Liebe handelt! – Thich Nhât Hanh

 In FEATURED, Spiritualität

Thich Nhat Hanh

Thich Nhat Hanh entwickelte eine moderne Spielart des engagierten Buddhismus, die mit Weltabgewandtheit nichts zu tun hat. Seine Argumente lehnen sich an die Schriften des Religionsgründers und dessen Lehre an. Was der Mensch sein “Selbst” nennt, ist nach Buddha durchdrungen von Elementen des “Nicht-Selbst”. Dazu gehören Wasser, Luft, pflanzliche und mineralische Strukturen sowie Gedanken und Gefühle, die ihren Ursprung nicht im Menschen selbst haben. Thich Nhat Hanh nennt diese Erkenntnis “die Lehre des gegenseitigen Sich-Durchdringens, des Zusammenseins” (interbeing) Thich Nhat Hanh baute nicht nur Klöster, Schulen und Krankenhäuser. Seine spirituelle Praxis ist ganz dem Wohl der Mitgeschöpfe gewidmet. (Roland Ropers)

In seinem Buch „Mystiker unserer Zeit im Porträt“ beschreibt Roland Ropers 75 spirituelle Persönlichkeiten. Er skizziert ihre Lebensläufe und zitiert zentrale Aussagen aus ihren Werken. Dabei überwindet der Autor nicht nur die Grenzen zwischen den Religionen, indem er z.B. Mystiker mit christlichem, buddhistischem und hinduistischem Hintergrund porträtiert – er beleuchtet auch u.a. den Weg eines Rainer Maria Rilke, Leonard Bernstein, Martin Luther King oder des Physikers Hans-Peter Dürr. Es entsteht der Eindruck, dass Gottberührung überall und auf sehr verschiedenen Wegen geschehen kann.

Der buddhistische ZEN-Meister Thich Nhât Hanh wurde am 11. Oktober 1926 in Vietnam geboren. Er gehört zu den großen spirituellen Lehrern unserer Zeit. Mit 16 Jahren wurde er als Mönch ordiniert. 1957 gründete er im Dai-Lao-Wald das Phung-Boi-Kloster. 1963 war er Mitbegründer der Vereingten Buddhistischen Kirche in Vietnam. 1966 erfolgte die Gründung des Tiep-Hien-Ordens (Orden des Inter-Seins). Während des Vietnam-Kriegs geriet er unter gewaltige Repressalien und ging ins Exil in die USA. Sein Freund Martin Luther King schlug ihn 1967 für den Friedensnobelpreis vor. Seit vielen Jahren leitet er in Plum Village, Südfrankreich, ein wunderschönes und viel besuchtes Meditations-Zentrum. Thay, wie ihn seine Freunde nennen, hält auf der ganzen Welt Seminare und Vorträge. Er ist Autor von mehr als hundert Büchern.

Für seinen leider vergriffenen Bestseller Lebendiger Buddha – lebendiger Christ schrieb sein Freund und Jahrgangskamerad Bruder David Steindl-Rast O.S.B. ein bemerkenswertes Vorwort, in dem es u. a. heißt.: Wir Christen haben kein Monopol auf den Heiligen Geist! Im Jahr 1993 erschien das bemerkenswerte Buch von Thich Nhât Hanh Love in Action, deutsche Ausgabe Liebe handelt (1997).

