Lars von Trier: Regie-Tänzer im Dunkeln

 In Kultur, Roland Rottenfußer

LarsvonTrierBildSchockierende Gewaltbilder in “Antichrist”, nicht ernst gemeinte “Nazi”-Bekenntnisse, Pornografie im neuen Film “Nymphomaniac”: Lars von Trier lässt keine Gelegenheit aus, zu provozieren. Trotzdem gehört er Däne zu den Regisseuren, denen man filmhistorische Größe nicht absprechen kann. Eine schwermütige, hochsensible Seele arbeitete sich da furchtlos an den großen Themen der Menschheit ab: Gott und Teufel, Tod und Sex, Schuld und Macht. Handwerklich überragend, stilistisch äußerst variantenreich und thematisch so eindringlich, dass sich kaum einer der Sogwirkung dieses “Extremisten der Bilder” entziehen kann. Roland Rottenfußer porträtiert Lars von Trier anlässig des Filmstarts von “Nymphomaniac”.

Als nächstes wolle er einen Porno mit Kirsten Dunst drehen, scherzte Lars von Trier bei seiner Pressekonferenz im Mai 2011. „Ohne viel Dialoge, also so, wie es Frauen mögen.“ Schon dieser Satz war starker Tobak für die liebliche Schauspielerin, die während der Veranstaltung sichtlich irritiert neben dem dänischen Regisseur saß, um beider Film „Melancholia“ zu promoten. Tatsächlich erwies sich der „Scherz“ aber im Nachhinein als Prophezeiung, denn auch wenn Dunst nicht mitwirkt, eilt Lars von Triers aktuellem Vier-Stunden Werk „Nymphomaniac“ der Ruf des Anrüchigen voraus. Wenn auch nicht alle Merkmale des Pornografischen erfüllt sein dürften, so ist doch freizügig gezeigter Sex der Dreh- und Angelpunkt des Films. Der ältere Junggeselle Seligmann (Stellan Skarsgard) liest in einer Winternacht die verletzte Joe (Charlotte Gainsbourg) von der Straße auf. Die erzählt ihm in acht Episoden ihre Lebensgeschichte: die Vita einer Nymphomanin, deren variantenreiches Liebesleben den Hauptinhalt des Films ausmacht.

Lars von Triers „Porno“-Ankündigung während seiner berüchtigten Pressekonferenz verblasste aber in ihrer Wirkung gegenüber einer anderen Äußerung des Dänen, mit der er einen handfesten Skandal auslöste. „Ich verstehe Hitler“, war da zu hören. „Ich denke, er hat ein paar absolut schlechte Dinge getan. Aber ich kann ihn mir in seinem Bunker vorstellen.“ Nachdem sich der Regisseur gut gelaunt und enthemmt immer tiefer in Widersprüche verstrickt und auch noch Albert Speer gelobt hatte, gipfelte seine Rede in dem Bekenntnis „O.k., ich bin ein Nazi“. Offensichtlich glaubte er, mit dieser Übertreibung das Publikum auf seine Seite bringen und die Lage entspannen zu können. „Politische Correctness tötet die Diskussion“, hatte der Regisseur einmal geäußert. Aber selbst das Unkorrekte sollte doch Hand und Fuß haben, auf Lob für Hitler trifft dies gewiss nicht zu. Lars von Trier wurde daraufhin in Cannes zur „persona non grata“ erklärt und von der französischen Polizei wegen Verharmlosung von Kriegsverbrechen verhört. Von Trier entschuldigte sich hernach demütig: „Ich habe idiotische Sachen gesagt“. Was treibt das „Enfant Terrible“ des europäischen Kinos an, immer wieder zu provozieren?

