«Protest von oben»

 In FEATURED, Medien, Politik (Inland), Wirtschaft

Bei derartiger Propaganda war BILD immer vorn dabei.

Die symbolische Dekonstruktion des Sozialstaates als elitäres PR-Projekt. Hartz IV terrorisiert die Betroffenen wie auch die Nicht-Betroffenen, die aus Angst vor dem Absturz eher geneigt sind, sich schlechten Arbeitsbedingungen zu fügen. Dieses menschenfeindliche Projekt, das den in Jahrzehnten aufgebauten und bewährten Sozialstaat zertrümmerte, verdanken wir der der Generation Schröder innerhalb der SPD. Warum aber erhob sich gegen Hartz IV nicht mehr Widerstand? Dazu bedurfte es massiver “begleitender Öffentlichkeitsarbeit”, die die Bevölkerung mental auf den anstehenden neoliberalen “Ruck” vorbereitete und Soldarität schon im Keim erstickte. Wie das geschehen konnte, ist ein Lehrbeispiel wirksamer Medienpropaganda. Ein Interview mit Michael Walter, enthalten in dem empfehlenswerten Band “Lügen die Medien?”, Hrsg. und Interviewer: Jens Wernicke, Westend Verlag, 368 Seiten, 18 €.

Vor über einem Jahrhundert formulierte Edward Bernays: »Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land. Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. (…) Ob es uns gefällt oder nicht, Tatsache ist, dass wir in fast allen Aspekten des täglichen Lebens, ob in Wirtschaft oder Politik, unserem Sozialverhalten oder unseren ethischen Einstellungen, von einer (…) relativ kleinen Gruppe Menschen abhängig sind, die die meisten Abläufe und gesellschaftlichen Dynamiken von Massen verstehen. Sie steuern die öffentliche Meinung, stärken alte gesellschaftliche Kräfte und bedenken neue Wege, um die Welt zusammenzuhalten und zu führen.«1 Was wie Verschwörungstheorie klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung der Fakten leider allzu oft als wahr: Organisationen wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und zahlreiche andere arbeiten unter Aufwendung hoher Summen und wissenschaftlicher Expertise daran, Sozialabbau als »Modernisierung«, Verarmung als »notwendig« und »gerecht« und Privatisierung als »gut für alle« zu erklären; die Partikularinteressen einzelner Mächtiger also als Interessen vermeintlich aller in Szene zu setzen. Doch wie gehen sie dabei vor? Welcher Psychotechniken bedienen sie sich? Und um welche manifesten Interessen geht es hinter der wohlfeilen PR? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit Michael Walter.

Herr Walter, in Ihrem Buch »Reformvisionen«2 nehmen Sie die PR-Kampagnen wirtschafts- und sozialpolitischer Initiativen der 2000er Jahre in den Blick. Den Fokus legen Sie dabei vor allem auf die Frage, wie es diesen Initiativen mithilfe visueller Kommunikationsmittel und -strategien gelingt, die Bürger von der Notwendigkeit sogenannter Reformen zu überzeugen. Wie kam es zu diesem Buch? Was war Ihr handlungsleitendes Motiv?

Am Anfang meiner Studie stand das – und damit war ich sicherlich nicht alleine – Staunen über die bemerkenswerte Konjunktur der angesprochenen Reforminitiativen, die in der ersten Hälfte der 2000er Jahre wie Pilze aus dem Boden schossen. Das begann 2001 mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die im Auftrag des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall den Boden für eine wirtschafts- und sozialpolitische Neuausrichtung der Bundesrepublik bereiten sollte. Im »heißen« Reformjahr 2003, nach Schröders Verkündung der »Agenda 2010«, hatte sich daraus eine regelrechte »Bewegung« von unzähligen Reforminitiativen entwickelt, die sich missionarisch auf die Fahnen geschrieben hatten, die Republik zu reformieren.

Die Intensität dieser Gründungswelle spiegelt sich auch in der journalistischen Rezeption wider. So bemerkt zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung 2003 etwas spöttisch, dass es wohl bald schwierig sein werde, einen Zeitgenossen zu finden, der sich noch nicht in einer Bürgerbewegung engagieren würde.

Das politisch Neuartige an dieser »Reformbewegung« war, dass es sich hierbei keineswegs um eine klassische linke Bewegung von unten handelte, die einem zunächst in den Sinn kommen mag: Obwohl sich die Initiativen in ihrer Außendarstellung dezidiert als progressive bürgerliche Graswurzelbewegungen präsentierten, die gegen das verkrustete und vermachtete politische System aufbegehrten, wurden sie vor allem von elitären Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien initiiert und betrieben, und verkörperten insofern vor allem eines: einen »Protest von oben«, dessen emanzipatorischer Anspruch sich auf die Durchsetzung der Interessen einiger weniger kaprizierte. Darin lag für mich der wissenschaftliche Reiz dieses Phänomens begründet. Denn man kann anhand der Öffentlichkeitsarbeit der genannten Reforminitiativen beobachten, wie eine versammelte Elite in für die Geschichte der Bundesrepublik beispielloser Weise versuchte, mit Mitteln des politischen Marketings eine neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu etablieren.