Der Jesuit Daniel Berrigan schreibt am Anfang seiner einfühlsamen Einleitung:
Ein wohlklingendes Gedicht, ein paar Takte sanfter, feierlicher Musik. Ein Lied über den Tod, das eigentlich vom Leben handelt. Metamorphose des Todes: der Aderlass des Todes, Einlass von Licht und Luft in jene angstbesetzten Räume. Wie wird man eigentlich damit fertig, wenn der Tod zuschlägt, wiederholt, sinnlos, wenn er junge, edle, mutige, selbstlose Menschen zerstört? Unsägliches Leid natürlich, eine Zeit des Schweigens, Raum für Trauer. Und anschließend ein Bestätigen, ein Annehmen. Und schließlich, wer Glück hat, talentiert ist, einfühlsam und tapfer, kann mit dem Mut eines Künstlers und Dichters etwas schaffen, das der Brutalität, dem Horror gegenübertritt und dem Meer aus Blut, Rache, Grausamkeit und Betrug eine totale Veränderung bringt […] Und dies ist Thich Nhât Hanhs Genius. Seine Toten besitzen die Echtheit und Wahrhaftigkeit der Lebenden. Sie sind jung, sie weisen Schatten zurück, anstatt ihnen zu folgen. Sie drängen das Dunkle zurück, sie schaffen Raum, sie äußern ihre Meinung. Völlig anders als die dämlichen Geister aus Vergils Unterwelt, eher von der Robustheit und Derbheit der Menschen bei Dante – derjenigen in der Hölle hauptsächlich […]. Ich danke Ihnen, Thich Nhât Hanh, Mönch, Medium, Nekromant, Künstler. Für Ihr Leid, Ihre schwere Belastungen, Ihr Exil, die stumme und taube lieblose Welt. Vergeben Sie uns.

Auf den Seiten 92ff. finden wir aus der Feder von Thich Nhât Hanh ein hochaktuelles Kapitel: Die Ursache von Krieg. Er schreibt über seine Wut über den US-Präsidenten George Bush sen., den Vater des später amtierenden amerikanischen Präsidenten George W. Bush.

In der Nacht, in der Präsident Bush den Befehl erteilte, den Irak anzugreifen, konnte ich nicht schlafen. Ich war wütend und am Boden zerstört. Am nächsten Morgen hielt ich mitten in meiner Vorlesung plötzlich inne und sagte zu meinen Freunden: „Ich glaube nicht, dass ich in diesem Frühjahr nach Nordamerika reisen werde.“ Die Worte purzelten einfach so heraus. Dann fuhr ich mit meiner Vorlesung fort. Am Nachmittag sagte einer meiner amerikanischen Schüler zu mir: „Thây, ich glaube, du musst in die USA gehen. Viele Freunde dort denken und fühlen genau wie du, und es würde viel nützen, wenn du gingst und sie unterstützt.“ Ich sagte nichts. Ich praktizierte Atmung und Meditation im Gehen und Sitzen, und ein paar Tage später beschloss ich, in die USA zu reisen. Ich erkannte, dass ich eins war mit dem amerikanischen Volk und mit George Bush und mit Saddam Hussein. Ich war auf Präsident Bush ungeheuer wütend gewesen, aber nachdem ich bewusstes Atmen praktiziert und tief in mich hineingesehen hatte, sah ich mich selbst als Präsident Bush. Ich erkannte, dass Saddam Hussein nicht der Einzige war, der die Ölquellen in Kuweit in Brand gesteckt hatte. Wir alle hatten unsere Arme ausgestreckt und sie zusammen mit ihm angezündet. […] In unserem kollektiven Bewusstsein existieren aber auch einige Keime der Gewaltfreiheit, und Präsident Bush hatte ja tatsächlich mit Sanktionen begonnen. Aber wir haben ihn nicht genügend unterstützt und ermutigt, und infolgedessen schwenkte er auf einen gewaltvolleren Weg um. Wir können nicht nur ihn allein für schuldig erklären …

Im September 2002 war ich in Washington, als Präsident George W. Bush jun. sich vom Kongress billigen ließ, einen erneuten Krieg gegen den Irak zu führen, der dann ein halbes Jahr später begann. Nach 39-jährigem Exil besuchte Thich Nhat Hanh im Jahr 2005 erstmals wieder sein Heimatland Vietnam und hielt dort drei Monate lang diverse Vorträge und Seminare. Sein In seinem Buch Dialog der Liebe – Jesus und Buddha als Brüder (2000) findet sich ein Satz, der als Motto über seinem Leben stehen könnte: „Erlösung und Auferstehung sind weder bloße Worte noch Glaubensvorstellungen. Sie sind unsere alltäglich Praxis …“

(Originalzitate aus: Thich Nhât Hanh, Liebe handelt. Wege zu einem gewaltlosen
gesellschaftlichen Wandel. Die Übers. aus dem Englischen besorgte Dagmar
Hahn © 1997 Werner Kristkeitz Verlag, Heidelberg, www.kristkeitz.de)

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