Obdachlos oder rechtlos?

 In Allgemein, FEATURED, Holdger Platta, Politik (Inland)

Hier möchte niemand landen. Aber können sich “Obdachlosenasyle” deshalb alles erlauben?

In der letzten Woche wühlte Eulenfeders Artikel “Sittenwidrige Verträge zu Lasten der Ärmsten” einige Emotionen im Leserkreis auf. Ist der Autor nur undankbar gegenüber dem “Obdachlosenasyl”, das ihn aufgenommen hat? Oder wurde dort tatsächlich ein System der Ausbeutung und Entrechtung Abhängiger etabliert. Holdger Platta hat sich die “Aufnahmevereinbarung” mal juristisch unter die Lupe genommen. Seine Schlussfolgerung bestätigt eher Eulenfeders Sichtweise. (Holdger Platta)

Um es vorwegzunehmen: den „Fall“ unseres HdS-Autors „Eulenfeder“ nahezu ausschließlich unter betriebswirtschaftlichen Aspekten behandeln zu wollen, erscheint mir nachgerade absurd. Und ich persönlich vermisse da auch jegliches Anzeichen irgendeiner zwischenmenschlichen Empathie. „Eulenfeder“ hat eindrucksvoll genug die seelischen Auswirkungen einer Heimstatt beschrieben, die in christlicher Regie manche der Betroffenen in Depressionen oder Resignation treibt. Ich sehe keinen Grund, diese Angaben in Zweifel zu ziehen. Das bedeutet für mich: ich will hier weder über die Einnahmen-Ausgaben-Bilanz einer kirchlichen Einrichtung spekulieren, die pro Monat über 3,5 Millionen Euro allein vom Bezirk Oberbayern erhält (welche Beträge kommen da noch hinzu, beispielsweise aus der Kirchensteuer?). Noch will ich hier, von außen her, “Beweis” antreten, dass es Menschen unter den von „Eulenfeder“ geschilderten Verhältnissen seelisch schlecht gehen m u ss (es sei denn, sie verfügten über eine geradezu übermenschliche Seelen-Stabilität). Ich will mich ausschließlich in diesem Beitrag mit der Frage beschäftigen, welcher Situation völliger Rechtlosigkeit offenbar die Betroffenen in der geschilderten Einrichtung ausgesetzt sind. Einfach deshalb, weil ich zu dieser Thematik die beiden wichtigsten Dokumente zu Anfang dieses Jahres selber überprüfen konnte:

• Die sogenannte Aufnahmevereinbarung, die „Eulenfeder“ vor Einzug in die „Herzogsägmühle“ im letzten Jahr zu unterzeichnen hatte, um der Obdachlosigkeit zu entgehen;
• und außerdem das Antwortschreiben des Bezirks Oberbayern auf „Eulenfeders“ Widerspruch hin gegen diese sogenannte „Aufnahmevereinbarung“.

Hier die wichtigsten Punkte meiner Kritik, vor allem, was die sogenannte „Aufnahmevereinbarung“ betrifft:

• Die Betreiberseite hat „Eulenfeder“ gegenüber als einzige Rechtsgrundlage für diesen Vertrag auf den Paragraphen 67 im Sozialgesetzbuch (SGB) XII verwiesen. In diesem Paragraphen wird „Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind“, der Anspruch eingeräumt, zusätzliche „Leistungen“ zu beziehen. Das Ganze steht im Kapitel 8 des SGB XII unter der Überschrift „Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten“ und dient unter anderem – das geht aus dem nachfolgenden Paragraphen 68 hervor – auch der „Beschaffung einer Wohnung“. Heißt: in diesem achten Kapitel wird nicht zuletzt auch an Obdachlose bzw. von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen wie „Eulenfeder“ gedacht.

• In der gesamten „Aufnahmevereinbarung“, die immerhin derartige Nebensächlichkeiten aufführt wie eine Pfandzahlung von 50,- Euro für Mobiliar und Schlüssel, die der zukünftig “Betreute” den Betreibern der Einrichtung zu leisten habe, findet sich aber kein einziges Wort zu den Pflichten, die der Betreiber dieser Art von „Sozialhilfe“ dem Hilfsbedürftigen gegenüber zu übernehmen hat. Es findet sich kein Wort zum „Umfang der Leistungen“, die von dieser Institution dem Neubewohner gegenüber zu erbringen sind, nämlich „Maßnahmen“ zu ergreifen für den Betroffenen „bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung“. Außerdem – was für den Rentner, der „Eulenfeder“ ist, nicht mehr in Frage kam – Maßnahmen zu ergreifen, um dem Neubewohner zu helfen bei der „Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes“. Und nicht zuletzt: „Verschlimmerung zu verhüten“, was die Situation des Hilfsbedürftigen betrifft.

