Pflegenotstand: Merkels Mitgefühlssimulation geht am Kern des Problems vorbei

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Im “reichen” Deutschland werden alte und kranke Menschen vernachlässigt und fehlbehandelt, werden Pflegekräfte gnadenlos bis zur völligen Erschöpfung ausgebeutet – und Politiker jammern darüber, dass unsere Rüstungsausgaben den Vorgaben eines wahnwitzigen US-Präsidenten hinterherhinken. Angela Merkel, sonst bekannt für ihr soziales Desinteresse, hakte vor einigen Tagen einen Pflichttermin ab, für den Fotos mit alten Menschen als rührungserzwingende Maßnahme inszeniert wurden. Keine Rede davon, dass das Problem viel tiefer reicht und sich zu einer Katastrophe auswächst, die jede/n von uns irgendwann einmal schmerzlich betreffen kann. (Piranha)

Die Machtmaschine Merkel weiß genau, was sie wann inszeniert. Und so löste sie nun ein Wahlversprechen ein, das diesen Namen nicht verdient. Mit einem Tross an Schlipsträgern und handverlesenen Journalisten besuchte sie den Altenpfleger Ferdi Cebi an seinem Arbeitsplatz, der mit einer Gesangsdarbietung für gute Stimmung sorgte. Es wurden auch einige Bewohner gezeigt.

Was die Filmchen im ZDF und anderswo nicht zeigen, ist das eigentliche Problem, an dem jede Einrichtung, und damit deren Bewohner und Pflegende leiden: Fast 17.000 Stellen sind bundesweit in den Einrichtungen unbesetzt. Dies bedeutet steigende Belastungen für alle Mitarbeiter. Daraus folgen zwangsläufig mehr Krankheitsausfälle, die wiederum von Kolleg/innen abgefangen werden müssen. Auch müssen die Beschäftigten öfter für Kolleg/innen einspringen, also ihre verdienten Erholungszeiten unterbrechen – ein Teufelskreis.

Altenpflege ist eine körperlich schwere Arbeit, die buchstäblich auf alle Knochen geht, und nicht minder schwer sind die psychischen Belastungen. Weitergehende Informationen vom Dt- Pflegeverband.

Heimbewohner sind heute deutlich älter und kränker. Die Einrichtungen müssen zunehmend eine “würdevolle und palliative Begleitung am Lebensende absichern”, erklären Leitungskräfte in der Studie vom Herbst 2017. Mit dem höheren Alter der neu aufgenommenen Bewohner in den Heimen verkürze sich deren Wohndauer. Außerdem seien zwei von drei Bewohnern kognitiv eingeschränkt, sprich dement.

BewohnerInnen werden nur noch grundversorgt im Sinne von „still, satt, sauber“. Wenngleich sich die Pflegenden alle Mühe geben, bleibt für die so wertvolle, wichtige Zuwendung kaum Zeit und Raum übrig, wodurch die Unzufriedenheit mit dem Beruf steigt.

Nun hat der Gesetzgeber dem Mangel an Pflegefachkräften entgegengewirkt, indem er nach Maßgabe der §§ 84 Abs. 8 und 85 Abs. 8 SGB XI allen Bewohnern im Verhältnis 1 : 20 eine zusätzliche Betreuungskraft zugesteht, deren Aufgaben bspw. sind: Malen und Basteln, Handwerkliche Arbeiten und leichte Gartenarbeiten, Haustiere füttern und pflegen, Kochen und backen, Anfertigung von Erinnerungsalben, Musik hören, musizieren, singen, Brett- und Kartenspiele, Spaziergänge und Ausflüge, Bewegungsübungen und Tanzen in der Gruppe.

Sie werden in 160 Unterrichtsstunden sowie einem zweiwöchigen Betreuungspraktikum darauf vorbereitet. (Zum Vergleich: eine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft umfasst 2.100 Stunden theoretischen und 2.500 Stunden praktischen Unterricht. Abgeschlossen wird mit einer staatlichen Prüfung. Wer mehr wissen möchte…

Dass klein Jens allerdings die für sein Ministerium relevanten Gesetze nicht kennt, zeigt dieser Beitrag vom 18.07. 2018

BERLIN. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will Pflegekräfte entlasten, indem künftig bestimmte Leistungen auch durch reine Betreuungsdienste übernommen werden dürfen.
Dabei handelt es sich zum Beispiel um Hilfe im Haushalt, das Spazieren gehen mit Pflegebedürftigen oder das Vorlesen.
“Wir wollen die Pflege auch für reine Betreuungsdienste öffnen”, sagte der CDU-Politiker der “Nordwest-Zeitung” und der “Passauer Neuen Presse” (Donnerstag). “So können mehr Menschen länger und besser zu Hause versorgt werden.”
Bislang dürfen den Berichten zufolge nur Pflegefachkräfte für solche Aufgaben engagiert werden, auch wenn es gar nicht um körperbezogene Pflege geht.

