V.C. Herz: Speed-Dating

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Hinter jedem “starken Mann” steht eine Frau, die ihm für seine Taten den Rücken stärkt. So findet man zwar Floristen, Krankenpfleger, Landwirte oder Konditoren, die Singles sind, kaum aber einen Menschheitsverbrecher, der seine Tage einsam fristen musste. Immer lächelt eine Frau an seiner Seite. Macht macht eben sexy. So hat die “Protagonistin” in unserer erotischen Kurzgeschichte auch gar nichts dagegen, als sie beim Dating einen Galan mit einem sehr merkwürdigen Beruf kennen lernt. Immerhin, er ist erfolgreich, selbstbewusst, gepflegt – und was kann man eigentlich mehr verlangen auf einem Partnerschaftsmarkt, auf dem es vor Losern nur so wimmelt…? Wer die Geschichten von V.C. Herz kennt, der weiß, dass es ihm eigentlich immer nur um das “eine” geht – und das ist nicht Sex. Hintergründig beleuchtet er auch hier unsere Verdrängungsmechanismen und kalte Gleichgültigkeit, wenn es um den Umgang mit anderen Spezies geht. (V.C. Herz)

Donnerstag, 17 Uhr. Es ist mal wieder so weit. Wie jeden zweiten Donnerstag im Monat geht es heute wieder zum Speed-Dating. Ich bin seit 5 Jahren Single, und ich schaffe es einfach nicht, den richtigen Deckel für meinen Topf zu finden. Seit ein paar Monaten gehe ich deshalb regelmäßig zu dieser Veranstaltung. Es ist eine ganz angenehme Art und Weise, Menschen kennen zu lernen. Alles passiert nicht in der virtuellen Anonymität des Internets, sondern man lernt die Menschen im echten Leben kennen. Über das Internet hatte ich zwar auch schon einige Dates, diese sind allerdings nie erfreulich verlaufen. Entsprechend versuche ich neuerdings mein Glück beim Speed-Dating. Zumindest können sich dort 60-jährige nicht als 30 ausgeben. Es kommt mir ehrlicher vor. Und der Vorteil: Wenn beide sich gegenseitig sympathisch fanden, werden die Nummern ausgetauscht. Ansonsten nicht. Jedes „Date“ dauert 10 Minuten. Wenn also ein Totalausfall dabei ist, muss man diesen wenigstens nur 10 Minuten lang aushalten. Außerdem muss man keine Absagen übermitteln – das übernimmt der Veranstalter. Am Ende überprüft dieser, ob beide sich sympathisch fanden, falls ja werden die Kontaktdaten verschickt.

Ich stehe also vor dem Spiegel und mache mich hübsch. Meine Augen möchte ich heute besonders betonen. Nach 30 Minuten ist mir ein wahrliches Meisterwerk gelungen. Ich bin richtig stolz auf mich, mache ein paar Selfies und poste das beste Foto auf Facebook. Meine Mädels sind ebenfalls begeistert. Nach 15 probierten Kleidern kann ich mich noch immer nicht entscheiden. Ich mache ein Selfie von meinen beiden Favoriten und schicke die Fotos an meine beste Freundin Bianka. Bianka hat einen guten Geschmack, und wie erwartet erhalte ich nach nur 137 Sekunden eine Antwort. „Ganz klar Nummer 2.“ So soll es sein. Ich esse noch eine Kleinigkeit und mache mich auf den Weg.

Das Speed-Dating findet wie immer in Bob’s Bar statt und dauert insgesamt 90 Minuten – von 19 Uhr bis 20:30 Uhr. In der Zeit gibt es sechs Speed-Dates, zwischen den Dates immer eine kurze Pause, um sich zu sammeln, und nach der Hälfte der Veranstaltung eine etwas längere Raucherpause. Bob’s Bar verwende ein durchdachtes System für die Speed-Dates: Man registriert sich dort mit einem Benutzernamen, und das System wählt zufällige Partner aus. Der Vorteil: Man trifft nicht wieder auf jemanden, den man bereits vor zwei Monaten kennen gelernt hat. Das wird automatisch durch die Software ausgeschlossen. Somit hat man immer neue Gesprächspartner – eine clevere Lösung.

Ich setze mich an den mir zugeteilten Tisch. Die Damen nehmen immer als erstes Platz. Wenn es losgeht, setzen sich die Männer dann an den ihnen zugeteilten Tisch. Hoffentlich finde ich heute endlich jemanden. Vor drei Monaten hatte sich ein Folgedate ergeben. Aber leider verlief das nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber vielleicht habe ich heute ja mehr Glück.
Ein Gong ertönt. Es geht los. Es setzt sich ein Mann mir gegenüber – ich brauche nicht lange. Er ist Buchhalter und mir zu alt. Wir machen trotzdem etwas Small-Talk. Ich glaube, er war an mir interessiert – aber leider nicht mein Typ.

Der nächste Kandidat ist eher in meinem Alter, macht aber einen ungepflegten Eindruck. Er benutzt keine Seife, kein Deo und kein Parfüm – wegen den Chemikalien, wie er erzählt. Entsprechend riecht er etwas streng. Auch nicht mein Fall.

Nach dem nächsten Gong sitzt mir ein 23-jähriger Arbeitsloser gegenüber. Im Gespräch wird mir klar, dass er überhaupt keine Lust hat, zu arbeiten. Er erzählt ständig nur von Computerspielen. Macht ein wenig den Eindruck, als wäre er zu diesem Speed-Dating gezwungen worden.

Halbzeitpause. Ich schnaufe durch. Bisher nicht wirklich erfolgreich. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Der nächste Gong.
Als der junge Mann auf mich zukommt, lächle ich ihn an. Als er dann aber Platz nimmt, vergeht mir das Lächeln. Starker Raucher. Ich kann diesen Gestank nicht ab.

Das vorletzte Date steht an. Krasser sächsischer Dialekt. Ich muss mir die vollen 10 Minuten die Lippen zusammen pressen, damit ich nicht laut lache. Mein Gegenüber merkt das nicht einmal – er erzählte fleißig von seiner letzten Radtour. Ich bin heilfroh, als die zehn Minuten vorbei sind. Auch wenn ich heute keinen perfekten Partner finde, so hatte ich zumindest etwas zu lachen.

Es gongt. Er kommt auf mich zu. Irgendwie spüre ich wie etwas Besonderes in der Luft liegt. „Jetzt bloß nichts falsch machen“, denke ich mir. Er setzt sich, bestellt ein Glas Wasser. Ich bestelle eine Saftschorle. Er lächelt mich an mit seinen perfekten weißen Zähnen.

Er fragt mich nach meinem Namen, meinem Alter, meinen Hobbys. Danach drehe ich den Spieß um. Er heißt Tim, ist 36 Jahre alt. Er geht gerne Spazieren und fährt Rad, mag Filme, kocht gerne. „Wow!“, denke ich mir. Auch Strandurlaub liegt ihm mehr als Action-Urlaub. Wenn ich seine Zeichen richtig deute, scheine ich ihm auch zu gefallen. Das könnte tatsächlich etwas werden. Aber da ist noch etwas: Ich frage ihn nach seinem Beruf.

Er hat Maschinenbau studiert, erzählt er mir. Klasse, denke ich mir – das hört sich nach einem gesicherten und ordentlichen Einkommen an.

Mittlerweile arbeitet er bei einem großen Maschinenbauer in Deutschland in der Entwicklungsabteilung. Sein Aufgabengebiet ist die Produktion von Maschinen für die Landwirtschaft, wie er erzählt. „Traktoren also?“, frage ich. Er lacht. Und erzählt. Seine letzte Erfindung war eine Maschine, welche Küken schreddert. So was gab es natürlich schon, erzählt er mir. Aber mit seiner neuen Erfindung lassen sich die überzähligen Küken noch schneller und günstiger vernichten, berichtet er voller Stolz.

Auch hat er schon ganze Schlachthöfe umgerüstet – er erzählt mir von Gaskammern, in denen Schweine getötet werden. Seine neueste Konstruktion kann noch mehr dieser Tiere in die Gaskammer quetschen, wodurch die Kosten für die Schlachthäuser weiter gesenkt werden. Seine Augen funkeln, als er von seinen Erfindungen erzählt. Generell hat er sich mit allem schon einmal beschäftigt, was es so in der Tierhaltung gibt. Von Melk-Karussellen über Brutmaschinen und voll automatisierten Schlachthäusern. Aktuell arbeitet er an Robotern, die Hühner aus den Kisten der Mastbetriebe packen und auf das Förderband hängen. „Die Roboter sind günstiger als Menschen“, meint er. Seine Erfindungen haben im letzten Jahr bei der Schlachtung von 25 Millionen Tieren mitgeholfen, erzählt er voller Stolz.

Der Gong ertönt. Leider. Ich hätte Tim noch stundenlang zuhören können. Er ist ja so ein kluger Mann. Ich bin höchst beeindruckt. Er bedankt sich für das nette Gespräch. Ich klicke am Computer bei Tim auf „positiv“. Wie es der Zufall will, landet in meiner Mailbox am nächsten Tag seine Nummer. Ich kreische vor Freude. Endlich wieder ein erfolgreiches Speed-Date. Ich simse ihm, und wir verabreden uns zum Essen im Steakhaus. Ich kann es kaum erwarten ihn wieder zu sehen.

Link zu V.C. Herz neuem Kurzgeschichten-Buch “Das interessiert doch keine Sau”:

https://www.amazon.de/Das-interessiert-doch-keine-Kurzgeschichten/dp/1532958226/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1478257254&sr=8-1&keywords=v.c.+herz

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