Volkserziehungs-TV

 In Medien, Politik (Inland), Roland Rottenfußer
Szene aus "Schneller als die Polizei erlaubt"

Szene aus “Schneller als die Polizei erlaubt”

1967 startete Eduard Zimmermann mit „Aktenzeichen XY … ungelöst“, die erste Reality-Krimireihe, und ein ganzes Volk beteiligte sich an der Mörderjagd. Mittlerweile versucht eine unübersehbare Menge von „Real Life Dokus“ den Bürgern die Folgen von Ordnungswidrigkeiten drastisch vor Augen zu halten. Etwa „Achtung, Kontrolle!“, „Schneller als die Polizei erlaubt“ oder „Der Jugendknast.“ Um Mord geht es dabei schon längst nicht mehr. Aus der Perspektive sympathisch gezeichneter Ordnungshüter werden Bürger wegen Radfahrens auf der falschen Straßenseite oder Pinkelns im Vorgarten von der Kamera gnadenlos bloßgestellt. Dabei wird ein idyllisches Bild vom Prinzip „Überwachen und Stafen“ gezeichnet. Die Botschaft ist: „Du kannst dir nie sicher sein. Sie erwischen dich. Und wenn sie dich haben, ist Widerstand zwecklos“. Zweifellos dient der Boom des neuen Spießer-TV der präventiven Dressur des Fernsehvolks. (Roland Rottenfußer)

In Münchens größter Buchhandlung gibt es zwei ungefähr gleich große Abteilungen: „Romane“ und „Krimis“. Warum eigentlich diese Aufteilung? Sind Krimis nicht auch Romane? Der offenbare Grund ist: Von allen denkbaren „Plots“ übt einer offenbar eine unüberwindliche Sogwirkung auf Autoren wie Leser aus: Ein Verbrechen geschieht – ein Polizist führt den Täter seiner gerechten Strafe zu. In wie vielen Varianten haben wir dergleichen schon gesehen, gehört, gelesen? Die Dominanz der Krimis im Fernsehprogramm scheint seit den Zeiten von „Der Kommissar“ und „Derrick“ eher noch gewachsen zu sein. Ein Schelm, wer dahinter volkserzieherische Absichten vermutet. Denn was lernt ein Fernsehvolk, dessen wichtigeste Helden omnipotente Ermittler sind – mit menschlichen Schwächen behaftet zwar, aber doch im Ergebnis gnadenlos effektiv? Vor allem prägt sich die Unentrinnbarkeit der Strafverfolgung ins Unterbewusstsein ein.

Früher waren die mythologische Helden oft Rebellen: von Prometheus bis Zorro; Schauspieler wie Marlon Brando und James Dean glänzten in aufmüpfigen Rollen. Die Helden unsere Zeit sind Ordnungshüter. Das Klicken der Handschellen, die Einlieferung eines zuvor freien Menschen ins Gefängnis erscheint als ultimatives Film-Happy-End. Der erste große Volkserzieher der Nachkriegszeit war Eduard Zimmermann. Sein „Aktenzeichen XY … ungelöst“ machte Verbrechensbekämpfung zum Volkssport. Zimmermann, Mitbegründer des Vereins „Weißer Ring“, fühlte sich dem Schicksal der Opfer verpflichtet, die nach seiner Ansicht im Vergleich zu den Tätern zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekamen. Ein ehrenwertes Anliegen. Trotzdem hatte „Aktenzeichen“ einige problematische Aspekte, allzu kompatibel mit der Volkszorn schürenden Crime-Berichterstattung der BILD-Zeitung: die „Treibjagd“-Metaphorik bei der Beschreibung kriminalistischer Arbeit; die einfältigen Film-Einspieler, die das biedere Bild einer von den Tätern jäh durchbrochenen Familienidylle zeigten, die Verweigerung jeder Annäherung an die Täterpsychologie. Diese Merkmale sollten stilprägend für spätere Reality-Formate werden.

