Schäuble: ein eisiges Telefonat in eisiger Zeit
51. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Armut – viele in Deutschland denken dabei an ALDI-Kartoffeln und den Verzicht auf Urlaubsreisen. Tatsache ist aber: in Griechenland tötet die Armut schon jetzt. In Krankenhäusern fehlen Medikamente und Personal. Angehörige betreuen die Kranken in ihren Betten und besorgen – wenn überhaupt noch Geld da ist – die Arzneimittel. In den Flüchtlingslagern erfrieren – gepeinigt von der momentanen Kältewelle – Menschen. Es ist keine polemische Übertreibung mehr, dass in Griechenland die Renditen der Gläubiger vor dem Recht auf Leben rangieren. Obwohl dies wohl in keiner Verfassung der Welt so steht, ist es bittere Realität. Kältewelle – es ist wohl ein mehrdeutiges Wort in dieser Zeit. Zum Glück gibt es noch Solidarität – auch unter den Lesern dieser Seite. (Holdger Platta)
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
Ihr wisst es natürlich schon längst: wer sich auf die Mainstream-Medien verließe, der wüsste über die derzeitige Situation in Griechenland fast gar nichts. Und: es ist nicht gerade ein erfreulicher „Job“, diese Informationslücken im Rahmen meiner wöchentlichen Berichterstattung wenigstens ein wenig zu schließen. Aber es ist – leider – erforderlich, und ich möchte mich auch heute erneut dieser Aufgabe stellen. Wobei ich vorausschicken will: auch ich bin außerstande, alles mitzuteilen, was eigentlich mitgeteilt werden müsste. Es würde Euch als LeserInnen überfordern, ebenso aber auch mich.
Zunächst möchte ich nochmal das Problem der Arbeitslosigkeit aufgreifen in diesem von den Euro-Staaten derart brutal drangsalierten Land. Schon in der letzten Woche teilte ich Euch mit, dass in 350.000 griechischen Familien niemand mehr einen Job hat, dass rund 90 Prozent der Unterstützungsbedürftigen vom Staat kein Geld mehr bekommen, daß Griechenland mit seiner Arbeitslosenquote von über 23 Prozent in der europäischen Elendsstatistik den „Spitzenplatz“ einnimmt. Doch dank zusätzlicher Recherchen von Tassos Chatzatoglou präzisiere ich heute diese Angaben noch. Ich zitiere aus seinem Bericht vom Beginn dieser Woche, der auf Mitteilungen des Griechischen Statistischen Amtes ELSTAT beruht sowie auf Zahlenmaterial der griechischen Gewerkschaft GSEE:
„Die Arbeitslosen, die länger als 12 Monate arbeitslos sind (820.00 Arbeitslose), machen 73,8% der Gesamtzahl aus. Nur 10% der Arbeitslosen bekommen Arbeitslosengeld in Höhe von 400 €, 1,5% bekommen 700 €, und der Rest bekommt nur eine Unterstützung von 200 €. Im Durchschnitt sind die Arbeitslosen mehr als 2,5 Jahre ohne Arbeit. Bei 350.000 Familien hat kein einziges Familienmitglied eine Arbeit. Die Anzahl der Frauen unter den Arbeitslosen macht 27,2% aus. Die Arbeitslosigkeit unter der Jugendlichen von 15-24 macht 46,9 % aus.
Um das Elend zu lindern, hat die Regierung den Pensionisten mit weniger als 400 € eine einmalige Unterstützung einer doppelten Pension gegeben. Schäuble hat das gar nicht gefallen. Er hat Kyriakos Mitsotakis, den Chef der Oppositionspartei Nea Dimokratia, angerufen, um die einmalige Hilfe im Parlament zu stoppen. Der Parteisprecher der ND hat das im Fernsehen zugegeben.“
Dass Tassos Chatzatoglou in seiner Bilanz dieser Fakten Griechenland als „Protektorat von Schäuble“ bezeichnet, verwundert angesichts dieser Tatsachen nicht. Und ich stimme auch – ganz ausdrücklich! – seiner Einschätzung zu, dass dieser Versuch unseres Finanzministers, sich der Nothilfe der griechischen Regierung in den Weg zu stellen, schlicht als „Sauerei“ zu bezeichnen ist. Wie anders sollte man auf den Punkt bringen, was da unser Christenpolitiker aus dem „Schwabenländle“ betreibt? Er wird nicht Not gelitten haben, dieser Spitzenvertreter einer angeblich christdemokratischen Partei. Für ihn wird Weihnachten, das Fest der Liebe, ein schönes Fest gewesen sein. Die Not will er lieber andere spüren lassen, dafür greift dieser Herr sogar extra zum Telefon. Man fasst es nicht!
