Top Secret!

 In Georg Rammer, Kurzgeschichte/Satire, Wirtschaft
Verschwörer unter sich - hier eine Szene aus "Akte X"

Verschwörer unter sich – hier eine Szene aus “Akte X”

Absolute Freiheit des Handels und Kapitalverkehrs ist wichtig. Wie aber dieses hehre Gut gegen Sozialromantiker und Bedenkenträger verteidigen? Wie die demokratischen Reststrukturen ausschalten, die sich dem Unvermeidlichen noch immer entgegenstemmen? Solche Problem zu lösen, ist für die “Helden” dieser Geschichte ein Leichtes. Hier ein Blick hinter die Kulissen. Ein Dramolett von Georg Rammer.

Personen: Kommissar für Handel in der EU-Kommission und
Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie)
Ort: Chefbüro des BDI in Berlin

• Präsident BDI: Also, um es ganz klar zu sagen: Wir haben Sie einbestellt, weil wir unzufrieden sind mit dem Stand der Verhandlungen. Manche sind sogar der Auffassung, dass Sie dabei sind, TTIP gegen die Wand zu fahren. Was haben Sie dazu zu sagen? Wie weit sind Sie gekommen mit der transatlantischen Partnerschaft, Herr Kommissar?

• EU-Kommissar: Nennen Sie mich bitte nicht Kommissar. Das klingt nach Tatort.

• Sie sind doch Kommissar! Der Handelskommissar der EU, oder etwa nicht, Herr de Gucht. Aber zur Sache.

• Nun, wir haben gute Fortschritte gemacht, in wichtigen Bereichen haben wir Einvernehmen erzielen können. Aber es gibt Widerstände. Und die müssen wir leider berücksichtigen – besonders jetzt vor den Wahlen.

• Pah, Widerstände! Genau dafür haben wir Sie doch zum Kommissar gemacht, um Widerstände auszuräumen. Herr de Gucht, muss ich Sie daran erinnern: Wir haben Sie ausgewählt, nicht obwohl, sondern weil Sie in … dubiose Geschäfte verwickelt waren. Insiderhandel, Steuerhinterziehung – Sie sind unser Mann, aber das kann sich sehr schnell ändern.

• Herr Grillo, als Präsident des BDI wissen Sie doch, dass man in solchen komplexen Verhandlungsthemen nicht einfach durchmarschieren kann. Es gibt halt einige diffizile Dinge, äh, Hindernisse, die uns die Demokratie auferlegt und die wir von der politischen Seite vorsichtig angehen müssen.

• Ha, das klingt ja wie Bombenräumen!

• Ja, so ähnlich ist es auch. Absperren, Gelände räumen und mit aller Vorsicht den Zünder ausbauen.

• Also wo sind die diffizilen Hindernisse?

• Ja, da wären zum Beispiel einige Quertreiber im Parlament. Und sogar in den Medien, die sonst immer wohlwollend mitziehen, erscheinen inzwischen kritische Berichte. Nicht zu vergessen die quasi professionellen Kritiker in der Öffentlichkeit, die gegen uns Stimmung machen. Und gegen Sie übrigens auch. Die reden von „Herrschaft der Konzerne“ und von „Staatsstreich in Zeitlupe“, sogar im öffentlich-rechtlichen Fernsehen! TTIP hebelt danach die Verfassung aus. Manche bezeichnen sie gar als Wirtschafts-Nato!

• Ja und? Das ist durchaus zutreffend: Weltweiter Einsatz, Sicherung von Ressourcen, Regime-Wechsel, wenn es für die Freiheit der Wirtschaft nötig erscheint.
(Es erscheint Angela Merkel in ihrer typischen Haltung, bleibt im Abstand von 2-3 Metern stehen und begleitet das weitere Gespräch mimisch.)

• Nanu, was macht sie denn hier? Haben Sie sie auch einbestellt?

• Wissen Sie es noch nicht? Das ist der Geist von Frau Merkel, der ist bei allen Verhandlungen zum Freihandel und Investitionsschutz dabei. Der Geist repräsentiert die deutsche Hegemonie, wenn es um unsere Interessen geht. Lassen Sie sich nicht stören. Aber zurück zu Ihnen. Wieso eigentlich Parlamentarier und Presse und womöglich noch die üblichen Verdächtigen aus der Politszene? Wir haben doch strikte Geheimhaltung vereinbart, Herr de Gucht!

