Schlimmer als in einem KZ: die Unterbringungsverhältnisse in Kara Tepé auf Lesbos in Griechenland

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

249. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Drei Themen widme ich mich heute in meinem Bericht: der Militarisierung der griechischen Haushaltspolitik, zulasten sozialer Hilfsprogramme in Griechenland; dem Versagen auch der SYRIZA; und ein weiteres Mal den entsetzlichen Verhältnissen, wie sie in Kara Tepé, dem Nachfolgelager von Moira auf Lesbos, anzutreffen sind. Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

das Trauerspiel in Griechenland dauert an. Erforderlich wäre – Ihr wißt es seit langem -, dass selbst eine ultrakonservative Regierung wie die der „Nea Dimokratia“ (ND, Schwesterpartei der bundesdeutschen CDU) sich dazu entschließen könnte, endlich zwei Hauptprobleme in ihrem Land aufzugreifen: die soziale Lage von mindestens 3,5 Millionen Menschen zu verbessern, von Arbeitslosen, von Bedürftigen im untersten Lohnsektor und von Asylbewerbern, sodass alle diese  Betroffenen herausfinden könnten aus bitterster Armut. Und die zweite Hauptaufgabe wäre, endlich für erhebliche Verbesserungen zu sorgen im griechischen Gesundheitssystem, das unter den Corona-Bedingungen weniger denn ja in der Lage ist, auch nur annähernd noch die Versorgung aller Kranken sicherzustellen. Aber: die quasi-christdemokratische Regierung unter Kyriakos Mitsotakis denkt nicht daran! Und selbst die nach wie vor wichtigste Oppositionspartei in Griechenland, die SYRIZA unter Alexis Tsipras, erweist sich als unfähig, der menschenfeindlichen Politik der ND entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen.

Konkret: Zwar hat sich die reaktionäre „Nea Dimokratia“ Mitte Dezember 2020 entschieden, bei den Beschlüssen über den Haushaltsplan für dieses Jahr, zwei Milliarden Euro für den „Schutz von Arbeitsplätzen“ zur Verfügung zu stellen. Wohlgemerkt: zum Schutz von Arbeitsplätzen, nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen und schon gar nicht für höhere Löhne, für den Aufbau also seit langem überfälliger Sozialprogramme, für eine Politik, die endlich die Beseitigung der Not von Millionen von Menschen zu ihrem Hauptziel erklärt. Und wer ein bisschen zu rechnen versteht und diese 2 Milliarden für den „Schutz von Arbeitsplätzen“ in Beziehung setzt zur Zahl der notleidenden Menschen in Griechenland, zu jenen 3,5 Millionen Menschen, die ich eingangs erwähnte, der landet bei einem Plus-Betrag von 571,- Euro pro Person im gesamten Jahr 2021 (wenn es denn tatsächlich ein echter Plus-Betrag ist – nicht einmal das scheint wirklich sicher!).

Einfachste Rechnerei ergibt, dass dieser Geldzuwachs für die Ärmsten der Armen gerademal ein Mehr von knapp 48 Euro pro Monat ergäbe. Wir selber, die kleine Hilfsinitiative „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“, benötigen keine Belehrungen mehr, dass ein solcher Minibetrag keinen der Menschen, denen wir zu helfen versuchen, befreien könnte aus dem Elend seines Lebens weit unterhalb eines menschenwürdigen Existenzminimums: eine Panagiota K. nicht, die als arbeitslose Mutter mit drei Töchtern längst schon in der Obdachlosigkeit gelandet wäre, wenn nicht wir – bis auf weiteres jedenfalls – zur Gänze ihre Mietkosten übernehmen würden (= 220,- Euro pro Monat); einen Alexander S. nicht, den Schauspieler aus Athen, der immer noch auf seine erste Rentenzahlung wartet; und auch nicht einen Dionysis, den Jungen mit seiner Vielfach-Allergie gegenüber Nahrungsmitteln, dem wir pro Monat rund 100,- Euro für seine lebensrettende Diät zu überweisen vermögen.

Doch wofür gibt diese Regierung stattdessen die Gelder aus? Welcher Etatbereich darf sich einer Geldaufstockung in der Höhe von 3,1 Milliarden Euro erfreuen, satte 57 Prozent mehr als im Vorjahr 2020 noch? – Erraten: es ist der griechische Militäretat! Und Länder wie Frankreich und die USA, wie die Niederlande, Großbritannien und Deutschland stehen schon Schlange – präziser: die Rüstungskonzerne dort -, um das sozial kaputtreglementierte Griechenland mit neuen Hubschraubern, Drohnen, U-Booten und Kampfjets beliefern zu können.

Aber was tat die SYRIZA, als die Regierungspartei der „Neuen Demokraten“, einstimmig natürlich, diesen Beschlüssen zustimmte beziehungsweise ihren Segen gab? – Falsch, sie stimmte nicht dagegen, sie opponierte nicht gegen diesen Kurs einer weiteren Militarisierung Griechenlands statt des Aufbaus wirksamer Sozialhilfeprogramme! Sie, die SYRIZA, enthielt sich der Stimme, mehr nicht! Griechenland, ein Staat ohne Alternativen? – Nun, die Tsipras-SYRIZA jedenfalls ist diese Alternative nicht!

