Israel – rechtsfreier Raum?

 In FEATURED, Politik (Ausland)

Norman Paech, Bildquelle: xtranews.de – Flickr unter Lizenz Creative Commons

Am Montag d. 2. September 2019 wies der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag seine Chefanklägerin Fatou Bensouda an, noch einmal den tödlichen Überfall der israelischen Armee auf die Mavi Marmara der „Free-Gaza-Flotilla“ am 31. Mai 2010 zu untersuchen und gegebenenfalls Anklage zu erheben. Bei dem Angriff der israelischen Armee starben 9 Menschen, ein weiterer verstarb später, 45 wurden zum Teil schwer verletzt. Die tödlichen Angriffe geschahen in internationalen Gewässern und richteten sich eindeutig gegen Zivilpersonen und zivile Schiffe, die nach den Genfer Konventionen absolut geschützt sind. Auch die deutsche Justiz tut sich schwer im Umgang mit dem Recht und Israel.  Norman Paech

DPA berichtete, aber in den großen Medien fand es keine Erwähnung. Am Montag d. 2. September 2019 wies der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag seine Chefanklägerin Fatou Bensouda an, noch einmal den tödlichen Überfall der israelischen Armee auf die Mavi Marmara der „Free-Gaza-Flotilla“ am 31. Mai 2010 zu untersuchen und gegebenenfalls Anklage zu erheben. Es ist bereits das zweite Mal, dass sie diese Weisung erhielt, und es muss ihr eine heftige Debatte im Gericht vorangegangen sein. Die Entscheidung der Kammer erging mit fünf zu zwei Stimmen, und der Vorsitzende Richter Solomy Balungi Bossa stellte der Anklägerin eine Frist, bis zum 2. Dezember 2019 ihre Entscheidung zu überprüfen.

Bei dem Angriff der israelischen Armee starben 9 Menschen, ein weiterer verstarb später, 45 wurden zum Teil schwer verletzt. Acht Schiffe mit knapp 700 Passagieren aus 36 Ländern waren an dem Versuch beteiligt, die israelische Blockade des Gazastreifens zu durchbrechen. Sie hatten ca. 10.000 t Hilfsgüter für Gaza an Bord. Sie wurden alle gezwungen, den israelischen Hafen Ashdod anzulaufen. Die Waren wurden gelöscht, und bei der Untersuchung wurden entgegen einem immer wieder aufkommenden Gerücht keine Waffen gefunden.

2013 hatte der Inselstaat der Komoren im Indischen Ozean, unter dessen Flagge die Mavi Marmara registriert war, den Fall vor den IStGH gebracht. Bensouda entschied jedoch, keine Anklage zu erheben, da der Fall „nicht schwerwiegend genug“ sei. Das sahen die Richter jedoch anders und forderten sie 2017 erneut auf, den Vorgang noch einmal zu untersuchen. Doch Bensouda blieb bei ihrem Votum und weigerte sich, eine Anklage gegen Israel einzureichen. Es spricht nicht nur für die Hartnäckigkeit der Richter, sondern auch für eine unabweisbare Vermutung der Strafbarkeit des israelischen Angriffs, dass sie nunmehr zum zweiten Mal ihre Chefanklägerin auffordern, den Fall erneut zu untersuchen. Die Richter hielten mit ihrer Kritik nicht zurück: Die unglückliche Sprache, die die Anklägerin gewählt habe, um ihren Widerspruch auszudrücken zeige, wie schlecht sie darüber informiert sei, was von ihr verlangt werde. Doch betonten sie auch, dass die letzte Entscheidung über eine Anklageerhebung bei der Anklägerin liege.

Obwohl Israel nicht Mitglied des IStGH ist, können seine Staatsangehörigen dennoch angeklagt und gegebenenfalls verurteilt werden. 2015 hat der Gerichtshof z. B. vorläufige Untersuchungen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem israelischen Krieg gegen Gaza 2014 eingeleitet, die ebenfalls noch nicht zum Abschluss gekommen sind. Und so stehen auch jetzt wieder schwere Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Raum. Denn die tödlichen Angriffe geschahen in internationalen Gewässern und richteten sich eindeutig gegen Zivilpersonen und zivile Schiffe, die nach den Genfer Konventionen absolut geschützt sind.

Doch Bensouda steht offensichtlich unter doppeltem Druck. John Bolton hatte schon im letzten Jahr gedroht, die Richter des IStGH gefangen zu nehmen, wenn sie ihre Untersuchungen gegen Israel oder die USA richten würden. Sein nicht minder gesetzesferner Chef Trump hat es noch bei der Drohung belassen, ihnen die Einreise zu verweigern, sollten sie US-GIs wegen Foltervorwürfen vernehmen wollen. Bensouda hatte daraufhin das ganze Verfahren eingestellt.

Aber auch die deutsche Justiz tut sich schwer im Umgang mit dem Recht und Israel. Die deutschen Beteiligten an der Free Gaza Flotille hatten noch im Juni 2010 Strafantrag „gegen Unbekannt“ wegen Entführung, Freiheitsberaubung und Beschlagnahme von Eigentum nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eingereicht. Im September hatte bereits eine unabhängige Kommission der UNO der Generalversammlung einen Bericht vorgelegt, in dem sie verschiedene Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte durch die israelische Armee feststellte. Die Bundesanwaltschaft hingegen brauchte fünf Jahre der Prüfung, um schließlich den Antrag zurückzuweisen, da der Angriff völkerrechtsgemäß gewesen sei.

Wer die Staatsräson für sich hat, hat wohl Recht und Justiz nicht zu fürchten.

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Prof. Dr. Norman Paech ist emeritierter Professor für öffentliches Recht und war 2005-2009 Außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken. Er war 2010 selbst Passagier auf der Mavi Marmara beim Versuch, den Boykott gegen Gaza aufzubrechen. Er ist Mitglied im Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP).

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