Leider: in Griechenland trat die prognostizierte Katastrophe ein

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

30. Bericht zu „Patenschaft für Panagiota“. Nein, das letzte Wochenende war kein guter Tag für Griechenland. Die Wahlen mit ihrem katastrophalen Ergebnis werden den Wählerinnen und Wählern noch lange zu schaffen machen. Keineswegs Besseres ist aber auch über die Menschen zu berichten, denen wir zu helfen versuchen – und über unsere Hilfsaktion selbst. Bitte lest trotzdem diesen Bericht! Holdger Platta

 

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

Ich vermute, auch heute wird Euch vor allem das Ergebnis der Parlamentswahlen in Griechenland interessieren. Und ich vermute zum zweiten, dass viele von Euch bis heute das tatsächliche, das genaue Ergebnis der Parlamentswahlen in Griechenland nicht kennen. Der Grund: zahlreiche Printmedien berichteten nur sehr lückenhaft darüber, dasselbe gilt für viele Fernsehanstalten. Positiv hervorzuheben ist die linke Tageszeitung „junge welt“. Deren Bericht vom 27. Juni entnehme ich also die meisten Zahlen. Ergänzen werde ich diese Informationen mit den Angaben aus einer Mail von Tassos Chatzatoglou, die ich heute – endlich – erhielt:

Nun ja, Ihr werdet mir glauben, dass ich nicht erfreut darüber bin, mit allen meinen katastrophalen Prognosen zum katastrophalen Wahlausgang in Griechenland derart Recht gehabt zu haben – nachzulesen vor allem in meinem letzten Bericht. Wahrlich, alles andere wäre mir lieber gewesen. Doch hier nun die Ergebnisse:

Leider, aber es ist so, die rechtskonservative „Nea Dimokratia“ (ND) unter dem alten (und neuen) Premierminister und Parteichef Kyriakos Mitsotakis gewann am 25. Juni mit großem Abstand die meisten Stimmen: 40,5 Prozent. Damit errang diese Partei geringfügig weniger Stimmen als beim ersten Wahlgang am 21. Mai, minus 0,25 Prozentpunkte. Die ND verfehlte dadurch mit 158 Abgeordnetensitzen die absolute Herrschaft mit 180 Mandaten, die ihr sogar Verfassungsänderungen erlaubt hätte. Ein kleiner, sehr kleiner Trost. Aber bestürzend genug bleibt dieses Wahlergebnis gleichwohl. Es zeigt: die rechten Wähler sind zur Wahl gegangen.

Den zweiten Platz hinter der ND konnte die SYRIZA erringen, aber – wie ich bereits vor einer Woche geschrieben und schon vor einer Woche befürchtet hatte –, sie stürzte weiter ab, diese „Radikale Linke“: statt der 20,07 Prozent Ende Mai erhielt sie nunmehr nur noch 17,83 Prozent, was einem Minus von 2,24 Prozentpunkten entspricht und der SYRIZA im neuen Parlament nur noch 48 Sitze beschert.

Alle anderen Parteien, die ins Parlament gelangten, legten demgegenüber zu, im Vergleich zu den Wahlen vor gut vier Wochen. Beiläufig an dieser Stelle eingefügt: nein, die linksliberale MeRA25 mit ihrem Spitzenmann Iannis Varoufakis schaffte den Einzug ins neue Parlament nicht und scheiterte mit 2,46 Prozent an der Drei-Prozent-Hürde. Aber Zuwächse für sich verbuchen durften die anderen „Linksparteien“ – ich zähle sie gleich mit ihren Einzelergebnissen auf – wie auch die Ganz-Rechtsaußen-Parteien, mehr oder minder allesamt Nachfolgeorganisationen der faschistischen „Morgenröte“ (der „goldenen“), jener Partei also, die zu den Wahlen in diesem Jahr nicht mehr antreten durfte. Aber der Reihe nach:

Die PASOK, sozusagen die SPD Griechenlands, kam auf 11,85 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen, auf „Platz drei“ mithin, was einem Anstieg von 0,40 Prozentpunkten entspricht und was ihr 32 Sitze einbrachte im neuen Parlament.

