Resonanzen: Musik der Romantik und Spiritualität des Klosters im Einklang (3)

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3) Der verspielte Sonderling – Hauschka „präpariert“ die Welt. Ein Pianist, der, bevor er zu spielen beginnt, erst mal an seinem Instrument rumbastelt, um ihm „unerhörte“ Töne zu entlocken – geht das nicht zu weit? Und was hat das Ganze mit dem Möchstum zu tun, dem Lieblingsthema von Thomas Quartier? Lassen Sie sich von der Lektüre überraschen. Beredt wie immer zeichnet Bruder Thomas das Porträt eines Künstlers, der sich als „Alchemist“ versteht – einer, der die Welt in Klängen nicht nur abbildet, sondern neu zu erschaffen hilft. Einer, der uns „spielend“ ganz in die Gegenwart katapultiert und so diese nüchterne Wirklichkeit ganz im Sinn von Novalis romantisiert.
(Thomas Quartier OSB)

Ein Dutzend Tischtennisbälle sorgen für einen ulkigen Anblick im Innern eines Klaviers. Sie wurden zwischen die langen Saiten des Flügels gesteckt, auf dem ein Konzert gespielt werden soll. Trommelstöcke, Kronkorken, Lederriemen, Papierschnipsel, schwarzes Klebeband, ein Lappen und jede Menge anderer Gegenstände. Man muss schon in wenig verrückt sein, wenn man vorher schon erkennt, dass dieser “Rummel” zum Klangapparat des Klavierkonzerts gehört. “Man muss aufmerksam sein, quasi andächtig für unerwartete akustische Inspiration”, so würde der Musiker Hauschka dieses Urteil von Nicht-Eingeweihten korrigieren. In seinen Konzerten lehrt er seine andächtigen Zuhörer (und Zuschauer!) dass alle diese Objekte auf und zwischen den Saiten seines musikalischen Werkzeugs zu vollwertigen Musikinstrumenten werden können, die einen einmaligen Klang erzeugen. Dieser ist unter seinen Fingern so einzigartig, dass er maschinell-rhythmisch und melodisch zugleich klingt. Das hört sich extravagant, experimentell, vielleicht gar ein wenig ausgeflippt an. Ist Hauschka ein Komiker? Vielleicht ein wenig, aber er ist sicher kein Krawallschläger, eher ein verspielter Sonderling.

Hauschka, der eigentlich Volker Bertelmann heißt, bearbeitet auf verspielte Art und Weise das Klavier, zuweilen in einer Umgebung, die einen eher strengen Eindruck macht. Wir erleben ihn bei einem Festival für romantische Musik, wo er mit einem Streichquartett auftritt. Das Quartett eröffnet den Abend mit Haydn, danach folgt spätromantische Musik. Dann folgen ultramoderne Kompositionen, so dissonant, dass einem die Ohren pfeifen. Schwere Kost, auf die Dauer eher unbekömmlich, würde nicht der verspielte Sonderling die Welt zwischendurch zum Klingen bringen. Das ist ein ganz anderer, beinahe unwirklicher Klang, der doch – buchstäblich – mitten aus dem Alltag kommt.

Hauschka trägt einen alternativen Pulli und riesige Turnschuhe, wie man sie eher bei hippen Teenagern erwarten würde. Er sagt nichts, macht keine großen Gesten, sondern fängt einfach an zu spielen. Das heißt… er verbreitet Klavierschnipsel, die an ostasiatische Harmonien erinnern. Beinahe wie ein Alchimist – so betiteln manche Rezensenten unseren Künstler – beugt er sich über den geöffneten Flügel. Er berührt die Lappen auf den Saiten, die einen seidenen Klang erzeugen, dann wieder einen scheppernden. Unter seinen Händen entfalten die Materialien, die ansonsten keine Bedeutung hätten, ihre Zauberkraft. Sogar Melodien entstehen in diesem Laboratorium der Rohmaterie. In ihrer endlosen Wiederholung klingen sie verführerisch. Das ist keine musikalische Karikatur, keine schlechter Scherz. Diesem skurrilen Pianisten gelingt es, die Wirklichkeit dauerhaft zum Klingen und damit zum Ausdruck zu bringen, sie zu verkörpern. Aber nicht nur das: er verändert dadurch die Welt. Verspielt, träumerisch, meditativ, beinahe spirituell…

