Ob wir vorsichtig aufatmen können?
291. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Nein, keine Angst: in der letzten Woche ist wieder für unsere GriechInnenhilfe gespendet worden. Und auch einen sehr ausführlichen Bericht von Evelyn Chatzatoglou über bestimmte Ereignisse in Griechenland und zur Situation von Panagiota K. können wir dieses Mal präsentieren. Holdger Platta
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
gleich zweimal Erleichterung für mich: es sind wieder Gelder für unsere Hilfsaktion gespendet worden. Und nunmehr ist es ein sehr informativer und zum Teil auch sehr bewegender Bericht von Evelyn Chatzatoglou, der Euch über manche Aspekte der politischen Situation in Griechenland informiert, sogar in historischer Dimension, sowie über Panagiota K. mit ihren drei Töchtern in Megara. Doch zu den Zahlen zuerst:
Das Null-Ergebnis der vorletzten Woche habt sicherlich auch Ihr noch in Erinnerung. Demgegenüber erfreulich das Ergebnis der sieben Tage seit dem 28. Oktober dieses Jahres 2021: 4 SpenderInnen überwiesen 135,- Euro an uns. Stand auf unserem Konto derzeit 966,86 Euro (weniger als vor acht Tagen, weil es einige Abzüge gab). Freuen wir uns also, dass es weitergeht! Und danken wir allen SpenderInnen sehr!
Hochinteressant, überaus informierend und teilweise bestürzend hingegen Evi Chatzatoglous Bericht über ihre Vor-Ort-Erfahrungen in Griechenland. Ich präsentiere ihre Schilderungen ungekürzt – dieses Mal sogar mit zahlreichen Fotos versehen:
„Lieber Holger,
spät aber doch….mir läuft grad die Zeit davon…
Ich möchte heute meine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen der letzten Griechenlandreise zum Ausdruck bringen. Wie du weißt, war ich in den ersten 2 Wochen meines Aufenthalts in Griechenland in der nördlichen Ägäis segeln. Natürlich war dieser Trip durch viele touristisch interessante Orte geprägt, aber nicht nur. Es ging von Volos über Alonisos, Agios Efstratios, Limnos, Skyros, noch mal Alonisos, Evia (Euböa), Paleo Trikeri wieder zurück nach Volos.
Wir laufen Nord-Evia an, die Region, die durch die Brände den größten Schaden in Griechenland genommen hat, da wir dort lebende Freunde in der Ortschaft Psaropouli besuchen möchten. Rund um die Ortschaft ist alles schwarz und verbrannt. Die vormals tiefgrüne Landschaft, die durch Pinien und Schwarztannen geprägt war, wird jetzt von einem Schwarz überzogen. Es macht uns sehr traurig, dies sehen zu müssen.
Unsere Freunde haben in Psaropouli ihr Haus und waren auch während der dort wütenden Feuer da, um es zu retten. Aus erster Hand erfuhren wir, dass es sich bei Pinienwald um Brandwald handelt, der laut Waldwissenschaftlern alle 50 Jahre brennen muss, damit die Samen keimen können. In dem Tal, in dem das Feuer erstmals ausbrach, wäre es ein Leichtes gewesen, das Feuer kontrolliert zu löschen. Jedoch geschah dies nicht, da sämtlich Löscheinheiten in Athen die Villen der Politiker schützen mussten (man spricht von einem Feuerwehrfahrzeug pro Villa). Auf Evia gab es nichts. Die Feuerschneisen, die prophylaktisch über die Berge gezogen waren, fungierten im Fall von Evia wie Brandbeschleuniger, da Luft durchziehen und das Feuer weiter entfachen konnte. Dazu kam, dass die Wasserleitungen, die zu den wenigen Hydranten führten, aus oberirdisch geführten Kunststoffrohren bestanden, die durch die Landschaft verliefen und aufgrund des Feuers schmolzen. Somit gab es in den Ortschaften keine Wasserversorgung mehr, und es mussten die persönlichen und oft sehr kleinen Zisternen oder Wasservorräte der Bewohner zum Löschen herhalten. In Griechenland gibt es keine freiwillige Feuerwehr, wie wir Mitteleuropäer sie kennen. Jeder Bewohner, sofern er gesundheitlich dazu im Stande war, half bei den Löscharbeiten.
