Peter Ensikat: Ich muss mit mir selbst abrechnen

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„Kein Land in Sicht“, herausgegeben von Michael Kleff und Hans-Eckhardt Wenzel, ist eine Sammlung von Interview mit DDR-Liedermacher*innen und anderen Kunstschaffenden, die nach der Wende geführt wurden. Der folgende Artikel ist ein Auszug aus dem Interview mit Peter Ensikat, dem kritischen Kabarettisten und Schauspieler (1941-2013). Er erzählt von seien ganz persönlichen Wende-Erfahrungen (“wir sind ja in ein neues Land gekommen, ohne die Wohnung zu verlassen”). Wer 40 Jahre in der DDR gelebt habe, müsse Fehler gemacht haben, sagt er. Das gelte aber auch für Menschen, die in der BRD gelebt hätten. Das Buch „Kein Land in Sicht“ ist im Sturm-und-Klang-Shop erhältlich.

Ich fühle mich eigentlich gar nicht viel anders als vorher, denn ich bin wieder da angelangt, wo ich vorher schon einmal war, mache mich schon wieder richtig unbeliebt. Wenn ich zum Beispiel von einem unserer ostdeutschen Fernsehsender höre, dass ich politisch nicht tragbar sei, fühle ich mich wieder richtig zu Hause, das kenne ich von früher. Mir persönlich geht es verglichen mit vorher viel, viel besser. Ich kann meinen Beruf jetzt so ausüben, wie ich mir das immer erträumt habe, und zusätzlich kann ich auch noch meinen Traumberuf ausüben. Ich wollte eigentlich mal Journalist werden, hab aber damals die Lausitzer Rundschau gelesen und wusste schon als Sechzehnjähriger: Das kann Journalismus nicht sein! Was blieb mir übrig, als zum Kabarett zu gehen? Aber eigentlich gehörte meine stille Liebe immer dem Journalismus, und das mache ich jetzt nebenbei als Hobby auch.

Ich bin ein ganz untypischer Ossi, mir geht es wirklich viel besser. Auch der Seele geht es viel besser, auch wenn natürlich dieser Verlust an Identität, von der ich gar nicht genau weiß, worin die wirklich bestand, sagen wir also mal, der Verlust an gewohnter Umgebung, mir schon zu schaffen macht – wir sind ja in ein neues Land gekommen, ohne die Wohnung zu verlassen. Aber viel befreiender ist für mich, endlich dieses Gefühl der Aussichtslosigkeit, der Bewegungslosigkeit los zu sein. Ich erinnere mich, dass man in den letzten Jahren eigentlich nur noch an der Schreibmaschine saß, trist vor sich hin guckte und sagte: Es wird sich ja doch nie etwas ändern. Nur hat sich alles geändert und gleich ein bisschen viel, aber für mich – und da muss ich sagen, dass ich sicher eine Ausnahme bin – ist zuerst mal die große Chance des Neuanfangs da, eine Chance, um die mich die Westler eigentlich beneiden müssten. Tun sie nicht, weiß ich genau, sie sollten es aber.

Ich bin gezwungen, mal zurückzugucken und zu überlegen: Was habe ich denn in diesen vierzig Jahren falsch gemacht? Ich muss es einfach, ich brauche das für mich selbst, und da sammelt sich natürlich eine ganze Menge. Wer vierzig Jahre DDR erlebt hat, der muss Fehler gemacht haben, das geht gar nicht anders. Wobei ich glaube, wer vierzig Jahre Bundesrepublik erlebt hat, der wird auch Fehler gemacht haben, aber der muss jetzt nicht mit sich abrechnen. Ich muss mit mir abrechnen lassen, und ich muss mit mir selbst abrechnen, und das ist etwas, das man tun sollte, so schmerzhaft es bei manchen Dingen ist. Es ist aber vielleicht auch etwas sehr Heilsames.

Michael Kleff /Hans-Eckardt Wenzel (Hg.):
Kein Land in Sicht – Gespräche mit Liedermachern und Kabarettisten der DDR
Ch. Links Verlag, 336 Seiten, 20 €

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