Hauschka wählt unübersehbar den direktesten, nach innen gerichteten Umgang mit der Wirklichkeit, wenn er quasi in seine Materialien eintaucht. Das erinnert an den Alchimisten, ja, aber mehr noch an einen Mönch. Warum? Weil der Pianist hier intensiv mit der Wirklichkeit umgeht, indem er sie entfremdet, indem er selber ein Fremder in der normalen Arena der klassischen Musik ist. Das ist oberstes mönchisches Prinzip! Er ist ein Eigenbrötler, der zugleich Wärme und Freundlichkeit entfaltet. Denken wir an den ausdruckstarken Titel eines Buches des Australischen Trappisten Michael Casey: Fremd in der Stadt. Ja, der Mönch trägt etwas von diesem experimentellen Künstler in sich, der das klassische Repertoire des Streichquartetts aufbricht und zugleich intakt lässt. Der sich elektronischer Klänge bedient, ohne der Technik zu huldigen Mönch und Klaviermechaniker sind Fremdkörper in einer Stadt voll von Körpern, die sie in gewissem Sinne behüten, indem sie die Wirklichkeit behutsam hören lassen. Genau wie der Künstler verlässt der Mönch die Stadt nicht wirklich. Er konstruiert seine eigene bizarre Stadt – innerhalb der Stadt, die sich auch im Konzertsaal versammelt.

Eine von Hauschkas CDs heißt Abandoned City (2014). Können wir die „verlassene Stadt“ als Zufluchtsort des Künstlers betrachten, als Kloster mitten in der bewohnten Welt? In gewissem Sinnen sicherlich, denn Hauschka bekennt in unserem Dialog, den wir mit ihm führen: “Vielleicht ist eine verlassene Stadt eine bessere Wirklichkeit als eine bewohnte. Man entdeckt die Einsamkeit von zeitlosen, ungewohnten Räumen und die Schönheit verspielter Melodien”.

Hauschka wurde 1966 in Ferndorf geboren. Mit acht Jahren entdeckte er den Reiz des Klaviers bei einer Weihnachtsfeier. Nach einer klassischen Ausbildung am Konservatorium probierte er verschiedene Musikstile aus und wurde schließlich durch sein minimal art Spiel auf dem „präparierten Klavier“ bekannt. Diese Technik findet man auch bei Komponisten wie John Cage, aber Hauschkas spiritueller Sound – ruhig und repetitiv – ist doch einzigartig innerhalb des Genres. Ein Konzert bedeutet für ihn, dass er sich jedes Mal die Mühe machen muss, sich das Instrument neu zuzueignen, es zu konstruieren. Er fängt in einem Konzertsaal schon Stunden vor Beginn damit an, den Steinway vorzubereiten, unter anderem mit Filz und Klebeband, mit denen er die Hämmerchen umwickelt.

Während des Konzerts lässt er die Tischtennisbälle dann auf den Saiten springen und dämpft den Klang gleich wieder mit dem immer vorhandenen Tuch. Für Hauschka ist der einzige Effekt, der mit dieser Kunst verbunden ist, sich selber zu finden: “Das Präparieren, die Suche nach dem richtigen Klang, die Spontaneität und die Improvisation, all das sind Übungen, die mich darin bestärken, dass ich als Individuum, mit all meinen Ideen, eine eigene Kraft habe”. Das Übungsprogramm in einer eigenen Welt, die durch Übungen entsteht, erinnert erneut an einen Mönch. Die sonderbare, „präparierte“ Wirklichkeit des Klosters ist genauso ein Übungsparcours für fremdartige Klänge, die Kraft entfalten.

