Ins Blaue hinein

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James Camerons „Avatar“-Filme sind philosophische Blockbuster, die Tiefenökologie mit transhumanistischen Visionen verbinden. „Ich sehe dich!“, sagen die Na’vi — und wieder wollen viele Millionen Menschen genau das auf der Leinwand sehen. Die blauen Aliens aus James Camerons Sci-Fi-Spektakel sind dieser Tage in den Medien wieder allgegenwärtig. In den Analysen zu „Avatar — The Way of Water“ ist viel von Kino-Tricktechnik und sogar von einem Ökothriller die Rede. Der titelgebende Begriff „Avatar“ wird jedoch meist eher ungenau erklärt. Er ist den Liebhabern von Computer-Rollenspielen zwar vertraut, seinem spirituellen Ursprung geht jedoch nur sehr selten jemand auf den Grund. Religiös gesprochen, geht es um das Geheimnis der Inkarnation der menschlichen Seele. Hochaktuell ist aber vor allem der biotechnische Aspekt des „Avatar-Programms“. Die Filmreihe dreht sich nicht nur um Bewusstseins-Downloads, sie berührt auch transhumanistische Träume von menschlicher Unsterblichkeit. Roland Rottenfußer

 

Ich weiß, was ein Avatar ist, weil ich mit einem gesprochen habe — besser gesagt mit einer Avatarin. Nein, nicht mit einer der drei Meter hohen Na’vi-Damen aus den Filmen von James Cameron. Ich hatte einmal eine Avatarin am Telefon. Sie nannte sich Avatara Devi, war von Beruf spirituelle Meisterin mit einer Vorliebe für prunkvolle Selbstinszenierungen und nach eigenen Aussagen eine „Teilinkarnation der göttlichen Mutter“. Gemeint ist: Das transzendente Wesen, das Göttliche Mutter genannt wird, hat sich in mehrere Teilpersönlichkeiten aufgespalten und ist nun in mehreren menschlichen Verkörperungen präsent. Eine davon ist angeblich besagte Avatara Devi.

Klingt verrückt. Ich hatte auch so meine Zweifel und habe diese der Dame am Telefon höflich mitgeteilt. Ein Avatar oder eine Avatarin, so wusste ich aus der Religionsgeschichte, ist ein Gott oder eine Göttin in menschlicher Gestalt — eine Verkörperung des Göttlichen. Ob dies nicht im Grunde für alle Menschen gelte, fragte ich die Göttliche. Und ob sie bereit sei, mich künftig statt mit „Roland“ mit „Göttlicher Vater“ anzureden. Die Avatarin bewies Humor und versprach, mich so zu nennen. Vielleicht wundert sich der eine oder die andere, wie ich zu diesem illustren Telefonkontakt kam, aber ich war damals Redakteur der spirituellen Zeitschrift „connection“ — da gehörten Begegnungen mit „spirituellen Meistern“ zu meinem Alltag.

In dieser Zeit also lernte ich so allerhand über Avatare, und der Umgang der Medien mit diesem inzwischen kinoreifen Begriff erscheint mir deshalb recht oberflächlich. Eine Verkörperung des Göttlichen auf Erden also. Aus christlicher Sicht könnte Jesus als ein Avatar betrachtet werden. „Der Vater und ich sind eins.“

In neuerer Zeit wurde häufig der angeblich wundertätige Guru Satya Sai Baba (gestorben 2011) als Avatar bezeichnet. Der Hindu-Legende nach ist auch Krishna, der Held der hinduistischen „Bhagavad Gita“, ein Avatar, genauer gesagt eine von neun Verkörperungen der Gottheit Vishnu. Und hier wird es interessant, denn Krisna wird in der Kunst stets mit einer blauen Hautfarbe dargestellt. Nicht die Schlümpfe, wie in den Rezensionen zu Camerons Filmen immer wieder gespöttelt wird, könnten also den blauen Na’vi als Vorbild gedient haben, sondern eine der bedeutendsten Figuren der Hindu-Mythologie.

