Keine „Wiedergutmachung“ für Griechenland

 In GRIECHENLAND, Holdger Platta

82. Bericht zu unserer Spendenaktion “Helfen wir den Menschen in Griechenland!”

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser, heute ein – auch in der Länge – wieder regulärer Bericht zu unserer Hilfsaktion für die Menschen in Griechenland. Und – wie überwiegend üblich – zu Beginn erstmal die neuesten Zahlen zum Spendeneingang. Ihr erinnert Euch: Leider hatte ich Euch für die Vorwoche eher ein bescheidenes Ergebnis mitzuteilen: von 8 Unterstützern und Unterstützerinnen waren lediglich 270,- Euro auf unserem Spendenkonto eingegangen. Meine Vermutung war: zurückzuführen vor allem wohl auf die für viele noch andauernde Urlaubszeit.

 

Nun, mit dieser scheint es für die meisten HdS-Leserinnen und HdS-Leser inzwischen zu Ende gegangen zu sein, denn während der letzten sieben Tage durften wir einen deutlichen Spendenanstieg auf unserem Hilfskonto verbuchen: 544,- Euro konnte unser Kassenwart Peter Latuska an Neuzugang auf unserem Konto zur Kenntnis nehmen, 7 Mitmenschen sorgten für diesen Spendenzuwachs. Das ist für die Monatsmitte – auch ungeachtet der Frage, ob das Ferienende eine Rolle gespielt hat – so wenig nicht! Und selbstverständlich danke ich, im Namen auch der anderen Mitglieder im HelferInnenteam, allen SpenderInnen sehr. Dabei schließe ich in diesen Dank ganz ausdrücklich Bettina Beckröge mit ein, die am 9. August, beim Konzert von Konstantin Wecker auf Amrum, Flyer zu unserer Hilfsaktion an das Publikum verteilt hatte. Durchaus wahrscheinlich, daß auch diese Aktion zu dem guten Ergebnis während der letzten Woche beigetragen hat!

 

Ansonsten gestattet mir, zum Fall Griechenland – welch doppelsinniges Wort, wenn man auf die Verhältnisse in diesem kaputtregulierten Land blickt, auf den von der europäischen „Wertegemeinschaft“ aufs erheblichste mitverursachten Niedergang dieses Staates -, heute ein Thema aufzugreifen, das immer mal wieder in den Medien auftaucht, hie und da jedenfalls, dann aber genauso schnell wieder in der Versenkung verschwindet. Ich spreche von den Reparationsforderungen Griechenlands, adressiert an die Bundesrepublik Deutschland. Ich spreche davon, daß den Griechinnen und Griechen bis heute verweigert wird, was in anderem politischen Zusammenhang als „Wiedergutmachung“ bezeichnet worden ist (ein Unding oder Unwort, dieses Wortungetüm, ich weiß, denn nichts konnte mit Geldzahlungen an Israel „wiedergutgemacht“ werden, was den europäischen Juden vom „Hitlerdeutschland“ angetan worden ist). Aber dieses Wort gehört inzwischen zur deutschen Geschichte – wie der fabrikmäßig betriebene Massenmord an den Juden, der dieser sogenannten „Wiedergutmachung“ vorausgegangen ist.

 

1941 besetzten deutsche Truppen (gemeinsam mit italienischen Verbänden) Griechenland. Einheiten der Waffen-SS verübten zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung in Griechenland, so in Kommeno, Lingiades, Kalavryta, Kandanos, Viannos und Distomo. Hunderttausende von Menschen wurden ermordet. Und als „Anleihe zur Begleichung der Besatzungskosten“ ließ sich die deutsche Wehrmacht 1942 die Kosten dieses Terrorregimes auch noch von den GriechInnen bezahlen, in der Gestalt eines Zwangskredits in der Höhe von rund 500 Millionen Reichsmark (allein dieser Betrag entspräche heute einer Geldsumme von elf Milliarden Euro, so Finanzexperten und Historiker). Aber: „Wiedergutmachung“ gegenüber Griechenland gab es nie! Nichtmal in der Gestalt von Reparationszahlungen wurde von Seiten der Bundesrepublik Deutschland aus irgendetwas „gutgemacht“ in und gegenüber Griechenland. Eine Schande, die dem schändlichen Verhalten der Bundesrepublik heute gegenüber Griechenland vorausgegangen ist, eine Schande, der über viele Jahrzehnte hinweg von der Bundesrepublik kein Ende gesetzt worden ist, eine Schande, bei der es auch erklärtermaßen bleiben soll – so nachzulesen im sogenannten „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ aus dem Jahre 1990 (endgültig ratifiziert am 15. März 1991). Was hat es mit diesen Ungeheuerlichkeiten auf sich? Was ist da geschehen?

