Hart(zig)e Zeiten und engagierter Buddhismus

 In Politik (Inland), Spiritualität

Buddha_statueSind Sie religiös, oder führen Sie lieber ein anständiges Leben – im lautstarken Kampf gegen das Unrecht auf der Welt? Wenn man manchen linken Aktivisten zuhört, meint man, dies sei ernsthaft ein Widerspruch. Ellen Vaudlet berät seit vielen Jahren Hartz IV-Betroffene, arbeitet direkt an der „Front“ gegen die Unmenschlichkeit. Und sie ist Buddhistin. „Wie geht das zusammen?“, wird sie oft gefragt. Aber eher von denjenigen, die über die Lehre des Buddha nicht gut informiert sind.

Oft wurde ich gefragt, wie sich denn meine (unterstellt!) “latent-aggressive” Haltung gegenüber der herrschenden Sozialpolitik mit dem “friedlichen Buddhismus” in Einklang bringen lasse. Meine Antwort darauf war und ist die immer die gleiche: Empörung und lautstark geäußerter Zorn sind mit “Aggressivität” nur auf den ersten Blick identisch. Zorn kann, im Gegensatz zur “puren Aggressivität” dazu anregen, Zustände ändern zu wollen. Er lässt sich, auch im Gegensatz zu Hass, lenken. Zorn kann beflügeln, kann konstruktive und nützliche Handlungen nach sich ziehen. Mensch kann empört und zornig sein, und doch pazifistisch. Zorn und Buddhismus schließen sich – aus meiner Sicht – daher nicht zwingend aus.

Die soziale Lehre Buddhas

Die weit verbreitete Ansicht, man müsse sich, wenn man Buddhas Lehre folgt, aus dem Leben zurückziehen, ist ein Irrtum. Es ist dem Grunde nach vielleicht sogar eine Art der “unbewussten Abwehr” dagegen, seine Lehre zu praktizieren. Für manche Menschen mag es gewiss angenehm sein, ein zurückgezogenes Leben an einem stillen Ort fern von Lärm und Störungen zu führen. Aber ich denke, es ist sicher folgerichtiger im Sinne der Lehre, den Buddhismus zu praktizieren, indem man unter seinen Mitmenschen lebt, ihnen hilft und nützlich ist. Gegen eine regelmäßige Auszeit in (klösterlicher) Stille ist hingegen nichts einzuwenden – ganz im Gegenteil.

Hier eine kleine Geschichte, welche die Sinnhaftigkeit meiner Behauptung vielleicht beweist – verkürzt wiedergegeben aus dem Buch “Der Mensch der Zukunft – meine Vision”. http://www.amazon.de/Mensch-Zukunft-Dalai-Lama-XIV/dp/3502610096
Ein Wanderer trifft im Wald auf einen meditierenden Einsiedler. Er fragt ihn, worüber er in dieser Einsamkeit denn meditiere. Der Eremit antwortet: “Über Geduld”. Der Wanderer schickt sich an zu gehen, dreht sich um und ruft unvermittelt: ”Ach übrigens: zum Teufel mit Dir!” Worauf der Einsiedler wütend erwidert: “Was soll das? Zum Teufel mit DIR!”. Darauf erinnerte der Wanderer den Einsiedler lächelnd daran, worüber dieser doch meditierte. Soziales Engagement (auch tätiges Mitgefühl genannt) kann entsprechend nicht in Isolation praktiziert werden.

Mit offenen Augen, Herz und Verstand

Wer annimmt, der Buddhismus beschäftige sich lediglich mit hohen Idealen, hehren moralischen Grundsätzen und philosophischen Gedanken, er ignoriere aber das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen der Menschen, der irrt. Buddha wollte, dass die Menschen glücklich sind. Glück war für ihn nicht möglich ohne eine reine Lebensgestaltung auf der Grundlage moralischer und spiritueller Prinzipien. Aber er wusste auch sehr wohl, wie schwierig es ist, ein derartiges Leben unter widrigen materiellen und sozialen Bedingungen zu führen. Der Buddhismus sieht materielles Wohlergehen nicht als das Ziel schlechthin an. Aber materielles Wohlergehen ist ein nicht zu unterschätzendes Mittel, unerlässlich gar, um ein höheres Ziel für menschliches Glück zu erreichen. Daher anerkennt der Buddhismus das Bedürfnis nach “materiellen Bedingungen”.

Buddha betrachtete das Leben also nicht herausgerissen aus dem sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhang, er sah es vielmehr als ein Ganzes an, auch mit seinen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Facetten. Die ethische und philosophische Lehre Buddhas ist weithin bekannt; leider nahezu unbekannt (insbesondere in westlichen Ländern) ist dagegen seine Lehre bezüglich politischer, wirtschaftlicher und sozialer Fragen. In einigen Sutren (Lehren in Versform) weist er deutlich darauf hin, dass Armut häufig die Ursache von Hass und Verbrechen ist.

