Tödliche Staatsgewalt

 In FEATURED, Politik (Ausland)

Bildquelle: Singlespeedfahrer, Lizenz Creative Commons.

Parallelen und Unterschiede zwischen Polizeibrutalität in den USA und in Israel/Palästina. Die systematische Tötung von AfroamerikanerInnen durch die US-Polizei ist in vielerlei Hinsicht der Tötung von PalästinenserInnen durch israelische Streitkräfte ähnlich. Die Waffen, die Einstufung der Opfer von Polizeigewalt als “Sicherheitsbedrohungen” und die Lügen, mit denen die Gewalt gerechtfertigt wird, sind die gleichen. Der Grad, mit dem die staatlichen Kräfte zur Rechenschaft gezogen werden, ist jedoch unterschiedlich. Benutzen die USA eine Besatzungsmentalität, um AfroamerikanerInnen zu unterdrücken, oder steht systematischer Rassismus im Zentrum beider Systeme extremer Gewalt? Quelle: BIP

George Floyd wurde in Minneapolis im Zuge einer Verhaftung von einem Polizisten getötet. Er war unbewaffnet und versuchte nicht, sich der Verhaftung zu widersetzen. Obwohl er um Gnade schrie und andere Menschen in der Umgebung den Polizisten anflehten, ihn atmen zu lassen, kniete der Polizist auf seinem Hals und erwürgte ihn dadurch. George Floyd war schwarz, und der Polizist, der ihn getötet hat, ist weiß. Dieses Ereignis löste in den Vereinigten Staaten Massenproteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität aus. Die „Movement for Black Lives“ (Bewegung für schwarze Leben, mit dem Slogan “Black Lives Matter”) wurde 2014 in den USA gegründet, um gegen die Tötung von AfroamerikanerInnen durch die Polizei zu protestieren.

Während der Proteste in den USA in den Jahren 2014 und 2015 wie auch heute zeigten PalästinenserInnen und AfroamerikanerInnen in ihrem Protest eine starke Solidarität. Die Palästinenser schickten den Demonstranten in den USA Ratschläge, wie sie mit dem von der Polizei abgefeuerten Tränengas umgehen sollten, und hielten solidarische Proteste ab. Umgekehrt veröffentlichte die Movement for Black Lives 2016 eine Erklärung, in der die USA der Mittäterschaft am israelischen “Genozid” an den Palästinensern beschuldigt wurden. Diese Erklärung hat für viel Furore gesorgt. (Und wir sind auch nicht der Meinung, dass Israel Genozid an den Palästinensern praktiziert.)

AfroamerikanerInnen waren entsetzt, als sie erfuhren, dass die Anti-Defamation League (ADL), eine jüdische Organisation, die früher gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern kämpfte und Martin Luther King und seine Boykottbewegung unterstützte, ihre Mission aufgegeben hat, für Gleichheit und Menschenrechte zu kämpfen, und stattdessen sogar Schulungsseminare für die US-Polizei durch israelische Polizeibeamte organisiert hat. Die israelischen Polizeibeamten lehrten ihre amerikanischen Kollegen “Terrorismusbekämpfung”. Sie sollten nach Bedrohungen Ausschau halten und diese so schnell wie möglich beseitigen. Diese Denkweise macht es gefährlich, sich als Farbiger auf den Straßen der USA aufzuhalten, genauso wie es gefährlich ist, in Israel/Palästina Palästinenser zu sein.

Wie gefährlich? Zwei Tage nach der Ermordung von George Floyd wurde Iyad Al-Hallak von der israelischen Grenzpolizei in der Altstadt von Jerusalem niedergeschossen. Al-Hallak war ein 32-jähriger Mann mit Autismus, der auf dem Weg zu einem Behandlungszentrum war, das er täglich besuchte. Seine Verwandte Dr. Hatem Awiwi sagte, er sei nicht einmal in der Lage gewesen, zwischen Juden und Arabern zu unterscheiden. Die Polizisten, die ihn erschossen, logen und sagten, sie hätten eine Waffe gesehen – aber es wurde keine Waffe gefunden. Verteidigungsminister Benny Gantz sagte: “Wir bedauern den Vorfall sehr”, aber die Schützen werden weder suspendiert noch strafrechtlich verfolgt. Das werden sie nie. Premierminister Netanjahu ging nicht einmal auf die Ermordung von Al-Hallak ein.

Woher wissen wir, dass die Polizeibeamten, die Al-Hallak erschossen haben, nichts zu befürchten haben? Weil am Montag Rafeef Mohammed Karaeen, ein 4-jähriges Mädchen, im Krankenhaus starb, nachdem sie zwei Wochen zuvor einen Kopfschuss erlitten hatte. Sie wurde in Issawiya, am Stadtrand Jerusalems, erschossen (siehe BIP-Aktuell #110), als möglicherweise ein Soldat oder Polizist über die Trennmauer schoss, ohne hinzusehen. Es wurde nicht ernsthaft nach dem Schützen gefahndet.