Ein Vorhaben, das ja auch weitestgehend gelang …

Was die institutionelle Implementierung auf Grundlage der Agenda 2010 anging, kann man das sicherlich sagen, ja. Allerdings denke ich, dass nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung, insbesondere im Milieu der klassischen Arbeiterschaft, den propagierten Reformvisionen gegenüber skeptisch oder ablehnend blieben. Der Erfolg des Reformmarketings bestand hier eher darin, durch die symbolische Destruktion des traditionellen Sozialstaatsmodells dessen Befürwortern die Gegenwehr massiv erschwert zu haben.

Mich interessierte jedenfalls insbesondere die visuelle Ebene der PR-Kampagnen, also jene der Bilder, die eine ganz zentrale Rolle einnahmen, wie zum Beispiel die »Du bist Deutschland!«-Kampagne sehr deutlich zeigt. Die Kampagnen der Reforminitiativen zielten vor allem auf den, mit Antonio Gramsci gesprochen, »Alltagsverstand« der »einfachen« Bürger. Mit eingängigen »Reformbildern« versuchte man, wie es der damalige Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes GesamtmetallHans Werner Busch ausdrückte, die »Notwendigkeit von Reformen in die Köpfe der Bürger zu bringen«3, die sich bekanntermaßen ja recht störrisch gegenüber den Plänen der Schröder-Regierung zeigten. Die bisher vorliegenden Arbeiten zu den Reforminitiativen haben zwar akribisch die Organisations- und Mitgliederstrukturen sowie die Hintergründe der Reforminitiativen herausgearbeitet. Die diskursiven Strategien wurden allerdings erstaunlicherweise vernachlässigt.

Hier setzt meine Studie an. Mir ging es darum, in einer systematischen, empirischen, soziologisch fundierten Analyse die Methoden und tatsächlichen Ziele der PR-Kampagnen zu rekonstruieren. Damit leistet die Studie, so zumindest mein Anspruch, einen Beitrag dazu, eine wichtige ideologische Dimension des wirtschafts- und sozialpolitischen Paradigmenwechsels in der Bundesrepublik der 2000er Jahre aufzuarbeiten.

Welche gesellschaftspolitischen Ausgangsbedingungen haben denn zu der von Ihnen skizzierten »Gründungswelle« geführt?

Die Reforminitiativen stellten in erster Linie eine Antwort auf eine politische Krise dar. Damit meine ich den Widerstand gegen die angesprochene Schröder’sche Reformpolitik. Der Regierung gelang es in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht, die Agenda 2010 mit positiven Leitbegriffen zu besetzen. Sie betonte vielmehr die sozialen Einschnitte und begründete diese technizistisch mittels Sachzwanglogik. Das hatte zur Folge, dass viele Bürger die Reformen trotz der breiten medialen Unterstützung Schröders vor allem als neoliberalen Sozialabbau verstanden und lautstark protestierten, wie etwa die »Montagsdemonstrationen« gegen Hartz IV eindrucksvoll zeigen.

Und auch in der SPD selbst gab es heftigen Widerstand gegen die Schröder’sche Agenda, die nicht nur zu erheblichen Parteiaustritten, sondern auch zur Gründung der Partei »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« führte.

An dieser Stelle traten die Reforminitiativen mit ihren PR-Kampagnen auf den Plan, die den Anspruch hatten, die politischen Reformkonzepte stärker an die Alltagswelt der Bürger zu binden, wo sie das eigentliche Hindernis verorteten. Das wird zum Beispiel sehr klar von dem Publizisten und Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel so benannt, der 2003 den »BürgerKonvent« gründete. In einer Sendung von Sabine Christiansen zum Thema bringt er seine Überzeugung zum Ausdruck, dass, »das Hauptproblem in der gegenwärtigen Debatte die Bürger selbst sind«4. Anders als die gesellschaftlichen Eliten würden diese nämlich die veränderte Wirklichkeit verdrängen und ideologisch an einem überkommenen Sozialstaat festhalten.

In einem anderen Zusammenhang argumentierte er, dass es für die Durchsetzung von Reformen ganz entscheidend sei, die Sicht- und Verhaltensweisen der Bürger an die veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland anzupassen. Es ging also um eine Art »Volkserziehung«. Eine Ausrichtung, die sich praktisch in allen Reforminitiativen zeigt.

