Seichtspiritualität als Vorläufer des Postfaktischen

 In Politik (Ausland), Spiritualität
Münchhausen - erster Protagonist des Postfaktischen - oder ein echter Spiri?

Münchhausen – erster Protagonist des Postfaktischen – oder ein echter Spiri?

Trump lügt wahrscheinlich noch viel drastischer als seine Vorgänger im Amt und das Gros seiner Politiker-Kollegen. Die spirituelle Szene hat diese nun “postfaktisch” genannte Haltung mit ihrer stereotyp wiederholten Aussage “Jeder kreiert sich seine Realität selbst” mit vorbereitet. “Wir Spiris” haben uns nun also immerhin in dieser Hinsicht – peinlich, peinlich – als Avantgarde erwiesen: Die Seichtspiritualität hat den Rechtspopulismus mit vorbereitet und mit ihrem “Es ist wie es ist” (Subtext: Wir müssen nur lernen es hinzunehmen) dem konsum- und wachstumsgeilen Neokapitalismus in die Hände gespielt. (Wolf Schneider, Erstveröffentlichung auf www.connection.de)

War es das Herz der Deutschen, das sich in den 30er Jahren Hitler zugewandt hatte, oder ihr Verstand, ihre Intuition, ihr Bauchgefühl? Und welcher Teil der US-amerikanischen Seele hat sich im vergangenen Jahr Trump zugewandt?

Ist das Ego der dunkle Schatten des Herzen, der unbewusste, nicht akzeptierte Teil in uns, und in Trump und den Rechtspopulisten revoltiert dieser hässliche Teil von uns nun gegen die verhasste politische Korrektheit, die sich vernünftig nennt, aber gar nicht vernünftig ist?

Die Revolte des Ego

Ich sehe in den heutigen politischen Erdbeben Bewegungen, die sich in den spirituellen Subkulturen schon angedeutet haben und die von mir als Herausgeber der Zeitschrift Connection dort in diversen Ausprägungen beschrieben wurden. Die Rehabilitation des Ego, der ungelöste Kopf/Herz/Bauch-Konflikt, die Indifferenz der Spiris gegenüber ethischen Erwägungen, mit alledem habe ich mich in Connection jahrelang beschäftigt. Nun tauchen diese Themen auch ‚in der großen Politik‘ auf, zum Beispiel im Wiederauferstehen des Nationalismus, des nationalen Ego, in Trumps Motto »America first«. Die meisten der Beobachter sind davon überrascht, als hätte man nicht ahnen können, was da kommt.

Die Rache der Fundamentalisten

Auch ‚die Rache der Fundamentalisten‘ an der nur oberflächtlich vollzogenen Aufklärung gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist eigentlich nicht erstaunlich. Dieser leider nur unvollständigen Aufklärung folgte im 19. Jhd. die Restauration der alten Kräfte, was dann im 20. in die beiden Weltkriegen mündete. Heute erhebt mit Trump & Co dieselbe Hydra wieder ihr Haupt. Der Fluch der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« des Menschen (so nannte es Immanuel Kant in seiner Definition der Aufklärung) ist noch nicht aufgehoben. Wir müssen raikaler werden, um den Knoten lösen, wir müssen bis an die Wurzel gehen, um uns selbst zu verstehen.

Heute würde ich das Problem der aktuellen politischen Unordnung (Naturzerstörung, soziale und militärische Gewalt, Armut & Ausbeutung mitten im Überfluss) mit einem Begriff aus der Computerwelt so formulieren: Wir brauchen ein neues Betriebssystem der Weltzivilisation; ein paar neue Apps, die auf das alte System geladen werden, genügen nicht. Leider werden, wenn überhaupt etwas Neues, fast überall nur neue Apps angeboten, und das sowohl im pro-Trump wie im anti-Trump-Lager.

Seichtspiritualität als Vorläufer des Postfaktischen

Meine Antwort auf das Aufkommen des »Postfaktischen« ist: Wir müssen den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion verstehen. Die Welt versteht die Bedeutung des Fiktiven nicht, des Erfundenen und Gestaltbaren, wozu die gesamte Kultur gehört und die Strukturen von Politik und Wirtschaft, als Folge der menschlichen Ich- und Wir-Identitäten.

Die Aussage von Trumps Pressesprecher Sean Spicer über die Anzahl der bei der Amtsübernahme von Trump in Washington Anwesenden ist für das Postfaktische typisch. Spicer: »Es war das größte Publikum, das jemals eine Amsteinführung sah. Basta! Sowohl direkt vor Ort als auch auf der ganzen Welt.« Vor Ort waren es geschätzte 250.000 gewesen. Bei Obama mindestens das doppelte, wie verschiedene Schätzungen sagen, und auch die folgenden Luftbilder zeigen den Unterschied:

Auch das TV-Publikum war beim Trumps Amtseinführung geringer als bei Reagan, Obama, Carter und Nixon. Auf den Protest der internationalen Medien hin antwortete die Trump-Beraterin Kellyanne Conway, Spicer habe keine Falschaussage gemacht, sondern lediglich »alternative Fakten« präsentiert. Das Trump noch viel drastischer lügt als seine Vorgänger im Amt und das Gros seiner Politiker-Kollegen, darauf will ich jetzt nicht eingehen, sondern darauf hinweisen, dass die spirituelle Szene diese nun »postfaktisch« genannte Haltung mit ihrem stereotyp wiederholten Mem »Jeder kreiert sich seine Realität selbst« gut vorbereitet hat. ‚Wir Spiris‘ haben uns nun also immerhin in dieser Hinsicht … peinlich, peinlich … als Avantgarde erwiesen: Die Seichtspiritualität hat den Rechtspopulismus mit vorbereitet und mit ihrem »Es ist wie es ist« (Subtext: Wir müssen nur lernen es hinzunehmen) dem konsum- und wachstumsgeilen Neokapitalismus hin die Hände gespielt.

Obamas Nemesis

Am 23. Juli habe ich in meinem Blog über Trump als Obamas Nemesis geschrieben. Auch danach habe ich an verschiedenen Stellen immer wieder über Trump geschrieben, als Sympton und als Ursache, so z.B. in der Dez.-Ausgabe von KGS-Berlin über den Trump-Schock und in mindestens einem meiner Dialoge mit Martin Frischknecht von der Schweizer Zeitschrift Spuren. Andere haben das ausführlicher, besser und genauer getan, wobei ich allerdings die archetypische Dimension des Umgangs mit der männlichen Kraft vermisst habe und deshalb am 23. Juli in mein Blog schrieb: »Zu sehr hat Obama versucht ein Guter zu sein. Nun blickt er in Donald Trump der Fratze seiner Nemesis entgegen.«

Eine sehr gute aktuelle Zusammenfassung des Trump-Schocks als Identitätskrise des Westens fand ich bei dem holländischen Autoren Luc Sala, der v.a. auf Englisch schreibt, aber auch Deutsch spricht. Ich habe ihn voriges Jahr auf der Entheo-Science.de getroffen und möchte ihn im Mai besuchen.

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