Kriegsminister gibt’s nicht mehr

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Nena, Foto: Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons 

Nenas Klassiker „99 Luftballons“ malte hellsichtig die Gefahr eines Krieges aus Versehen an die Wand. Wenn man heute den Namen der Sängerin Nena hört, wird man hellhörig. Für viele ist sie eine Coronaschwurblerin, die aus der Phalanx der Wohlanständigen auszuscheren wagte. Für andere ist sie gerade wegen ihres Einsatzes für die Kunstfreiheit — als eine der wenigen Prominenten — eine Heldin. Fragt man aber nach politisch engagierten Liedern der Künstlerin, fällt einem vor allem eines ein. Es ist ihr berühmtestes: „99 Luftballons“. Das Lied ist inhaltlich vielsagender, als es die einfache Melodie vermuten ließe. Nach der Sichtung von Luftballons am Himmel, die von der militärischen Führung für UFOs gehalten werden — auch dieses Detail lässt heutzutage aufhorchen — bomben die Militärs die Welt in Schutt und Asche. Damals schien ein solches Szenario relativ weit entfernt. Aber wie sieht es heute aus? Ein Text zu der Aktion #Friedensnoten. Hannes Hofbauer

 

„Neunundneunzig Kriegsminister
Streichholz und Benzinkanister
Hielten sich für schlaue Leute
Witterten schon fette Beute
Riefen: ‚Krieg!‘ und wollten Macht
Mann, wer hätte das gedacht
Dass es einmal so weit kommt.“

„Wegen 99 Luftballons.“ Die Sängerin Nena war eine der ganz wenigen Künstlerinnen im deutschen Sprachraum, die sich im Corona-Regime auf die Seite des Friedens gestellt hat. Sie begriff, dass der vorgebliche Kampf gegen die Pandemie kriegerische Ausmaße gegen das Volk angenommen hatte. Folgerichtig verweigerte sie sich Aufrufen zum „Krieg gegen das Virus“, wie sie von den Toten Hosen bis Roland Kaiser lanciert wurden. Im Gegenteil: Anlässlich einer Großkundgebung in Kassel gegen die Corona-Maßnahmen bedankte sich Nena bei den Aktivisten und Aktivistinnen.

Mit ihrer klaren Positionierung schlug die Sängerin einen Bogen von den Massendemonstrationen gegen die NATO-Aufrüstung der frühen 1980er Jahre zu den Hunderttausenden, die in den vergangenen zwei Jahren für Grundrechte und gegen Impfzwang auf die Straße gingen.

Der Song „99 Luftballons“ erschien Anfang Januar 1983. Er war Nenas Antwort auf den sogenannten NATO-Doppelbeschluss, der atomar bestückbare Mittelstreckenraketen (Pershing II) und Marschflugkörper (Cruise-Missiles) auf den europäischen Kontinent, insbesondere nach Deutschland und Italien brachte. Mit dem NATO-Doppelbeschluss verstärkten die USA mittels der von ihr geführten nordatlantischen Allianz ihre militärische Präsenz in Westeuropa. Die Cruise-Missiles sollten in der Folge eine der meisteingesetzten Waffen in allen Kriegen werden, die das Pentagon in den vergangenen 40 Jahren führte.

Seit der Auflösung der Sowjetunion und der Warschauer Vertragsorganisation im Jahre 1991 erweitert das transatlantische Militärbündnis Schritt für Schritt seinen Aktionsradius. Immer mehr Länder werden in die NATO-Struktur inkorporiert. Noch vor dem ersten Out-of-Area-Einsatz gegen Jugoslawien im März 1999 wuchs die Anzahl der Mitgliedsstaaten von 16 auf 19; Polen, Tschechien und Ungarn sahen sich nur ein Jahrzehnt nach dem Ende der kommunistischen Regime im Krieg — gegen Belgrad. Im Jahr 2004 nahm die NATO-Osterweiterung dann enormen Schwung auf: Sieben neue Länder aus Osteuropa wurden der Kriegsallianz beigetreten. Ende 2022 waren es vier weitere, sodass die Allianz mittlerweile auf 30 Staaten angewachsen ist.

Der große Ausgriff bis an die Grenzen der Russländischen Föderation war bereits im April 2008 geplant, als beim NATO-Gipfel in Bukarest die Aufnahme Georgiens und der Ukraine beschlossen wurde.