Die Eliten »erziehen« sich die Bürgerinnen und Bürger also dergestalt, dass diese die »Notwendigkeit« und »Richtigkeit« sozialer Einschnitte akzeptieren – weil sie diese als vermeintlich auch in ihrem Interesse liegend verstehen?

In Summe war das das Ziel dieser Initiativen und ihrer Kampagnen, ja. Genauer betrachtet war das Ziel sogar noch ambitionierter: Es ging nicht nur darum, Akzeptanz für Reformen hervorzurufen, sondern im ganz konkreten Sinne darum, neue Sichtweisen auf das Soziale zu schaffen und die Bürger durch die Kraft der bildgewaltigen »erzieherischen« Botschaften der PR-Kampagnen in ökonomisch aktive und eigenverantwortliche Subjekte zu verwandeln.

Können Sie das bitte an einem konkreten Beispiel einmal genauer skizzieren?

Nehmen wir das Beispiel des bereits erwähnten BürgerKonvent. Mit der Kampagne »Deutschland ist besser als jetzt« versuchte die Initiative im Jahr 2003, Miegels Ziel in die Tat umzusetzen. Dafür wurden drei Werbespots produziert und bundesweit ausgestrahlt, in denen in Guido-Knopp-Manier mit Pathos und Patriotismus an die historischen Leistungen der Deutschen angesichts des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, der Wiedervereinigung und des Kampfes gegen die Oderflut 1997 erinnert wurde. Die porträtierten »Trümmerfrauen«5 oder die Helfer bei der »Oderflut«6 fungierten als aktivierende »Leitbilder« für die adressierten Bürger, um ihnen sozusagen vor Augen zu führen, welches Potential in ihnen stecke, um die aktuelle Krise zu überwinden, die durch einen vermeintlichen »Reformstau« entstanden sei. Die Spots sind sozusagen popularisierte »Übersetzungen« des politischen Aktivierungsdiskurses jener Zeit, der einen sozial- und wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel einfordert, dem zufolge nicht mehr der Staat, sondern jeder Einzelne für das ökonomische Wohlergehen des Gemeinwesens verantwortlich zu sein hat. In dieser Linie wird von den adressierten Bürgern als patriotische Pflicht eingefordert, wie die Trümmerfrauen oder die Oderfluthelfer die suggerierte Krise durch aktivistisches, eigenverantwortliches »Anpacken« zu überwinden.

Noch plastischer zeigt sich diese pädagogische, auf das Individuum zielende Haltung bei der »Du bist Deutschland«-Kampagne, die aus der von Gerhard Schröder 2003 ins Leben gerufenen Initiative »Partner für Innovation« hervorging. In verschiedenen Arbeitskreisen machte man sich daran, eine neue »Innovationskultur« zu etablieren. Der Arbeitskreis Medien war mit der eher akademischen Fachkommunikation unzufrieden. Unter Führung der Bertelsmann AG entwickelte man daher zur Vermittlung der Botschaften der Initiative eine »Publikumskampagne«, die für den »einfachen Bürger« gemacht war. Daraus entstand dann der bekannte zweiminütige »Du bist Deutschland«-Werbespot7, in dem prominente und nichtprominente Personen die Bürger in einer Art »Hurra-Patriotismus« zu mehr Eigenaktivität animieren wollten.

Der erzieherische Gestus wird dabei schon in der ersten Einstellung deutlich, in der eine ältere, mütterliche Frau das adressierte Individuum in der Du-Form mit den Worten anspricht: »Du bist das Wunder von Deutschland«, also praktisch wie zu einem Kind spricht, das zu lernen hat, sich als eigenverantwortliches Individuum zu sehen, und dass nicht der Staat für es verantwortlich ist, sondern es für den Staat. Dieser erzieherische Ton durchzieht praktisch den ganzen Werbespot. Ein schlagendes Beispiel dafür ist eine Szene, in der Oliver Pocher einen am Grill stehenden Vater als Repräsentanten einer einfachen Arbeiterfamilie mit einer auf ihn gerichteten Grillzange zu »aktivieren« sucht, indem er ihm seinen widersprüchlichen Pessimismus bezüglich der eigenen Handlungsmächtigkeit vor Augen führt: »Unrealistisch, sagst du? Und warum feuerst du dann deine Mannschaft im Stadion an, wenn deine Stimme so unwichtig ist?«

Die beiden gerade angesprochenen PR-Kampagnen der Reforminitiativen machen in ihrer plakativen Form die generelle pädagogische und bisweilen autoritäre Dimension der Reformdebatte der ersten Hälfte der 2000er Jahre sichtbar, in der ein elitäres Milieu sich missionarisch anschickte, der kognitiv unterlegenen Bevölkerung, sprich dem einfachen Arbeiter, die richtige ökonomische Sichtweise einzutrichtern.