• Ja, selbstverständlich. Meistens klappt es ja auch, wie Sie es doch am besten wissen. Der Freihandelsvertrag CETA mit Kanada ist in trockenen Tüchern, bevor irgend jemand was davon mitgekriegt hat. Und wie Sie ebenfalls beobachten können, sind wir beim Freihandel mit Dienstleistungen, bei … dem Vertrag, wie heißt er doch gleich …

• TiSA, Herr de Gucht, Trade in Services Agreement …

• …sind wir also bei TiSA so gut wie durch und den kennt kein Mensch, obwohl da die ganze EU und die ganze OECD eingebunden sind.

• Welche Maßnahmen haben Sie getroffen?

• Na ja, das Übliche: Alles zum Staats- und Geschäftsgeheimnis erklärt, damit sind schon mal die Parlamente aus dem Spiel. Die Verhandlungen wurden alle ohne jede Öffentlichkeit geführt, sogar das Verhandlungsmandat war top secret. Und als dann doch etwas durchgesickert ist, haben wir sofort die PR-Maschinerie angeworfen, mit den bekannten Blockbustern, die immer ziehen: Arbeitsplätze, Wachstum und mehr Geld im Portmonnaie …

• Gibt es noch Leute, die an die Märchen glauben?

• … aber als dann einzelne Parlamentarier auf ihr Recht gepocht haben, da haben wir ein paar Unterlagen herausgeben müssen. Natürlich haben wir alles Wesentliche geschwärzt. In solchen Angelegenheiten haben wir eine gewisse Routine.

• Offensichtlich war es nicht ausreichend, was Sie zur Absicherung getan haben. Herr de Gucht, ich betone mit allem Nachdruck: Wir müssen diesen Vertrag haben. Wie Sie das anstellen, ist Ihre Sache. Uns ist allein das Ergebnis wichtig. Und Sie werden mir dafür persönlich haften. Also: Wie soll es weitergehen?

• Leider mussten wir den Investorenschutz erst mal herausnehmen. Unter uns: natürlich nur bis zur Wahl.

• Jaaa, das haben wir vernommen. Herr Kommissar: Der Investorenschutz ist aber essentiell. Ohne den werden wir den ganzen gesetzlichen Klimbim, die ganzen Hemmnisse nicht los. Sie scheinen noch nicht ganz begriffen zu haben: Der Freihandel ist Pipifax. Den haben wir eh schon. Wir brauchen aber für unsere Investitionen Sicherheit. Die Sicherheit, dass sie nicht durch soziales und ökologisches Gedöns gefährdet werden! Wir brauchen eine bedingungslose Garantie, dass die Staaten zahlen, wenn wir glauben, dass unsere Gewinnerwartungen in Gefahr geraten!

• Natürlich, Herr Präsident! Vollkommen d´accord! Dafür haben wir schließlich die privaten Schiedsgerichte eingerichtet, wie Sie doch am besten wissen, da laufen ja schon fünfhundert Verfahren. Die verhandeln geheim und ohne Revisionsmöglichkeit. Und da sitzen Ihre Leute drin. Was wollen Sie mehr? Aber jetzt behauptet die Gegenseite, das sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

• Na und? Wozu haben wir Juristen?

• Also Herr Grillo, solange wir pro forma eine Demokratie haben, müssen wir halt Zugeständnisse machen. Wir kommen nicht umhin zu bedenken, was die Leute sagen. Wir haben unsere Strategie ändern müssen: Wir sorgen jetzt dafür, dass sich das Volk über etwas empören kann. Die Wahl ist auf Chlorhähnchen gefallen. Dann machen wir da ein Zugeständnis, die Leute feiern ihren Sieg und wir ziehen das Ding durch.

• Herr de Gucht, scheiß auf die Chlorhähnchen! Es geht doch nicht um die Details. Wir haben Ihnen 600 unserer Vertreter geschickt. Da sitzen geballte Atom- und Gentechnik, Rüstung und Pharma und Lebensmittelchemie etc. an einem Tisch. Das Wichtige dabei ist doch, dass das allen Gemeinsame, der Kern von Ihnen umgesetzt wird: Hemmnisse weg, keine Gesetze gegen unsere Interessen.

