Sündenfall der Sozialdemokratie

 In FEATURED, Politik (Inland)

Das Geordnete-Rückkehr-Gesetz der Regierung ist ein Kniefall vor dem rechten Zeitgeist und setzt humane Grundwerte außer Kraft. Die SPD hatte sich Solidarität mit allen Benachteiligen und Schutzbedürftigen auf die Fahnen geschrieben. Nun beschloss sie zusammen mit Unions-Scharfmachern u.a. die Abschiebehaft für Minderjährige und Familien und die Zusammenlegung von abgelehnten Asylsuchenden mit Strafgefangenen. Dem Absturz der Partei in den Meinungsumfragen folgte bei der Abstimmung am 7. Juni auch der Absturz in die totale Rückgratlosigkeit — nur die letzte von vielen dem ursprünglichen Geist der SPD eklatant widersprechenden Entscheidungen. Die Partei hat sich offenbar der „Das Boot ist voll“-Rhetorik von AfD und CDU unterworfen. Das jetzt beschlossene Gesetz ist nichts als geordnete Inhumanität. Allerdings betrifft das nur die Mehrheit der SPD-Abgeordneten. Jetzt begehrt der linke Flügel der bayerischen Sozialdemokraten auf. Peter Feininger

Unmittelbar nach der Abstimmung im Bundestag über das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ am 7. Juni schrieb uns der Landessprecher des Forums Demokratische Linke 21, DL21, Landesverband Bayern (1). Henning Höppe ließ uns einen offenen Brief des Forums zukommen, in dem der linke Flügel der bayerischen Sozialdemokratie sich in scharfer Form an die Bundestagsfraktion der SPD wandte und für eine Ablehnung des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes eintrat. Ähnlich gingen die Jusos und andere Landesverbände der Demokratischen Linken der SPD vor.

Im Folgenden dokumentieren wir zunächst das Schreiben von Henning Höppe an uns und den offenen Brief von DL21 an die Landesgruppe der BayernSPD im Bundestag „NEIN zum ‚Geordnete-Rückkehr-Gesetz’“. Ferner wollen wir auf die Abstimmung im Bundestag eingehen und uns mit der immer stärker aufkommenden Opposition im Bundesrat gegen das Gesetz befassen. Es gibt offensichtlich eine Mehrheit im Bundesrat gegen das Gesetz — zumindest gegen das Gesetz in seiner jetzigen Form. Bei der anstehenden Sitzung am 28. Juni könnte der Bundesrat, obwohl aktuell nicht zustimmungspflichtig, das Gesetz in den Vermittlungsausschuss zwingen oder sogar eine Zustimmungspflicht des Bundesrats bewirken.
Mail von Henning Höppe an die Redaktion, 9. Juni

(…) das Forum DL21 in Bayern, bei dem ich einer der LandessprecherInnen bin, hat bis zuletzt versucht, die Abgeordneten der Landesgruppe Bayern in der SPD-Bundestagsfraktion von einer Zustimmung abzuhalten. Wir haben eindringlich an den einstimmigen Beschluss des Landesvorstands der BayernSPD (in welchem auch MdBs sitzen) erinnert. Hinzu kam eine eindeutige Einschätzung und Nein-Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen — die sollten es ja wissen und bestätigen unsere Einschätzung:

https://asj.spd.de/aktuelles/aktuelles/news/das-sog-geordnete-rueckkehr-gesetz-eine-kurze-migrationsrechtliche-bewertung/05/06/2019/

Unseren offenen Brief kurz vor der Abstimmung findet man auch online Ähnliche offene Briefe gab es von Jusos und anderen Arbeitsgemeinschaften in der SPD. Es hat alles nichts genutzt, bis auf Uli Grötsch haben alle MdBs der BayernSPD mit Ja gestimmt, leider auch Ulrike Bahr. Auf Nachfrage kündigte sie mir die Zusendung einer Stellungnahme an — ich bin gespannt (2).