Ich sag’s ja: dieser Typ ist grundsätzlich völlig desinteressiert an dem was er macht.

Dennoch: das Problem löst sich dadurch keineswegs, denn in vielen Einrichtungen müssen wegen Personalnot diese Betreuungskräfte einfache Pflegeaufgaben übernehmen, wie z.B. Nahrung reichen. Nun mag dies dem einen oder anderen als simple Aufgabe erscheinen. Bedenkt man jedoch, dass sie es mit hochbetagten und oft bettlägerigen Menschen zu tun haben, die zudem an mancherlei Erkrankungen leiden, wie bspw. einem Schlaganfall, braucht es fundierte Kenntnisse; die Betreuenden müssten über die Bedeutung und das Ausmaß von Schluckstörungen ebenso Bescheid wissen wie bei der Beurteilung der Zusammensetzung der Nahrung und der Trinkmenge. Zugleich müssten sie über die Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente Bescheid wissen, die verordnet sind, und vieles andere mehr.

Nun hat auch Frau Merkel wieder diese Zahl „Achttausend“ in den Raum gestellt, sagt aber kein Wort dazu, wo diese neuen Kräfte herkommen sollen – der Markt ist leergefegt. Die Ausbildungseinrichtungen haben einem Gerücht zufolge ihr Niveau bei den neuen Azubis bereits runtergeschraubt – mit den entsprechenden Konsequenzen in den Abschlüssen.
Bei einer Anzahl von bundesweit rund 11.400 Einrichtungen (davon die Hälfte in privater Hand, und davon soll also jede 1,4 Pflegekräfte bekommen) – Wahnsinnserleichterung.

Zugleich fehlen 17.000 Pflegefachkräfte.

Und das beste: jede Pflegekraft soll 3.000 € verdienen. Na, hoffentlich wird das was, kann ich da nur sagen.

Allerdings: macht das der Scholz mit? Dessen Haushaltsplan für 2019 sieht gerade mal eine 0,4-prozentige Erhöhung vor. Das sind 63 Millionen mehr als in diesem Jahr.

63 Millionen für das gesamte Gesundheitswesen, wohlgemerkt. Wir reden hier „nur“ über Einrichtungen der Altenhilfe. Und da wird Geld genommen und nicht gegeben. Man denke an den skandalträchtigen Betreiber Alloheim – siehe hier.

In den Krankenhäusern fehlen aber auch annähernd 70.000 Pflegekräfte, abgesehen von dem ambulanten Bereich. Das alles ist nicht neu.

Nun soll ein Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PPSG) kommen. Der Referentenentwurf wird derzeit heiß diskutiert, u.a. weil völlig unklar ist, wer’s bezahlt, wie es insgesamt zu refinanzieren ist und ob nicht ebenso weitere Berufsgruppen einen Anspruch auf höhere Gehälter haben, die ebenfalls voll zu refinanzieren wären.

Schon 2010 war bei der ZEIT online zu lesen:

Etwa 885.000 Fachkräfte und Pflegehelfer arbeiten heute in der Altenpflege. Sie versorgen etwa 2,25 Millionen Menschen. Nicht inbegriffen sind all jene, die zwar Hilfe brauchen, aber nicht in eine der Pflegestufen eingeteilt sind. Nie waren weniger Fachkräfte für eine so große Zahl von Bedürftigen zuständig. Und der Bedarf steigt. 2050 werden es fast doppelt so viele sein, weil der Anteil alter Menschen steigt. Schon in 20 Jahren ist jeder dritte Einwohner älter als 60 Jahre.
Dem steigenden Bedarf an Pflegekräften steht ein Stellenabbau entgegen: In den vergangenen zehn Jahren fielen 50.000 Vollzeitjobs weg, wie 2009 eine Analyse des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung ergab.

Und drei Jahre zuvor, nämlich am 19. Juli 2007 war in der Westdeutschen Zeitung zu lesen:

Köln. Der Sparzwang in Kliniken gefährdet einer Studie zufolge die Gesundheit von Patienten. “Die Rationierung der Pflege ist in vollem Gange, und die Folgen werden jetzt spürbar”, lautet das Fazit des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln, das der katholischen Fachhochschule NRW angegliedert ist.