Diese Woche ist auch der zweite Jahrestag der Ermordung von Rouzan Al-Nazar, die am 1. Juni 2018 erschossen wurde. Al-Nazar war eine Sanitäterin, die ihr Leben riskierte, um den Verwundeten zu helfen, die von israelischen Scharfschützen während der Proteste des Großen Marsches der Rückkehr im Gazastreifen beschossen wurden. Mehr als 8.000 PalästinenserInnen, die heute in Gaza leben, wurden von israelischen Scharfschützen dauerhaft zu Krüppeln gemacht. Kein einziger Scharfschütze wurde suspendiert oder eines Verbrechens angeklagt, weil er palästinensische Demonstranten verkrüppelt oder getötet hat.

Die Unterschiede zwischen den Morden durch Polizisten in den USA und den Tötungen von PalästinenserInnen in Israel/Palästina sind klar: Weil die meisten PalästinenserInnen unter israelischer Besatzung leben und daher keine bürgerlichen Rechte in Israel haben, genießen sie keinen Schutz vor dessen staatlicher Gewalt. Rassistisches Profiling wird offen ausgeübt. In den USA können Polizeibeamte dagegen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie exzessive Gewalt anwenden; jedoch geschieht dies in der Praxis nur begrenzt und unzureichend, speziell wenn sie mit ihrer Gewalt gegen „People of Color“ (ethnische Minderheiten) vorgehen.

Aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ländern, und das nicht nur, weil die US-Polizisten von israelischen Antiterrorexperten ausgebildet werden. Um die Bevölkerung zu befrieden und unter Kontrolle zu halten, setzt die US-Polizei militärische Ausrüstung, militärische Ausbildung und einen militärischen konzeptionellen Rahmen ein, so dass die Anwendung tödlicher Gewalt nicht überraschend ist.

Mairav Zonszein von der Zeitschrift 972 argumentiert, dass der Grund für die Ähnlichkeiten darin liegt, dass die Unterdrückungsmechanismen der USA tatsächlich die gleichen sind wie die einer Kolonial- oder Besatzungsmacht und dass Afroamerikaner als Untertanen und Feinde und nicht als gleichberechtigte Bürger behandelt werden. Ahmed Abu Artema aus Gaza, einer der Initiatoren des Großen Marsches der Rückkehr, schrieb für Electronic Intifada eine andere Analyse. Er argumentiert, dass sowohl in den USA als auch in Israel systemischer Rassismus die Grundlage des politischen Systems bildet und dass Polizei und Militär lediglich eine Staatspolitik zum Ausdruck bringen, die Schwarze und PalästinenserInnen als “überflüssige” und “unerwünschte” Teile der Bevölkerung betrachtet. Abu Artemas Analyse kommt zu dem Schluss, dass der Kampf gegen Polizeigewalt in den USA und der Kampf für palästinensische Rechte tatsächlich derselbe universelle Kampf ist: Kampf gegen Rassismus.

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bibjetzt | 6. Juni 2020 um 17:01 | Kategorien: Allgemein | URL: https://wp.me/p7svki-QZ

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  • Freiherr von Anarch
    Antworten
    Wo Recht, Gerechtigkeit, Freiheit, das Menschenrecht als Überbegriff – keine Gültigkeit mehr haben, nicht mehr existent sind sogar – da ist der ‘ground zero’ des Menschenrechts – Palästina !

    Unter Israels Staatsterrorismus haben die Palästinenser defacto kein Geltendes Recht mehr, seit Jahrzehnten !

    Die überwiegende übrige Welt, die sich gerne als Wertegemeinschaft im Sinne des Menschenrechts zu begreifen vorgibt, schaut wegen ‘Politischer Interessen’ weg, mehr noch – sie duldet und unterstützt dadurch dieses Staatsverbrechen gegen ein ganzes Volk.

    Macht bestimmt über Recht oder Unrecht.

    Aber philosophische Betrachtungen helfen da nicht mehr, den Rechtlosen erst recht nicht – man muss Israel zur sofortigen Beendigung seines Staatsterrorismus zwingen und die Politischen Mittel dazu wären gegeben. Gerade die BRD mit ihrer besonderen Verantwortung hat diese Pflicht.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

  • heike
    Antworten
    Ich habe jetzt keine Zeit einen noch passenderen Artikel zu meinem Kommentar rauszusuchen, deshlb gleich hier:

    Frontalangriff von CDU/CSU auf die Verkehrswende: Unterstützen Sie unseren Kampf für den Klimaschutz und die Saubere Luft!