Einige Menschen verloren ihr gesamtes Hab und Gut wie auch ihre Arbeit. Auf Nord-Evia gab es ein sogenanntes Retsina-Tal, in dem viele Menschen das Pinienharz für den berühmten Retsina-Wein sammelten. Das Retsina Tal gibt es nicht mehr und somit auch keine Arbeit für die Harz-Sammler
Außerdem war Evia Honig-Hauptproduzent. Die Pinien und Bienen wie auch den Honig wird es in den nächsten 100 Jahren nicht mehr in der ursprünglichen Form geben und auch keine Arbeit mehr für die hier ansässigen Imker.
Die Bauern haben ihre Äcker und Tierherden verloren und sind nun ebenfalls arbeitslos. Alles ist verbrannt und verkohlt, die ganze Region prägt die Farbe Schwarz. Es ist zum Weinen.
Unsere Freundin Ingrid, die mit einem Griechen aus Psaropouli verheiratet ist, erzählte uns, dass die Feuer auf Evia bewusst nicht gelöscht wurden, damit die Regierung keine Subventionen an diejenigen mehr zahlen muss, die es am schlimmsten getroffen hat: Die Retsina-Sammler, die Imker sowie die Bauern. Ob dies tatsächlich in dieser Form den Tatsachen entspricht, kann ich allerdings nicht sagen, aber ich denke, dass hinter jeder Geschichte ein wahrer Kern steckt.
Es gibt auch noch eine andere Theorie der Inselbewohner, die besagt, dass es überall dort, wo in der Vergangenheit der Bau von Windmühlen geplant war, gebrannt hatte, so auch in Nord-Evia. Abbrennen ist effizienter.
Wie dem auch sei, wenn man von beiden Geschichten nur ein Körnchen Wahrheit annimmt, ergibt das Ganze schon einen Sinn.
Erwähnenswert finde ich noch die Geschichte von Silas Voulgaris und seiner Frau, die beim Feuer über Psaropouli alles verloren hatten, was sie besaßen. Die beiden sind Freunde unserer Freunde. Als das Feuer an Psaropouli heranrückte, rief unsere Freundin unzählige Male die Notrufnummer 112 an. Jedes Mal wurde sie vertröstet, Hilfe gab es keine. Das Feuer kam immer näher und in ihrer Verzweiflung griff Ingrid zu einer Finte, rief nochmals die 112 an und erzählte, dass in dem Dorf an die 1000 Menschen wären, die sich geweigert hatten, sich evakuieren zu lassen. Plötzlich war Hilfe vor Ort. Hätte sie dies nicht getan, gäbe es Psaropouli heute nicht mehr. Für die oben erwähnte Familie kam jedoch jede Hilfe zu spät, sie verloren alles außer ihr Leben. Die beiden kamen für eine Zeit bei unseren Freunden unter und leben jetzt im Sommerhaus eines Niederländers. Die Bewohner*innen von Psaropouli sowie der gegenüberliegenden Insel Alonisos sammelten Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände für diese Familie.
Der Welt Nachrichtensender war vor Ort und Ingrid arrangierte ein Interview mit Silas, der deutsch spricht. Seine Geschichte kann hier verfolgt werden: https://m.youtube.com/watch?v=dL67pClBSsE
Einige Tage nach dem Feuer kam ein Schiff mit einem riesigen Koffer voll mit Spenden von Alonisos nach Psaropouli. Die Übergabe erfolgt persönlich durch den Kapitän, wurde jedoch durch Rechtsextremisten gestört. Sie entrissen dem Kapitän den Koffer, da sie meinten, es handle sich bei den Spenden um Allgemeingut. Sie wollten damit mit dem Auto verschwinden. Jugendliche aus dem Dorf organisierten sich in Windeseile, verfolgten die Typen mit ihren Motorrädern und stellten sie schlussendlich. Stolz übergaben sie den Koffer der Familie, die sich abgrundtief für diese Spenden schämte.
