeswehr geschehen sollte! Der damalige Kammer-Präsident Prof. Reiner Richter versicherte, dass bei den zunächst psychisch Erkrankten und dann „erfolgreich behandelten“ Soldat:innen ein erneuter Auslandseinsatz durchaus infrage kommen könnte. (Aus der Stellungnahme der NGfP vom 9. März 2014).

Wir betonen, dass traumatisierte Soldat:innen durchaus psychotherapeutischer Behandlung bedürfen, jedoch muss dies jenseits von militärischen und politischen Interessen, gleich welcher Art, geschehen.

Gerade in Kriegen, von denen es leider immer noch zu viele gab und gibt, bedauerlicherweise unter deutscher Beteiligung, stellt sich bei etlichen Teilnehmer:innen die Frage nach dem Sinn des Lebens und der seiner Opferung für imperialistische Zielsetzungen sowie den Profitinteressen des globalen monetär-militaristischen Sektors.

Wir als Psychotherapeut:innen sind angehalten, offene Türen und Möglichkeiten der Heilung für die Hilfesuchenden zu bieten, und deren emanzipatorische Möglichkeiten einzubeziehen. Es ist unsere Pflicht, dass Dritte mit anderen Interessen keinen Einfluss auf die Behandlung nehmen können. Es kann und darf kein Therapieziel ins Auge gefasst werden, bei dem die Heilung darin bestehen soll, die Soldat:innen wieder einsatzfähig für kriegerische Einsätze zu machen.

So ist auch die bevorstehende Veranstaltung ein weiterer Schritt in Richtung Militarisierung der Gesellschaft, dem wir uns entgegenstellen.

Berlin, 20.01.2023

Der Vorstand der Neuen Gesellschaft für Psychologie

Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder,

Conny Stahmer-Weinandy,

Jürgen Günther

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