 

Doch bevor ich diese Fragen zu beantworten versuche, zwei Anmerkungen vorweg:

 

Viele der Nachgeborenen in Deutschland verstehen nicht, daß auch sie noch haftbar gemacht werden sollen für die Verbrechen des Naziregimes. Was gehen uns die Untaten der Generation unserer Eltern, Großeltern, Urgroßeltern an? So fragen Angehörige der Kinder-, Enkel- und Großenkelgeneration und haben oft auch die Antwort unverzüglich parat: gar nichts! Diesen sei an dieser Stelle nur eines gesagt: die Bundesrepublik Deutschland trat einschränkungslos die Rechtsnachfolge an, als sie das Erbe des Dritten Reichs übernahm. Sie übernahm, als Gesellschaft und Staatswesen, alles, was noch übriggeblieben war von Deutschland aus dem Dritten Reich (und der Zeit davor). Territorien und Gebäude, Straßen und Brücken, den Anspruch, Nation und Staat zu sein. Da kann man, bei Übernahme aller Rechtsansprüche von früher her, nicht gleichzeitig sämtliche Verpflichtungen, die aus dieser Rechtsnachfolge entstehen, ins Nirwana verbannen. Nichtmal im privaten Erbrecht kommt dieses ‚Splitting’ vor: Vaters Vermögen übernehme ich gern, Vaters Schulden aber nicht. Wer’s nicht glaubt, möge sich schlaulesen dazu, bei Wikipedia zum Beispiel. Und zweitens:

 

Gegenüber dem neuentstandenen Staat Israel (wie schon erwähnt) trat die junge Bundesrepublik, das Adenauer-Deutschland, ja völlig zu Recht und mit jeder Rechtfertigung in diese Nachfolgeverpflichtungen ein – was dann in dem Vertragswerk zur sogenannten „Wiedergutmachung“ seinen auch juristisch kodifizierten Niederschlag fand, am 10. September 1952 war das. Dasselbe Recht und dieselbe Rechtlichkeit hat demzufolge auch zu gelten für die anderen Menschen, Staaten und Nationen, die Opfer des nazistischen Terrors geworden sind! Wer anderes behaupten oder vertreten wollte, kann gleich dazu übergehen, den Gleichheits- und Gleichbehandlungsgrundsatz, der noch für jede rechtstaatliche Demokratie unverzichtbare Grundlage ist, für obsolet zu erklären. Er setzt damit an die Stelle eines fundamentalen Prinzips von Demokratie, von Staats- und Völkerrecht das Zufallsprinzip von Opportunismus und Willkür, er setzt die Menschenrechts-Charta der UNO außerkraft und tauscht sie aus gegen einen Machtmissbrauch, der im Falle Griechenlands – und nicht nur dort! – von völliger Verrohung und schlimmstem Zynismus nicht mehr zu unterscheiden ist. Allzustarke Worte, was das Verhalten der Bundesrepublik gegenüber den Reparationsforderungen von Griechenland betrifft? – Nun, sehen wir uns auch die folgenden Fakten noch an:

 

Mit gewissem juristischen Recht berief sich die Bundesrepublik bis zum Jahre 1990 darauf, noch nicht im vollgültigen, im völkerrechtlich-verbindlichen, Sinn Rechtsnachfolger des Dritten Reichs zu sein (was freilich gleiches Verhalten der Bundesrepublik gegenüber Griechenland wie gegenüber Israel nicht ausgeschlossen hätte!). Sei es, wie es sei: mit eben dieser Begründung lehnte die Bundesrepublik bis zum Jahre 1990 alle Reparationsforderungen Griechenlands ab. Sie sei, so hieße die Begründung, erst nach dem Abschluß eines Friedensvertrages mit den Siegermächten, mit Großbritannien und Frankreich, mit den USA und der UdSSR, imstande und berechtigt, als Erbnachfolger des Dritten Reichs tätig zu werden (auch was die Forderungen anderer Staaten an Deutschland beträfe). Erst dann, nach Abschluß eines solchen Friedensvertrages, verfüge Deutschland wieder im vollen Umfang über eigene Souveränität, erst dann könne auch über die Reparationsforderungen Griechenlands (und anderer Staaten) verhandelt und entschieden werden. Wie gesagt: mit genau dieser Begründung wies die Bundesrepublik Deutschland bis 1990 wieder und wieder alle Wiedergutmachungsforderungen der vom Nazideutschland terrorisierten Staaten zurück, auch die entsprechenden Forderungen von Griechenland. Und dann?