Ich möchte an dieser Stelle noch zu Agios Efstratios sowie Paleo Trikeri etwas Geschichte einfließen lassen.
Agios Efstratios war von 1928 bis 1963 die Verbannungsinsel von Linken und Andersdenkenden. Viele berühmte Namen finden sich hier, darunter auch der des kürzlich verstorbenen Komponisten Mikis Theodorakis sowie des Schriftstellers Giannis Ristos. Insgesamt sollten an die 6000 Oppositionelle hier interniert gewesen sein.
Vor Insel Paleo Trikeri, die im Golf von Volos zwischen Festland und der Halbinsel Pilio liegt, liegen mit unserem Segelboot insgesamt 7 vor Anker. Mehr verträgt der kleine Hafen nicht. Es gibt 2 Tavernen, keinen Supermarkt, keine Straßen und Autos. Brot kaufen die ca. 50 Insulaner in der Taverne.
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Auf der Insel befindet sich ein Kloster, das als solches aber nie in Betrieb gegangen ist. Während und nach dem griechischen Bürgerkrieg war Paleo Trikeri für einige Jahre Konzentrationslager für rund 5000 Frauen und Kinder. Vor dem Eingang des Klosters finden sich folgende Tafeln mit Inschriften:
Hier auf dieser Insel Trikeri lebten von 1948 bis 1953 5000 Frauen als politische Gefangene.
Die Erinnerung an euch (Frauen) bleibt eingeprägt. Frauenvereinigung Griechenlands
Sie wurden hier interniert, da entweder sie selbst oder ihre Familienmitglieder aktiv an der linkspopulären Front kämpften. Später wurden diese Inhaftierten verlegt. Man unterstellte ihnen, mittels Leuchtzeichen mit Gesinnungsgenossen am Pilio in Kontakt getreten zu sein. Ihre Spuren lassen sich heute noch in Form von Backhäusern und Badehäusern finden.
Von 1957 bis 1969 pachtete Alfons Hochhauser, österreichischer Abenteurer, Taucher und für einige Jahre treuer Begleiter des weltberühmten Tauchers Hans Hass das Kloster. Hochhauser ist am Pilio heute noch unter dem Namen „Xenophon“ bekannt. Zusammen mit seiner griechischen Frau Chariklia führte er in dem Kloster eine einfache Pension, die hauptsächlich von Gästen aus Deutschland, Österreich und England besucht wurde.
Wir besuchen dieses Kloster, das von einer einzigen Frau und vielen Katzen bewacht wird. Fotografieren ist verboten, die Kirche verschlossen. Die Frau überwacht uns über die Arkaden im 1. Stock. Wir verstreuen uns, und so gelingt es mir, einige Fotos zu schießen, um die dunkle Vergangenheit dieses Baus in Bildern festzuhalten. Die vergitterten Räume erinnern mich an Konzentrationslager, jede Türe ist mit in Rot aufgemalten Zahlen gekennzeichnet.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese dunklen und bereits im Herbst feuchten Zellen mit erdigem Boden die Zimmer von Hochhauser‘s Pension waren. Diese befanden sich vermutlich im 1. Stockwerk. Für mich war auch die Präsenz einer überdimensionalen Kirche in der Mitte dieses Innenhofs sehr irritierend. Ich sehe das Bild inhaftierter Frauen und Kinder vor mir, die alle mitsamt dem Anblick dieser Scheinheiligkeit ertragen mussten. Auch unvorstellbar für mich ist es, dass Menschen in einer Pension mit derartiger Vergangenheit überhaupt ihren Urlaub verbringen wollten.