Noch viel schlimmer stellt sich die Situation in Griechenland dar, wenn man erneut den Blick auf dessen Asylbewerberpolitik wirft und sich – zum Teil sollte man dieses Tätigkeitswort wirklich wörtlich verstehen! – anschaut, was in diesem Bereich passiert.

Ja, ich möchte ein weiteres Mal berichten über die Situation in Kara Tepé, dem Nachfolgelager von Moira auf der Insel Lesbos. Und ich möchte dieses einmal auf sehr persönliche Weise tun – trotz allen Missverstehens, das sich dabei einstellen könnte, auch unter Euch, den LeserInnen von HdS. Um es schon jetzt zu sagen: um ein Gleichsetzen des einen mit dem anderen geht es nicht, sehr wohl aber stelle ich im Folgenden ein Vergleichen an. Konkret mithin – oder auch: der Reihe nach!

Im September des Jahres 1987 besuchte ich mit meiner Frau Auschwitz. Bei herrlichstem Sonnenschein sahen wir uns zunächst das sogenannte „Stammlager“ von Auschwitz an, einer Ansammlung ehemaliger Kasernengebäude, errichtet aus dunkelrotem Klinkerstein – soweit ich mich erinnere, alle Häuser auch mit Kellern versehen. Später erst, am Nachmittag, fuhren wir dann auch hinaus nach Auschwitz-Birkenau, zu jenem riesigen Areal auf freiem Feld, wo auch heute noch ein Teil der Holzbaracken steht, in denen die inhaftierten Menschen damals zu hausen hatten.

Woraufhin die Unterkunft in diesen Häusern und Baracken zielte, wissen wir alle: Tod durch Arbeit, Tod durch Verhungern, Tod durch Zyklon-B. Aber an dieser Stelle riskiere ich den auf manche vielleicht anstößig wirkenden Satz: die Unterbringung in dem Asylbewerbercamp Kara Tepé – ich rede nur von der Unterbringung hier! – ist ungleich schlimmer als die Unterbringung der Opfer seinerzeit im Todeslager von Auschwitz-Birkenau und schon gar auf dem Areal des sogenannten „Stammlagers“ Auschwitz war! Was die Unterbringung betrifft, was den Schutz vor Kälte, vor Regen und Schnee und Sturm, vor Schlammwellen betrifft, die in die durchnäßten Zelte ohne jeden Bodenschutz dringen, stellt Kara Tepé einen schlimmeren Ort als Auschwitz dar! Und dieses leistet sich ein Land jetzt, dieses leistet sich ein Land der europäischen Gemeinschaft, dieses leistet sich ein Land, das sich Demokratie nennt, dieses leistet sich ein Land, ohne dass die anderen europäischen Länder, ohne dass die EU dieser bestialischen Behandlung von  Menschen nicht  schon längst ein Ende gesetzt hätte!

Es ist erst wenige Tage her, dass ich zum ersten Mal einen längeren Filmbericht über die Zustände in Kara Tepé sah. Seitdem lassen mich diese Bilder nicht mehr los – und auch nicht die Erinnerungen an das Konzentrationslager Auschwitz!

Noch einmal: was in Kara Tepé zu sehen ist, das ist kein Aufenthaltsort für Menschen, denen geplanter Mord bevorsteht, wie das in Auschwitz der Fall war. Aber Kara Tepé ist ein Ort, in dem von der Regierung Griechenlands der Tod von Menschen, die an diesen Verhältnissen zugrundegehen, billigend in Kauf genommen wird! Und diese Todesfälle gibt es ja schon, die Suizide, das Erkranken und Sterben an den Lebensbedingungen dort. Gehungert wird auch in Kara Tepé, der Rattenbisse wegen verbreitet sich Tetanus im Lager, vor allem Kinder sind davon betroffen.

Ich breche an dieser Stelle meine Beschreibung der Zustände in Kara Tepé ab. Erwähne nur noch, dass derzeit um die 7.500 Menschen unter diesen Bedingungen dort dahinvegetieren müssen, ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Und erinnere nur noch einmal daran: das ist in einem Land wahrzunehmen, das ist in einem Land Realität, das im laufenden Jahr 3,1 Milliarden Euro mehr für seine Aufrüstung ausgeben will. Unter einem Ministerpräsidenten, der sich selber für einen Christen hält. Und mit seinem Land Mitglied einer Staatengemeinschaft ist, die sich selber immer mal wieder auf ihre abendländisch-christlichen Traditionen beruft. In Kara Tepé kann man besichtigen, daß solche Verlogenheit tödlich sein kann.

Uns jedenfalls bleibt nur eins: mit unserer Menschlichkeit dagegenzuhalten. Deswegen ist es kein Zufall mehr, dass wir mehr und mehr auch Asylbewerber in Griechenland unterstützen werden – wenn wir denn können.