Nichts begriffen seit Buddhas Zeiten

In den alten Zeiten versuchten die Herrscher, genau wie die Regierungen heute, Verbrechen mittels Bestrafung zu unterdrücken. Ein sinnloses Unterfangen, wie Buddha schon im Kutadante-Sutra erklärte. Stattdessen riet Buddha dazu auf, die wirtschaftlichen Bedingungen der Menschen zu verbessern. Heute nennt man das wohl “linkes Gutmenschentum” oder “Sozialromantik”. Saatgut und Gerätschaften sollten Bauern zur Verfügung gestellt, für Händler sollte Kapital bereitgestellt werden, Angestellte sollten ordentlich entlohnt werden. Heute steht Anstand unter Finanzierungsvorbehalt.

Wer Menschen mit Möglichkeiten versorgt, sich ein ausreichendes Einkommen zu verdienen, macht sie zufriedener. Dementsprechend ist das Land friedlicher und freier von Verbrechen (begangen aus wirtschaftlicher Not). Aktueller denn je, nicht wahr? Deshalb lehrte Buddha die Suchenden, wie wichtig es ist, auch ihre wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern. Dies bedeutet natürlich keinesfalls, dass er es guthieß, gierig Reichtümer anzusammeln und geizig zu horten. Dies verstieße schlicht gegen die essentielle Lehre. Heutzutage zählt “Geiz ist geil”.

Auch nicht jede Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hielt er für gut. Die Produktion und der Verkauf von Waffen wurde von ihm als verwerfliche Art, den Lebensunterhalt zu verdienen, bezeichnet. Wer könnte ihm angesichts der heutigen Weltlage widersprechen? War Buddha etwa ein Linker? Ebenso klar äußerte sich Buddha zu Politik, Krieg und Frieden. Es ist hinreichend bekannt, dass der Buddhismus Gewaltlosigkeit als seine universelle Botschaft propagiert und keinerlei Gewalt oder Zerstörung gutheißt. Zu Buddhas Zeiten gab es Herrscher bzw. Regierungen, die ihre Länder ungerecht regierten. Menschen wurden unterdrückt, geknechtet, versklavt, gefoltert und verfolgt, mit horrenden Steuern und grausamsten Bestrafungen überzogen. Dies setzt sich unverändert bis zum heutigen Tag fort.

Friedlicher Widerstand und tätiges Mitgefühl können und müssen daher aus meiner Sicht Hand in Hand gehen, will man sich als “Buddhist”, besser als Schüler/in der Lehre Buddhas bezeichnen. Den Handlungen derer, die das Wohlergehen ihrer Mitmenschen mit Füßen treten, muss man sich entgegen stellen, in Wort(gewalt) und Tat. Friedlich, aber massiv und bestimmt. Den unterdrückten und in Not geratenen Menschen zu helfen, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten (oder auch mal ein Dach über den Kopf, wenn die Not Obdachlosigkeit heißt), das ist tätiges Mitgefühl – ob mit oder ohne buddhistischen Hintergrund.

Tätiges Mitgefühl hat viele Gesichter

Die Not und das Elend auch, so gut maskiert es auch (noch) daher kommt. In Deutschland hat Verelendung vor 10 Jahren einen weiteren Namen erhalten: Hartz IV. Es wäre gewiss vermessen, “die ganze Welt retten” zu wollen. Irgendwie muss mensch auch hier Entscheidungen treffen, und meine Entscheidung fiel nun einmal (hauptsächlich) zugunsten der Betroffenen der unsäglichen Verarmungs-Agenda 2010 aus. Mich macht diese Gesetz gewordene Zwangsverelendung, dieses flächendeckende “Milgram-Experiment 2.0″, diese über Leichen gehende Menschenverachtung zornig. Sehr zornig. Und wenngleich ich die Menschen, die diese bislang größte deutsche Schande seit Ende des Dritten Reiches mittragen (gemeint sind die, die “doch nur ihren Job machen”), nicht verachte, so werde ich dennoch nicht aufhören zu versuchen, sie auszubremsen: mit den wenigen Möglichkeiten, die ich habe. Mein zorniges “Brüllen” dann und wann gehört ebenso dazu wie die praktische Hilfe für die Opfer dieser Asozialgesetze und das Ausloten aller nur denkbaren, juristisch (gerade noch) legalen Möglichkeiten.

Und jetzt, liebe Leser/innen, überlegt bitte selbst, ob Buddhismus und der Kampf gegen ein unerträgliches Entwürdigungs-Gesetz einander wirklich widersprechen.

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