Zwei besorgniserregende Ergebnisse der Umfrage in 250 Pflegeabteilungen: Nur jedes vierte Krankenhaus kann Patienten nach einer Operation noch angemessen kontrollieren. Und drei von vier unter Schmerzen leidende Patienten müssen länger als 15 Minuten auf eine notwendige Verabreichung von Schmerzmitteln warten.
In den vergangenen 12 Jahren wurden nach Angaben des dip 50 000 Pflegestellen eingespart, während eine Million Patienten hinzukamen. Zugleich habe die Betreuungsbedürftigkeit der immer älter werdenden Patienten zugenommen. Allein 2006 seien so viele Überstunden geleistet worden, dass dafür 5000 Pflegekräfte hätten eingestellt werden müssen.
“Wir sind in Sorge, dass Patienten ernsthaft gefährdet werden”, sagte dip-Direktor Frank Weidner. Es bestehe das Risiko, “gegebenenfalls bei mangelnder Pflegeversorgung zu sterben, im Ernstfall oder im Einzelfall ist das sogar nicht mehr auszuschließen”.

Und ebenfalls 2007 im Hamburger Abendblatt: hier nur ein Auszug:

Pflegenotstand in Hamburg: Es mangelt an Fachkräften. Etwa 2000, so schätzen Experten. Schon jetzt könnten die 13 000 pflegebedürftigen Senioren in den 144 Hamburger Pflegeheimen nicht immer angemessen versorgt werden. “Wir müssen dringend etwas ändern, sonst droht der Kollaps”, sagt Stefan Rehm (46), Vorstandsmitglied der Diakonie Hamburg. “Die Situation ist katastrophal”, sagt auch Michael Mierbach aus der Fachgruppe Altenpflege der Gewerkschaft Ver.di. Der Personalmangel habe vor allem zwei Gründe: “Pflegekassen und Staat stellen zu wenig Geld für Pflege zur Verfügung”, sagt Diakonie-Sprecherin Katharina Weyandt. “Zudem fehlt in der Altenpflege der Nachwuchs, weil der Beruf gesellschaftlich wenig anerkannt, aber oft sehr hart ist.” Ein Altenpfleger verdient nach Tarif monatlich 2200 Euro brutto. (…)
Längst tobt auf dem Pflegemarkt ein regelrechter Preiskampf und Verdrängungswettbewerb. 3500 Euro kostet nach Aussage der Experten ein Pflegeplatz in einem Hamburger Pflegeheim durchschnittlich pro Monat. “Insbesodere großen Mitbewerbern geht es nur um Profit”, sagt Kerth. Mit extrem günstigen Preisen würden sie den Markt kaputt machen. “Bald geht es nicht mehr darum, die Qualität der Pflege zu halten, sondern die Menschen bis zu ihrem Tod zu verwalten.”

Den ausführlichen Artikel können Sie hier nachlesen.

Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hätte das Probleme schon in ihren acht Jahren Amtszeit angehen können. Dass es Philipp Rösler (auf welchen Gnadenhof haben sie den eigentlich abgeschoben?) nichts auf die Reihe bekam, war eh klar; sein Parteispezl Bahr genauso wenig.

An Hermann Gröhe erinnere ich mich kaum – so unscheinbar war er. Bis auf diese Meldung hier, die ich ihm immer noch sehr übelnehme:

„Im Jahr 2016 warb Gröhe für die Akzeptanz von Arzneimitteltests an demenzkranken Menschen. Diese sollten vor Ausbruch der Krankheit in einer Patientenverfügung erklären, dass sie an Studien teilnehmen möchten. Zusätzliche Voraussetzung sollte sein, dass der gesetzliche Vertreter nach ärztlicher Aufklärung einer konkreten Studienteilnahme ausdrücklich zugestimmt hat.“

Jeder, der eine Patientenverfügung erstellt, sollte also antizipieren, dass er an Demenz erkranken könnte. Warum nicht gleich eine ganze Liste aller Erkrankungen, die mit einer kognitiven Einschränkung verbunden sind? Das ist zynisch.

Ausblick:
Der Bundeswehretat wird nicht um 4,5 Milliarden erhöht; das Geld fließt stattdessen in die Pflege- und Krankenversicherung; sämtliche notwendigen Arbeitsplätze zur Versorgung, Pflege und Betreuung aller werden voll finanziert.

Die Beiträge zur Krankenversicherung werden umgedreht: künftig zahlt der Arbeitgeber mehr und trägt sämtliche Steigerungen.

Börsennotierte Holdings lassen von ihrer Gier und geben die Pflegeheime an kommunale und gemeinnützige Träger zurück.

Der Grundsatz 3.000 € für jede Pflegekraft wird schon im nächsten Jahr umgesetzt. Dazu die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache: “Wir wissen um den hohen gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit, 3.000,- kann nur ein Anfang sein. Es kann nicht sein, dass jemand, der unser Geld verwaltet, mehr erhält als diejenigen, die sich um Menschen kümmern – KrankenpflegerInnen, AltenpflegerInnen, KindergärtnerInnen, Hebammen, AssistenzärztInnen. Wir werden die Minutentaktung im Bereich der Pflege abschaffen. Künftig gilt ein Personalbemessungsschlüssel, der diesen Namen auch verdient. Auch ich werde einmal alt sein und sie brauchen – wir Alten haben es verdient.”

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