Wenn ich recht verstehe, und einmal ganz unabhängig von den divergierenden Interessen zwischen Reich und Arm sowie den Psychotechniken der Macht: Ist das nicht eine ungemein verächtliche Praxis und zeugt sozusagen vom Hass der Oberen auf die Subalternen?

»Hass« ist meiner Meinung nach ein zu starker Begriff, das trifft es nicht richtig. Aber ohne Zweifel kommt im Reformdiskurs, über den wir hier sprechen, eine überhebliche, ja arrogante Haltung der Eliten gegenüber den vermeintlich »einfachen Leuten«, insbesondere der klassischen Arbeiterschaft, zum Ausdruck. Die gesamte Debatte ist von einem deutlichen »Klassismus« durchzogen. Das bereits angesprochene Aktivierungsdogma, das Ende der 1990er Jahre zum Leitbild der Reformer wurde, beruht ja auf einem grundsätzlich negativen Menschenbild, das in aller Deutlichkeit bereits in Roman Herzogs berühmter »Ruck-Rede« artikuliert wurde, die zu einem programmatischen Bezugspunkt für die Reformdebatte und auch die Reforminitiativen geworden ist: Der Mensch ist von sich aus ein träges Wesen, dessen Antriebskräfte durch den, wie Herzog es formuliert, »überbordenden Sozialstaat« über die Jahre erlahmt sind. Daher bedarf es einer entschiedenen Aktivierung von außen – wie eben beispielsweise durch die sogenannten Hartz-Gesetze –, um diese eingeübte Trägheit in ökonomisch produktive Eigeninitiative zu verwandeln.

Das ist sozusagen die Geschichte, die im Zuge der Reformdebatte von einem vielstimmigen und elitär besetzten Chor permanent aufgesagt wurde. Wie das gerade angesprochene Beispiel aus der »Du bist Deutschland«-Debatte zeigt, sind damit aber im Prinzip ausschließlich die sogenannten »unteren« Schichten der Gesellschaften gemeint und eben nicht die höhere Mittel- und Oberschicht, die sich selbst bereits als ökonomische Leistungsträger sehen und daher – wie in den Reforminitiativen – als »Aktivator« zu fungieren haben.

Damit verbunden ist als weiterer Aspekt die unterstellte kognitive Überlegenheit, in der sich das elitäre »Justemilieu« wähnt; eine »Haltung überlegener Vernunft«, wie man mit dem Philosophen Michel Foucault sagen könnte. Es herrscht hier offenkundig die Überzeugung vor, dass man seine kognitiv eingeschränkten Adressaten nur mit simplen, alltagsnahen Botschaften zur reformerischen Vernunft bringen könne. Auch dieser Aspekt tritt einem in kaum zu überbietender Offenheit anhand der schlichten Ansprache beispielsweise der »Du bist Deutschland«-Kampagne entgegen, die ein bedenkliches Bild von ihren Adressaten zum Ausdruck bringt.

Und wie reagierten nun die Medien auf diese Beeinflussung durch PR in Namen und Auftrag der Eliten im Land? Von Journalisten würde man ja erwarten, dass sie im Rahmen einer »Basisrecherche« überprüfen, von wem welche Informationen kommen, ob diese interessengeleitet sind, und dann ausgewogen berichten, indem sie zumindest stets Ross und Reiter im Hintergrund als solche benennen und auch auf andere Sichtweisen eingehen …

Die Medien nehmen in diesem Zusammenhang eine sehr ambivalente Rolle ein. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie sich bezüglich der Reforminitiativen in problematischer Weise als politische Akteure verstanden haben, die auch ihre eigene Aufgabe darin sahen, im Zusammenspiel mit Politik und Wirtschaft den Bürgern die vermeintlich richtige wirtschafts- und sozialpolitische Sichtweise nahezubringen. Dabei haben sie eindeutig auch journalistische Standards über Bord geworfen. Das zeigt sich etwa anhand jener Medienpartnerschaften, die die Verlage und Fernsehsender mit Reforminitiativen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eingegangen sind. Nur ein paar Beispiele: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft entwickelte in Kooperation mit der WirtschaftsWoche ein sogenanntes »Reformbarometer«, das die Reformfähigkeit Deutschlands messen sollte. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kürte zusammen mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die »Reformer und Blockierer des Jahres«. Und auch in Zusammenarbeit mit MTV sollten »junge Menschen aktiviert« werden. Die Reihe ließe sich fortführen. Diese Kooperationen gingen so weit, dass sich die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sogar »reformfreundliche« Dialoge in der Sendung »Marienhof« einkaufte.