Ordnungshüter räumen auf

Die Sendereihe „Achtung Kontrolle! – Einsatz für die Ordnungshüter“ gibt es seit 2008. Im September 2012 wurde sie interessanterweise von „Reality“ (echte Fälle mit versteckter Kamera) auf „Scripted Reality“ umgestellt (erfundene Fälle, von Laiendarstellern nachgestellt). Die alte Darstellungsform verletzte schamlos die Privatsphäre der bei kleinen Ordnungswidrigkeiten ertappten Menschen – eine Form von Distanzlosigkeit, auf die die Zuschauer durch vermeintlich witzige Formate wie „Verstehen Sie Spaß“ und „Big Brother“ psychologisch vorbereitet worden waren. So konnte es schon mal vorkommen, dass sich Bürger beim Pinkeln in Vorgärten verfolgt, belehrt und von der Kamera bloßgestellt sahen. Die „Scripted Reality“ dringt nicht derart in die Intimsphäre realer Menschen ein. Dafür hat sie im Grunde keinerlei Aussagewert – was die Macher nicht daran hindert, aus nur inzenierten Verstößen volkserzieherische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Auf „Achtung Kontrolle“ folgte eine Flut verwandter Formate wie „Mein Revier – Ordnungshüter räumen auf“, „Achtung Kontrolle Airport“ und „Achtung Kontrolle – die Topstories der Ordnungshüter“. Andere Sender zogen nach mit Sendereihen wie „Ärger im Revier“ (RTL2), „Einsatz täglich – Polizisten ermitteln“ (ZDF), „Recht und Ordnung“ (RTL) oder „Schneller als die Polizei erlaubt“ (Vox). Damit auch niemand den Ernst von Gesetzesverstößen unterschätzt, gibt es obendrein Gefängnissoaps wie „Der Jugendknast“ (RTL2). Gern werden bei deutschen Sendern auch internationale Einspieler gezeigt, vor allem aus den USA, wo Polizisten meist „Hands up!“ brüllend und mit roher Gewalt agieren. Auffällig ist auch die Müllentsorgungsmetaphorik („räumen auf“), bezogen auf Bürger, die Fehler machen.

Edler Kontrolleur, pöbelnder Delinquent

Eine typische Szene aus „Achtung Kontrolle!“ war „Falschparker rastet aus“, veröffentlicht 2012. „Wuppertal – hier bekommen es Falschparker mit Olav Lietgens zu tun“, beginnt eine süffisante Off-Stimme. Die versucht dann auch sogleich, Mitgefühl mit dem sympathischen Fahrer eines Abschleppwagens zu wecken: „Sein großes Talent ist ein echt dickes Fell. Denn was er sich manchmal anhören muss, geht auf keine Kuhhaut.“ Lietgens ist gerade dabei, ein Auto abzuschleppen, das auf einer gestrichelten Zone abgestellt wurde. Der bärbeißige Besitzer eilt herbei und beginnt sogleich, den Abschlepper zu beschimpfen: „Seid ihr eigentlich bekloppt, oder was is los? Wat is’n dat für ne Abzockerei?“ Kommentator: „Dieser Verkehrsteilnehmer ist auf Krawall gebürstet. Straßenverkehrsordnung – nie gehört.“ Mit Engelsgeduld klärt Lietgens den Delinquenten über sein Vergehen auf. 60 Euro + Mwst. verlangt er, obwohl der Autofahrer sich bereit erklärt, sofort wegzufahren. Am Schluss kutschiert er den Pöbler sogar noch zu einem Bankomaten. So viel Edelmut nötigt dem Kommentor Respekt ab.