    was wir im März bereits in Umrissen als Großangriff auf den Umwelt- und Klimaschutz im Windschatten der Corona-Pandemie erkennen konnten, hat die CDU/CSU Bundestagsfraktion jetzt in einem 13-seitigen Positionspapier schwarz auf weiß bestätigt: Ein absoluter Totalausfall für den Klimaschutz und die Saubere Luft! Das Papier zeigt erneut allzu deutlich, wie sehr die CDU/CSU Fraktion durch Konzerne wie VW, Daimler und Co. ferngesteuert wird:
     
    So wollen die Unionsparteien die von der EU für 2021 geplante Verschärfung der Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid verhindern, die bereits beschlossene Absenkung der CO2-Pkw-Flottengrenzwerte um 37,5% bis 2030 soll gestrichen werden, ein generelles Tempolimit soll es nicht geben, der Neukauf von Klimakiller-Pkws und Diesel-Stadtpanzer ALS PLUG-IN HYBRIDE MIT ALIBI-ELEKTROMOTOR soll sogar mit Kaufprämien UND STEUERERLEICHTERUNGEN gefördert werden. Der Anteil an SUV, die schon heute unsere Straßen blockieren, soll nach offizieller Planung von BMW, Daimler und VW bis 2025 auf 50% der Neuzulassungen steigen.

    Dies ist eine Kriegserklärung an den Klimaschutz und eine akute Gefährdung von Mensch und Umwelt! Wir brauchen nicht noch mehr Klimakiller in unseren Städten, sondern einen zukunftsorientierten wirtschaftlichen Neustart mit Investitionen in ÖPNV, Schienen-, Fuß- und Radverkehr. Bitte helfen Sie uns mit Ihrer Spende oder Fördermitgliedschaft dabei, das durchzusetzen!

    Wir haben uns seit Beginn der Corona Pandemie mit aller Kraft gegen diesen Großangriff auf die Saubere Luft gestemmt – mit ersten Erfolgen:

    Auch durch unseren Widerstand gegen Klimakiller-Kaufprämien haben sich zahlreiche Wissenschaftler, Verbände und in Umfragen über 63% der Menschen dagegen ausgesprochen. Ein wichtiges Signal!

    Im April haben wir in 203 deutschen Städten Anträge auf kurzfristige Umwidmung von Verkehrsflächen in geschützte Fahrrad-Straßen und Pop-Up Radwege und durchgehend Tempo 30 gestellt. Gegen den erbitterten Widerstand des ADAC, der (zu Recht) einen „ideologischen Kampf“ gegen das Auto vermutet, folgen nun immer mehr Städte unserer Aufforderung. Zuletzt hat selbst Stuttgart uns mitgeteilt, dass sie – nach einer ersten Ablehnung unseres Antrags – Anfang Mai die ersten beiden Pop-Up Radwege beschlossen und umgesetzt haben. Auch Köln, Düsseldorf und München schaffen Platz für das Fahrrad.

    Das alles haben wir auch dank Ihrer Unterstützung erreicht! Es ist jetzt besonders wichtig, dass wir uns von den Angriffen aus Politik und Industrie auf den Klimaschutz nicht zurückdrängen lassen.

    Wir werden alles daran setzen unsere wichtigen Erfolge für die Saubere Luft und die Verkehrswende zu verteidigen und auszubauen:

    • Wir wollen in unseren Städten weitere Autofahrspuren in Fahrradstraßen umwandeln. Berlin, Brüssel, Mailand oder Paris machen es vor. Der Radverkehrsanteil muss auf 30% steigen, zwei von drei Autos in der Stadt müssen durch Bahn, Bus, Rad und Fußverkehr ersetzt werden.
    • Wir setzen uns für die Einführung eines Tempolimits von 120 km/h auf Autobahnen und 80 km/h außerorts ein – für Klimaschutz und Saubere Luft. Unterstützung kommt vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung und vom Verkehrssicherheitsrat.
    • Wir kämpfen für den massiven Ausbau, die Vereinfachung und Vergünstigung des öffentlichen Personennahverkehrs. Unsere Forderung nach einem 365-Euro Ticket wird von immer mehr Städten unterstützt.
    • Wir kämpfen weiterhin vor nationalen Gerichten und dem EuGH für die Saubere Luft und die Einhaltung der Grenzwerte für das Dieselabgasgift NO2 in 40 deutschen Städten.

    Bitte unterstützen Sie uns heute dabei!

    Gemeinsam können wir die Angriffe der Automobilkonzerne und der CDU/CSU abwenden und diese wichtigen Maßnahmen für die Saubere Luft und den Klimaschutz weiter vorantreiben. Darum möchte ich Sie heute herzlich bitten: Unterstützen Sie uns mit Ihrer Spende oder Fördermitgliedschaft – gegen Klimakiller, die unsere Straßen blockieren! Für mehr Bus, Bahn und Rad in unseren Städten!

    Ich danke Ihnen ganz herzlich.

    Jürgen Resch
    Bundesgeschäftsführer

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