Was uns im Spiel hält

Wer Computer-Spiele liebt, denkt bei „Avatar“ selbstverständlich noch an etwas anderes. In „World of Warcraft“ und vergleichbaren „Multi-User-Rollenspielen“ steht das Wort für den virtuellen Stellvertreter eines realen Menschen, der im Spiele-Universum ein „zweites Leben“ für ihn lebt und von ihm per Mausklick gesteuert werden kann. Das Wort ist hier seiner spirituellen Bedeutung ganz entkleidet. Oder doch nicht? Gleichen die Welten moderner Computerspiele, speziell des Fantasy-Genres, nicht fremden Planeten? Sind die Programmierer nicht irgendwie auch Schöpfergötter, die ganze Welten voller skurriler Kreaturen erschaffen? Und sind Spieler, die für sich einen virtuellen Stellvertreter kreieren, nicht in gewisser Weise Seelen, die sich auf einem fremden Planeten inkarnieren, dort Erfahrungen machen, Freundschaften schließen, lieben, leiden und sterben?

Der Unterschied zu einer realen Verkörperung besteht darin, dass der Computer-Spieler gegenüber seinem Avatar einen gewissen Sicherheitsabstand wahrt. Der Spieler weiß in jedem Moment, dass er spielt; wir in unser irdisches Schicksal Eingesponnenen wissen es in der Regel nicht. Das Wissen darum, dass es sich bei der virtuellen um eine „uneigentliche“ Existenzform handelt, erspart dem Spieler Leiden. Er weiß, dass er in Wirklichkeit etwas anderes ist als die Spielfigur, dass er eine andere, höhere Wirklichkeitsdimension bewohnt.

Aus der Perspektive des Avatars wiederum ist der reale Spieler in gewisser Weise ein transzendentes Wesen, ein Gott. Nur der Spieler ist es ja, der in Gestalt des Avatars entscheidet und handelt. Im Kern sind Spieler und Avatar also eins. Der Spieler existiert auch ohne sein virtuelles Gegenstück, der Avatar dagegen könnte nicht sein, ohne dass der Spieler ihn belebt und steuert. Ohne den Avatar könnte sich der Spieler in der virtuellen Planetenwelt des Spiels aber nicht ausdrücken. Jeder der beiden braucht also den anderen.

Hier gewinnen Computerspiele eine ausgeprägte spirituelle Bedeutung. Der Spieler drückt sich durch den Avatar aus, Gott durch die irdische Verkörperung eines Menschen — wie die Christen es etwa über Jesus glauben. So behaupten es auch andere spirituelle Richtungen, die glauben, dass alles göttlich und mit Gott verbunden ist. Nur werden wir „Normalsterblichen“ üblicherweise nicht „Avatare“ genannt. Krishna wird so genannt, Yogananda oder Satya Sai Baba. Worin besteht also ist der Unterschied zwischen uns Normalsterblichen und jenen besonderen Menschen, die von vielen als Heilige verehrt werden? Er besteht darin, dass ein „echter“ Avatar weiß, dass er spielt. Er weiß von der Uneigentlichkeit der menschlichen Existenz. Er weiß um seine Identität mit dem „Spieler“. Und er kommt in der Regel mit einem bewussten Auftrag auf die Erde, während unsereins oft noch recht verloren umherirrt.

Inkarnationen des Göttlichen

Ist es nun möglich, von diesen Überlegungen eine Brücke zu den beiden „Avatar“-Filmen zu schlagen, oder hat James Cameron lediglich einen ehrwürdigen Hindu-Begriff ins Banale gezogen? Ich glaube, dass in der Wahl des Film-Titels mehr Tiefe steckt, als die meisten Kino-Kritiken erkennen lassen. Der im Film von Sam Worthington gespielte Held Jake Sully verpflanzt quasi seine Seele in den Körper eines Na’vi, eines Ureinwohners des Planeten Pandora. Dieser genetisch reproduzierte Stellvertreter ist sein „Avatar“. Gleichzeitig behält Sully aber im ersten Film der Reihe seine irdische Existenzform, behält das Bewusstsein dessen, wer er wirklich ist und wozu er sich auf Pandora „inkarniert“ hat. Jake Sully weiß, dass er nur spielt.

