Offener Brief an Bundeskanzler Scholz

 In FEATURED, Friedenspolitik

Dieser Aufruf, unterstützt u.a. von Alice Schwarzer, Reinhard Mey, Antje Vollmer und Gerhard Polt – um nur einige zu nennen, die wir in diesem Magazin schon öfter präsentiert haben – hat in den Medien recht viel Furore gemacht. U.a. Anton Hofreiter zeigte sich negativ erregt und bezeichnete den Brief als “zynisch”. Ein genauerer Blick (und eventuelle eine eigene Unterschrift) lohnt sich aber.

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.

Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik.

Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.

Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.

Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben. Der europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt ist hierfür ein Vorbild.

Wir sind, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat. Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung – und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.

Wir hoffen und zählen auf Sie!
Hochachtungsvoll
DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN

Andreas Dresen, Filmemacher
Lars Eidinger, Schauspieler
Dr. Svenja Flaßpöhler, Philosophin
Prof. Dr. Elisa Hoven, Strafrechtlerin
Alexander Kluge, Intellektueller
Heinz Mack, Bildhauer
Gisela Marx, Filmproduzentin
Prof. Dr. Reinhard Merkel, Strafrechtler und Rechtsphilosoph
Prof. Dr. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler
Reinhard Mey, Musiker
Dieter Nuhr, Kabarettist
Gerhard Polt, Kabarettist
Helke Sander, Filmemacherin
HA Schult, Künstler
Alice Schwarzer, Journalistin
Robert Seethaler, Schriftsteller
Edgar Selge, Schauspieler
Antje Vollmer, Theologin und grüne Politikerin
Franziska Walser, Schauspielerin
Martin Walser, Schriftsteller
Prof. Dr. Peter Weibel, Kunst- und Medientheoretiker
Christoph, Karl und Michael Well, Musiker
Prof. Dr. Harald Welzer, Sozialpsychologe
Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist
Juli Zeh, Schriftstellerin
Prof. Dr. Siegfried Zielinski, Medientheoretiker

https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463

 

Möglichkeit, selbst zu unterschreiben:

https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?signed=true

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Piekso Bello
    Antworten
    … Zitat aus dem offenen Brief: “katastrophalen Konsequenzen (…) nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel” – Schon interessant, dass man es geschafft hat, den Unterzeichnenden  genau dieses “wording” unterzuschieben, bzw. dass sich niemand daran gestört hat, nicht wahr? “Globale Gesundheit und Klimawandel”… Es gibt ja nichts wichtigeres, nicht wahr?  Ich frage mich gerade leise, ob Eckhart von Hirschhausen auch unterschrieben hat,  er  ist doch auch einer von diesen  Freunden der “globalen Gesundheit”? Und zum Thema “Change.org” kann ja jeder selbst mal recherchieren und sich fragen, warum ausgerechnet Warren Buffet und Bill Gates da einmal kräftig investiert haben. Immer wieder ein Klassiker: https://www.manager-magazin.de/digitales/it/bill-gates-warren-buffet-nicolas-berggruen-investieren-in-change-org-a-1007672.html
    • Piranha
      Antworten
      change.org – Es ist bekannt, dass Petitionen dort nichts bringen, außer der Information derer, die dahinter stehen. Vor daher: längst abgemeldet!

      Und wieder ist es “der böse Russe”, also der eine, der schon immer vor unserer Tür stand und jetzt wieder steht!? Mein Gott, wie kurz gehoppelt.

      Haben uns nicht schon unsere Großeltern den simpelsten alle Sprüche gelehrt – “Es gibt bei jeder Münze zwei Seiten”.

      Was ich so beobachte ist: Scholz ist auch nur ein Hampelmann an den Fäden des 1 %, die die Macht – alle Macht – an sich reißen wollen.

      Tut er nicht, was von ihm verlangt wird, kommen urplötzlich neue Erkenntnisse zu Wirecard, Warburg etc. ans Tageslicht. Irgendein Blättchen würde es uns schon spiegeln.

      Mögliche gut gemeinte Petition, nur wird der Effekt gleich Null sein.

  • J. Brehme
    Antworten
    Netter Versuch, einen Diktator wie Putin “friedlich” zu stoppen. Hat er nicht genug gezeigt, dass er sich seine Argumentation aussucht und zurechtlegt wie es ihm passt? Was also konkret soll der Bundeskanzler nun machen?
  • Piranha
    Antworten
    Faeser und Haldenwang legen den neuesten Verfassungsbericht vor:
    https://www.corodok.de/verfassungsschutz-extremisteninzidenz-gestiegen/

    Dazu dieser hervorragende Kommentar von Artur Aschmoneit:

    “Ein Bericht über Regierungsextremismus, der mit räuberischer Erpressung zugunsten weniger Pharmafirmen Millionen Menschen behelligt und wirtschaftliche, psychische und sonstige gesundheitliche Schäden in immensem Ausmaß verantwortet, ist aus dieser Quelle so wenig zu erwarten wie einer über die politischen und medialen KriegstreiberInnen, die für mindestens vergleichbare Übel zur Rechenschaft zu ziehen wären.”

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