Woher ich diese Zitate (= alles Vorangegangene in Anführungszeichen) habe? – Nun, aus eben demselben Kapitel acht des SGB XII, und zwar unter dem direkt nachfolgenden Paragraphen 68. Das bedeutet: die Betreiber der „Herzogsägmühle“ haben mit „Eulenfeder“ im letzten Jahr einen Vertrag geschlossen, in dem die Pflichten dieser Institution schlicht unter den Tisch gefallen sind. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!

• Im übrigen: zu den sonstigen finanziellen Verpflichtungen, die „Eulenfeder“ den Betreibern gegenüber de facto einräumen musste – Zwangsabgabe seiner gesamten Rente, Zwangsweggabe von 102,- Euro aus seinem (aufstockenden) Grundsicherungsbetrag –, zu all diesen Zwangs”vereinbarungen” im gesamten Vertragswerk, genannt „Aufnahmevereinbarung“, kein einziges Wort! So sieht es mit der Rechtssicherheit der Hilfsbedürftigen in dieser Institution aus. Man könnte genauso gut sagen: der Aufnahmesuchende hatte die freie Auswahl zwischen Obdachlosigkeit oder praktisch völliger Rechtlosigkeit!

Nur kurz sei an dieser Stelle erwähnt, dass diese „Aufnahmevereinbarung“ – abgesehen von allem Inhaltlichen – nicht mal formaljuristisch irgendeine Gültigkeit besitzen dürfte. Der Grund: von Seiten des Betreibers aus scheint dieser Vertrag lediglich von einer Person ohne Legitimation unterschrieben worden zu sein, lediglich von einem Sozialpädagogen, nicht aber von der Abteilungsleiterin (wie eigentlich bei diesem Dokument vorgesehen). Und nicht zuletzt: bei dieser sogenannten „Aufnahmevereinbarung“ fehlt jeglicher Hinweis auf sogenannten „Rechtsbehelf“ oder auf Kündigungsmöglichkeiten. Sieht so ein Vertrag aus, der über alle erforderlichen Bestandteile verfügt? Ich bezweifle das. Zumindest aber sollte auch dieses Gegenstand einer fachanwaltlichen Überprüfung sein!

Ich komme damit zum zweiten Dokument, dem Antwortschreiben des Bezirks Oberbayern auf „Eulenfeders“ Widerspruch hin gegen diese „Aufnahmevereinbarung“:

• Positiv zu erwähnen ist – es wird der einzige positive Punkt bei meiner Aufzählung bleiben –: ausdrücklich bestätigte ihm die angeschriebene Behörde auf das Widerspruchsschreiben vom 20. November 2016, dass ihm, „Eulenfeder“, von seinem Grundsicherungsbetrag 404,- Euro/Monat nichts weggenommen werden dürfe. Bedeutet: zumindest der oben erwähnte Abzug von 102,- Euro/Monat wurde von der Behörde für nicht rechtens erklärt. Aber:

• Zu allen anderen Punkten, die „Eulenfeder“ moniert hatte – Abtretenmüssen des Rentenbetrages zum Beispiel –, kein einziges Wort. Und schließlich:

• Auch bei diesem Schreiben des Bezirks Oberbayern fehlt jeder Hinweis auf einen „Rechtsbehelf“. Was im Klartext bedeutet: was sich lesen mag wie ein behördlicher Bescheid, wie ein regulärer einklagbarer Widerspruchsbescheid, täuscht objektiv diesen Charakter nur vor und stellt in juristischer Hinsicht eigentlich nichts anderes als ein „Nullum“, einen Nichtbescheid dar. Man könnte auch bösartiger sagen: völlig irrelevantes Geschreibsel! Oder: bloße Abwimmelei! Dem hilfesuchenden „Eulenfeder“ wurde auch hier eine Behandlung zuteil, die dem Rechtssubjekt „Eulenfeder“ quasi die Existenz raubt. Weshalb also auch hier das schlimme Fazit zu ziehen ist: „Eulenfeder“ scheint nach wie vor ganz ausschließlich vor der Alternative zu stehen, entweder Obdachlosigkeit wählen zu dürfen oder praktisch völlige Rechtlosigkeit.

Mein höchstpersönliches Resümee an dieser Stelle lautet jedenfalls: die Betreiberseite, die Verantwortlichen der „Herzogsägmühle“, sacken Gelder ein, die ihnen nicht zustehen, sie kommen zu einem Großteil ihren Verpflichtungen gegenüber dem Betreuten nicht nach, und die zuständige Behörde, der Bezirk Oberbayern, bleibt ebenfalls weit hinter ihren Verpflichtungen zurück. Meines Erachtens ist überfällig, dass sich ein kompetenter und mutiger Fachanwalt dieser Sache annimmt – womit hoffentlich das gesamte Sozialhilfe-“Modell” dieser Institution „Herzogsägmühle“ auf den Prüfstand kommt.

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