Echte Avatare, so besagt der Hindu-Glaube, verkörpern sich auf der Erde, um den Menschen zu helfen, um ihnen durch ihr überlegenes Bewusstsein wertvolle Entwicklungsimpulse zu geben. Sully im Film ist ein Avatar, der nicht gekommen ist, um zu helfen, sondern um der Ausbeutung und Naturplünderung Vorschub zu leisten, um den Menschen die wertvollen Rohstoffvorkommen auf Pandora zu erschließen. Ein kapitalistisches Zerrbild dessen, was ein „Avatar“ ursprünglich sein sollte: Er ist eine Inkarnation des „Teufels“, wenn man so will. Der Held allerdings beweist ein gutes Herz, verliebt sich in die Ureinwohnerin Neytiri und wird am Ende doch zu einem Helfer — zu dem also, was einen Avatar der Hindu-Mythologie ausmacht.

In „Avatar 2 — The Way of Water“ verkörpert sich ein definitiv böser Mensch, Colonel Miles Quaritch, ebenfalls als Avatar, um an die Lebensbedingungen auf Pandora optimal angepasst zu sein und besser gegen die Guten kämpfen zu können. Die Film-Eingeborenen haben für in Na’vi-Körpern steckende böse Menschen einen Begriff, der uns ebenfalls aus der Mythologie bekannt ist: „Dämonen“.

Retter mit Migrationshintergrund

Der Entwicklungshelfer und der ausbeutende Kolonialherr — diese beiden Aspekte des Phänomens „Kolonisation“ waren einander schon immer gefährlich nahe. Im Film „Avatar“ werden beide thematisiert. Das macht einen Teil der Zeitlosigkeit dieses Stoffes aus. In seiner spirituellen Aussagekraft ist der Film jedoch vor allem ein Verwandter der philosophisch hoch anspruchsvollen Matrix-Trilogie, in der andauernd zwischen einer „wirklichen Wirklichkeit“ und eine computergenerierten Simulation, der „Matrix“ unterschieden wird.

Nachdem sein Na’vi-Körper in „Avatar 1“ gestorben war, hat Jake Sully in „Avatar 2“ die Option verloren, in seinen menschlichen Körper zurückzukehren. Das „Spiel“ ist somit quasi für ihn die einzige Realitätsebene, auf der er sich noch bewegen kann. Allerdings unterscheidet er sich von anderen Na’vi durch das Bewusstsein seines ganz besonderen „Migrationshintergrunds“. Er weiß, dass er von anderswoher kommt. Und dass die Welt, die er nunmehr mit seinem Körper bewohnt, nicht die einzige aller möglichen Welten ist. Er, der Zuwanderer, agiert zudem als Retter und Anführer der Ureinwohner. Dieses Konzept wurde von woken Filmkritikern bereits als latent rassistisch gedeutet. Cameron habe damit sagen wollen, nur Weiße könnten den Not leidenden Urvölkern die Befreiung bringen.

Nicht woke genug?

Das Kulturmagazin „Rolling Stone“ dokumentiert diese Auseinandersetzung in einem Online-Artikel. Dort liest man:

„Die Entscheidung, Sully ins Zentrum zu stellen — dessen Herkunft nicht ausdrücklich erwähnt wird, dessen Außenseiterstatus jedoch eine klare Parallele zu weißen Siedlern darstellt — spiele in die Rolle des ‚weißen Retters‘ mit hinein. Das sei eine verpasste Gelegenheit, meint etwa Crystal Echo-Hawk, Präsident und CEO von IllumiNative, einer von indigenen Frauen geführten Organisation, die auf den Kernwerten und der Gemeinschaft der Ureinwohner basiert.“

James Cameron erzähle „vielleicht die Geschichte der Kolonialisierung, aber er erzählt sie durch die Linse eines weißen Mannes“, so Hawk.