Womit ich auch beim Schluss meines heutigen Berichtes bin, bei den Spenden, die während der letzten Woche bei uns eingegangen sind. Nun ja, es waren leider nur 150,- Euro, überwiesen von 2 SpenderInnen an uns (Vorwoche: 465,- Euro, 11 SpenderInnen). Ich danke den beiden UnterstützerInnen sehr. Und hoffe, mit allen anderen aus unserem Team, dass wir in der nächsten Woche wieder bessere Zahlen werden präsentieren können. Hier jedenfalls, wie immer an dieser Stelle, mein Aufruf oder mein Appell:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Mit herzlichen Grüßen

Euer Holdger Platta

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Freiherr von Anarch
    Antworten
    Vernichtungslager !

    Das ist der Begriff den man hier als reale Bezeichnung anwenden muss, Lager und Vernichtung !

    Zuerst werden Psyche und Seele vernichtet, dann der seelenlose Körper.

    Die aus den Flüchtlingsdeals übriggebliebene Menschenmasse, aus welchen nun kein politisches oder tatsächlich Geldkapital mehr zu schlagen ist, nicht mehr als politisches Durchsetzungs- und Erpressungsmaterial mehr zu mißbrauchen ist –

    soll nun in diesem Endlager verrecken, jedenfalls nach Meinung und Verhalten dieser EU-Gemeinschaft.

    Und über all diesem unfassbaren und nicht mehr wirklich zu beschreibendem EU-Verbrechen thront vonderLayen, die freilich ihre Kinder nicht dorthin schicken würde.

    Und es gibt nun keine Befreiungsarmee die das Grauen beendet, keinen Prozeß gegen die Verbrecher und eigentlich auch keine Ankläger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

    Das Grauen ist political business as usual geworden, das Zulassen und Wegschauen, Dulden dort wo man das Grauen jederzeit als politische Machtinstanz beenden könnte.

    Und die Justiz ? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ?

    Empathie hatte noch nie sonderlich viel Platz in Machtinteressen, aber in dieser neuen Zeit nun hat man sich in den politisch-verantwortlichen Machtzentren ihrer konplett entledigt, einem Gewissen ebenso.

    Und genau deshalb sind die Vernichtungslager entstanden, damals wie heute wieder.

    Einzig die Zivilgesellschaften könnten noch helfen, aber denen wird es zunehmend verboten, unmöglich gemacht, von den politischen Machtzentren.

    Transhumanismus !

     

     

     

     

     

     

     

     

  • A.K.
    Antworten
    Kara Tepe ist ein Verbrechen und gehört vor den internationalen Gerichtshof.

    Genauso wie die Zustände in Bosnien und vielen Orten in Europa.

    Alle politisch derzeit Verantwortlichen wie Seehofer an vorderster Stelle gehört angeklagt.

    Aber wo kein Kläger da kein Richter.

    Die Verrottenheit dieser Gesellschaft kennt keine Grenzen mehr.

     

     

  • Die A N N A loge
    Antworten
    Kara Tepe ist ein gewolltes Verbrechen, wie die Lager in Bosnien auch. Die EU schaut weg und man wundert sich, dass die Flüchtlingsheime hier wieder Plätze frei haben.

    Es muss doch möglich sein, vor Ort Unterbringungsheime zu schaffen, die Schutz vor Schnee, Regen und Kälte bieten, fließend Wasser, Heizung, Toiletten und Duschen! Es muss doch möglich sein, den Flüchtlingen eine ausreichende Ernährung und medizinische Versorgung zu bieten. Die EU kann doch nicht Menschen mitten unter uns einfach ihrem Schicksal überlassen!

    Wer es schafft, Milliarden Unterstützung für Impfstoffe bereitzustellen, dem ist es finanziell auch möglich, Gelder für eine angemessene Unterbringung für Flüchtlinge bereitzustellen.

    Ich wette, man hätte genügend Geld zusammen, wenn man für jede Impfung in Europa 1,- Euro für Cara Tepe und das Flüchtlingslager in Bosnien spenden würde.

    Am 16.04.2016 besuchte Papst Franziskus die Insel Lesbos und das Lager Moria. Die Worte, die er an die europäische Staatengemeinschaft richtete, waren deutlich. Und die Staatengemeinschaft? Sie spendierte dem ganzen 3 Minuten im Fernsehen, das war’s.

    https://youtu.be/G1g5J_UiMao

  • Peter+Boettel
    Antworten
    Bei diesen zum Himmel schreienden Problemen ist leider keinerlei Kritik und auch sonst nichts von dem Darsteller im Außenministerium, Maas, zu lesen oder zu hören. Ebenso ist nichts von “christlich” bei den Unionsparteien in diesem Fall zu spüren.

    Bei einem Navalny wurde, obwohl die Urheber der Vergiftung bisher nicht bewiesen sind, wurde in einem Einzelfall viel Aufhebens mit hohen Kosten und Sanktionen gemacht, aber wenn viele Menschen mit Wissen und sogar Hilfe der von einer Schwesterpartei geführten griechischen Regierung und Duldung einer EU zugrunde gerichtet werden, rührt sich kein Sch….

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