Die beschriebene Szene enthält einige charakteristische Merkmale. Wer derartige Sendungen öfter anschaut (was ich „von Berufs wegen“ getan habe), wird bestätigen können, dass sie für die meisten Beiträge von „Achtung, Kontrolle!“ zutreffen und damit kein Zufall sind:

– Der „Kontrolleur“ (hier vom Abschleppdienst) wirkt sympathisch und besonnen, ja gemessen an dem Abgrund an Uneinsichtigkeit, mit dem er es zu tun hat, fast schon zu langmütig. Die Szene wird aus seiner Perspektive gezeigt. Schon vor der Konfrontation mit dem Regelbrecher darf er von seiner Arbeit, seinen Gefühlen und Motiven berichten. Schon das schafft für den Zuschauer eine gewisse Nähe.

– Der Kontrollierte ist ein uneinsichtiger, pöbelnder Idiot. Die Begründungen, die er für seinen Verstoß angibt, sind hanebüchen und leicht als faule Ausreden zu durchschauen. Schon durch seinen unsympathischen, beleidigenden Auftritt scheint er seine Strafe verdient zu haben. Obwohl sich die Zuschauer in ihrem Alltag weitaus öfter in der Rolle des Kontrollierten als des Kontrolleurs wieder finden dürften, erzielt der Kurzfilm dadurch einen Entsolidarisierungseffekt.

– Weder das Verbot als solches (in den meisten Fällen enthält es zumindest einen sinnvollen Kern) noch die Höhe der Strafe wird in irgendeiner Weise problematisiert. Beides wird als gegeben und grundsätzlich legitim vorausgesetzt.

– Die wichtigste Botschaft besteht aber schlicht darin, dass sich der Kontrolleur gegenüber dem Kontrollierten auf ganzer Linie durchsetzt. Es gibt kein Entrinnen vor dem „Strafanspruch“ des Staates. Pardon wird nicht gegeben und Widerstand ist – wie bei der Begegnung mit einem Borg-Kollektiv in den Star Trek-Serien – zwecklos.

Widerstand ist zwecklos

Zusammenfassend kann man sagen, dass mit Serien wie „Achtung, Kontrolle!“ die Bereitschaft der Zuschauer, Gesetze und Vorschriften zu befolgen, mit Blick auf die Unausweichlichkeit der staatlichen Nemesis erhöht wird. Die pure Anzahl der telegen verhängten Strafen lässt im Unterbewusstsein den Eindruck entstehen, dass „Schuld und Sühne“ quasi naturgesetzlich aufeinander folgen. Interessant ist auch, dass die Ertappten nicht selten gegen ihre Strafe aufmucken, um sich dann mit gleicher Regelmäßigkeit als Verlierer in dem Konflikt wieder zu finden. Nahe liegende Vorwürfe gegen die Ordnungsmacht (die Bestrafung der Bürger sei „Abzocke“, also vielleicht finanziellen Interessen geschuldet) wird damit in einem Aufwasch entsorgt. Vor allem legt die Dramaturgie dem Zuschauer nahe, einen Konflikt, den er nicht gewinnen kann, gar nicht erst zu beginnen, sich also die mit vergeblichem Aufbegehren verbundene Demütigung zu ersparen. Ein derartig „geschultes“ Volk ist für die Ordnungsmacht natürlich leichter handhabbar. Es setzt seiner legalen Enteignung so wenig Widerstand entgegen, wie sich ein Bankomat dagegen wehren kann, dass man Geld aus ihm „zieht“.

Unabhängig davon, wie „schlimm“ die Vergehen der Bürger sind, die in „Reality-Kontroll-Soaps“ gezeigt werden, muss festgehalten werden: Kontrollen und Strafen sind für den Staat immer auch Werkzeuge zur Ausübung von Herrschaft. Durch ein Verbot wird zugleich ein Delikt erschaffen, das vorher noch nicht existiert hatte: Die „Zuwiderhandlung“ ist gleichsam die Keimzelle jedes Verbrechens. Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich möchte hier nicht suggerieren, dass in einem zivilisierten Gemeinwesen „alles“ erlaubt sein sollte. Es geht mir nur darum, festzustellen, dass Verbote, wenn sie über eine „natürliche Moral“ hinausgehen (etwa das Verbot von Mord, Vergewaltigung oder Raub), natürlich nur eine sehr relative Bedeutung haben, also historisch und kulturell bedingt schwanken können. Vor 50 Jahren war Homosexualität in Deutschland strafbar, Fahrten mit 0,6 Promille Alkohol im Blut oder das Öffnen einer Dose Bier in Münchener U-Bahnen waren dagegen erlaubt.