Es war insbesondere Deutschland unter Kanzlerin Angela Merkel, die auf diesen Erweiterungsschritt bremsend einwirkte. Nach dem Ende ihrer Amtszeit — sowie dem zeitgleich stattfindenden Personalwechsel in Washington — übernahmen Bellizisten und Bellizistinnen die Ministerstühle in Berlin. Dem nun von Joe Biden neuerlich dynamisierten Vormarsch der NATO in Richtung Russland wollten sie nichts mehr entgegensetzen. Eine von Moskau geforderte Garantieerklärung für eine neutrale Ukraine fand im deutschen Kanzleramt kein Gehör. Und die deutsche Chefdiplomatin – bei dieser Bezeichnung sträubt sich fast die Tastatur — ließ auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem ukrainischen Amtskollegen die Regierung in Kiew zwei Wochen vor (!) dem völkerrechtswidrigen russischen Einmarsch wissen: „Wir stehen an der Seite der Ukraine.“

In der Zwischenzeit fluten Waffen aus fast allen NATO-Staaten – mit der Ausnahme Ungarns – die ukrainischen Schlachtfelder, wo sie gegen russische Truppen zum Einsatz kommen. Monat für Monat werden neue Pakete mit immer mehr und immer tödlicherem Militärgerät geschnürt; US-Geheimdienstinformationen und Kämpfer aus NATO-Ländern ergänzen die westliche Kriegsmaschine.

Was fehlt, ist ein breiter Protest gegen diesen Krieg. Die Friedensbewegung schwächelt. Zu der Zeit, als Nena ihren Song „99 Luftballons“ schrieb, gingen Hunderttausende auf die Straße.

Selbst im neutralen Österreich versammelten sich 70.000 Menschen vor dem Wiener Rathaus, und die Bewegung wirkte tief in die politischen Strukturen der etablierten Parteien hinein. Von der „Jungen Generation“ der damals noch „Sozialistischen Partei Österreichs“ über die „Katholische Jugend“, christliche Frauenverbände und Gewerkschaftsgruppen bis hin zu den sich in Gründung befindlichen alternativen und grünen Bewegungen waren viele Menschen auf den Beinen, um „Nein“ gegen die von der NATO angezogene Rüstungsspirale zu sagen.

Damals hießen die Führungsfiguren der deutschen Grünen Petra Kelly und Gert Bastian, und sie verstanden sich ganz selbstverständlich als Teil der Friedensbewegung. Heute stehen an ihrer Stelle Robert Habeck und Annalena Baerbock, die nicht nur zum Teil der NATO-Kriegsmaschine geworden sind, sondern diese entscheidend antreiben. CDU/CSU sowie Liberale würden es ohne diese grüne Triebkraft nicht schaffen, das jahrzehntelang dem Frieden zugeneigte deutsche Publikum auf Kriegskurs zu bringen.

Die Sozialdemokraten wiederum folgen den Spuren ihrer russophoben Altvorderen, die immer dann Russland und Dden Russen“ als Feindbild reaktivieren, wenn es genau darauf ankäme, dies nicht zu tun. „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich“, mit dieser Losung stimmte die SPD-Reichstagsfraktion am 4. August 1914 der kaiserlichen Kriegserklärung gegen Russland zu. Das sozialdemokratische Urgestein August Bebel gab schon Jahre zuvor die Linie vor.

Während eines Parteitages in Essen Mitte September 1907 stellte er sich hinter eine russenfeindliche Rede seines Parteifreundes Gustav Noske, dem späteren Schlächter von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, und meinte:

„Wenn es zu einem Kriege mit Russland käme, das ich als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten nicht nur im eigenen Lande, sondern auch als den allergefährlichsten Feind von Europa und speziell für uns Deutsche ansehe, (…) dann sei ich alter Knabe noch bereit, die Flinte auf den Buckel zu nehmen und in den Krieg gegen Russland zu ziehen. Man mag darüber lachen, aber mir ist es mit dem Wort bitterernst.“

Bebel konnte seinen Worten keine Tat mehr folgen lassen, er starb ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Die heutigen Kriegstreiber aus dem Deutschen Bundestag haben es — bislang? — mit Aussagen zu persönlichem Kampfeinsatz im Kriegsgebiet fehlen lassen. Stattdessen sehen sie dabei zu, wie Tag für Tag junge ukrainische Männer auf dem Schlachtfeld für „ihre Werte“ sterben.

Ohne eine starke Friedensbewegung, die einen sofortigen Waffenstillstand, das Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und das Ende der Sanktionen gegen Russland fordert, geht das Sterben weiter.

„Neunundneunzig Jahre Krieg
Ließen keinen Platz für Sieger
Kriegsminister gibt’s nicht mehr
Und auch keine Düsenflieger
Heute zieh′ ich meine Runden
Seh′ die Welt in Trümmern liegen.“

 

 

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