Man kann natürlich alles immer noch komplizierter machen. Die Avatar-Filme stellen eine Verbeugung vor indigenen Völkern dar, vor ihrer Kultur, ihrem Naturverständnis, ihrer Spiritualität. Sie stehen in der Tradition westlicher Vorstellung vom „edlen Wilden“, die natürlich einige gut gemeinte Idealisierungen beinhalteten.

Vorbild für Cameron waren nicht etwa die mittlerweile als politisch unkorrekt geltenden Karl May-Romane, sondern eher die Geschichte von Pocahontas, wie sie in Terrence Malicks Film „The New World“ erzählt wird. Die Lovestory zwischen Jake und Neytiri ist jenem Vorbild nur allzu deutlich erkennbar nachempfunden. Allerdings ist „Avatar“ aber nun mal kein Film über irdische „Urvölker“, sondern über eine erfundene außerirdische Spezies, und etwas künstlerische Freiheit muss sein.

Die unfehlbaren Opfer

Wie reagierte der Filmemacher auf die Rassismusvorwürfe? James Cameron verstieg sich laut „Rolling Stone“ in diesem Zusammenhang sogar zu einer außergewöhnlich devoten Aussage:

„Das ist meine Philosophie im Allgemeinen. Die Menschen, die in der Vergangenheit zu Opfern wurden, haben immer Recht. Es liegt nicht an mir, wenn Sie so wollen, aus einer Perspektive des weißen Privilegs zu sprechen, ihnen zu sagen, dass sie falsch liegen.“

Sicher kann man Betroffenen ihre Gefühle und Eindrücke nicht einfach absprechen, aber dass jemand „immer Recht“ hätte — eine derartige Haltung sollte doch seit dem Ende der DDR, in der bekanntlich „Die Partei“ derartig unfehlbar gewesen war, passé sein. Dies liefe auf folgenden Grundsatz hinaus: Je mehr eine Gruppe in der Vergangenheit gelitten hat, desto eher sind die Aussagen jedes ihrer Vertreter wahr.

Noch etwas wurde Cameron zur Last gelegt: Der Regisseur habe den Indigenen in einem Interview vorgeworfen, nicht ebenso wirkungsvoll gegen ihre Unterdrücker gekämpft zu haben wie seine blauen Filmhelden.

„Ich konnte nicht anders, als zu denken, dass wenn die (Lakota Sioux) ein Zeitfenster gehabt und in die Zukunft hätten sehen können (…) und sie könnten sehen, dass ihre Kinder die höchste Selbstmordrate der Nation haben, (…) weil sie hoffnungslos waren und keinen Ausweg sahen — sie hätten viel härter gekämpft.“

Sicher liegt auch eine Portion Gratismut darin, als Nichtbetroffener Betroffenen vorzuwerfen, sie hätten sich nicht genügend gewehrt — Unterdrückte seien also an ihrem Unterdrückt-Werden teilweise selbst schuld. Dieser Vorwurf aus dem Munde eines Vertreters des Unterdrücker-Kollektivs — eines Menschen mit der falschen Hautfarbe also — das haben manche in den falschen Hals bekommen. Der „Skandal“ zeigt aber auch: Ist eine gewisse Entrüstungskultur im öffentlichen Raum erst einmal etabliert, lenken Entrüstete jeder Couleur immer wieder Aufmerksamkeit auf sich und ihr Thema.