Lars von Trier, „Jude“ und „Nazi“

Lars von Trier, geboren 1956 in Kopenhagen, lebte lange Zeit in dem Glauben, jüdische Wurzeln zu haben. Seine Eltern waren Widerstandskämpfer, die Juden während der deutschen Besetzung halfen. Kurz vor ihrem Tod erfuhr Lars von seiner Mutter, dass sein leiblicher Vater deutschstämmig war. Von Trier empfand tiefe Enttäuschung, hatte er sich doch lebhaft mit der Rolle eines Außenseiters und Verfolgten identifiziert. In einer Synagoge, so gab er einmal zu Protokoll, fühle er sich mehr zu Hause als in einer katholischen oder evangelischen Kirche. „Ich wollte wirklich ein Jude sein und dann fand ich heraus, dass ich ein Nazi bin, denn meine Familie war deutsch: die Hartmanns“, sagte Lars von Trier in seiner berüchtigten Pressekonferenz. Dieses biografische Detail diente auch als „Aufhänger“ für seine missglückten Hitler-Äußerungen.

Die unklare Familiensituation hinterließ auch Spuren im frühen filmischen Schaffen des Hochbegabten. „Bilder der Befreiung“ (1982), seine Abschlussarbeit an der Dänischen Filmhochschule, handelte von Nazi-Besatzern, dänischen Kollaborateuren und deren Opfern. Im Film „Europa“ (1991) spielt von Trier selbst einen Juden, der einen Naziverbrecher namens Hartmann (!) gegen Geld durch Falschaussage vor der Entnazifizierungsbehörde rein wäscht. Der Film suggeriert, dass der Nationalsozialismus in Deutschland auch in der Nachkriegszeit noch lebendig sei. Eine Neonazi-Organisation namens „Werwölfe“ verübt darin Terrorakte. Eine besondere Beziehung zu Deutschland finde sich bis ins neuere Werk des Regisseurs. „Melancholia“ (2012) ist laut Selbstaussage in einem „deutschen, romantischen Stil“ gedreht.

Europas kleinster Kino-Gigant

Der Aufstieg Lars von Triers zum international anerkannten Exponenten des Weltkinos erfolgte vor dem Hintergrund eines umfassenderen dänischen „Filmwunders“. Den Startschuss gab Bille August („Nachtzug nach Lissabon“) mit seinem düster-realistischen Werk „Pelle der Eroberer“ (1987), mit dem er den Auslands-Oscar gewann. In seinem nächsten Film „Die besten Absichten“ (1992) verfilmte August ein Drehbuch von Ingmar Bergman. Damit wanderte der Stab des nordischen Genius gleichsam symbolisch von Schweden nach Dänemark weiter. Seither hat das skandinavische „Ländle“ immer wieder Regisseurinnen und Regisseure von Format hervorgebracht. Genannt seien nur Thomas Vinterberg („Die Jagd“), Ole Bornedal („Nightwatch“), Susanne Bier („In einer besseren Welt“) und Lone Scherfig („Zwei an einem Tag“). Internationale Lorbeeren ernteten auch dänische Filmstars wie Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas und Mikael Persbrandt, bei den Frauen Trine Dyrholm, Sonja Richter oder Sofie Grabol („Kommissarin Lund“).

Dänemark konnte als Filmland kein allzu großes Interesse der Weltöffentlichkeit für seine nationale Belange voraussetzen. Im Gegensatz etwa zu den USA, wo die Biografie eines Country-Stars, die Tötung eines Terroristen oder die Zertrümmerung des Weißen Hauses durch Außerirdische als Filmstoff den Anspruch erheben, „weltbewegend“ zu sein. Als Folge spezialisierte sich das dänische Kino auf Themen von allgemein menschlicher Bedeutung: Liebe, Schuld, Trauer, Tod. Oder Dänemark erschien als Brennpunkt europäischer Befindlichkeit, etwa in Susanne Biers Film „Brüder“, der die Verstrickung des Westens in den Afghanistan-Krieg thematisiert. Aufgrund dieses realistischen Ansatzes sind dänische Filmfiguren fast immer Menschen aus Fleisch und Blut, wie jeder sie in seiner Nachbarschaft antreffen könnte. Menschen mit Alltagsproblemen, oft durchdrungen von melancholischer, grüblerischer Sensibilität

Chaotischer „Dogmatismus“

Auf die Spitze getrieben wurde diese realistische Ästhetik durch die so genannte Dogma-Bewegung, die heute als einer der folgenreichsten Impulse des europäischen Kinos gilt. Lars von Trier war neben Thomas Vinterberg und anderen einer der Initiatoren. Die Dogma-Regeln wurden ironisch als filmisches „Keuschheitsgelübde“ der Regisseure präsentiert und richteten sich erkennbar gegen die filmtechnischen Manierismen von Hollywoods Blockbuster-Kultur. Die Regeln besagten u.a.: Drehen nur an Originalschauplätzen. Verwendung von Handkameras. Keine Filmmusik. Keine künstliche Beleuchtung. Keine Spezialeffekte. Keine zeitliche Verfremdung (z.B. Mittelalter-Filme oder Science Fiction). In Folge dieser Regeln zeigten sich Dogma-Filme oft in verwackelten, überbelichteten oder körnigen Bildern, als agierten die Macher nach dem Motto: Je schlechter das Filmhandwerk, desto größer die Kunst. Durch Konzentration auf das Wesentliche – Aussage, Emotion und Schauspielkunst – entstanden aber Meisterwerke wie „Das Fest“ (Vinterberg) und „Open Hearts“ (Susanne Bier).

Lars von Triers erster „Dogma“-Beitrag hieß passenderweise „Idioten“ (1998). Er handelte von einer Gruppe Jugendlicher, die ihre geistige Behinderung nur vortäuschten und so die Vorurteile, aber auch die politisch korrekte, geheuchelte Behindertenfreundlichkeit der Bürger entlarvten. „Idioten“ war in mehrfacher Hinsicht eine Provokation: Nicht nur wurden die Genre-Regeln des rührenden Sozialdramas unterlaufen („Behinderte sind die besseren Menschen“), der Film zeigt auch die erste explizite Sex-Szene des dänischen Kinos, eine „Orgie“ in der WG der jungen Leute. Schon dieses Skandälchen erscheint heute als Vorgriff auf den kommenden pornografischen Rundumschlag „Nymphomaniac“.

Die aggressive Idiotie der Menschen

Die Filme, mit denen Lars von Trier zum Klassiker reifen konnte, entstanden in zeitlicher Nähe zu „Idioten“. Seine Werke hoben sich durch Prägnanz und Schonungslosigkeit nicht nur vom Umfeld der „normalen“ Regisseure deutlich ab, sie waren auch untereinander sehr verschieden und setzten jedes Mal einzigartige Stilmittel ein. („Ich tue immer etwas, was ich noch nie getan habe.“) In „Breaking the Waves“ (1996) waren dies etwa bewegliche Gemälde des dänischen Künstlers Per Kirkeby. In „Dancer in the Dark“ (2000) Musical-Elemente – Lieder, die von der isländischen Artpop-Künstlerin Björk komponiert und gesungen wurden. In „Dogville“ (2003) Elemente von Brechts „epischem Theater“, die die Illusion von Realität radikal durchbrachen. Statt realistischer Kulissen wurden die Grundrisse eines Dorfs nur mit auf den Boden gezeichneten Strichen angedeutet. „Das ist nur Fiktion“, schien diese merkwürdige Versuchsanordnung sagen zu wollen. „Versuche nicht den Film nur passiv zu genießen und konzentriere dich auf die Botschaft.“

„Dogville“ ist die Geschichte einer flüchtigen jungen Frau (Nicole Kidman), die in einem Dorf unterschlüpft und dort der Reihe nach von den Bewohnern als Haus- und Sexsklavin missbraucht wird. Die Kollektivschuldthese in diesem verfilmten Drama erinnert an Frischs „Andorra“ oder Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ – Werke, die als Reaktion auf das Versagen der Bevölkerung während des Dritten Reichs entstanden waren. Ein tief pessimistisches und verstörendes Menschenbild des Autors und Regisseurs tritt hier zutage. Wenn alle Hemmungen durch Gesetz und Moral wegfallen, scheint die Botschaft zu sein, verwandelt sich jeder Mensch in ein Monster, unterdrückt und misshandelt andere gnadenlos. Der in gleicher Manier gedrehte Fortsetzungsfilm „Manderley“ (2005) thematisierte dann die unbegrenzte Unterwerfungsbereitschaft der Menschen aus „Furcht vor der Freiheit“ (um eine Formulierung von Erich Fromm zu verwenden). Man kann gerade in diesen politischen Filmen des Regisseurs eine emanzipatorische, ja antifaschistische Tendenz erkennen. Für Kenner verbietet es sich schon von daher, den Satz „Ich bin ein Nazi“ wörtlich zu nehmen.

„Messiassinnen“ in einer Welt ohne Gott

Das Universum des Lars von Trier kennt auch Güte, das selbstlose Opfer dominiert sogar in einigen seiner Filme. In „Dancer in the Dark“ lässt sich Björk als langsam erblindende Fabrikarbeiterin, obwohl unschuldig, hinrichten. Sie gibt ihr Geld lieber für die Augenoperation ihres Sohnes als einem Anwalt, der sie hätte retten können. Lars von Trier sagte zu diesem Film in einem Interview. „Zuerst einmal leben wir in einer Kultur, in diesem Teil der Erde, wo es ein Mann ist, der am Kreuz hängt, der sich opfert. Aber ist es nicht toll, dass es auch Frauen gibt?“ Selma in „Dancer in the Dark“ wie auch Bess in „Breaking the Waves“ sind weibliche „Jesusse“. Die letztere opfert nicht nur die Unversehrtheit ihres Körpers, sondern auch die ihrer Seele, indem sie sich wissentlich „in Sünde fallen“ lässt. Damit weist sie möglicherweise schon voraus auf die Figur der Joe in „Nymphomaniac“.

In einer Welt ohne Gott, beherrscht von fragwürdigen geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, ringen verstörte und deformierte Wesen um ihre Erlösung. „Ich bin ein armseliger Christ“, sagte von Trier einmal „Ich bin kein gläubiger Mensch. Sehr früh im Leben kam ich zu der Überzeugung, dass das Leben auf der Erde, die Natur und der Mensch nicht die Schöpfung eines gnädigen Gottes sein konnten.“ Weder das Selbstopfer der „goldenen“ weiblichen Seelen. noch die in „Dogville“ exekutierte Rache der gepeinigten Frau vermögen aber Licht in von Triers dunkle Seelenlandschaft zu bringen. Im Gegenteil war gerade „Dogville“ mit einem weiteren traurigen Kapitel verbunden. Zu Lars von Triers Entsetzen hatte der norwegische Massenmörder Anders Breivik den Film nämlich im Internet gepriesen, wohl weil Nicole Kidman darin ein ganzes Dorf von befreundeten Gangstern niedermähen lässt. Der Vorfall, der dem Regisseur gewiss peinlich war, zeigt, auf welch dünnem Eis er sich mit seinem Hang zu Extremen in vielen seiner Werke bewegt.

Sehnsucht nach Auslöschung

Philosophisch wie auch in der Heftigkeit seiner Gewaltdarstellung ist „Antichrist“ (2009) zweifellos der bisherige „Höhepunkt“ in Lars von Triers Schaffen – quasi ein Bergman-Film für das Zeitalter der Gewaltpornografie. Genitalverstümmelungen und andere abstoßende Szenen können aber den künstlerischen Gehalt des Films jedoch nicht zur Gänze überschatten. In der visuell betörenden Anfangssequenz haben Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe Sex und übersehen dabei, wie ihr kleiner Sohn aus dem Fenster in den Tod stürzt. Sex, Schuld und Tod sind so von Anfang eng miteinander verknüpft. In den folgenden Episoden einer „Paartherapie“ im Wald entfesselt Lars von Trier ein Gewirr symbolträchtiger Bilder. Der „männliche“ Verstand, motivisch Gott zugeordnet, scheitert schmählich am weiblichen Prinzip (Sex, Körper, Teufel). „Das Chaos regiert.“ Schon diese Konstruktion erscheint gewagt und erregte heftigen Widerspruch – ebenso wie die Dämonisierung der Natur.

„Antichrist“ war aber vor allem auch ein Versuch Lars von Triers, seine schwere Depression zu verarbeiten. Vor den Dreharbeiten hatte er Zweifel geäußert, jemals wieder einen Film drehen zu können. Schon seit seiner Kindheit war der Regisseur wegen depressiver Schübe in Behandlung gewesen. Die direkte Darstellung dieser Krankheit erfolgte dann im nächsten Film: „Melancholia“ (2011). Hollywood-Star Kirsten Dunst („Spiderman“), selbst unter Depressionen leidend, spielte die Rolle der Justine eindrucksvoll in Form extrem langsamer Bewegungen, so als müsse sie sich durch eine Wand aus grauen Spinnweben kämpfen. Die Depression als „Tod mitten im Leben“ befreit sie aber auch von allen Bindungen an gesellschaftliche Konventionen. Sie befreit zuletzt sogar vor der Todesangst. Justine gibt sich dem Tod bringenden Planeten „Melancholia“ gelassen und wie erlöst hin. Dabei suggeriert schon die Untermalung durch Richard Wagners Musik die Sehnsucht nach Auslöschung.

Manischer PR-Aktivismus

Bald nachdem er Tod und Teufel beschworen hatte, brach Lars von Trier in seiner Pressekonferenz auch noch das Tabu der Verharmlosung Hitlers. Zufall? Nach seinem Rauswurf in Cannes, der öffentlichen Reue und dem Vorsatz, künftig besser den Mund zu halten, machte Lars von Trier aus seiner Not eine Tugend. Er ließ Plakate von sich mit zugeklebtem Mund veröffentlichen und startete für „Nymphomaniac“ eine beispiellose PR-Kampagne. So wurden Bilder der Darstellerinnen wie Uma Thurman und Charlotte Gainsbourg mit von Orgasmus-Lust verzerrten Gesichtern veröffentlicht. Ebenso acht Trailer zu den Kapiteln des Films, die jeweils unmittelbaren vor dem zu erwartenden sexuellen Vollzug abbrachen. Die Frage, wie viel „echter“ Sex den Filmbildern zugrunde lag, bewegte schon Monate vor dem Kinostar die Boulevard-Gazetten. Die Darsteller hätten mit aufgeklebten Genital-Prothesen gearbeitet, war zu lesen. Oder die Oberkörper der Stars seien per Computertechnik auf die Unterkörper von Pornodarstellern montiert worden. Nun hat der schlüpfrige Werberummel ein Ende, und der Film muss selbst für sich sprechen.

Einige Themen des Films lassen sich erkennen: Sexualität ist wieder mit Schuld verquickt und verlangt nach Erlösung durch den sich distanzierenden Verstand des Mannes (im Film Stellan Skarsgard). Der Tod spielt wieder eine Rolle, was sich schon durch die Verwendung von Musik aus Mozarts „Requiem“ andeutet, ebenso auch Sucht und Selbsttranszendenz. Sexualität ist in dem Film nicht nur Selbstzweck sein, sondern symbolisiert auch die „Anhaftung“ an die chaotische Materiewelt, wie es Lars von Trier schon im „Antichrist“ durchexerziert hat. Möglicherweise ist Erlösung hier – wie bei Schopenhauer – nur durch die „Verneinung des Willens zum Leben“ möglich.

Sex bindet, Ratio befreit

Was Lars von Trier auf seinem selbstquälerischen Fettnäpfchen-Parcours antreibt, ist für Außenstehende schwer zu bestimmen. Offensichtlich scheint, dass er als Depressiver quasi im seelischen Grenzbereich beheimatet und „auf Du und Du mit dem Tod“ ist. Somit agiert er teilweise von der Bindung an Konventionen und Tabus „befreit“, was auf Zuschauer anstrengend, aber auch faszinierend wirken kann. Von Trier, der sich von seiner ersten Ehefrau während deren Schwangerschaft wegen einer anderen trennte, kennt zugleich die Vermischung von Sex und Schuld. Vielleicht empfindet er die Gebundenheit des Verstandesmenschen an körperliche Begierde auch eher als Fluch, der nach Erlösung verlangt. „Wenn man die Rationalität entwertet, neigt die Welt dazu, auseinander zu fallen“, hatte er einmal geäußert.

Und jetzt? Nach dem Abarbeiten der großen Tabuthemen Gewalt, Tod, Teufel, Hitler und Sex besteht die Herausforderung für den Regisseur wohl darin, in künftigen Filmen überhaupt noch etwas neues, gleichermaßen Eindringliches zu produzieren.

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