Lockruf in die Weite: Humor und Spiritualität

 In Kultur, Roland Rottenfußer, Spiritualität
Mullah Nasrudin: So ein Mullah-Regime lasse ich mir gefallen

Mullah Nasrudin: So ein Mullah-Regime lasse ich mir gefallen

Die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ hat auf ihrem ersten Cover nach dem Anschlag den unfassbaren Satz „Alles ist vergeben“ abgedruckt. Obwohl mir noch nicht völlig klar ist, wie das gemeint ist, erscheint es doch bemerkenswert in einer auf Härte und Vergeltung gepolten Polit-Landschaft. Kann Humor bei aller scharfsinnigen Kritik auch liebevoll sein? Und steht er in einem grundsätzlichen Widerspruch zur Religion, die ja meistens – um die Ergriffenheit durch das Göttliche zu dokumentieren – mit ernstem Gesicht einherschreitet? Richtig verstanden, haben Humor und Spiritualität sogar vieles gemeinsam. Distanz zur eigenen eingebildeten Wichtigkeit zum Beispiel. Und selbst Vergebung kommt ins Spiel, wenn ein Augenzwinkern die Düsternis des vermeintlich Todernsten erhellt. (Roland Rottenfußer)

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch für mich gibt es Dinge, Menschen und Begriffe, die ich ernst nehme und die für mich heilig sind. Die Frage ist nur, ob Heiligkeit die Abwesenheit von Spott und Humor zur Folge haben muss. Als ich einmal für eine andere Zeitschrift eine Satire über Gurus schrieb, die von einer Casting-Agentur nach Marktgesichtpunkten für ihre Rolle ausgewählt wurden, wurde mir per Leserbrief von einer Satsang-Lehrerin vorgeworfen, „die Wahrheit verraten“ zu haben. Was aber ist Wahrheit? Umberto Eco hat es in „Der Name der Rose“ sehr schön ausgedrückt: „Vielleicht gibt es am Ende nur eins zu tun, wenn man die Menschen liebt: sie über die Wahrheit zum Lachen bringen, die Wahrheit zum Lachen bringen, denn die einzige Wahrheit heißt: lernen, sich von der krankhaften Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien.“

So ist Humorlosigkeit keineswegs ein geistiges Adelsprädikat. Sie kennzeichnet vielmehr eher das Mittelmaß, während die wirklich Großen sich lockerer geben. Theresa von Avila, die bedeutende spanische Mystikerin, soll sich während einer schweren Krankheit bei Jesus wegen ihres Leidens beschwert haben. „Das ist die Art und Weise, wie ich meine Freunde prüfe“, soll Jesus gesagt haben. Darauf Theresa: „Es wundert mich nicht, dass du so wenig Freunde hast.“ Auch große spirituelle Führer wie Laotse und Jesus waren stets witzig – nicht im Sinn des Humors einer Bullyparade, wohl aber im Sinn von geist- und pointenreich. Geschichten mit komischem Potenzial kennzeichnen u.a. die Überlieferungen des Zen, des Judentums und der islamischen Sufis. Im arabischen Kulturkreis sind etwas die Geschichten des erleuchteten Narren Mullah Nasruddin bekannt. Eine Kostprobe: „Nasruddin saß am Flussufer, als jemand vom anderen Ufer aus rief: ‚Wie komme ich denn hier auf die andere Seite?’ Drauf Nasruddin: ‚Du bist auf der anderen Seite!’“

Der tibetische Heilige Milarepa lebte lange Zeit nackt im Wald und ernährte sich nur von Brennnesseln. Als ihn seine Schwester besuchen kam, war sie über seinen verwahrlosten Zustand entsetzt und bat ihn, sich doch das nächste Mal anständig zu bekleiden. Daraufhin bastelte sich Milarepa kleine Stoffhütchen, mit denen er nur seine Finger und Zehenspitzen bedeckte und fragte seine Schwester, ob er ihr nun besser gefiele. Als der Zen-Begründer Bodhidharma die vollständige Erleuchtung erlangt hat, lachte er, so erzählt man sich, tagelang. Offenbar erschien ihm die Welt infolge seines Erwachens als „kosmischer Witz“. Von Bodhidharma stammt auch ein ziemlich rätselhafter Ausspruch: Gefragt, was die Essenz seiner Weisheit ausmache, antwortete der Meister: „Offene Weite, nichts von heilig.“ Ein Heiliger, der die Existenz des Heiligen leugnet? Vielleicht verstand Bodhidharma „Weite“ im Gegensatz zur Klassifizierung menschlichen Verhaltens in heilig und unheilig, korrekt und unkorrekt. Der evangelische Theologe und Zen-Lehrer Michael von Brück interpretiert den Satz so: „Nichts ist heilig, weil alles heilig ist.“ Auch die Trennung zwischen Wahrheitsbesitzern und „Ungläubigen“ wäre damit aufgehoben.