Die Angst, stigmatisiert und gecancelt zu werden, sitzt tief — und selbst der bisher erfolgreichste Filmemacher aller Zeiten meint da, Kreide fressen zu müssen. Zu viel Geld wurde investiert, um riskieren zu können, dass dem Regisseur ein „Rassismus-Skandal“ angehängt wird. Nach viel Kleinvieh konnte die woke Bewegung mit James Cameron einmal publikumswirksam einen kapitalen Bock abschießen und damit für alle zur Warnung demonstrieren:

„Wir sind da und wir sind wachsam. Der kleinste Fehler, und wir kriegen euch. Also äußert euch besser von vornherein so, dass ihr sichergeht, dass wir nicht schimpfen.“

Das große Netz des Lebens

Wahrgenommen wurde die Avatar-Filmreihe vor allem auch als Öko-Blockbuster, ein glänzend gefilmtes und getrickstes Hohelied auf die Schönheit der Natur und ein Plädoyer, diese gegen den Zugriff des technikgestützten Kapitalismus zu verteidigen. Der Planet Pandora — seine Berge, seine Dschungel, seine Unterwasserlandschafen, sein Getier — bildet die Schönheit der irdischen Natur in gesteigerter und verdichteter Form ab. Es handelt sich im Grund um eine Liebeserklärung an die Erde, leicht verfremdet durch eine erfundene Flora und Fauna.

Thematisiert wird auch das große Netz des Lebens. Die Naturphänomene existieren in den Filmen nicht nur separat und sind hübsch anzusehen, alles hängt mit allem zusammen und besitzt eine geistig-seelische Innenseite — hier symbolisiert in der Naturgottheit „Eywa“. In einer weniger spirituellen, nüchterneren Form hat dieser Gedanke mittlerweile ein breites Publikum gefunden.

Die Bücher des Försters Peter Wohlleben („Das geheime Leben der Bäume“) erreichen Millionen-Auflagen. Wohlleben ist kein spiritueller Schwärmer, jedoch jemand, der uns die enge Vernetzung der Naturphänomene, die Würde der Tiere und Pflanzenwesen und ihre besonderen Fähigkeiten, immer wieder vor Augen führt. In der modernen Waldforschung spricht man auch vom „Wood Wide Web“. Bäume bilden über ihre Wurzeln mit dem Mycel, dem Netzwerk feiner Pilzfäden, ein den gesamten Waldboden durchdringendes Geflecht, über das sie verschiedene Informationen austauschen können.

In den „Avatar“-Filmen wird diese Vernetzung sehr anschaulich dargestellt. Ihr Massenerfolg zeigt, dass Tiefenökologie kein reines Nischenphänomen mehr ist. Was die Menschen in Zeiten der Naturzerstörung und der übertechnisierten Stadtlandschaften bewegt, wird nur normalerweise nicht so genannt.

„Ich versuche diese tiefe Verbindung zu verstehen, die dieses Volk mit dem Wald hat. Sie spricht von einem Netzwerk von Energie, die durch alles fließt was lebt. Sie sagt, alle Energie ist nur geborgt und eines Tages müssen wir sie zurückgeben!“

So sagt Jake Sully im ersten Film über die Stammesschamanin der Na’vi. „Eywa“, das Kollektivbewusstsein aller Lebensformen auf Pandora, das man auch als eine Art große Muttergöttin verstehen kann, erinnert an die bekannte „„Gaia-Hypothese“, entwickelt von Lynn Margulis und James Lovelock in den 1970er-Jahren. Diese oft als „esoterisch“ verschriene wissenschaftliche Theorie versteht die Erde und ihre Biosphäre als ein Lebewesen, ein Superorganismus mit der Fähigkeit zur Selbstorganisation.

Ein Film für Greta?

Ist „Avatar“ also der ideale Baumkuschler-Film, ist er zugleich biophil und technikfeindlich? Immer wenn Erdenmenschen und ihre Maschinen in den beiden Filmen ins Spiel kommen, ziehen sie eine Spur der Verwüstung hinter sich her. Urwälder gehen in Flammen auf, Qualm steigt auf, Tiere fliehen. Das Ergebnis erinnert an Mordor, jene abgestorbene Landschaft, die dem Bösewicht Sauron in „Der Herr der Ringe“ als Basislager dient. Greta Thunberg verwendete den Filmvergleich unlängst bei einem Besuch in Lützerath. Damit ist der Kontext gesetzt. Der erste „Avatar“-Film wurde neun Jahre früher aus der Taufe gehoben als die Fridays-For-Future-Bewegung.

