»It Ain’t Me Babe« – Bob Dylan erhält den Nobelpreis für Literatur
Der übergroße Singer-Songwriter wird von den Stockholmer Juroren sanft in die Luft gesprengt und erhält zum Lohn dafür, dass er seit Jahrzehnten jedwede rebellische Regung verloren hat, den Literaturnobelpreis. (Frank Jödicke)
Jetzt hat er ihn also, den Preis für »antikommunistischen Realismuskitsch« (»konkret«). Der Preis, den immer die Falschen bekommen, sagt natürlich wenig über literarische Größe, sondern mehr über den politischen Formwillen der skandinavischen Sozialdemokratie. Diese will zwanghaft nett sein, fürchtet sich aber vor tiefgreifendem Wandel. Die Weltsicht, derer sich mit den Nobelpreisen versichert werden soll, predigt: Was wir (in der »westlichen Welt«) haben, ist so schlecht nicht, deswegen sollten wir es nicht gefährden oder gefährden lassen. Folglich gingen die Ehrungen der letzten Jahre immer an Persönlichkeiten, die sich an einem – aus Sicht der Sozialdemokratie Skandinaviens – richtigen Kampf verschrieben haben. Literarische Fähigkeiten waren hier erkennbar zweitrangig. Dieser Kampf fürs Gute ist einer in Maßen. Unterdrückung, Diskriminierung und Unrecht darf scharf angeprangert werden, insofern es als systemfremd klassifiziert werden kann. Die Frage aber, ob Fortschritt, Industrialisierung, Kapitalismus und dergleichen nicht längst schon einen Weg eingeschlagen haben, der kein Morgen mehr kennt, interessiert die Verwalter des Vermögens eines Sprengstofferfinders nicht. Diese Art Sprengung ist eine, die abwegigen Spinnern vorbehalten bleibt.
Warum ausgerechnet jetzt?
Spinner, wie der Hippie Bob Dylan es einmal war. Deswegen haben die Juroren wohl respektvoll gewartet, bis all das einmal an den Tag gelegte revolutionäre Potenzial komplett versandet war. Dylans Interviews der letzten Jahre zeigten einen teils willentlich widersprüchlich erscheinenden und sehr bräsigen Stil. Es waren Äußerungen von jemand, der offenbar keinen Bock mehr hat (auch wenn es ihm gelang, diesen Frust aus seiner Kunst fernzuhalten, denn die Platten der letzten Jahrzehnte waren wieder besser geworden). Plötzlich betonte der Meister, er sei nie politisch gewesen. Lieber wolle er die Orakelhölzchen des »Buchs der Wandlungen« werfen, schließlich sei »ein jedes Wort, das im I Ging steht, wahr«. Ein Satz, der wohl auch Konfuzius zu einer irritierten Nachfrage verleitet hätte, schließlich ist das Orakel Einladung zum Kommentar. Stöckchen dieser Art sind es, über die eine jede Dylan-Exegese wohl springen muss.
Die höchst eigenständige und eben auch eigenwillige Persönlichkeit Dylans führt zu zahlreichen Kuriosa. Nur, die Beobachtung, dass sich Bob Dylan seit seiner Zeit als aktiver Kämpfer des Civil Rights Movements in den 1960er-Jahren zunehmend entpolitisiert hat, ist schwer anzuzweifeln. Sicherlich honoriert die Jury in Stockholm nicht die Dylanschen Schnurren, sie hat einfach das Herz am rechten Fleck. Der Preis erscheint somit wie eine leidenschaftliche Bitte an die USA, dort kein faschistisches Regime zuzulassen. Die Verfasstheit der Republikanischen Partei lässt diese Sorge, wohlgemerkt auch ohne Donald Trump, als sehr begründet erscheinen. Indem dem zum christlichen Glauben konvertierten ehemaligen Juden Dylan der Preis verliehen wird, kann daran erinnert werden, wie plural, offen und wandelbar die US-amerikanische Gesellschaft war und hoffentlich noch immer ist. Außerdem ist es im Grunde nie falsch, Bob Dylan einen Preis zu verleihen, und dafür, was er in den 1960ern gemacht hat, auch sicherlich wohlverdient.
»The Death of Emmet Till«
Dylans durchaus auch literarisch zu nennende Größe soll anhand der Ballade »The Death of Emmet Till« kurz angerissen werden. Emmet Till war ein afro-amerikanischer Teenager aus Chicago, der, wie es William Faulkner ausdrückte, den tödlichen Fehler beging, keine Angst vor den Weißen in den Südstaaten zu zeigen, was diese nicht dulden konnten. Im festen Glauben daran, dass alle Menschen von Gott gleich geschaffen waren und keiner den anderen zu fürchten brauchte, wurde er von den Rassisten Roy Bryant und J. W. Milam zu Tode gefoltert. Dylan errichtete Till ein eindrucksvolles Denkmal. Es ist realistisch, es mag ein wenig kitschig sein, aber es zeigt, welche Wucht in dieser Kunstgattung steckt und in welche Höhen sie von Dylan getrieben wurde. Der Sänger vereint mit der Beschreibung der Passion des Opfers tiefe Anteilnahme mit wütender Anklage. Sein Werk verbindet die Hörerinnen und Hörer dadurch zugleich mit einem lediglich erzählten Geschehen, das seine Tragik gerade darin hat, dass die Stimme, die verzweifelten Schreie Emmet Tills, ungehört blieben. Obgleich vermutlich jedes seiner Worte wahr war. Ebenso wie das Gerichtsverfahren, das mit dem Freispruch der Mörder endete, das Offenbare zu leugnen versuchte.
Die Unerträglichkeit einer solchen mutwilligen Spaltung, die die wahren Worte nicht mehr hören will, muss jenen wiederum, die davon hören, schmerzlich sein und zeigen, wie zerrissen »this human race« und »this great land of ours« sind. In einem Zustand solcher Verderbtheit kann wohl nur mehr ein Song noch aufzeigen, was alle Welt zu leugnen versucht. Wenn nun heute ernstlich versucht wird, mittels des Versprechens einer umfassenden Segregation der mehr oder minder wertvollen Menschengruppen die amerikanische Präsidentschaft zu ergattern, dann scheint zuweilen die Kunst zu fehlen, die diesen Spaltungswahn wütend und anteilnehmend begreiflich macht. Für den Song »The Death of Emmet Till« und den damit geschickt applizierten Schlag auf den Kopf, dürfen wir Bob Dylan dankbar sein.
Übrigens: Ob einem Songwriter ein Literaturpreis überhaupt zugedacht werden kann, darüber diskutieren bitte die Überlebenden des literarischen Quartetts. Wer sich in solche Fragen verwickeln lässt, dem ist ohnehin kaum zu helfen.