Ein weiterer problematischer Aspekt ist, dass die INSM häufig eigene Artikel oder Meinungsbeiträge von ihren sogenannten »Botschaftern« in den Medien lancieren konnte, ohne dass dabei »Ross und Reiter«, wie Sie es ausgedrückt haben, genannt wurden. Das heißt, ohne dass darauf hingewiesen wurde, dass es sich hier um INSM-Repräsentanten handelte, die natürlich ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge hatten. Diese interessengeleiteten Interventionen konnten sich so als journalistisch-neutrale Diskursbeiträge präsentierten. Die Grenzen zwischen Journalismus und PR verschwammen hierdurch.

Noch offensichtlicher dokumentiert sich eine solche Grenzüberschreitung durch den Umstand, dass die Medien selbst missionarisch in den Reforminitiativen aktiv waren und so mit ihrer Medienmacht im Sinne politischer und wirtschaftlicher Eliten die Werbetrommel für einen sozial- und wirtschaftspolitischen Kurswechsel in Richtung Sozialabbau rührten.

Hier ist in erster Linie natürlich »Du bist Deutschland« als reine Medienkampagne zu nennen, aber auch die Initiative »Deutschland packt’s an«, die vom damaligen Aufsichtsratschef von n-tv, Karl-Ulrich Kuhlo, initiiert wurde, um »Aufbruchsstimmung« in Deutschland zu verbreiten. Unter anderem fungierte Sabine Christiansen, die in ihrer Talkshow Sonntag für Sonntag die Notwendigkeit von Reformen beschwor, als Testimonial auf Werbeplakaten für diese Aktion.

Das steht so ziemlich allen Idealen entgegen, die sich traditionell der Qualitätsjournalismus auf die Fahnen geschrieben und das Hanns Joachim Friedrichs einmal auf folgenden Punkt gebracht hat: »Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.«

Beseelt von ihrer Aufgabe, die, wie der Spiegel damals geschrieben hat, »blockierte Republik« zu reformieren, verhielten sich viele Journalisten nicht wie kritisch-neutrale Beobachter der politischen Wirklichkeit, sondern vielmehr wie missionarische Heilsbringer. Mit Blick auf die »Du bist Deutschland«-Kampagne ist die religiöse Metaphorik übrigens nicht allzu übertrieben. So hat Johan Schloemann in der Süddeutschen Zeitung vom 30. September 2005 zu Beginn der Debatte in einem schönen Artikel auf das quasireligiöse Moment der Kampagne verwiesen und mit ironischem Einschlag die Parallelen zur pietistischen »Erweckungsrhetorik« herausgearbeitet.

Auf der anderen Seite muss man jedoch auch betonen, dass die Reforminitiativen in den Medien durchaus auch kritisch beleuchtet wurden, sowohl was das elitäre, wirtschaftsdominierte Personal als auch was die ideologische Schlagrichtung anging. So wurden die Reforminitiativen in Medien wie etwa der ZEIT, der Frankfurter Rundschau und sogar dem Manager-Magazin durchaus und immer wieder einmal als »Lautsprecher des Kapitals«, »Krawatt-Attac« oder »Nadelstreifen-Apo« gegeißelt, um so den beanspruchten Graswurzelcharakter zu dekonstruieren. Das verweist, zumindest für den damaligen Zeitpunkt, auf eine gewisse Pluralität unseres Mediensystems.

Warum waren diese Maßnahmen für die Eliten im Land denn so ungeheuer wichtig? Welche manifesten oder, wenn man so sagen darf, materiellen Interessen standen für sie hinter ihrem ungeheuer breitgefächerten und teuren »Erziehungsengagement«?

Die Motive des elitär geprägten »Personals« der Initiativen und PR-Kampagnen sind sicherlich nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Interessen reduzierbar, wie das manchmal in diesem Kontext behauptet wird. Äußerungen von beteiligten Akteuren beispielsweise in Interviews legen nahe, dass diese durchaus davon überzeugt waren, mit ihrem Propagieren von Reformen dem Gemeinwesen einen Dienst zu erweisen, also ideengeleitet handelten. Aber natürlich wäre es naiv, nicht davon auszugehen, dass hinter der Gemeinwohlrhetorik auch handfeste wirtschaftliche Interessen liegen. Das tritt ja etwa bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft als Organisation der Wirtschaftsverbände offen zutage.

Konkret sichtbar werden diese materiell-wirtschaftlichen Interessen, wenn man sich die institutionelle Implementierung der Reformen anschaut: Die »Riester-Rente« beispielsweise wirkte wie ein Konjunkturprogramm für die Finanzwirtschaft, die übrigens an der Ausarbeitung maßgeblich beteiligt war. Ähnliches lässt sich auch für die Hartz-Reformen sagen, von denen unter anderem die privaten Arbeitsvermittlungsagenturen profitierten. Und sicherlich hatten auch die Führungsebenen von Medienkonzernen wie beispielsweise dem Bertelsmann-Konzern, der die »Du bist Deutschland«-Kampagne initiierte und koordinierte und auch darüber hinaus in zahlreiche »Reformprojekte« involviert war, den wirtschaftlichen Eigennutzen ungeachtet aller Ideengeleitetheit mit im Blick. So gesehen lässt sich das von Ihnen als »Erziehungsengagement« bezeichnete Werben für Reformen auch in gewisser Weise als »Investitionstätigkeit« betrachten.

Welche Techniken sind und waren es, die wir als kritische Mediennutzer kennen sollten und die man am Beispiel dieser Initiativen konkret zu benennen vermag? Mittels welcher »Psychotechniken« manipulieren die Eliten uns Bürger im Land?

Zunächst einmal würde ich nicht von Manipulation sprechen. Alle politischen Akteure arbeiten beim Ringen um Hegemonie in der politischen Arena mit sogenannten »Psychotechniken«, also mit Mitteln der sprachlichen und bildlichen Suggestion. Schauen Sie sich doch nur einmal die Kampagnen von klassischen linken NGOs wie Greenpeace oder Attac an, die sehr stark mit spektakulären, emotionalisierenden Bildern arbeiten, um Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. Die unterscheiden sich im Einsatz ihrer politischen Kommunikationsstrategien prinzipiell nicht von Think-Tanks wie der INSM. Kurz: Ob progressiv oder konservativ – hegemonietheoretisch betrachtet versuchen gesellschaftliche Gruppierungen im Kampf um die Deutungshoheit immer ihre politischen Dogmen mit allerlei »Psychotechniken« als einzig legitime zu präsentieren.

Das ist also nicht das Problem, sondern schlicht und einfach Teil des demokratischen politischen Wettbewerbs. Das eigentliche Problem sehe ich eher in der ungleichen Verteilung der Ressourcen, mit denen die unterschiedlichen Akteure in der politischen Arena ausgestattet sind. »Die Wirtschaft«, zu der ja auch die Medienkonzerne gehören, hat hier durch ihre ökonomische Macht und das weitgehende Monopol auf die Herstellung von Öffentlichkeit von vorneherein die besseren Karten. Das zeigt sich auch plastisch anhand der Reforminitiativen, die ich untersucht habe: Alleine die INSM verfügte in den frühen 2000er Jahren, und tut dies vermutlich immer noch, über ein Jahresbudget von knapp 10 Millionen Euro. Die an der »Du bist Deutschland«-Kampagne beteiligten Medienunternehmen stellten pro bono nach eigenen Angaben mehr als 30 Millionen Euro an Werbevolumen bereit, um die Republik über Wochen mit den Kampagnen-Botschaften zu überziehen.

Man muss an dieser Stelle übrigens auch die Phalanx an Spezialisten für die Beeinflussung unseres Alltagsverstandes – wie zum Beispiel Spin-Doktoren, Werbeschaffende, Mediaplaner oder Demoskopen – erwähnen, die alle in den Reforminitiativen, ob nun bezahlt wie bei der INSM oder für die »gute Sache« wie bei »Du bist Deutschland«, engagiert waren. Gruppierungen, die klassisch sozialstaatliche Positionen vertreten, hatten angesichts dieser ökonomischen Ressourcen- und Kommunikationsmacht der geeinten Reformfront – alternative Medien hin oder her – kaum eine Chance, im öffentlichen Diskurs Gehör zu finden.

Aber zurück zu Ihrer eigentlichen Frage nach den verwendeten »Psychotechniken«. Hier kann ich natürlich nur einige Schlaglichter setzen. Eine zentrale diskursive Strategie der Reforminitiativen war, ihren partikularen Forderungen und Interessen einen Allgemeinheitsanspruch zu verleihen. Das ist ja eine Strategie, die bei politischen Auseinandersetzungen zum gängigen Repertoire gehört. Die Öffentlichkeitsarbeit der Reforminitiativen war durch eine sehr ausgeprägte Gemeinwohlrhetorik gekennzeichnet. Dies zeigt sich bereits in der Namensgebung der Initiativen wie zum Beispiel beim »BürgerKonvent«. Der Name suggeriert, dass es sich bei der Initiative um eine emanzipatorische Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern handelt, die als Sprachrohr der Zivilgesellschaft fungiert und, um einen Begriff von Gramsci zu verwenden, den bürgerlichen »Kollektivwillen« artikuliert, der bürgerlichen Mehrheit also eine Stimme verleiht. Dabei positioniert man sich symbolisch gegen die vermachtete institutionelle Politik, die die notwendigen und von den Bürgern geforderten Reformen blockiert. Das ist eine rhetorische Strategie, die im Prinzip alle Reforminitiativen verwendeten.