• Herr Grillo, ich bin auch nicht von gestern. Aber Sie werden doch auch nicht Aufruhr und Straßenkämpfe haben wollen! Wir fahren derzeit die L&U-Strategie: Lächeln und umarmen. Liebe Zivilgesellschaft, eure Anregungen sind uns willkommen! Wir rufen „Harmonie!“ und ziehen die Harmonisierung aller Regeln durch: Arbeitsrecht, soziale Standards – alles harmonisch auf niedrigstem Level. Herr Grillo, so gut sollten Sie uns kennen. Also bitte, ein bisschen mehr Vertrauen und Anerkennung.

• Herr de Gucht: Demokratie, Menschenrechte, sozialer Rechtsstaat, alles ok, so lange sie nicht unseren Interessen im Wege stehen. Wir haben ja nichts dagegen, wenn sich die Zivilgesellschaft trefflich darüber streitet, ob ihre Knaben beschnitten werden oder ob schwule Paare adoptieren dürfen. Aber Wirtschaft und Demokratie, das geht nicht zusammen. Sie werden doch nicht im Ernst die Massen über Investitionen und Verteilung und Krieg entscheiden lassen wollen. Aber: Wir machen nicht die Gesetze, das haben wir nicht nötig, so lange sie andere in unserem Sinn machen. Wir schaffen Fakten. Wir sind das Gesetz. Wir sind die Menschenrechte. Und Sie haben das der Öffentlichkeit zu vermitteln. C´est tout. Sorgen Sie einfach dafür, dass nichts schief geht. Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Auch für Sie persönlich.

• Wir tun alles, was wir können: Bald kommt die Fußball-WM, da ist es ein bisschen leichter. Wir stehen darüber hinaus in Verhandlungen mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, mit Botschaftern der europäischen Verbundenheit mit den USA, alles überzeugte Atlantiker, Özdemir und Til Schweiger und die bekannten Redakteure von Zeit, Welt und SZ. Und die Opposition binden wir schleichend ein. Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass die Grünen an der Spitze ganz handzahm sind? Von Ihrer Wunschliste haben wir so schon viele Punkte einarbeiten können.

• Herr de Gucht: Solang Sie so denken, liegen Sie daneben. Wir von der Industrie und von den internationalen Konzernen schreiben keine Wunschlisten. Das, was wir Ihnen zur Verfügung stellen, das sind Aufträge. Klar?

• Herr Präsident, wir stimmen ja im Kern vollkommen überein. Auch wir wollen uns in der … marktkonformen Phase der Demokratie nicht vom Volk erpressen lassen. Auch wir wollen Freiheit: Warenfreiheit ist die wahre Freiheit, sage ich immer. Wenn wir Zugeständnisse machen, dann nur für einen höheren Zweck. Und bedenken Sie: Freihandel ist gut, aber womit sollen die Griechen und die Spanier etc. eigentlich noch Handel treiben? Was sollen sie privatisieren? Ist doch schon alles privat!

• Wir werden Sie, Herr de Gucht, an den Ergebnissen messen. Weg mit den Handelshemmnissen. Weg mit allem, was der Wirtschaft im Weg steht, Verbraucherschutz, Umweltauflagen, Lebensmittelqualität, Klima, Arbeitsrecht. Es ist Ihre Aufgabe, das alles zu unserem Wohl zu regeln. Also gar nichts regeln, meine ich.

• Klar doch, Herr Präsident. Aber dazu brauchen wir auch Ihre Hilfe. Da dürfen dann nicht solche Pannen passieren, wie sie sich Herr Esser, Ihr Vertreter der deutschen Wirtschaft in Washington, geleistet hat!

• Ich hoffe, Sie haben verstanden. Sie können gehen.

Einblendung Esser-Interview oder Stimme aus dem Off: „Manche Sachen sind wahrscheinlich besser hinter verschlossenen Türen getan. Demokratisch ist es nicht, aber was ist schon in diesem Leben demokratisch!“
http://www.youtube.com/watch?v=m8_haYtJgKA

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