Dennoch scheint es einen wichtigen Unterschied zwischen unserem Künstler und dem Mönch zu geben: Huldigt Hauschka in seiner bizarren, desolaten Welt nicht munter sich selbst? Zum Glück ist der Mann viel zu bescheiden und nach innen gerichtet, um wirklich eitel sein zu können. Über das „Selbst“, dem er als alchimistischer Künstler seine Kraft entlehnt, erzählt er: „Für mich nimmt Musikalität immer Bezug auf das Hier und Jetzt. Sie ist spontan. Sie schafft eine Atmosphäre, die eine mythische Dimension hat und die Vergangenheit inkorporiert“. Jeder Mensch und jeder Mönch müsste sich so im Jetzt suchen. Natürlich, Mönche suchen vor allem Gott. Aber ist das überhaupt möglich, wenn man nicht die eigentümlich fremden Orte aufsucht, die Hauschka in seiner verspielten, sonderbaren Kunst exploriert? So sieht der Pianist zumindest seine eigene Rolle: “Meine Arbeit fördert vor allem die Suche nach der eigenen Identität, das Akzeptieren meiner starken und schwachen Seiten. Weil dazu immer auch mythische Aspekte gehören, generiert meine Musik zwangsläufig eine spirituelle Kraft. Kontemplation und Spiritualität gehören für mich zum Leben wie Wasser und Brot“.

Wer sonderbar rüberkommt und dabei seine Verspieltheit nicht verliert, der ist entweder ein Clown oder ein Mönch. Hauschka ist augenscheinlich kein Clown. Ist er dann ein Mönch? Das auch nicht, aber das mönchische Ideal eines Heimathafens in einer entfremdeten Welt durchzieht sein gesamtes Spiel – und damit die ganze Wirklichkeit. Das hat auch etwas mit mönchischer Identität zu tun, die der bereits zitierte Michael Casey wie folgt umschreibt: “Die Selbstverwirklichung des Mönchs ist die Selbsttranszendenz. Die Fremdheit des mönchischen Lebens sorgt dafür, dass man ein Leben lang das Gefühl hat, den Boden unter den Füßen zu verlieren”. Man kann das auch in den Soundwellen von Hauschka erfahren: keinerlei Selbstbeweihräucherung ist da zu hören. Eher fühlt man sich dazu eingeladen, sich auf die Suche nach der eigenen Identität zu machen. Der Auftrag lautet: Entfremde dir die Welt, dann ist dein Spiel etwas ganz besonderes.

Wo sind heute die verspielten Sonderlinge? Sind sie in den Klöstern und auf den Bühnen des Lebens zu finden? Strahlen sie die Schönheit der Melodien aus, die in den Chorgestühlen und Klavieren des Lebens klingen? Vielleicht kann der Tischtennisball von Hauschka auch manchen Mönch wachrütteln: diese Kunst bringt auch die Verspieltheit des geistlichen Wachstums zum Ausdruck. Zumindest – für jeden, der sich dafür öffnet. Ob der Klavierpräparateur das selber auch so erfährt? Vielleicht nicht. Das ist auch nicht nötig, denn auf dem mönchischen Weg sind jede Menge Sonderlinge unterwegs – auf jedermanns Klosterpfaden. Nur verspielt sind sie leider längst nicht alle.

Der Besucher des romantischen Musikfestivals, wo Hauschka auftritt, befindet sich in einem Wechselbad der Gefühle, zwischen den schrillen Glissandi des Streichquartetts, das inzwischen moderne Klänge fabriziert, und den insistierenden Klangschüben des präparierten Klaviers. In den weich gepolsterten Stühlen der modernen Philharmonie mag es manchem dadurch unbehaglich zumute werden. Der Mönch im Menschen versteht jedoch genau, was hier passiert. Der Weg nach innen setzt nämlich den Weg nach außen voraus: sich auf sonderbare Weise Material und Klang zuzueignen und so die Welt zu präparieren.

Das ist aber bei aller Verspieltheit nie ein Selbstzweck. Es geht nicht um den Effekt, sondern um die Haltung. Klangalchimist, mönchischer Spieler oder verspielter Sonderling: Hauschka zeigt uns an diesem Abend und bei seinen vielen Klangexperimenten, wie man die Welt buchstäblich musikalisiert. Das eigene Innere kommt dadurch zum Klingen. Der Mann mit dem alternativen Outfit bestätigt das: “Wir romantisieren die Wirklichkeit, indem wir vollkommen im Jetzt sind, im Material, im Klang, in uns selbst. Dadurch verändert sich die Welt!” Schon wieder eine sehr spirituelle Aussage, sonderbar und verspielt – aus dem alchimistischen Klangkörper des anonymen Mönchs – fremd in der Stadt, so gehen wir an jenem Abend nach dem romantisches Musikfestival wieder nach Hause, durch die Stadt, in unser eigenes Kloster. Abandoned city!

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