Als ich einmal versuchte, mit meiner Lebensgefährtin den abgesperrten Altarraum einer alten bayerischen Wallfahrtskirche zu betreten, um eine schöne Statue aus der Nähe anzuschauen, wurden wir von einem erbittert wirkenden Einheimischen zurückgepfiffen: „Sie, des geht fei ned!“. Diese symbolische Grenze zwischen dem betretbaren und dem verbotenen (weil heiligen) Bezirk ist charakteristisch für die künstliche Spaltung, die der humorlos Anbetende typischerweise vornimmt: Der Mensch projiziert seine eigene innerste Heiligkeit, die ihm durch die Verbindung zu Gott bzw. zum Göttlichen zukommt, auf etwas Äußeres – um sich dann selbst für unwürdig zu erklären, dieses Äußere zu berühren. So wie unser dreistes Durchbrechen einer magischen Schranke wirkt auch Humor schnell blasphemisch, weil er sich gern unbefangen über Grenzen hinwegsetzt, die andere als absolut respektiert wissen wollen. Je weniger Heiligkeit künstlich ist, je mehr sie ihrer selbst sicher ist, desto eher duldet sie Ironie und praktiziert Selbstironie. Je mehr das Verehrungswürdige dagegen zum Götzen degeneriert ist, desto weniger duldet es „Entweihung“ und versucht diejenigen, die sich den Ritualen seiner Verehrung nicht anschließen, mundtot zu machen.

Der auf unbefangene Weise Humorvolle versucht den Gegenstand seines Witzes nicht „anzuschwärzen“, sondern ihn im Gegenteil zu beleuchten. Alles und jeder ist für ihn auf einer tieferen Ebene zu respektieren, aber nichts ist völlig frei von komischem Potenzial. Humor ist im besten Fall kritisches Mitgefühl, er deckt einen Missstand niemals auf, ohne ihn im gleichen Atemzug zu vergeben. Humor befreit den fehlerhaften Menschen von der Last unbarmherziger Selbstvorwürfe und macht zugleich jene Verdrängungsmechanismen überflüssig, mit denen er heilsame Selbsterkenntnis abzuwehren suchte. Die Wahrheit aufdecken, um sie zu vergeben und die Menschen von ihren unbewusst destruktiven Wirkungen zu befreien – ist das nicht auch eine gute Definition für Psychotherapie?

Lachen, wenn es nicht aus sarkastischer Verbitterung kommt, ist zweifellos ein Aufleuchten der Seele, das die Welt und die Menschen im Licht eines auch ihre Schwächen heiter erlösenden Mitgefühls erscheinen lässt. Kann Humor aber auch zu Erleuchtung führen oder das Ergebnis von Erleuchtung sein? Zweifellos gibt es Parallelen zwischen Erleuchtung, Aufklärung (engl.: enlightenment) und dem Hellwerden der Seele durch die Kraft eines liebevollen, klarsichtigen Humors. Der Humorvolle distanziert sich von seinem eigenen Schicksal. Er wechselt aus der Position des Mitspielers im Lebensdrama in die Position des Beobachters, des Zeugen. Der Räuberhauptmann Matthias Kneißl soll etwa bei seiner Hinrichtung gesagt haben: „Der Tag fängt schon gut an“. Jeder noch so ernsten Situation kann etwas Heiteres abgewonnen werden; ebenso wie jeder wirklich gute Clown (man denke etwa an Chaplin oder Robin Williams) eine berührende Ernsthaftigkeit ausstrahlt. Damit ähnelt Humor dem spirituellen Erwachen, das häufig als Heraustreten aus der Identifikation und Einnehmen einer Zeugenrolle beschrieben wird.

Der gesund machende Effekt des Lachens ist nicht von seinem politisch befreienden und seinem spirituell erleuchtenden zu trennen. In allen Fällen geht es um Freiheit, um Weite, um die Abwesenheit von geistiger Beschränktheit und verbissener Selbstüberschätzung. Gewiss, es gibt auch einen Humor, der aus der Enge kommt, wenn Minderheiten in ohnehin schwacher sozialer Position z.B. durch einen auf Vorurteilen beruhenden Zynismus in die Enge getrieben werden. Witze über Muslime und Juden, Flüchtlinge und Homosexuelle können ohne einen freundlich-augenzwinkernden Aspekt schädlich sein in einer Situation, in der diese Gruppen ohnehin mit Hass und Diskriminierung zu kämpfen haben. Wenn erleuchteter Humor das Aufdecken einer Wahrheit ist, um sie zu vergeben, ist destruktiver Humor der Versuch, jemanden mit Hilfe einer Unwahrheit gnadenlos bloßzustellen.

Der Unterschied zwischen einem Humor der geistigen Enge und einem, der aus der Weite kommt, besteht wohl vor allem in der Fähigkeit, über sich selbst und Dinge, die einem selbst „heilig“ sind, ebenso zu lachen wie über die falschen Götzen der anderen. Beachten Sie, wenn Sie jemanden zum Vorbild oder gar zum „Guru“ erwählen wollen, ob der Betreffende über sich selbst lachen kann. Ein Gott, der beleidigt ist, weil man Witze über ihn macht, ist nicht der wahre Gott. Wann immer Sie das Gefühl haben, etwas für Sie Heiliges würde „in den Schmutz“ gezogen, sehen Sie es als Aufforderung zu mehr Toleranz, als Lockruf in die Weite.

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