Sich selbst heiraten: was bringt das?
Elisa Gratias gab sich vor über einem Jahr selbst das Ja-Wort. Hier berichtet sie über ihre Motive, den Verlauf der ungewöhnlichen Zeremonie und darüber, wie sich ihr Leben durch diese Entscheidung verändert hat. Auch wenn nicht jede/r diesen Schritt gehen mag – ein wenig mehr Selbstliebe täte den meisten von uns gut. „Vielleicht inspirieren mein Versprechen und dieser kleine Erfahrungsbericht auch andere dazu, sich ein Leben zu schenken, das sie und somit auch ihr Umfeld erfüllt“. (Elisa Gratias, https://flohbair.com)
Das klingt für viele befremdlich. Entweder sie haben schon einmal von solchen Aktionen gehört und tun sie als Modeerscheinung ab, oder sie belächeln mich. Was soll denn so etwas bringen? Mal abgesehen von dem außergewöhnlichen Spaß, den ich bei meiner Hochzeit hatte, kann ich heute nach über einem Jahr eindeutig feststellen, dass es mein Leben tiefgreifend verändert hat.
Die Hochzeit
Die Sonne strahlt vom blauen Himmel auf uns herab. Meine Blumenkrone flattert in der sanften Brise und hinter mir rollen die Wellen des Mittelmeers sanft auf den Sandstrand. Ein perfekter Tag. Vor mir sitzen Coralie, Antje, Joana und Petra schick gemacht im Sand und auf den Felsen. Die Videokamera ist eingeschaltet und ich lese laut vor:
„Heute, am 2. April 2017, hier in Es Trenc – Ses Covetes, gehe ich frisch und bewusst eine heilsame, liebevolle, lebendige Beziehung mit mir selbst ein.Mein Versprechen an mich selbst lautet:Ich möchte mich, Elisa Gratias, von jetzt an erkennen, achten und lieben.
Es ist möglich, dass der Pfad, der vor mir liegt, nicht immer einfach zu finden ist, dass es Höhen zu erklimmen und Täler zu durchschreiten gilt, und dass ich auch öde Gegenden durchwandern werde.Doch gleich wie es um mich herum oder in mir aussieht, wie dunkel oder hell, klar oder verwirrt, ich wähle, von nun an stets an meiner Seite zu sein. Ich bin mir eine gute Freundin und eine verlässliche Gefährtin.
Ich schenke mir die Sicherheit, die Kraft und die Freiheit, um mein Potenzial voll zu leben.
Wie habe ich mich nach mir gesehnt. Jetzt reicht das Hoffen nicht mehr aus. Ich bin bereit, voll in mir zuhause zu sein.Darum sage ich aus ganzem Herzen JA! Ja, ich will mich, Elisa Gratias, lieben, mich achten und mir treu sein, solange ich lebe.
Ich verspreche mir selbst ein Leben der Freude und des Wachsens.Ich verspreche, mich an guten und an schlechten Tagen, in Reichtum und in Armut, in Gesundheit und in Krankheit, zu lieben und zu ehren, solange ich lebe.Ich werde mir treu sein und ich werde ehrlich zu mir sein.
Ich werde mich kennenlernen. Ich werde mich respektieren und mir vertrauen, mir helfen, mir zuhören und für mich sorgen.Ich werde alles erlernen, was es braucht, um mich wirklich zu lieben.
Ich finde Frieden mit meinem Körper, meinen Gefühlen und meinem Verstand – genau so, wie ich bin.Gleichzeitig werde ich mich selbst herausfordern, ein wahrhaftiges, ein waches, ein gutes Leben zu führen.
Ich werde loslassen, was mir schadet, und kultivieren, was mir gut tut.Ich werde mein Leben auf eine mir würdevolle Weise gestalten.Ich werde mir meine Fehler vergeben – immer wieder, sanft und humorvoll.
Ich bin bereit, mich selbst, die Welt und das Leben besser zu verstehen, so dass ich dem Leben und meinen Mitmenschen in Freude dienen kann.In dem ich die Liebe in mir bejahe, kann ich sie mit Allem teilen. In dem ich vollständig in mir erwache, kann ich mich in Allem wieder erkennen. In dem ich Frieden in mir finde, bringe ich Frieden in die Welt.
Wann immer ich in Versuchung geraten sollte, mein Versprechen mir selbst gegenüber zu vergessen, werde ich mich daran erinnern und neue Kraft finden, es zu leben.Ich beauftrage die Weisheit meines Unterbewusstseins und meine Seele, mich klar und konkret zu lehren, was Selbstliebe bedeutet.