Ich bin empört über das Abstimmungsverhalten der SPD-Bundestagsfraktion und distanziere mich explizit davon. Dieses Gesetz widerspricht allen Grundwerten unserer Partei, der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität. Echten SozialdemokratInnen friert eher die Hand ein, als dass sie zum Beispiel die Abschiebehaft für Minderjährige, Familien mit Kindern et cetera überhaupt nur diskutieren, geschweige denn billigen oder gar verteidigen. Es ist ein Sündenfall der Sozialdemokratie vor den blaubraunen Spießgesellen vom rechten Rand.

Mit solidarischen Grüßen

Henning Höppe.

Prof. Dr. Henning A. Höppe
86152 Augsburg
DL21 Bayern: NEIN zum „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ — Offener Brief an die Landesgruppe der BayernSPD im Bundestag, 6. Juni

Liebe Landesgruppe, lieber Martin, lieber Uli,

gestern haben wir erfahren, dass ihr als Landesgruppe dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ zustimmen wollt, obwohl es einen einstimmigen Beschluss des Landesvorstands gegen die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf gibt. In der Analyse sind wir uns einig, dass es einen Schlag ins Gesicht der vielen ehrenamtlichen HelferInnen in der Geflüchtetenhilfe, der ausländischen MitbürgerInnen und der Geflüchteten darstellt. Unsere Argumente, mit dem der Landesvorstand die Ablehnung begründet hat, wurden auch durch den abgeänderten Gesetzentwurf nicht entkräftet. An der einstimmigen Abstimmung hierzu haben einige Landesvorstandsmitglieder von euch ohne erkennbaren Widerspruch teilgenommen.

Der vorliegende Gesetzentwurf stellt eine Zäsur in der Asylgesetzgebung dar und treibt die Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre auf die Spitze. Wir schließen uns der Einschätzung des ASJ-Bundesverbandes an, in dem es heißt „mit diesem Gesetz [geben wir] grundlegende Rechte und Werte unseres Staates auf“ (3).

Wir fordern daher

– die umfassende Evaluierung seitens des Bundesinnenministeriums der seit 2015 beschlossenen Gesetze im Bereich Flucht & Asyl hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Diese Evaluierung muss im weiteren Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden. Der Bundesrat sollte in den Gesetzgebungsprozess frühzeitig eingebunden werden, weil zumindest die Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zustimmungspflichtig ist. Die verfassungsrechtlich bedenklichen Verschärfungen der Abschiebehaft müssen gestrichen werden. Ausreisepflichtige dürfen auch weiterhin nicht mit Strafgefangenen gemeinsam untergebracht werden. Dieses Trennungsgebot wahrt die Menschenwürde und darf nur in absoluten Notlagen verletzt werden; eine solche Notlage liegt ganz offensichtlich nicht vor. Die von der Union geforderte „Duldung light“ für Personen, die unverschuldet bei Passbeschaffung und Identitätsfeststellung nicht ausreichend mitwirken können, lehnen wir als diskriminierend ab, weil sie weder eine Arbeitserlaubnis noch die Aufnahme einer Ausbildung erlauben würde. Ferner ist zu klären, wie eine „ausreichende“ Mitwirkung menschenwürdig und praktikabel aussehen soll. Eine solche Duldung zweiter Klasse widerspräche zudem europäischem Recht.

– Die Verschärfungen des Ausweisungsrechts im Aufenthaltsgesetz haben Folgen für alle in Deutschland lebenden AusländerInnen, weil schon bei einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten die Ausweisung droht.

– Wir stimmen der Einschätzung des DGB zu, nach der dieser Gesetzentwurf der unsäglichen Losung „Das Boot ist voll“ folgt. Die Sozialdemokratie muss stets konsequent solidarisch an der Seite der Schutzbedürftigen, der HelferInnen und der ausländischen MitbürgerInnen stehen. Deswegen fordern wir euch auf, am Freitag dem Beschluss des Landesvorstands folgend mit Nein zu stimmen.

Mit solidarischen Grüßen

Die SprecherInnen der DL21-Bayern

Herbert Lohmeyer, Prof. Dr. Henning Höppe, Benjamin Lettl, Anja König, Petra Metzger, Wolfgang Schmid, Hugo Steiner, Simon Grajer

Das Abstimmungsergebnis

Nach einer scharfen Kontroverse hat der Bundestag am Freitag, dem 7. Juni 2019, das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz beschlossen. In namentlicher Abstimmung votierten 371 Abgeordnete für den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines „Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“. 159 Parlamentarier votierten gegen die Vorlage, 111 enthielten sich.

Die Ja-Stimmen für das Gesetz kamen fast ausschließlich aus der CDU/CSU und der SPD. Die Nein-Stimmen kamen überwiegend von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen, die geschlossen mit Nein stimmten. Bei der SPD gab es 8 Nein-Stimmen und 14 nicht abgegebene Stimmen, denen 130 Ja-Stimmen gegenüberstanden. Die 111 Enthaltungen kamen überwiegend aus der FDP und der AfD. Zu 58 Enthaltungen bei der FDP kamen noch 15 nicht abgegebene Stimmen und nur sieben Ja-Stimmen.

Die Verhandlungsführerin der SPD entpuppt sich — wie zu erwarten war — als Sargnagel für die Partei

Hört (4) oder liest (5) man die Rede von Eva Högl, der Verhandlungsführerin der SPD, in der Plenardebatte am 7. Juni, so entpuppt sie sich als wahrer Sargnagel für diese Partei. Sie bedankte sich ausdrücklich beim Bundesinnenminister „für die gute Beratung, die gute Vorlage und auch die Unterstützung bei unserer parlamentarischen Beratung“. Högl hat aktuell 240.000 Menschen zur Abschiebung im Visier:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland sind rund 240.000 Personen vollziehbar ausreisepflichtig, davon sind 180.000 geduldet, das heißt, ihre Abschiebung ist aus ganz unterschiedlichen Gründen ausgesetzt. Mit dem Rückkehrgesetz schaffen wir jetzt Regelungen, diese Ausreisepflicht besser durchzusetzen (…)“

Ohne mit der Wimper zu zucken propagiert Eva Högl auch die Inhaftierung von Flüchtlingen, seien es jetzt Männer, Frauen, Kinder, Familien. Diese massenhafte Inhaftierung ist in einem solchen Umfang geplant, dass diese Menschen in reguläre Gefängnisse geworfen werden sollen, weil die Einrichtungen für Flüchtlinge nicht ausreichen werden.

Hinter der weitgehenden Enthaltung der FDP steht keine progressive Haltung, sondern das Ziel einer noch radikaleren Selektion von Menschen und Arbeitskräften sowie eine Zentralisierung der Asyl- und Einwanderungspolitik. Ulla Jelpke (die Linke) sprach vom verfassungswidrigen Aushungern von anerkannten Schutzflüchtlingen, auch von Familien mit Kindern.

Wahrscheinlich hat Ulla Jelpke auch den Punkt erfasst, warum dieses Gesetz jetzt in aller Eile durchgedrückt wurde: „Meine Damen und Herren, man hat hier wirklich den Eindruck, dass die Große Koalition, vor allen Dingen die Union, diese Gesetze durchpeitschen will, weil sie sieht, dass die Große Koalition am Ende ist. Deshalb will sie möglichst noch ein paar Verschärfungen durchsetzen.“

Mit ihrem zweiten Redner, Helge Lindh, setzte sich die SPD einen weiteren Sargnagel. Er hetzte gegen die Opposition auch außerhalb des Parlaments, er fühle sich moralischen Erpressungsversuchen ausgesetzt. Lindh versuchte, die Kritiker als Kriminelle hinzustellen:

„Wenn auch Mitglieder dieses Bundestages heute nicht wagen, frei als Abgeordnete abzustimmen, weil sie Angst haben, dass Aktivisten ihre Büros angreifen oder zerstören, ist, glaube ich, etwas nicht richtig.“

Den 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Flüchtlingsarbeit, die sich ausnahmslos gegen das Gesetz wandten, hielt er entgegen: „Es gibt auch viele andere in meinem Wahlkreis und anderswo, die fragen: ‚Wann sorgt ihr für Ordnung in der Migrationspolitik?‘“ Am Ende des Beitrags von Helge Lindh vermerkt das Protokoll: „(Lebhafter Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)“.

Auffällig war die praktisch völlige Übereinstimmung zwischen den Grünen und der Linken, die sich auch im Beifall der beiden Fraktionen ausdrückte. Interessant ist auch, dass diese Übereinstimmung in Asylfragen zwischen den Grünen und der Linken nicht exklusiv gemeint ist gegenüber der SPD, sondern direkt um die SPD geworben wird, sie möge sich doch um Gottes willen anschließen.

Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) sprach von rechtswidrigen Inhaftierungen in ungeahntem Ausmaß und versuchte, der SPD ins Gewissen zu reden.
Der Bundesrat nimmt Stellung und empfiehlt zahlreiche Änderungen

Der Deutsche Bundesrat, der widersinnigerweise diesem Gesetz nicht zustimmen muss, obwohl die Länder in vielen Fragen betroffen sind, nahm sich dennoch das Recht zu einer Stellungnahme (6).

Schon für die Sitzung des Bundesrats am 17. Mai lagen in einer 41-seitigen Drucksache von fünf Ausschüssen rechtzeitig Empfehlungen vor, die der Bundestag, namentlich die SPD, auch hätte berücksichtigen können (7). Zum Gesetzentwurf insgesamt stellt der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS) fest, dass er die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen und Wertungen als „äußerst problematisch“ ansehe.

Vor allem auf zwei Punkten scheint der gesamte Bundesrat zu insistieren: die Einschränkungen bei der Duldung und der Verstoß gegen wichtige Konventionen bei der Inhaftnahme von Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen.

Der Bundesrat kritisiert die Einschränkung, dass Zeiten der Duldung für Personen mit ungeklärter Identität nicht als Vorduldungszeiten angerechnet werden. So würden zum Beispiel längere Wartezeiten auf Termine bei Botschaften jetzt zulasten der Betroffenen gehen. Vor allem die Regelung für sogenannte „gut integrierte Jugendliche“ würde signifikant ausgehöhlt:

„Die Regelung wirkt sich vor allem für gut integrierte Jugendliche besonders negativ aus. Gemäß § 25a AufenthG haben sie bis zum 21. Lebensjahr die Möglichkeit, insbesondere mit Integrationsleistungen eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Es steht zu befürchten, dass die Voraussetzungen dieser Norm für Vorduldungszeiten in vielen Fällen nicht mehr erfüllbar sind, wenn die erziehungs- und vertretungsberechtigten Personen davon abgesehen haben, die geforderten Handlungen für den Minderjährigen vorzunehmen. Die Regelung in § 25a AufenthG würde hierdurch signifikant ausgehöhlt.“

Der Bundesrat wies darauf hin, dass den Belangen von Minderjährigen und Familien mit minderjährigen Kindern in den Regelungen zu Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam nicht ausreichend Rechnung getragen wird:

„Die Inhaftnahme von Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen ist stets besonders kritisch zu sehen, da sie erhebliche Gefahren für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen birgt. Dies gilt umso mehr, als mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam weiter herabgesetzt werden und das Gebot der Unterbringung von Abschiebungs- und Strafgefangenen in getrennten Haftanstalten ausgesetzt werden soll. Es ist kaum vorstellbar, dass bei einer in dieser Art und Weise vollzogenen Abschiebungshaft dem Kindeswohl angemessen Rechnung getragen werden könnte.“

Der Bundesrat sieht dabei sowohl Art. 37 der VN-Kinderrechtskonvention verletzt als auch Art. 17 der EU-Rückführungsrichtlinie.

Es handelt sich um Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrats

Wir wollen in diesem Zusammenhang auf einen sehr wichtigen Umstand hinweisen. Diese beiden zitierten Hauptkritikpunkte des Bundesrats sind nicht irgendwelche Empfehlungen oder Meinungen des Bundesrats, sondern Beschlüsse, für die es auf der Bundesratssitzung am 17. Mai eine eindeutige Mehrheit gab. Über die 46 Punkte-Empfehlungen der Ausschüsse (8) wurde im Plenum einzeln abgestimmt.