 

Nun, am 12. September 1990 wurde zwischen den vormaligen Siegermächten und Deutschland dieser Friedensvertrag unterzeichnet, am 15. März 1991 trat dann dieser Vertrag auch durch entsprechende Ratifizierung durch den letzten Unterzeichnerstaat, die UdSSR, in Kraft, aber – welche Absurdität! – Deutschland, das neue, das vereinte Deutschland, hatte sich aus genau diesen Reparationsverpflichtungen herausverhandelt! Im Einverständnis mit den vormaligen Siegerstaaten hatte Deutschland in das Vertragswerk „Zwei-plus-Vier“ den Satz hineinschreiben können, daß es „u. a. eventuell noch nicht erledigten Reparationsforderungen einzelner Drittstaaten“ nicht nachkommen müsse. Und Wikipedia schreibt dazu: „Dieses bezog sich insbesondere auf Griechenland“. Man fasst es nicht, aber es ist so: ohne Beteiligung der anderen, der betroffenen Staaten – hier: Griechenlands – hatten sechs Staaten über die Rechtsansprüche eben dieser anderen, eben dieser betroffenen Staaten entschieden, und zwar zu deren Nachteil ohne Einschränkung negativ. Ein Vorgang, der 2003 auch vom Bundesgerichtshof gutgeheißen wurde und 2006 auch vom Bundesverfassungsgericht. Ein jeder stelle sich das einmal innerhalb seines eigenen höchstpersönlichen Lebens vor: er habe – ich wähle ein ungleich harmloseres Beispiel – seinem Nachbarn zur Linken 10.000,- Euro geliehen und dieser „einigt“ sich mit seinen drei Nachbarn zur Rechten darauf, diese 10.000,- Euro nicht zurückzahlen zu müssen. Und mehr noch: diese „Einigung“ wird sogar erhoben zu allgemeinem, zu normativem Recht! – Wie schrieb ich vorhin? – Der jetzigen Schande gegenüber Griechenland ging bereits eine andere, eine frühere Schande voraus? – Kann man das anders bezeichnen oder anders bewerten? Ich wüsste nicht, mit welcher Begründung. Ein Land, das jahrelang unter schlimmstem nazistischen Terror litt, ein Land, das jahrzehntelang vertröstet wurde auf die Zeit nach einem Friedensvertrag, stand und steht urplötzlich einer Vereinbarung gegenüber, die sein Schuldner mit irgendwelchen anderen, mit völlig unzuständigen Dritten getroffen hat. Es fällt schwer, demgegenüber das Milieu eines Mackie Messer nicht für eine Edelwelt zu halten!

 

Doch es sei nicht verschwiegen, zum Abschluß meines Berichtes, was unser Vizekanzler Sigmar Gabriel von dieser Sache hält. Er, der Sozialdemokrat, dessen Parteivorfahren unter den Nationalsozialisten oft ebenso furchtbar zu leiden hatten wie die Griechinnen und Griechen unter der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS, bezeichnete die Forderung Griechenlands nach Reparationszahlungen schlicht als „dumm“. Bereits im April 2015 war das, kurz nachdem der neugewählte Alexis Tsipras die Forderung nach rund 270 Milliarden Entschädigung für Kriegsverbrechen und –schäden der europäischen Öffentlichkeit mitgeteilt hatte. Was menschlicher und historischer Anstand zwingend gebieten müßte, Entschädigungszahlungen an Griechenland, das ist für Gabriel einfach nur „dumm“.

 

Tja, so einfach kann man es sich machen! Für die anderen sei heute ein Buch zum Thema sehr ans Herz gelegt: Karl Heinz Roth/Hartmut Rübner: Reparationsschuld – Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa. Metropol Verlag Berlin 2017.

Und damit, wie immer, zu meinen obligaten Schlußhinweisen:

Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, oder wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „HDS“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):
Peter Latuska
Theodor Heuss Str. 14
37075 Göttingen
Email: latuskalatuska@web.de
Mit herzlichen Grüßen

Holdger Platta

Euer Holdger Platta

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