Die „Zero-Tolerance“-Gesellschaft

Ein Großteil der Verstöße, die in Kontroll-Soaps gezeigt werden, betrifft tatsächliche (oft gefährliche) Fehler. Das gilt z.B. für Geschwindigkeitsüberschreitungen, die in der Sendung „Schneller als die Polizei erlaubt“ im Mittelpunkt stehen. Mit Sicherheit ist auch das Verhalten gefährlicher Raser eine Form illegitimer Machtausübung durch Privatpersonen, der der Staat – idealerweise die „Volksvertretung“ – entgegentreten muss. Es muss allerdings auf ein gesundes Gleichgewicht zwischen Freiheitsinteressen einerseits und Ordnung schaffenden Maßnahmen andererseits geachtet werden. Dieses Gleichgewicht verschiebt sich zunehmend in Richtung einer autoritären Ordnungsgesellschaft. Zugleich soll den Kontrollierten durch eine mediale Propagandainitiative totales Einverstandensein mit dem Kontrolliertwerden aufgeschwatzt werden. Gerade in Zeiten von NSA-Bespitzelung und erodierender Demonstrationsrechte ist das eine gefährliche Tendenz. Parallel zu den Hasskampagnen gegen „Sozialschmarotzer“ soll auch der „Zuwiderhandler“ unabhängig vom Einzelfall als nörgelnder Idiot abgekanzelt werden, dessen finaler Unterwerfung unter die Staatsmacht der „anständige“ Fernsehzuschauer mit schadenfroher Befriedigung beiwohnt.

Es zeigt sich in diesem TV-Trend eine eskalierende Tendenz zur Kleinlichkeit, zur autoritären Unduldamkeit, die den libertären, antiautoritären Zeitgeist im Gefolge der 68er-Bewegung abgelöst hat. Diese Tendenz ist ihrem Ursprung nach US-amerikanisch und beruht auf dem „Zero Tolerance“-Gedanken, mit dem die Straßen New Yorks in den 90ern von Bagatellübertretungen wie Graffitis und Schwarzfahren „gesäubert“ wurden. Aber wo sich die Negierung von Toleranz als Kulturideal durchsetzt, ist – wie in den USA – der Schritt zum Folterlager, zum finalen Menschenrechtsabbau nicht mehr weit. In Deutschland ist es mit der Toleranz auch nicht mehr weit her. Schon ab einer Geschwindigkeit von 51 km/h in Ortschaften zieht sich der Mundwinkel der Staatsmacht missbilligend nach unten, bis der dressierte Bürger dem interaktiven, elektronischen Hinweisschild bei 50 km/h ein gnädiges Lächeln entlockt. Die Botschaft ist: Du wirst bei jedem deiner Schritte gefilmt und korrigierend ermahnt. Du schwebst permanent in der Gefahr, dich strafbar zu machen. Dahinter steht die beidere Fantasie eines völlig reibungs- und fehlerlos funktionierenden öffentlichen Lebens, die ihrem Wesen nach nekrophil ist. Denn nur ein toter Automat funktioniert stets so, wie es der Programmierende vorgesehen hat.