Was bei besagter Bundesratssitzung im Mai noch auffällt: Die Linke verhielt sich in der Debatte sehr defensiv. Susanna Karawanskij, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg, sprach als einzige Linke. Sie vermied ausdrücklich eine politische Positionierung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (9). Hier muss man sagen, dass die Grünen im Bundesrat beherzter vorgehen. Der Redner der Grünen bei diesem Tagesordnungspunkt, Senator Dr. Steffen aus Hamburg, kritisierte den Gesetzentwurf als einziger von den wenigen, die sich zu Wort gemeldet haben.

Der Bundesrat will es nicht bei Stellungnahmen zum Gesetz belassen

Der Rechtsausschuss des Bundesrates will nun den Vermittlungsausschuss anrufen. Beim Votum des Rechtsausschusses hat sich eine Mehrheit der 16 Ausschussmitglieder der Initiative der drei grünen Justizminister Dirk Behrendt (Berlin), Till Steffen (Hamburg) und Dieter Lauinger (Thüringen) angeschlossen. „Das bedeutet, dass auch einige Vertreter von CDU oder CSU geführten Landesministerien für eine Entschärfung des neuen Abschiebegesetzes gestimmt haben“, mutmaßt die Welt (10).

Laut Welt gehe es Union und SPD im Kern darum, die Befugnisse von Polizei und Ausländerbehörden so auszuweiten, dass weniger Abschiebungen scheitern. Da es für die geplanten massenhaften Abschiebungen „bisher“ zu wenige Abschiebehaftplätze gebe, sollen abgelehnte Asylbewerber künftig, — das heißt zunächst bis 2022 — in normalen Gefängnissen in Abschiebegewahrsam genommen werden können.

Man kann es nicht anders sagen: Union und SPD planen für einen Zeitraum von drei Jahren, Ausländerjagden, Polizeirazzien, Behördenwillkür und die Außerkraftsetzung von rechtlichen Normen zu legalisieren, um Massenabschiebungen im Umfang von mehreren Hunderttausend durchzusetzen. Zynisch begründen Union und SPD die Aufhebung des Trennungsgebots von Strafhaft und Abschiebehaft für drei Jahre mit einer „Notlage“, da es zu wenig Haftplätze in Abschiebegefängnissen gebe.

Tatsächlich ist es nicht nur der Rechtsausschuss des Bundesrats, der opponiert. Für die Bundesratssitzung am 28. Juni liegen kritische Empfehlungen vor vom Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS), Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) und Rechtsausschuss (R) (11). Dabei verlangen die Ausschüsse des Bundesrats die Einberufung des Vermittlungsausschusses zum Zweck einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes beziehungsweise die direkte Streichung und Einfügung ganzer Passagen. Zudem verlangen die Ausschüsse AIS und R gemeinsam vom Bundesrat die Feststellung, dass das Gesetz seiner Zustimmung bedarf.

Es entsteht eine sehr gefährliche politische Lage

So befinden wir uns politisch in einer sehr problematischen Lage. Die SPD wird an dem Gesetz festhalten — trotz der Möglichkeit ihres Untergangs. Wer der SPD-Fraktion dies einpeitscht und warum die Fraktion dem folgt, bleibt im Dunkeln. Die Opposition in der SPD ist gewaltig und beschränkt sich nicht einfach auf die Basis, sondern erstreckt sich auf ein breites Spektrum von Funktionsträgern aller Ebenen, mit Ausnahme der Bundestagsfraktion. Auch die acht SPD-Abgeordneten, die ablehnten und die uns alle nicht bekannt sind, sind wichtig und werden sicher noch eine Rolle spielen bei der Entwicklung beziehungsweise Abwicklung der SPD.

Ob Grüne und Linke ihren Widerstand gegen das Gesetz im Bundesrat konsequent aufrechterhalten, ist fraglich. Wenn es über den Bundesrat überhaupt zu Änderungen an dem Gesetz und zu einer Mehrheit dafür kommt, besteht die Gefahr, dass vielleicht einzelne Punkte geändert oder zurückgenommen werden, die geplante Verschärfung des Asylrechts insgesamt und die Ausweisungen aber dennoch stattfinden. Wenn die geplante Deportation von mehreren 100.000 Menschen in diesem Land nicht mehr verhindert werden kann, so rückt Auschwitz wieder näher.