Diesen universalen Anspruch versuchte man in den Reforminitiativen auch über die Mitglieder- und Organisationsstruktur zu repräsentieren. Die INSM, die sich als überparteiliche Reformbewegung bezeichnet, zielte darauf ab, aus möglichst allen gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Sport und sogar der Kirche sogenannte »Botschafter« oder »Testimonials« zu rekrutieren, die ihre »Reformvisionen« dann in die Öffentlichkeit trugen. Das gelang der INSM in den frühen 2000er Jahren bestens, als sie namhafte Persönlichkeiten wie zum Beispiel Wolfgang Clement, Lothar Späth, Paul Kirchhoff, Uli Hoeneß und Kardinal Lehmann rekrutieren konnte.

Bei der »Du bist Deutschland«-Kampagne findet sich eine ähnliche Struktur. Für den Werbespot haben die beteiligten Medienunternehmen neben den präsentierten Alltagsmenschen so ziemlich alles an Medienprominenz aufgeboten, was greifbar war, von Marcel Reich-Ranicki bis hin zum Rapper Cool Savas. Erklärtes Ziel war es laut der Regisseurin des Spots dabei, »ganz Deutschland« zu repräsentieren.

Beide Initiativen verfolgten auf ihre Weise grundsätzlich die gleiche Strategie: die Nutzung der Glaubwürdigkeit ihrer »Botschafter« und also deren symbolischen Kapitals für eigene Zwecke. Und inhaltlich zielten die Reforminitiativen primär darauf, wie ich am Anfang erwähnte, ihre »Reformvisionen« in die Alltagswelt der breiten Bevölkerung zu transportieren. Dafür setzten sie vor allem auf Bilder, die den aus ihrer Sicht zu überwindenden »Wohlfahrtsstaat« problematisieren sollten. Es ging im wahrsten Sinne des Wortes darum, traditionelle, fest verankerte Sichtweisen auf das Soziale symbolisch zu dekonstruieren.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Ein gutes Beispiel ist eine der Werbeanzeigen der INSM, mit der ich mich in meinem Buch Reformvisionen näher auseinandergesetzt habe und die 2003 im Zuge einer Kampagne zum Thema Steuerpolitik veröffentlicht wurde. Auf der Anzeige ist ein etwa halbgefülltes Bierglas zu sehen, das eine Art Säulendiagramm darstellt: Anhand zweier aufgedruckter Eichstriche, die mit den Begriffen »Netto« und »Brutto« versehen sind, wird auf diese Weise die Höhe der Steuerabgaben in Deutschland veranschaulicht. Das wird mit dem Slogan »Das meiste schluckt der Staat« zusätzlich sprachlich hervorgehoben.

Zunächst einmal kann man hier sehen, wie komplexe politökonomische Sachverhalte popularisiert und in die Sphäre der Freizeit und des Genussmittelkonsums übertragen werden. Es geht also darum, den abstrakten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformdiskurs kognitiv, affektiv und auch normativ für den Alltagsverstand sicht- und fassbar zu machen. Die appellhafte Botschaft der Anzeige ist offensichtlich: Die Staatsabgaben sind aufgrund des »überbordenden Sozialstaats« zu hoch. Wir müssen, wie es in dem Text der Anzeige heißt, den »Sozialstaat entlasten«. Auf einer konnotativ-symbolischen Ebene vermittelt das Bild für den Rezipienten weitere Botschaften, mit denen das klassische Sozialstaatsmodell problematisiert wird. So wird der Staat über die organische Metaphorik als rein verbrauchender Organismus betrachtet, der die wirtschaftliche Wertschöpfung konsumiert, aber eben nichts produziert.

Zudem assoziiert das Motiv die staatliche Steuerpolitik mit Gier, Maßlosigkeit und durch den Begriff »schlucken« in Verbindung mit dem Bier nicht zuletzt mit Sucht und Abhängigkeit. Damit wird zugleich eine Steigerungslogik impliziert, die an den seit den 1970er Jahren einsetzenden kritischen Diskurs über den stetig »anwachsenden« Sozialstaat anschließt. Der Staat wird quasi als »Abhängiger« symbolisiert, der ständig seine Dosis erhöhen muss. Die Metaphorik weist hierbei durchaus Ähnlichkeiten zum »Starvingthebeast«-Konzept in den USA auf, das in der Reagan-Ära aufkam. Das »beast« bezeichnet darin den Staat und seine ständig wachsenden Sozialausgaben, die mit permanenten Steuererhöhungen einhergehen, und das man daher durch »taxcuts« »aushungern« müsse.