Alles, was in mir heilen muss, darf jetzt auf eine sanfte Weise heilen.Ich bin bereit, von heute an, mein ganzes Wesen und mein Leben zu lieben.Meine Selbstliebe verwandelt mich in eine Quelle der Liebe und Inspiration für jedes Wesen, welches mir begegnet. Möge meine Heirat mit mir selbst zum Wohle aller Wesen sein. So sei es.” (1)
Ich stecke mir den Silberring an, den ich als Symbol für meine Ehe gekauft habe. Er hat die Form eines Totenkreuzes und erinnert mich daran, dass ich mir ein Leben vor dem Tod gönne und nicht passiv warte, bis ich irgendwann in die ewigen Jagdgründe eingehe, ohne je gelebt zu haben.
Wir lassen Sektkorken springen und meine Freundinnen überraschen mich mit einer selbst gemachten Hochzeitstorte, auf der nur eine Braut steht. Ich lache, während mir gleichzeitig Tränen der Rührung in die Augen steigen. Es ist das erste Mal, dass ich mich bewusst und ohne schlechtes Gewissen selbst feiere und feiern lasse.
Nachdem ich meinen Brautstrauß geworfen habe, gehen wir in meine Lieblingsstrandbar. Fünf lustige Frauen in luftigen Kleidern und Overalls mit Blumen im Haar und knallroten Luftballons in der Hand. Wir ziehen alle Blicke auf uns und scherzen ausgelassen. Mir schmerzt der Bauch vor Lachen.
Später verteile ich Hochzeitstorte an sämtliche Restaurantgäste und die Kellner; Kindern schenke ich die Luftballons, auf denen groß das Wort „Love“ steht. „Ah, du verschenkst jetzt schon Liebe, Elisa“, schreit Joana vergnügt. Die Menschen fragen neugierig, was wir feiern. Ich erkläre es, doch sie blicken mich fragend an, als hätte ich erklärt, ich sei ein Marsmännchen auf Durchreise.
Ich fühle mich großartig. Es ist ein fantastischer Tag.
Ein Jahr Ehe – das Fazit
An meinem ersten Hochzeitstag sitze ich wieder hier. Im selben Restaurant. Allein. Eine sanfte Verbundenheit und friedliche Milde fließen in mir des Weges. Ich schaue auf meinen Ehering und gebe ihm ein Küsschen. Dankbarkeit prickelt in meinem Bauch.
Es ist viel passiert. Das ganze Jahr war ein reinstes Auf und Ab. Weltschmerz und Melancholie wechselten sich mit Euphorie und Begeisterung ab. Zwischendurch immer wieder etwas Ruhe und Ausgeglichenheit. Ich habe alles bewusst empfunden und durchlebt.
Ohne Drama kann ich die Trauer um einen geliebten Menschen spüren. Ohne Drama kann ich meinem Freund von meinen Zweifeln erzählen und seinen Schmerz aushalten, gleichzeitig spüren, was das in mir auslöst. Ich sehnte mich nach Familie und begann meiner Tante und meinem Onkel E-Mails zu schreiben. Ich sehnte mich nach Verbundenheit und lernte, mit meinen Freunden Klartext zu reden, zu sagen, was mich verletzt, was mir Angst macht, was mich stört und sie taten das Gleiche.
Ich nahm meine Leidenschaften für das Malen und Schreiben noch ernster und zeigte mich mit meinen Texten und Bildern offen und ungeschminkt im Internet und offline.
Wenn ich manchmal unsicher war, erinnerten meine Freundinnen mich an mein Eheversprechen und ich wusste sofort wieder, worauf es ankam oder nahm mir die Zeit, es zu spüren. Denn meine Gefühle nehme ich seitdem immer mehr wahr. Schwierig wird es immer, wenn sie mir etwas mitteilen, das eine unangenehme Entscheidung nach sich ziehen würde. Dann glaube ich immer wieder kurz, dass ich nicht wüsste, was zu tun ist.
Doch mein eigenes Versprechen mir selbst gegenüber gibt mir den Mut, diese unbequemen Entscheidungen nicht allzu lange hinauszuzögern. Dann werde ich jedes Mal Zeuge, wie Wunder geschehen. Wie der Mensch, den meine Entscheidung verletzt, ganz anders reagiert, als ich gedacht hätte. Wie unüberbrückbare Differenzen sich plötzlich ganz von selbst auflösen.