Die Kommunisten-Leninisten, die KKE, auf „Platz vier“, errang 7,68 Prozent (plus 0,45 Prozentpunkte gegenüber dem ersten Wahlgang im Mai) und verfügt nunmehr über 20 Sitze im neuen Parlament. Und die Linksabspaltung von der SYRIZA, die „Plefsi Eleftherias“ (= „Kurs der Freiheit“) unter Zoi Konstantopoulou, erstmalig in diesem Jahr zu Wahlen angetreten, konnte auf Anhieb 3,17 Prozent aller Wählerstimmen gewinnen – ein Plus von 0,2 Prozentpunkten gegenüber dem ersten Wahlgang Ende Mai dieses Jahres. Diese Partei wird mit 8 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten sein.

Als Zwischenergebnis an dieser Stelle ist festzuhalten: alle „Linksparteien“ mit ihren Ergebnissen zusammengerechnet (inklusive der SYRIZA), errangen beim zweiten Wahlgang 40,72 Prozent aller Stimmen und damit ‚eigentlich‘ mehr Stimmen als die rechtskonservativen „Neudemokraten“ mit deren 40,55 Prozent. Der Umstand aber, dass alle „Linksparteien“ im neuen Parlament trotzdem nur über 108 Abgeordnetensitze verfügen, die ND hingegen über 158, verdankt sich der  Tatsache, dass der Siegerpartei, hier also der Mitsotakis-ND, sogenannte „Bonus-Sitze“ zugesprochen werden. SYRIZA hatte diese Regelung seinerzeit abgeschafft, die ND nach ihrem Sieg im Jahre 2019 wieder eingeführt. Wenn ich an dieser Stelle einschieben darf: echte Demokratie – selbst repräsentative Demokratie oder gerade diese! – sieht anders aus.

Womit wir einen abschließenden Blick auch auf die mehr oder minder faschistischen Parteien im zukünftigen Parlament der GriechInnen richten wollen!

Vorweg: gegenüber den insgesamt 41 Prozent Wählerstimmen für die „Linksparteien“ kamen alle diese „Rechtsparteien“ (ohne ND!) lediglich auf 12,8 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen. Ob das unbedingt beruhigen kann angesichts einer „Nea Dimokratia“, unter deren Abgeordneten sich durchaus auch Altfaschisten befinden, mag heute offen bleiben. Gleiches gilt für den alt-neuen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, der ebenfalls für manche „rechte“ Überraschung gut sein könnte. Aber vervollständigen wir das Bild:

Stärkste Kraft unter den rechtsextremistischen Parteien wurden – völlig überraschend – die „Spartiates“ bzw. „Spartaner“ mit 4,66 Prozent.12 Abgeordneten werden für sie im neuen Parlament Platz nehmen dürfen. Besonderheit bei dieser Partei: sie war beim ersten Wahlgang im diesem Jahr, am 21. Mai, noch gar nicht angetreten! Derlei Schnellst-Erfolge ultrarechter Bewegungen dürften also durchaus besorgniserregend sein.

Ebenfalls 12 Abgeordnetenmandate für sich errang „Elliniki Lysi“ (= „Griechische Lösung“) mit 4,45 Prozent (dasselbe Ergebnis wie bei den Parlamentswahlen Ende Mai).

Wäre schließlich noch „NIKI“ zu erwähnen („NIKI“ = „SIEG“) mit 3,69 Prozent Stimmenanteil. Sie konnte gegenüber den Vorwahlen 0,77 Prozentpunkte hinzugewinnen und wird über 10 Abgeordnete im neuen Parlament verfügen.

Mein Gesamtfazit an dieser Stelle, für heute jedenfalls:

‚Eigentlich‘ ist Mitsotakis lediglich wegen einer antidemokratischen Manipulation am Wahlrecht als Sieger nach dieser Abstimmung vom 25. Mai aufs Treppchen gesprungen. Die SYRIZA-Versuche hingegen, mit SPD-Hilfe (Olaf Scholz!) und blanken Lügen (siehe meinen letzten Bericht!) das Blatt noch zu eigenen Gunsten wenden zu können, müssen als gänzlich gescheitert betrachtet werden. Wie ich nach wie vor meine: SYRIZA, mit Alexis Tsipras an der Spitze, zahlt noch heute für Feigheit und Verrat, deren sich diese Partei ab dem Herbst des Jahres 2015 in den Augen der Wählerinnen und Wähler schuldig gemacht hat – ganz im Gegensatz zu Portugal, im gleichen Zeitraum und in gleicher Not, das sich den inhumanen Forderungen von EU und Troika mit Konsequenz widersetzte. Auch dazu berichtete ich ja schon. Anders formuliert:

Wer als Politiker glaubt – als linker Politiker zumal –, den eigenen WählerInnen von oben herab Alzheimer verordnen zu können, ein Totalvergessen, was das eigene Versagen betrifft, irrt! Die SYRIZA wird vieles zu besprechen haben in nächster Zeit. Vor allem aber wird sie vieles verändern müssen, um gegebenenfalls, irgendwann in der Zukunft, wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können. Ich kann dazu nur sagen: wenn die SYRIZA nicht begreift – das gilt auch für die anderen „linken“ Parteien! –, dass lediglich freiheitlicher Menschenrechtskampf an der Front gegen Verarmung und Verelendung hilft – und das schließt, beiläufig gesagt, Kampf gegen ein kaputtorganisiertes Gesundheitssystems mit ein –, wenn SYRIZA das nicht kapiert sowie PASOK und KKE ebenfalls nicht, dann sollten alle diese Parteien beim nächsten Wahlgang gar nicht erst antreten wollen. Das gilt nicht zuletzt aus dem folgenden Grunde:

Hundserbärmlich ist die Wahlbeteiligung am 25. Juni zu nennen. Lediglich gut 52 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger in Griechenland beteiligten sich noch an dieser Wahl (vier Wochen vorher waren es immerhin noch 61 Prozent gewesen), 47,7 Prozent aber nicht. Merkt Ihr was? – Die größte „Partei“ bei dieser Abstimmung am letzten Sonntag, die mit deutlichem Abstand größte „Partei“ vor allen anderen Parteien, das waren die Resignierten gewesen, die Hoffnungslosen, die zur Gänze von aller Politik enttäuschten Wählerinnen und Wähler in diesem eigentlich doch großartigen Land (nicht zuletzt: der sogenannten „Wiege unserer Demokratie“). Ich kann an dieser Stelle nur wiederholen, was ich bereits an einer anderen Stelle schon einmal gesagt habe, dort die Endphase der ersten Demokratie auf deutschem Boden betreffend, die Endphase der Weimarer Republik (spätestens seit dem Oktober 1929): Wenn Demokratie den Menschen den Rücken kehrt, dann kehren die Menschen ihren Rücken auch der Demokratie. Mitsotakis kümmert sich mit Sicherheit nicht um die Armen und Verelendeten in diesem Land, aber ein Tsipras hat das in einer der wichtigsten Phasen der griechischen Geschichte im Nachkriegs-Europa ebenfalls nicht getan. Traurige Pointe ist nur, dass lediglich der eine, der Hoffnungsträger, dafür zu bezahlen hat, Tsipras nämlich. Der Profiteur dieser Geschichte, Mitsotakis, der einschränkungslos auf Seiten der Profiteure steht, hingegen nicht. Der sahnt ab, genau dort, wo sich der Rahm auf der Milch befindet: ganz oben!

Aber ich möchte diese Betrachtungen nicht mit meinen eigenen Worten schließen. Das letzte Wort soll Tassos Chatzatoglou, unser Mithelfer und geborene Grieche, zu diesem Thema haben. Ich zitiere aus seiner Mail, die ich heute bekam:

„Die absolute Herrschaft von Mitsotakis wurde verhindert. (…) Rechnet man die Enthaltungen mit, regiert Mitsotakis mit nur 21,4%. Deshalb ist es wichtig, wählen zu gehen. Die Wahlen haben gezeigt:

Syriza hat den Boden der Realität verlassen. Die Annahme, dass das aufgeklärte Bürgertum Syriza wählen würde, war ein frommer Wunsch. Die Politik von Syriza hat menschlichen Charakter im Vergleich zur ND, aber das Aussaugen (finanziell) des Mittelstandes war nicht richtig. Syriza dachte, dass Volk würde ihre Politik positiv bewerten. 38 Milliarden in der Staatskasse hinterließ Syriza 2019!!!! Das Geld ist verschwunden anstatt in Gesundheit und Bildung investiert worden zu sein. Bei den Wahlen 2023 hat die Mehrheit des Volkes nicht gewählt. Die Partei der Nicht-Wähler war die stärkste – mit 47,7%.

Die Linke beschäftigt sich mit Love-Parade der Homos und Lesben anstatt mit den wichtigen tatsächlichen Problemen. Es fehlt die Einigkeit unter den Linken, die Rechten, die sind sich einig, mit alle Mitteln die Linke zu bekämpfen. Sie sind erfolgreich. die Linke sucht noch immer die Persönlichkeit mit der Größe eines Enrico Berlinguer, Santiago Carillo, Georges Marchais. Vielleicht ist es an der Zeit, den Klassenkampf neu zu definieren.“

Nun, den „Klassenkampf neu zu definieren“, das schaffen wir mit Sicherheit heute nicht. Erläutern möchte ich deshalb nur: Enrico Berlinguer, Santiago Carillo, Georges Marchais, sie alle waren zu ihren Lebzeiten Mitglieder und für lange Zeit Chefs der Kommunistischen Parteien in ihren Heimatländern Italien, Spanien und Frankreich, und sie alle einte die Idee eines freiheitlichen Kommunismus, der nicht mehr von der Sowjetunion bestimmt werden sollte.

Womit ich beim eigentlichen Thema meiner Berichte bin: bei den Menschen, denen wir doch eigentlich zu helfen versuchen und über die ich so lange schweigen musste. Und: bei den neuesten Spendenzahlen!

Nun, zu letzterem zuerst;

Leider, ein weiteres Mal haben wir hinzunehmen, dass für unsere Hilfsaktionen kein Geld gespendet wurde, nach der Vorwoche also auch während der letzten sieben Tage nicht. Neues also kann dazu nicht mitgeteilt werden. Ich wiederhole deshalb heute nur noch einmal den Stand auf unserem Hilfskonto für Panagiota, Dionysis und die verarmten Familien auf Andros: 1.165,45 Euro. Und ergänze kurz: auch beim Geldeingang für unsere Website HdS sah es während der letzten Woche nicht gerade gut für uns aus: lediglich 9,- Euro gingen  für hinter-den-schlagzeilen.de  auf unserem Konto ein, überwiesen von zwei SpenderInnen an uns (Stand auf diesem Konto jetzt: 1.593,13 Euro). Umso herzlicheren Dank den beiden UnterstützerInnen!

Ansonsten soll auch zu diesem Thema Tassos Chatzatoglou das letzte Wort bei uns haben (abgesehen von meinem ‚obligaten‘ Schlussappell). Hier also noch einmal aus Tassos Chatzatoglous heutiger Mal an mich:

„Ich war fünf Tage bei meiner Mutter. Trotzdem konnte ich von unseren Bedürftigen keinen sehen. Panagiota zu besuchen, das wäre eine Reise von 800 Km hin und zurück gewesen. Für Andros wäre zusätzlich zu den 800 km eine Schiffsreise von mehreren Stunden nötig. Deshalb habe ich meine Informationen telefonisch eingeholt. Für Panagiota, Dionisys und die Bedürftigen auf Andros hat sich nichts geändert. Panagiota fürchtet, dass die neue Regierung die Kinderbeihilfe kürzt. Eine andere Hilfe bekommt sie nicht, außer die Miete von IHW. Panagiota hat einen Anwalt beauftragt für die Beihilfe, die ihr zusteht, alles Nötige zu unternehmen.  Der Anwalt, der vom Gericht bestimmt wurde, tut sich schwer, weil Panagiota mit ihre Mädchennamen die Beihilfe bezogen hat, obwohl sie nicht geschieden war. Jetzt ist sie geschieden, aber es dauert wie alles, was die Behörde in Griechenland tut. Sie fürchtet, dass die Miete nicht mehr von der IHW bezahlt wird. Deshalb sucht sie eine billigere Wohnung, die sie sich leisten kann.

Dionisys‘ Familie sucht auch eine Wohnung. Die Wohnung ist nicht ausbezahlt. Es ist eine Kredit zu bezahlen, also Schulden. Es droht eine Veräußerung der Wohnung durch die Bank. Die Mitsotakis Regierung hat grünes Licht gegeben, damit die Banken an die Wohnungen kommen können. Tsipras hatte die Veräußerung der Wohnungen klassifiziert gehabt. Die erste Wohnung dürfte nicht veräußert werden, und wenn dabei Kinder wären, überhaupt nicht. Institutionen, die Mitsotakis nahe stehen, profitieren von der Veräußerung der Wohnungen und Häuser. Bereits ab Montag nach den Wahlen ging die Versteigerung los.“

Leider, so bilanziere ich Tassos Chatzatoglous Mitteilungen, enthält auch dieser Bericht nur ungute Informationen. Sicherlich versteht Ihr daher, dass ich mit vertrauter Inständigkeit um Wiederaufnahme Eurer Hilfen bitte. Also:

Wer von Euch uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „Panagiota“ auf das Konto:

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21 GOE
Inhaber: IHW

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an Volker Töbel, entweder unter der Postanschrift Tewaagstraße 12, 44141 Dortmund, oder unter der Mailadresse vtoebel@web.de.

Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta

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