Ganz ähnlich impliziert auch das Bierglasmotiv die Forderung, den Sozialstaat durch Entzug des Suchtmittels –das über Steuern »einverleibte« Vermögen der Bürger – zu »kurieren«. Die normative Problematisierung des steuererhebenden Sozialstaats erstreckt sich in der Anzeigeschließlich ganz generell auch auf den Akt der Steuererhebung an sich. Durch die sprachlich-visuelle Übersetzung steuerpolitischer Sachverhalte in den Bereich des Alltagskonsums wird die staatliche Steuerpolitik problematisiert, indem die Abgabenpolitik als illegitimer Eingriff in die Privatsphäre der Steuerzahler, sozusagen als »Mundraub« – im Sinne von »Das ist mein Bier!« – markiert wird. Es findet hier also normativ eine hochgradige Komplexitätsreduktion statt. Das Motiv reduziert die der Steuerpolitik zugrunde liegenden traditionellen Legitimationsfiguren und Gerechtigkeitsvorstellungen auf eine simple ökonomische Eigentumslogik.

Dieses »Negative Campaigning« ist ganz typisch für die INSM, aber auch generell den Reformdiskurs der frühen 2000er Jahre. Es geht darum, die vorherrschenden Bilder zu delegitimieren und dekonstruieren, die mit dem alten Sozialstaatsmodell verbunden waren, um so den »Bann des Sozialstaats zu brechen«, wie es mal ein englischer Think-Tank in Bezug auf den Thatcherismus auf den Punkt brachte.

Eine weitere wichtige Strategie ist schließlich die der Entpolitisierung, was sich auch sehr eindrücklich anhand der Kampagnen der Reforminitiativen zeigen lässt. Im Grundsatz handelt es sich hier um eine diskursive Strategie, um eine kritische politische Diskussion über die geforderten Reformen und die Agenda 2010 zu delegitimieren.

So zeichnen viele der Kampagnen der damaligen Jahre Deutschland als ein Land, das sich in einer tiefen sozioökonomischen, aber auch aufgrund einer kollektiven Lethargie in einer mentalen Krise befinde. Das Ganze wird mit einer patriotisch gefärbten Gemeinschaftsrhetorik verknüpft: Angesichts der akuten Notsituation ist es demnach nicht mehr am Platze, politisch zu debattieren, sondern sei es nun erste Bürgerpflicht, gemeinschaftlich »anzupacken«, um das untergehende Kollektiv Deutschland zu retten.

Abschließend noch einmal zurück zu den Medien: Welche Schritte wären zu unternehmen, um zu besseren, weniger einseitigen Medien zu gelangen? Was meinen Sie?

Hier lässt sich an eine Vielzahl von bestehenden kritischen Analysen anknüpfen. Ich denke da zum Beispiel an Thomas Meyers Studie Die Unbelangbaren, in der er darlegt, wie Journalisten der großen Medienunternehmen mittlerweile ganz selbstverständlich in der Politik etwa in Form eines Kampagnenjournalismus mitzuregieren beanspruchen. Und der Medienwissenschaftler Uwe Krüger zeigt in seinen Arbeiten die problematische Nähe von »Alpha-Journalisten« zu den gesellschaftlichen Funktionseliten und die damit einhergehende Tendenz auf, deren Positionen und Sichtweisen zu übernehmen.

Mit Blick auf meine Forschung sehe auch ich hier das zentrale Problem der Massenmedien. Das erörterte missionarische Agieren der Medien während der Reformdebatte macht diesen problematischen Kampagnenjournalismus, den man auch aktuell etwa bei Themen wie Russland oder Donald Trump beobachten kann, wie in einem Brennglas sichtbar. Es ist meiner Meinung nach angesichts dieses allgegenwärtigen Kampagnenjournalismus essentiell, eine journalistische Kultur zu etablieren oder, wenn man will, wiederzubeleben, in der sich Medien und Journalisten nicht als Akteure verstehen, die am politischen Tisch sitzen und mitregieren, sondern die es als ihre Kernaufgabe begreifen, demokratische Debatten und die darin vertretenen unterschiedlichen Ansichten in die Öffentlichkeit zu transportieren, kritisch zu kommentieren und einzuordnen.

Michael Walter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum SOCIUM der Universität Bremen und Autor des Buches »Reformvisionen: Zur Bildpolitik wirtschafts- und sozialpolitischer Reforminitiativen«.

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