Und dann fühle ich wieder diese Dankbarkeit, die mich komplett ausfüllt und jegliche Leere, die sich ab und zu wieder einschleicht, sanft vertreibt.Soweit zum Einblick in mein verändertes Seelenleben.
Auch im Außen passierte so einiges:
Mein Freund und ich erleben eine ganz neue Art der Beziehung und kommunizieren (meistens) offen und ohne uns zu bewerten. Statt Schuld gibt es Bedürfnisse und gegenseitige Achtung. Statt nicht Gesagtem gibt es einen kräftigen Zoff, Wut, die raus darf, und hinterher klare Luft.
Mit meiner Tante und meinem Onkel teile ich eine neue Verbundenheit und Seelenverwandtschaft, die mich völlig von den Socken haut. Die eigene Familie als philosophische und heilende Wegbereiter zu erleben, ist ein unglaubliches Geschenk.
Die Gespräche mit meinen Freunden, die ich zum Teil manchmal Jahre lang nicht sehe, gehen direkt ans Eingemachte und bringen diese kostbare Verbindung zum Ausdruck, die jegliche Entfernung und Dauer übersteht. Konflikte führen nicht mehr zu Streit und Missverständnissen, sondern zu einem besseren Kennenlernen und mehr Empathie für mich selbst und den anderen.
Meine Gemälde werden in meinem Lieblingsrestaurant bei mir im Ort ausgestellt und haben Interessenten angezogen.
Ich trat mit Jens Wernicke, dem Gründer der durchstartenden Online-Zeitung Rubikon, in Kontakt und aus unserer überraschend intensiven Verbindung ergab sich, dass ich nun Teil der Redaktion bin und meine Texte eine viel größere Leserschaft erreichen, als ich es mir in so kurzer Zeit hätte erträumen lassen.
Ich achte bewusster auf meinen Körper. Mal faste ich und übe mich im Verzicht, mal lasse ich die Sau raus und genieße die wilde Unvernunft. Ich esse mehr Gemüse und Vollkorn, weniger Fleisch, Nudeln und Weißbrot. Nicht, weil ich muss oder irgendwer sagt, dass man sich so ernähren sollte, sondern weil mir danach ist. Ich fühle mich so wohl in meinem Körper wie nie zuvor.
Ich verbringe weniger Zeit mit Übersetzungen und habe dadurch etwas weniger Geld, aber dafür mehr Zeit zum Schreiben, Malen und Rumhängen.
Ich miete einen Arbeitsplatz in einem Coworking-Büro und komme so mehr unter die Leute, anstatt mich im Alltag einsam und abgeschottet zu fühlen – eine Entscheidung, die ich sieben Jahre lang vor mir her geschoben hatte.
Auf das Wie kommt es an
Am Ende reicht es natürlich nicht, sich einfach zu heiraten, eine Party zu feiern und dann kommt alles von allein.
Die Auswirkungen meiner Hochzeit mit mir selbst konnten sich nur so entwickeln, weil es mir ernst ist. Weil ich mein Eheversprechen ernst nehme. Die Feier dazu war so wichtig, damit ich konkret ins Handeln komme. Selbstliebe ist so abstrakt. Eine Ehe, ein Versprechen, ein Hochzeitsritual sind konkret.
Bisher sind wir es gewohnt, anderen gegenüber Versprechen zu geben. Was hält uns davon ab, uns in denselben Genuss zu bringen? Unsere Erziehung? Unsere Prägung? Die Gewohnheit? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass so ein Versprechen uns selbst gegenüber viel machtvoller ist als jedes Versprechen anderen gegenüber. Wir können experimentieren, direkt erfahren, wie es sich anfühlt, wenn wir es halten.
Vielleicht inspirieren mein Versprechen und dieser kleine Erfahrungsbericht auch andere dazu, sich ein Leben zu schenken, das sie und somit auch ihr Umfeld erfüllt.
In den Worten von Lou Andreas-Salomé, einer Frau, die ihr Leben entgegen sämtlichen Konventionen schon im 19. Jahrhundert selbst gestaltete und die die größten Denker ihrer Zeit beeindruckte: „Sofern du willst ein Leben haben: raube dir’s!“
(1) Das „Ehegelübde“ ist aus dem Buch „Heirate dich selbst!“ von Veit Lindau inspiriert.
(Aus Elisas lesenswertem Blog „Flohbair“ – funktionierst du noch oder lebst du schon?) https://flohbair.com/blog/)