Doch das ist ja nicht das einzige, was Griechenland derzeit aufs schlimmste zu schaffen macht. Selbst der Winter, selbst die unbeeinflussbare Meteorologie, wird unter diesen polit-ökonomischen Bedingungen, die von den Euro-Staaten über das Land am Mittelmeer verhängt worden sind, zum menschenbedrohenden Problem. Und auch zum Beleg dieser These möchte ich einen Gewährsmann zitieren, der die Verhältnisse in seinem Heimatland aus eigener Anschauung kennt, den griechischen Journalisten Wassilis Aswestopoulos. Am Wochenanfang teilte er unter dem Titel „Eisige Zeiten für Flüchtlinge und Griechen“ den LeserInnen zum Beispiel das Folgende mit:
„EU lässt Griechenland mit Flüchtlingen allein, die Kältewelle forderte unter Griechen erste Todesopfer, Ursache ist auch die hohe Besteuerung der Brennstoffe.
Aus dem Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos kommen erschreckende Bilder. Griechenland befindet sich unter dem Einfluss einer für das Land äußerst seltenen Kältewelle, selbst Strände im Süden sind eingeschneit.
Unter diesen Wetterbedingungen müssen die Flüchtlinge in den Hotspots auf den griechischen Inseln in Zelten in dichtem Schnee überleben. (…) Die EU-Kommission wäscht derweil ihre Hände in Unschuld. Für sie ist allein Griechenland für die Versorgung der aufgrund des EU-Deals mit der Türkei auf Inseln festsitzenden Flüchtlinge verantwortlich.
Nachdem am Sonntag noch Fotos aus dem Camp von der staatlichen Nachrichtenagentur ANA-MPA an die Presse gingen, besteht nun auch ein Verbot das Lager von außen zu fotografieren. Das Problem soll schlicht totgeschwiegen werden, während gleichzeitig Minister wie Bürgerschutzminister Nikos Toskas vor die Kameras treten und behaupten, man habe sämtliche Flüchtlinge nun in irgendwelchen Hotels untergebracht. Die Insel Lesbos ist ebenso wie zahlreiche andere Inseln zeitweise ohne elektrische Stromversorgung.
(…)
Andernorts sieht es auch für die Griechen nicht gut aus. Im Ort Kymi auf Euböa müssen die Bewohner ohne Strom- und Wasserversorgung auskommen. (…) Die Insel Alonissos ist seit drei Tagen ohne Telefon, Wasser, Strom und damit auch ohne Heizung. Die Versorgung der Inseln per Schiff ist wegen des schlechten Wetters und des damit verbundenen Ablegeverbots für Seefahrzeuge beinahe komplett zusammengebrochen. (…)
Die Temperaturen im Land sind sehr niedrig, mit der tiefsten Temperatur von -19 Grad Celsius im nordgriechischen Florina. Selbst in Athen herrschen Minusgrade. Charakteristisch ist, dass es auch auf der ionischen Insel Kefalonia zum ersten Mal seit dreißig Jahren Schnee gab.
Ebenso wie in den Wintern seit Beginn der Staatsfinanzkrise gibt es auch dieses Jahr Tote wegen der verordneten energetischen Armut. Die Besteuerung fossiler Brennstoffe wurde zum ersten Januar noch einmal erhöht. Griechenland befindet sich nunmehr gemäß den Statistiken unter den sechs Ländern der Welt mit der höchsten Steuer auf fossile Brennstoffe.“
Sind das parteiische Dramatisierungen eines befangenen Journalisten, der Propaganda zu betreiben versucht für sein Heimatland? – Nun, in der Gestalt einer winzigen Meldung vom heutigen Freitag, nachzulesen in unserem Regionalblatt „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“, hat die Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe, Cornelia Füllkrug-Weitzel, diesen Bericht von Aswestopoulos bestätigt, und zwar einschränkungslos. In Griechenland und den Balkanstaaten drohe „eine humanitäre Notlage“, heißt es da; und weiter: der Wintereinbruch „erschwere die Lage für die Menschen, und sei teils lebensbedrohlich“. Wolfgang Schäuble, dieser Christenmensch aus Baden-Württemberg, hätte wohl besser mit dieser Mitchristin Füllkrug-Weitzel telefonieren sollen statt mit dem Konservativen-Kumpel Mitsotakis aus Griechenland! – Sage mir, mit wem Du sprichst, und ich sage Dir, wer Du bist…
An dieser Stelle sei kurz eingeschoben, was in Reaktion auf meinen letzten Bericht in der Kommentarspalte von HdS diskutiert worden ist, eine Auskunft nämlich zur EU-Kommission. Nun, ein Schäuble gehört diesem Gremium nicht an, auch eine Merkel nicht und nicht ein Francois Hollande, um zwei weitere wichtige Regierungsvertreter des Euro-Europas zu nennen. Aber: ohne den Segen dieser Kommission läuft in Europa gar nichts, und ohne den Segen eben dieser europäischen Führungs“elite“ ebenfalls nicht! Und: diese EU-Kommission, wie bereits von mir in einem Kommentar mitgeteilt, agiert völlig unabhängig von dem, was das europäische Parlament so meint und beschließt (= Papier ist geduldig). Diese EU-Kommission – man glaubt es kaum – ist nicht nur (was bei parlamentarischer Kontrolle ja noch angehen könnte) so etwas wie die „Regierung“ der EU – dies die Formulierung im einschlägigen Wikipedia-Artikel, gleich zu Beginn –, sie, diese EU-Kommission, stellt also nicht nur die „Exekutive“ der europäischen Gemeinschaft dar. Nein, sie besitzt auch das „alleinige Initiativrecht im EU-Gesetzgebungsverfahren“ (Wikipedia dito), stellt demzufolge gleichzeitig auch die „Legislative“ des vereinten Europas dar. Und, auch dieses noch, sie, die EU-Kommission, verfügt als „Hüterin“ der Europäischen Verträge auch noch über „judikative“ Rechte (etwa vergleichbar der Funktion eines Staatsanwaltes) gegenüber allen Einzelstaaten der EU und kann gegen diese Staaten sogenannte „Vertragsverletzungsverfahren“ einleiten beim Europäischen Gerichtshof. Kurz: auf sogenannter EU-Ebene gelten Grundprinzipien der Demokratie – Parlamentarismus und Gewaltenteilung – schlicht und ergreifend nicht oder lediglich in Schwundform. Mir scheint: nicht zuletzt aus diesem Grunde laufen mehr und mehr Wählerinnen und Wähler diesem Europa davon. Was als großes Friedensprojekt begann, wurde niemals wirkliche Demokratie! Und ein soziales Projekt, das die Menschen vor Armut und totalem sozialen und ökonomischen Absturz beschützt, schon gar nicht. Siehe Griechenland!