Knetmass in der Hand des Staates

Der Bürger erscheint in diesem lebensfeindlichen Entwurf nicht als Subjekt des demokratischen Prozesses, von dem alle staatliche Macht ihre Legitimation ableiten muss, sondern als Knetmasse in den Händen staatlicher Modellierkunst. Im „christlichen Abendland“ hat sich die unduldsame Verfolgung kleinster Fehler dem Zeitgeist eingeprägt. Wie auf den Warntafeln eines privaten Verkehrsbetriebs, gefallen sich die Ordnungshüter darin, jede nachvollziehbare Entschuldigung (man habe z.B. die Monatsfahrkarte zuhause vergessen) als ebenso weichliches wie irrelevantes Gejammer abzuschmettern: „Nette Versuche, aber Schwarzfahren kostet 60 Euro“. Abseits der Privatwohnungen erscheint der öffentliche Raum als menschlichkeitsbereinigte Zone, in der unerbittliche „karmische“ Konsequenz waltet. Durch die Kameralinse der Kontroll-Soaps betrachtet, erscheint das Volk als nölender „Sauhaufen“, dem die mit überlegener Einsicht begabten Staatsbediensteten erst Ordnung einbläuen müssen.

Aktzeptabel ist, dass Ordnungskräfte in den Soaps als Menschen gezeigt werden, die subjektiv wahrscheinlich meist gute Absichten verfolgen. Gerichtsvollzieher müssen z.B. viel ungerichteten Zorn ihrer Klientel auf sich ziehen, obwohl das „Eintreiben“ von Steuern – jedenfalls der Idee nach – legitim ist und allen nützt. Es ist hilfreich, sie nicht als Unmenschen zu betrachten, sondern sich auch einmal in deren Perspektive hineinzuversetzen. Typisch für „Achtung Kontrolle“ ist allerdings auch hier die maßlose Übertreibung. In einer der letzten Sendung wurde ein „Steuersünder“ als frecher Betrüger dargestellt, der auf jeden pfändbaren Gegenstand „Finger weg!“-Aufkleber platzierte. Jedes halbwegs brauchbare Stück gehörte angeblich seiner Freundin. „Ich spürte gleich, dass da etwas faul ist“ räsonierte die wie immer äußerst besonnene Gerichtsvollzieherin. Und in der Tat: Der Versuch des kecken Schuldners, sich der gerechten Pfändung zu entziehen, war plumper Betrug. Nicht fair, wenn man bedenkt, dass „wir Anständigen“ unsere Steuern ja auch immer zahlen, oder? Soziale Fragen grundsätzlicher Natur werden in einer solchen Sendung aber nicht gestellt. Die wachsende Armut in Deutschland, die unbezahlbaren Mieten in Großstädten, der boomende Niedriglohnsektor – alles keine Themen bei Repressions-TV. Wer einen Zahlungsbefehl vom Finanzamt bekommt, hat zu parieren.

Die Zerstörung der Solidarität

Soziale und gesellschaftliche Ursachen konkreter Verstöße sind nicht nur ein „blinder Fleck“ dieser Sendereihen, es herrscht eine umfassende und systematische Sozialblindheit, eine Fixierung auf die Oberfläche des Vorgangs: den Regelverstoß und seine Ahndung durch einen dienstbeflissenen Kontrolleur. Manche Beiträge zielen auch ganz konkret auf die Zerstörung des letzten Restes von Solidarität ab, die Bürger untereinander noch aufzubringen vermögen. In einem Beitrag von „Schneller als die Polizei erlaubt“ warnt ein Autofahrer entgegenkommende Verkehrsteilnehmer durch Lichthupe vor einer Radarfalle. Sein Pech: Er blinkt einen verdeckten Ermittler an, der sich auf Verkehrssünderjagd befindet. Der Regelbrecher wird nun mit großem Trara zum Anhalten gezwungen, darüber belehrt, dass derartige Warnungen verboten sind und zur Kasse gebeten. „Keine kluge Entscheidung – Andere vor einer Geldstrafe bewahren wollen und selbst eine kassieren!“ kommentiert eine besserwisserische Off-Stimme. Die Lehre für den Zuschauer: Solidarität ist nur gegenüber dem Großen Bruder erlaubt.