Es ist aber jetzt schon absehbar, dass die gesamte Filmreihe, die sich mindestens bis 2028 fortsetzen soll, begleitet sein wird von massiven weltweiten Debatten um Umwelt- und Klimaschutz. In gewisser Weise sind die Filme tatsächlich pro Greta und contra Bolsonaro. Was die negative Darstellung von Maschinen betrifft, so erinnert „Avatar“ an eine weitere populäre Filmreihe James Camerons: „Terminator“. In den beiden Actionkrachern haben Maschinen in der Zukunft die Herrschaft über die Menschheit an sich gerissen. Der Rebell John Connor versucht, die Diktatur des Leblosen zu stürzen. Daher reist ein Killerroboter (Arnold Schwarzenegger) in die Vergangenheit, um Connors Mutter zu töten, bevor sie ihn gebären kann.

In „Terminator 2“ steht der mittlerweile herangewachsene Bub John selbst auf der Abschussliste. Inszeniert wird dann ein großes Duell zweier Killerroboter. Schwarzenegger mimt nun den Guten, der andere Android jedoch ist abgrundtief böse. Die Botschaft könnte lauten: „KI an sich ist weder gut noch schlecht. Es kommt ganz darauf an, wie man sie programmiert.“ Selbst als Ersatzvater für den kleinen John Connor erweist sich der gute Terminator als brauchbar. Mutter Sarah lobt ihn in den höchsten Tönen:

„Von all den möglichen Vätern, die in den Jahren kamen und gingen, war dieses Ding, diese Maschine, der Einzige, der den Ansprüchen gewachsen war.“

Und außerdem: Wer wünscht sich schließlich nicht einen Killerroboter zum Beschützer?

Das sieht also nach einem Patt zwischen Maschinen und „Organischen“ aus. Wem Maschinen zu unmenschlich sind, muss ihnen eben nur mehr Menschlichkeit einprogrammieren. In Camerons Horror-Schocker „Aliens“, dem zweiten Teil der „Alien-Filmreihe“, zeigt der Regisseur indes, dass auch das Lebendige seine Tücken hat. Eine ekelhafte, mörderische Kreatur benutzt Menschen sogar als Wirtskörper, um ihre Eier in ihnen auszubrüten. Hat man dieser Lebensform eine Weile auf der Leinwand zugeschaut, sehnt man sich fast nach der sterilen Verlässlichkeit von Maschinen.

Auf dem Weg zum Gottmenschen

„Avatar“ nun enthält Elemente, die durchaus an transhumanistische Visionen erinnern. Und diese betreffen wiederum den titelgebenden Begriff „Avatar“. Die beiden Filme suggerieren, es könne in der Zukunft möglich sein, die Seele eines Menschen in einen neuen Körper zu verpflanzen. Jake Sully ist am Anfang des ersten Teils Kriegsinvalide, an den Rollstuhl gefesselt. Nur mit seinem „neuen Körper“ — groß, kräftig und sehr blau — kann er wieder gehen, vollführt als Kämpfer und Drachenreiter sogar athletische Meisterleistungen.

Diese Vision stimmt mit transhumanistischen Konzepten überein. Neue Techniken wie etwas Cyborg-Kreationen — Mischwesen aus Mensch und Maschine — lösen in konservativen Menschen oft zuerst Widerwillen aus. „Verkauft“ werden sie ihnen dann, indem die Technik-Avantgarde angibt, alles geschehe nur zu Heilungszwecken. Das künstliche Hüftgelenk, der Herzschrittmacher, die Therapie mit genmanipuliertem Material. In den „Avatar“-Filmen geht es jedoch um eine noch weitergehende Vision: Unsterblichkeit.

Yuval Noah Harari geht in seinem Buch „Homo Deus“, im Kapitel „Die letzten Tage des Todes“, ausführlich darauf ein. Religionen und Ideologien, so Harari, hätten es in der bisherigen Geschichte versäumt, das Leben selbst heilig zu sprechen.