Man darf gespannt sein, was die Demokratische Linke der SPD in der Folge unternimmt, denn auf sie wird es in nächster Zeit wohl sehr stark ankommen und wir hören aus der DL, die Empörung wachse weiter an …

Eine längere Fassung dieses Artikels findet sich beim Forum solidarisches und friedliches Augsburg

 

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://dl21-bayern.de/
(2) Ulrike Bahr ist die SPD-Vorsitzende von Augsburg sowie MdB. Auch die Redaktion des Forums hat sie um eine Stellungnahme gebeten. Das Berliner Büro von Ulrike Bahr ließ uns daraufhin wissen, dass sie auf ihrer Webseite eine kurze Stellungnahme sowie Fragen und Antworten zum Geordnete- Rückkehrgesetz eingestellt habe und es „eigentlich gerne dabei belassen“ möchte: https://ulrike-bahr.de/news/migrationspaket/
(3) Hier die Einschätzung und Nein-Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Jurist*innen (ASJ) https://asj.spd.de/aktuelles/aktuelles/news/das-sog-geordnete-rueckkehr-gesetz-eine-kurze-migrationsrechtliche-bewertung/05/06/2019/
(4) „Bundestag stimmt für Gesetz¬ent¬würfe zum Asyl- und Auf¬enthalts¬recht“. Deutscher Bundestag, Juni 2019. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw23-de-ausreisepflicht-645888.
(5) „Plenarprotokoll 19/105, Deutscher Bundestag 7.6.2019“. DIP Dokumentations- und Informationssystem, Deutscher Bundestag und Bundesrat, Juni 2019. http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19105.pdf.
(6) Bundesrat. „Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung — Unterrichtung durch die Bundesregierung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht — Drucksache 19/10047, Deutscher Bundestag Drucksache 19/10506 19. Wahlperiode (zu Drucksache 19/10047)“. DIP Dokumentations- und Informationssystem, Deutscher Bundestag und Bundesrat, 29. Mai 2019. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/105/1910506.pdf.
(7) „Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse zu Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht für Sitzung 17.5.2019, Dr 179-1-19“. Bundesrat, 3. Mai 2019. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2019/0101-0200/179-1-19.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
(8) „Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse zu Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht für Sitzung 17.5.2019, Dr 179-1-19“. Bundesrat, 3. Mai 2019. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2019/0101-0200/179-1-19.pdf?__blob=publicationFile&v=1.
(9) „Plenarprotokoll 977. Sitzung, 17.05.2019“. Bundesrat, 17. Mai 2019. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/2019/Plenarprotokoll-977.html.
(10) Menkens, Sabine, „Grüne Minister wollen Abschiebegesetz entschärfen“. Welt, 12. Juni 2019. https://www.welt.de/politik/deutschland/article195148421/Geordnete-Rueckkehr-Gesetz-Abschiebegesetz-soll-entschaerft-werden.html.
(11) „Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse zu Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht für die Sitzung am 28.6.2019, Dr 275-1-19“. Bundesrat, 17. Juni 2019. https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2019/0201-0300/275-1-19.pdf?__blob=publicationFile&v=1.

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuvor erschienen ist.

Kommentare
  • Holdger Platta
    Antworten
    Ein hervorragend informierender Artikel, dem ich in allen Punkten zustimmen kann!

    Ohne irgendwelchen Verschwörungstheorien das Wort reden zu wollen, muß man allmählich den Eindruck gewinnen, daß die SPD längst von anderen Kräften unterwandert ist – je mehr man in den SPD-Etagen nach oben schaut, desto mehr. Auch Roland Rottenfußer hat hier bereits diese Möglichkeit angesprochen.

    Vielleicht geht ja in diesem Jahr noch ein SPD-Zerstörungsprojekt in Erfüllung, und diese Partei landet irgendwann demnächst bei einer Zustimmungsquote von nur noch 5 Prozent innerhalb der Bevölkerung.

    Was nicht übersehen werden sollte: auch die Linkspartei hat nicht jenen Widerstand gegen dieses menschenfeindliche Gesetz geleistet, der von ihr zu erwarten gewesen wäre.

    Beides ist nur noch eines: ein erbärmliches Trauerspiel!

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