Jenseits der offiziellen Begründung für ein Verbot und eventueller pekuniärer Interessen (Aufbessern der Revierkassen) hat Herrschaft die Eigenschaft, sich selbst permanent zu bestätigen und zu verstärken. Der Staat als erlaubendes oder verbietendes Machtzentrum hat ein Interesse daran, dass sich die Bürger möglichst oft als Unterworfene erleben. Mit jedem Unterwerfungsvorgang gewinnt der Machtapparat an Kraft, zementiert sich das Machtgefälle zwischen „Oben“ und „Unten“. Fernsehsendungen, die auf unkritische Weise über Kontrollen und Strafen berichten, fördern eine Selbstentfremdung der Bürger, eine Erosion ihres Selbstbehauptungswillens; sie propagieren überdies eine Solidarisierung des Unterworfenen mit dem Unterwerfer. Gerade bei TV-Sendern, die gleichzeitig das intellektuelle und ethische Niveau ihrer Unterhaltungssendungen systematisch herabsetzen, die Voyeurismus und Schadenfreude fördern und ihr Programm überdies als Werbeumfeld für mächtige Markenfirmen verstehen, ist diese einseitig repressionsfreundliche Haltung mehr als bedenklich.

Die neue TV-Spießigkeit

In Zusammenarbeit mit behördlichen Verlautbarungen und Kampagnen der großen Print-Medien wird so immer wieder eine Hysterie erzeugt, die bestimmte Bevölkerungsgruppen kriminalisiert, um in der Folge ihren Bewegungsspielraum einzuschränken. So finden sich Radfahrer in den Medien zunehmend nur noch mit dem Zusatz „-Rambo“ wider; wer auf dem falschen Gehsteig aus Bequemlichkeit eine kleine Strecke fährt, ist ein „Geisterfahrer“ usw. Rambo allerdings, die legendäre Figur von Sylvester Stallone, ist ein Massenmörder, Geisterfahrer sind Menschen, die andere aus Unachtsamkeit in Lebensgefahr bringen. Die Diffamierungskampagnen der Menschendompteure kennen weder Maß noch Mitte. Die „Tugend-Republik“ (Die Zeit) bauscht kleinste Verstöße zu Staatsakten auf – und was ist Spießertum anderes als ins Aggressive gewendete Engherzigkeit?

Verdummung und eine repressionsfreundliche „Law and Order-Politik“ sind die beiden Flügel, mit denen Sender in den Quotenhimmel aufsteigen wollen. Formate wie „Achtung Kontrolle“ erzielten durchschnittlich 3,1 Prozent „Marktanteil“ – noch keine Straßenfeger, aber eine ordentliche Quote, die erstaunt – erscheint das Anschauen solcher Soaps doch aus Sicht der Kontrollierten geradezu selbstquälerisch. Sinnvollerweise vermag nur das Element „Schadenfreude“ diesen Erfolg erklären – und damit lässt sich nicht erst seit dem „Dschungelcamp“ der große Reibach machen. Beim Fernsehvolk scheint auch eine Grundbereitschaft vorhanden zu sein, aus einer Lebensangst heraus bei Mächtigen „unterzukriechen“. In einer Zeit, in der sich kaum noch jemand traut, ohne Helm und Knieschoner zu radeln, mittags ohne Licht Auto zu fahren und ohne Skistöcke spazieren zu gehen, schürt jede Regelwidrigkeit die Angst vor Anarchie und Chaos.

Die Quote ist aber auch der Hebel, mit dem die Fernsehzuschauer selbt mitbestimmen können, wieviel Einfluss sie dem neuen TV-Spießertum einräumen wollen. Soll das Gleichgewicht zwischen der Freiheit und dem „Supergrundrecht“ Sicherheit nicht noch empfindlicher gestört werden, müssen wir gegensteuern: z.B. indem wir bei Kontoll-Soaps gar nicht erst einschalten.

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