Wir verlassen die Insel mit gemischten Gefühlen und steuern den Heimathafen Volos an.
Ich treffe mich mit Tassos und wir fahren auf die Peloponnes, um dem kalt-feuchten Wetter am Festland zu entkommen. Auf dem Weg machen wir Stopp in Megara, um Panagiota zu besuchen. Leider war sie nicht zuhause, und so trafen wir uns mit ihrer Mutter Olga. Olga erzählte uns, dass ihre Tochter aufgrund der ausständigen Scheidung keinerlei Anspruch auf Notstandshilfe in Höhe von ca. € 200 hat. Wie wir in früheren Berichten bereits informiert hatten, ist Panagiotas Mann nach der Trennung vor vielen Jahren spurlos verschwunden. Olga spart derzeit Geld, um für ihre Tochter einen Anwalt beauftragen zu können, damit dieser den Interessen Panagiotas nachkommen kann. Ihr ist nicht bekannt, dass Mittellose das Privileg haben, sich vor Gericht in gewissen Angelegenheiten unentgeltlich vertreten zu lassen. Olga war es auch, die Panagiota zu einem Programm der Gemeinde Megara angemeldet hatte. Über dieses Programm sollte Panagiota in absehbarer Zeit wieder einer 8-monatigen Beschäftigung im Hilfsdienst nachgehen können. Lt. Olga leidet ihre Tochter aufgrund der Aussichtslosigkeit ihrer Situation an sehr schweren Depressionen. Diese Aussage bestärkt auch unsere diesbezügliche Annahme seit dem Augenblick, als wir Panagiota kennengelernt hatten. Wir haben Olga darüber informiert, dass Panagiotas Miete derzeit noch gesichert ist, wir aber aufgrund der niedrigen Spendeneinnahmen nicht dafür garantieren können, sie weiterhin in Form von Lebensmittelbons unterstützen zu können. Uns ist es wichtig, dies den Betroffenen mitzuteilen, sodass diese bei einer von uns befürchteten Einstellung der Griechinnen-Hilfe aufgrund mangelnder Spendengelder dann nicht aus allen Wolken fallen. Natürlich ist es psychologisch nicht förderlich, Menschen in einer für sie aussichtslosen Situation solche Nachrichten überbringen zu müssen. Wir werden auch versuchen, den schwersten Fällen, soweit es in unserem Ermessen liegt, weiterhin privat unter die Arme zu greifen. Aber wir werden es sicherlich nicht mehr in dem Ausmaß und in einer Regelmäßigkeit tun können, wie diese Menschen es mittlerweile schon gewohnt sind.
Herzliche Grüße,
Deine Evi“
Evelyn Chatzatoglous Bericht hat mir wieder einmal aufs deutlichste vor Augen geführt, wie verzweifelt die Situation in Griechenland ist, vor allem wegen der systematischen Politik der ultrakonservativen Mitsotakis-Politik gegen die eigene Bevölkerung. Und erneut ist mir bewußt geworden, daß wir es mit leidenden Menschen zu tun haben, um die wir uns zu kümmern versuchen, nicht nur mit irgendwelchen fremdartig klingenden Namen. Und daß dieses Leiden nicht einfach beseitigt ist, wenn die allergrößten Finanzsorgen aus der Welt geschafft werden können. Immer noch bleiben Sorgen genug übrig, und eigentlich ist es ja schlimm, daß wir längst nicht mehr auf genügend sicherem Boden stehen mit unserer Hilfsaktion, und den von uns betreuten Menschen wenigstens zuverlässig ihre Ängste vor einer ungewissen Zukunft nehmen zu können. Mein obligater Schlußappell ist deshalb auch heute wieder – leider, sage ich – von großer Dringlichkeit. Also:
Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21 GOE
Inhaber: IHW
Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an mich, entweder unter der Postanschrift Füllegraben 3, 37176 Sudershausen, oder unter der Mailadresse marggraf-platta@web.de.
Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta