Verhärtete Fronten

 In FEATURED, Politik

Die Außenminister Annalena Baerbock und Sergej Lawrow werfen sich gegenseitig Propaganda und Grausamkeit vor — doch Beschuldigungen sind kein Weg zum Frieden. Die Fronten im Ukrainekrieg scheinen verhärtet zu sein. Wie gegensätzlich und einander doch spiegelbildlich entsprechend die Standpunkte sind, kann man exemplarisch an zwei Beispielen aufzeigen: auf der einen Seite die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und ihr Interview bei Markus Lanz am 21. September 2022 sowie ihre Rede vor der UN am Tag darauf, auf der anderen Seite der russische Außenminister Sergej Lawrow und seine beiden Reden vor der UN am 22. und 24. September 2022. Beide bedienen sich teilweise richtiger, jedoch einseitiger Deutungen des Geschehens. Es ist verblüffend zu beobachten, wie sehr die wechselseitig erhobenen Vorwürfe einander dabei ähneln. Dies schafft auf beiden Seiten vielleicht das befriedigende Gefühl, im Recht zu sein; der Friede ist auf diese Weise jedoch nicht zu erreichen. Dieser würde die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Bereitschaft voraussetzen, die Wahrheit möglichst vollständig zu erkennen. Jonas Tögel


Der Standpunkt von Annalena Baerbock

Die deutsche Außenministerin machte ihren Standpunkt kürzlich in einem Interview bei Lanz und bei einer Rede vor der UN deutlich. Bei Markus Lanz freute sich Baerbock darüber, dass es für Putin „militärisch nicht so vorangeht, wie er sich das vorgestellt hat“. Daher sei der russische Präsident nun „verzweifelt“, würde einen Krieg mit der Angst führen und im Zusammenhang mit den Referenden mit Atomwaffen drohen.

Baerbock führte weiter aus:

„Wir müssen die unterschiedlichen Methoden genau analysieren, weil es eben nicht ein Krieg ist, der wie im 19. Jahrhundert geführt ist, mit Panzern alleine. Sondern es ist ein hybrider Krieg, auch mit viel Propaganda, mit Fake News, man kann auch Lügen dazu sagen, und jetzt kommt dieses weitere Element dazu, indem er Angst schürt, in der Hoffnung, dass dann die Unterstützung der Ukraine abnimmt. Das haben wir ja schon mit Blick auf die Energie gesehen, auch da war das Ziel Spaltung unserer Gesellschaft, Verunsicherung. Und das Wichtige ist, in solchen Momenten nicht der Angst zu folgen, sondern einen kühlen Kopf zu bewahren. Dass man sich aller Risiken bewusst sein muss, aber zugleich sich auch bewusst machen muss, dass diese Erpressungsversuche nicht aufgehen“ (1).

Außerdem verwies Baerbock im ZDF wie auch einen Tag später bei der UN auf die „Folter“ und das große Leiden der Zivilbevölkerung. „Da kann man selber nur dann die Tränen fließen lassen“, so die emotionalen Worte von Baerbock. Daher sei es wichtig, weiter Waffen zu liefern:

„Da sieht man doch, dass die Befreiung die Befreiung (sic) durch die ukrainischen Truppen ist. Weil endlich Frieden und Sicherheit wieder da ist und weswegen diese Waffenlieferungen Menschenleben retten.“

Vor der UN betonte Baerbock abermals, welch großes Leid der Krieg hervorbringe, und dass Russland seinen Angriffskrieg mit „Morden und Vergewaltigungen“ beenden müsse. Auch seien die „Fake-Referenden“ illegal und Russland stürze mit seinem Getreidekrieg die Nationen des Südens in den Hunger (2).

Während Baerbocks Behauptung, im 19. Jahrhundert wären Kriege mit Panzern geführt worden, eher zweifelhaft ist, so liegt sie doch mit ihrer Analyse richtig, dass zu Kriegen heute immer auch Kriegspropaganda gehört.

Spätestens, seit vor mehr als 100 Jahren im Ersten Weltkrieg die moderne Kriegspropaganda begann (3) — damals am fortschrittlichsten von der Creel-Commission in den USA betrieben (4) —, gehört zum Ausüben von Hard Power, also militärischer Gewalt, auch Soft Power. Hier wird mit psychologischen Werkzeugen gearbeitet, um die Menschen im Informationskrieg gezielt zu beeinflussen und die Zustimmung für einen Krieg hervorzurufen.

Baerbock hat ebenfalls Recht, wenn sie meint, dass das gezielte Ansprechen von tiefen Gefühlen, allen voran das Schüren von Angst oder auch Mitleid, zu bewährten Mitteln der Kriegspropaganda gehört. Es mag auch stimmen, dass Russland diese Propaganda gezielt einsetzt. Sie vergisst jedoch zu erwähnen, dass Kriegspropaganda und militärische Gewalt selten nur von einer Kriegspartei ausgeübt werden — üblicherweise betreiben alle an einem Konflikt beteiligten Länder ihre Form von Propaganda und jedes Militär setzt Gewalt ein.

Es wäre daher in diesem Zusammenhang wichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht nur Russland Propaganda betreibt, sondern dass die USA die fortschrittlichsten Propagandamethoden entwickelt haben und in diesem Bereich führend sind. Ferner geht die militärische Gewalt nicht nur von Russland aus, sondern seit 2014 auch von ukrainischer Seite. In wie weit die Äußerungen von Annalena Baerbock daher selbst Propaganda sind, muss der Zuhörer selbst entscheiden.

Der Standpunkt von Sergej Lawrow

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wies in seiner Rede vom 22. September wie Baerbock darauf hin, dass das Völkerrecht gebrochen werde — allerdings durch die Ukraine, so Lawrow. Er betonte, dass die Verbrechen des Maidan aus dem Jahr 2014 bis heute nicht bestraft worden und in dem Bürgerkrieg seither viele tausend Menschen gestorben seien.

Auch Lawrow beschuldigte seine Gegner der Verbreitung von Kriegspropaganda. Aus seiner Sicht hätte die westliche Berichterstattung über die Gräuel von Butscha einem „Propagandaeffekt“ für die Ukraine gedient, und man sei heute an echter Aufklärung nicht interessiert. „Niemand erinnert sich mehr an Butscha — außer uns“ (5), beschwerte sich Lawrow. In seiner Rede vom 24. September sprach er darüber hinaus von „groben Inszenierungen“ (6).

Auch heute würden ukrainische Soldaten gezielt Zivilisten beschießen sowie durch den Beschuss des Atomkraftwerks Saporschje die Gefahr einer nuklearen Katastrophe heraufbeschwören. Russland habe „zahlreiche Beweise“ für die „kriminellen Handlungen des Kiewer Regimes, die seit 2014 regelmäßig begangen werden“, so Lawrow.

Er erklärte auch, wie die Ukraine und der Westen Kriegspropaganda betreiben würden: Russen seien als „Untermenschen“ oder „Kreaturen“ abgewertet worden, die man folglich töten könne.

Das sei möglich, da der Westen dazu das einseitige „Narrativ“ verbreite, die russische Invasion sei der Ursprung aller Probleme, während man den seit 2014 andauernden Bürgerkrieg ignoriere und die Ukraine für die von ihnen begangenen Verbrechen nicht bestrafe.

Lawrow hat Recht, wenn er den Bürgerkrieg erwähnt, der laut einer UN-Studie bis zum Jahr 2022 mehr als 14.000 Opfer forderte.

Wie Baerbock könnte auch Lawrow Recht haben, wenn er den Westen der gezielten Verbreitung eines Narratives und der Verbreitung von Kriegspropaganda beschuldigt. Die gezielte Abwertung und Entmenschlichung des Gegners kritisiert Lawrow zu Recht als Kriegspropaganda.

Es steht jedoch fest, dass die gegenseitigen Beschuldigungen und Behauptungen, der Gegner sei besonders grausam, würde das Völkerrecht nicht achten und mit Kriegspropaganda Lügen verbreiten, für beide Seiten zwar zutreffen können — sie zeigen jedoch keinen Weg zum Frieden auf.

Dialog und Kompromisse erforderlich

Der Weg zum Frieden kann auch nicht in der Lieferung von immer noch mehr Waffen an die Ukraine bestehen. Hier hat Annalena Baerbock Unrecht, wenn sie behauptet, die Lieferung von Waffen an die Ukraine würde Leben retten und Frieden schaffen. Sowohl durch Kriegspropaganda als auch durch Waffenlieferungen wird kein Frieden geschaffen, sondern der Krieg und das Leiden und Sterben von Menschen werden dadurch erst möglich.

Um Frieden zu schaffen, braucht es daher von Seiten der Politik einen „ehrlichen Dialog und die Suche nach Kompromissen“ (6) sowie ein Verständnis für die geopolitischen Beweggründe aller Beteiligten. An die Stelle von Propaganda muss eine ehrliche Aufklärung treten und keine Abwertung, sondern Mitgefühl für alle Beteiligten.

Von Seiten der Bevölkerung ist es entscheidend, die Kriegspropaganda zu durchschauen, welche die Gedanken und Gefühle der Menschen vergiftet.

Ein Wandel in den Köpfen und Herzen der Menschen kann dazu führen, dass die Zustimmung für den Krieg sowohl von westlicher als auch von russischer Seite abnimmt — und dieser Wunsch nach Frieden und die Ablehnung von Propaganda und Gewalt sind die Basis dafür, um die verhärteten Fronten aufzuweichen und den Weg zum Frieden tatsächlich gemeinsam zu beschreiten.

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bearbock-putin-ukraine-krieg-russland-lanz-100.html
(2) Rede von Annalena Baerbock vor dem UN-Sicherheitsrat zum Krieg Russlands gegen die Ukraine am 22. September 2022
(3) Eberhard Demm (2021): Censorship and propaganda in World War I. A comprehensive history, Bloomsbury, London
(4) Detlef R. Peters (1964): Das „US-Committee on Public Information” – Ein Beitrag zur Organisation und Methodik der geistigen Kriegsführung in den USA im Ersten Weltkrieg, Köhler Minden, Berlin; vgl. auch: https://www.nachdenkseiten.de/?p=86105
(5) Rede von Sergej Lawrow vor dem UN-Sicherheitsrat zum Krieg Russlands gegen die Ukraine am 22. September 2022
(6) Rede von Sergej Lawrow bei der UN-Vollversammlung am 24. September 2022

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Piranha
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    Herr Lawrow ist der am längsten amtierende Außenminister weit und breit.

    Ich bin weit davon entfernt, seine Tätigkeit auch nur im geringsten beurteilen zu können. Allerdings hab ich mir in jüngerer Zeit seine Statements – auch längere als 2 oder 3 Minuten – angehört/angesehen.

    Dabei fällt er mit profunder Kenntnis und einer souveränen Gelassenheit auf.

    Ob er oder die Herren Putin oder Medwedew: immer und immer wieder gab es Gesprächsbereitschaft. Das ging soweit, dass Putin im eigenen Land Unverständnis und teilweise Zorn erntete, weil er, nachdem eine der per Referendum neuen Gebiete im Osten von den ukrainischen Soldaten heftigst angegriffen wurden, immer noch auf gegenseitige Friedensgespräche hoffte.

    Das hatte dann sein Ende, als durch einen Terrorakt die Krimbrücke beschädigt wurde.

    Wie bekannt sein dürfte, fliegt die russische Luftwaffe Angriffe gegen die kritische Infrastruktur mit wenigen Toten!

    Das hat die New York Times dazu veranlasst, folgenden Satz zu schreiben:

    Die russischen Raketenangriffe, bei denen am Montag in der gesamten Ukraine mindestens 19 Menschen getötet wurden, waren weitreichend, aber nicht so tödlich, wie sie hätten sein können. Das hat neue Fragen über die Qualität der russischen Waffen aufgeworfen.

    Diesen absonderlichen Zynismus muss man sich geben, aber den USA waren menschliche Opfer in all ihren Angriffskriegen völlig gleichgültig oder gar gewollt.

    Dass von russischer Seite stets betont wurde, dass kein Angriff auf Ukrainer erfolgen soll, sondern gegen ihre Naziregierung, wird unterschlagen, weil es passt einfach nicht in das Denken von US-amerikanische Doktrinen.

    Da “Der Spiegel” sich längst mit den Millionen von Gates zum Propagandablättchen herabgestuft hat, möchte ich den “Anti-Spiegel” von Thomas Röper empfehlen.

    https://www.anti-spiegel.ru/2022/bestialisch-oder-praezise-die-russischen-vergeltungsschlaege-und-ihre-opfer/

    Ich behaupte nicht, dass Röper immer richtig liegt. Das behauptet er selbst auch nicht, sondern bleibt selbstkritisch. Aber es ergibt Sinn, sich auf seiner Seite einfach mal ein bisschen umzusehen.

  • Piranha
    Antworten
    Ach ja, fast vergessen: Bärbock. Von manchen liebevoll “Schnatterlena” genannt.

    Über diese Dame äußere ich mich nicht mehr, denn die Satire und der schwarze Humor folgen dem.

    Vor allem hab ich stets die Phantasie eines Bauchredners, der die Hand in ihrem ….. hat. Mehr muss ich nicht sagen.

     

  • Kartoffel
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    Baerbock ist die, die gegen den Bär bockt.
  • Jan E.
    Antworten
    Unfassbar,  dass es offenbar  Politiker gibt, die einen Nuklearkrieg in Europa als mögliche “Option” betrachten. In den USA wurde kürzlich die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, Mitglied der Demokratischen Partei, , wegen ihrer Unterstützung / Abstimmung für die Finanzierung ders Krieges zur Rede gestellt, von einigen Studenten. Diesen Mut, diesen Widerspruchsgeist  würde ich mir auch wünchen, von jungen Menschen in Deutschland. Es geht um Eure Zukunfgt! Wir brauchen eine friedliche Lösung des Konflikts. Beendet diesen wahnsinnigen Krieg!  https://twitter.com/i/status/1580433438208708609

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