„Sie huldigten stets etwas, das oberhalb oder jenseits des irdischen Daseins stand, und waren dementsprechend gegenüber dem Tod ziemlich tolerant.“

Dies sei ein Fehler gewesen, denn der Tod sei „ein Verbrechen gegen die Menschheit, und deshalb sollten wir den totalen Krieg gegen ihn führen“. Moderne Wissenschaft und moderne Kultur seien nun zu einer gänzlich anderen Auffassung gekommen.

„Sie halten den Tod nicht für ein metaphysisches Mysterium, und sie betrachten ihn mit Sicherheit nicht als Quelle für den Sinn des Lebens. Für moderne Menschen ist der Tod vielmehr ein technisches Problem, das wir lösen können und lösen sollten.“

Als eine Möglichkeit, den Tod zu besiegen, gilt der Download unseres Bewusstseins auf einen Computer. Nicht gebunden an die Vergänglichkeit des organischen Lebens, könnte der Geist auf diese Weise frei sein und potenziell unsterblich — solange der Server nicht abstürzt. Diese Idee jedoch dürfte den meisten Menschen Angst machen — gehört es doch ganz wesentlich zum Menschsein, sich körperlich selbst spüren und mit der Außenwelt interagieren zu können.

Eine mögliche Lösung des Dilemmas bietet das fiktive „Avatar-Programm“ im Film. Da die Erde in der in dieser Filmreihe entworfenen Zukunft unbewohnbar geworden ist, sehen Wissenschaftler eine Lösung zum Überleben der Menschheit darin, die Seelen ihrer Bewohner in frische Körper zu verpflanzen, die an jeweils neue Planetenumgebungen angepasst sind. Auf Pandora sind das blaue Na’vi-Körper.

Biotechnische Seelenwanderung

Auch Bösewicht „Quaritch“ überlebt ja und taucht in Film 2 wieder auf, obwohl ihn das Ende von Film 1 eindeutig als tot zeigt. Das Verfahren wird jedoch nicht detailliert erklärt. Offensichtlich wurden Quaritchs Erinnerungen und somit sein Ich-Bewusstsein in den neuen Körper verpflanzt. Lässt sich ein Toter auf diese Weise wiederbeleben, muss auch das Sterben von Körper Nr. 2 für einen Menschen nicht das Ende darstellen. Denkbar wäre, dass er von einem Körper in den nächsten wandert — bis in alle Ewigkeit. Wird der bisherige Körper müde und alt, wechselt man ihn einfach aus wie ein Kleidungsstück. Macht die Avatar-Filmreihe somit also Werbung für transhumanistische Visionen von einem „Homo Deus“, einem Gottmenschen?

Tatsache ist, dass die Seelenverpflanzung in den Filmen zunächst als moralisch indifferent dargestellt wird. Es ist einfach eine Technik, die — wie ein Messer oder ein Feuerzeug — für konstruktive ebenso wie für destruktive Zwecke eingesetzt werden kann. Jake Sullys Überleben im neuen Körper ist gut, weil er ein guter Mensch ist; ob Quaritchs Überleben dagegen einen Gewinn für die Sicherheitslage im Universum darstellt, steht auf einem anderen Blatt.

Vielleicht haben wir es also auch in „Avatar“ wieder mit einem Patt zu tun zwischen dem „alten Menschen“ und den Versuchen seiner transhumanistischen Erweiterung — ähnlich wie sich die „Terminator“-Filme nicht recht entscheiden konnten, ob nun Mensch oder Roboter die überlegene Spezies darstellen. Ein Zündeln mit Ideen, die auf eine „Überwindung“ des Menschen in seiner herkömmlichen Form hinauslaufen, ist bei Science-fiction-Autoren durchaus keine Seltenheit. Man muss sicher noch die weiteren Filme abwarten, um herauszufinden, wes‘ Geistes Kind der Hollywood-Mogul ist. Vielleicht hat James Cameron auch einfach nur seiner Fantasie freien Lauf gelassen — ins Blaue hinein.

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