Womit ich, ein letztes Mal heute, aus einem Bericht zitieren will, und wiederum aus einem Bericht, den ich von Tassos Chatzatoglou zugeschickt bekam, gestern nämlich, am Donnerstag. Dieser Bericht führt uns direkt wieder nach Griechenland zurück, nahe wieder an die Menschen heran, und zeigt, welche Aufgabenfülle in allernächster Zeit von uns zu bewältigen sein wird:
„Dass in Griechenland alles den Bach runter geht, ist keine neue Nachricht! Dass es aber in den Krankenhäusern so zugeht wie in den Kriegszeiten, habe ich zwar geahnt, habe es mir aber nicht vorstellen wollen.
Soeben erhielt ich eine Schreckensnachricht aus dem bedrängten Griechenland.
Das Krankenhaus Sotiria ist ein staatliches Krankenhaus. In der sechsten Klinik (Pneumologie) sind die Zimmer doppelt und dreifach belegt. 10 Betten in einem Zimmer sind keine Seltenheit. Auf Grund der Sparmaßnahmen wurde das Personal dramatisch reduziert. Die Betreuung der Patienten übernehmen die Angehörigen. Auch die Medikamente decken nicht den Bedarf, sodass die Angehörigen jeden Tag in der Frühe einen Zettel mit den nicht vorhandenen, aber notwendigen Medikamenten in die Hand bekommen, um diese in der Apotheke zu besorgen. Am 12.01.2017 verstarb im Zimmer 165 im ersten Stock eine ältere Frau. Es war genau 12:55 Uhr. Keiner vom Personal war anwesend oder verfügbar. Um 15:15 Uhr wurde die Verstorbene vom Pfleger abgeholt. Die Angehörigen der anderen Patienten waren fassungslos, wussten nicht, was sie machen sollten. Sie haben das Personal, das für die Essensausgabe zuständig ist, gefragt. Diese meinten, dass im ganzen Krankenhaus nur ein Pfleger arbeitet!
Aus Andros, Athen und Korydallos bekomme ich fast täglich Meldungen über bedürftige Mitmenschen. Für Andros werden wir ca 1.000 € brauchen, um Stromrechnungen, Lebensmittel und Medikamente, laut Aufstellung von Frau Alexaki, zu bezahlen. Der Defibrillator für das Nikea Krankenhaus ist noch zu besorgen, und die Athener Bedürftigen warten auf unsere Hilfe! Wie Ihr seht, die nächste Reise wird im Februar notwendig sein.“
Liebe HdS-Leserinnen und HdS-Leser, es versteht sich von selbst, daß wir uns dieser Hilfsaufgabe stellen werden. Bis dahin aber – leider, es wird nötig sein – muss noch einiges an weiteren Spendengeldern gesammelt werden. Knapp 6.000,- Euro befinden sich derzeit auf unserem Hilfskonto, einigermaßen „bedarfsdeckend“ wäre erst der doppelte Betrag. Ob wir das schaffen werden?
In der letzten Woche übrigens ging das Spendenvolumen doch ganz erheblich zurück. 215,- Euro, überwiesen von 5 SpenderInnen, mehr waren es diesesmal nicht. Gleichwohl: herzlichen Dank an unsere UnterstützerInnen! Und klar ist uns OrganisatorInnen auch, dass unser „Weihnachtsergebnis“ von über 2.600,- Euro selbstverständlich ein Ausnahmefall war. Nunja: wieso Ausnahmen dieser Art nicht zur Regel werden lassen? 🙂
Und damit – wieder einmal – zu den obligaten Schlußhinweisen. Also:
Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, und wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „HDS“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):
Peter Latuska
Theodor Heuss Str. 14
37075 Göttingen
Email: latuskalatuska@web.de
Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta