Quo Vadis?
„Memento Mori“ (Gedenke des Todes) ist ein häufiges Motiv in der Bildenden Kunst. Ohne eine Beziehung zum Tod ist keine echte Lebensweisheit möglich. Zum Rendezvous mit dem Tod könnten auch einige Entwicklungen der aktuellen Politik für viele Menschen werden. Autor Moreau fragt, wohin das führen soll – und er schlägt zwei neue, überraschende Schulfächer vor. (Moreau, Erstveröffentlichung in „Brennstoff“)
Quo vadis? Wohin gehst du? Ein Mystiker, der zum Galgen geführt wurde, sah eine große Menschenmenge, die eilig vor ihm her rannte. »Ihr braucht euch nicht so zu beeilen«, sagte er zu ihnen. »Ich kann euch versichern: nichts wird ohne mich geschehen.«
Wohin es mit uns in the long run geht, daran gibt es keinen Zweifel: Wir alle sind unterwegs zum Friedhof. Die Frage ist, wem wir während der Reise zum Rendezvous mit unserem Tod begegnen und wie wir uns auf dem Weg zueinander verhalten: ob wir einander beachten, wertschätzen, lieben oder hassen; ob wir es uns leicht oder schwer machen, einander helfen oder Steine in den Weg legen; ob Frieden herrschen wird oder Krieg. Wie wir unsere gemeinsame Zeit auf Erden gestalten, darum geht es bei dem, was man gemeinhin »Politik« nennt. Und da, so scheint es, geht derzeit fast alles schief. Die Nachrichten sind voll von Schreckensmeldungen und oft unerbittlichen Streitigkeiten darüber, wie die verschiedenen echten oder eingebildeten Probleme gelöst werden sollten, ob nach Schema X, Y oder Z. Wenn allerdings der Streit darüber eskaliert, ob der eine oder der andere Weg zum Friedhof der bessere sei, so könnte es, wie schon in der Vergangenheit, dazu kommen, dass die überhitzten Gemüter, die gestern noch Nachbarn, vielleicht sogar Freunde waren, ohne recht zu begreifen, wie ihnen geschieht, auf’s Schlachtfeld taumeln und ihren Lebensweg erheblich abkürzen, wenn sie sich viel zu jung gegenseitig in die Grube metzeln.
Darum fordere ich die Einführung von zwei neuen Schulfächern: Das eine lehrt, jeden Tag eine Zeit lang allein zu sein, Gedanken und Gefühle zu beobachten und in den Himmel zu schauen; das andere den Umgang mit Sterblichkeit und Tod. Denn ohne die Empfindung von Alleinsein und tiefer Verbundenheit, ohne Kenntnis des eigenen Inneren, ohne Himmel und Tod und ohne Besinnung auf das Glück, am Leben zu sein, werden Menschen auch in Zukunft religiösen oder politischen Scharlatanen blind ins Verderben folgen.
MOREAU