Vom Verschwinden der SPD

 In FEATURED, Holdger Platta

Noch wirklich ein Sozialdemokrat: August Bebel

Wozu noch SPD? Alles, was die Partei derzeit „leistet“, kann Angela Merkel ebensogut: ob es um die Absicherung der „Eliten“ vor allzu viel Sozialstaat geht, um den Ausbau der Überwachungs- und Repressionsstrukturen oder um Kriegseinsätze im Ausland. 100 Prozent für Martin Schulz, also für einen dezidiert neoliberalen Kandidaten – damit ist die SPD im Grunde noch tiefer gefallen als sie es an ihrem bisherigen absoluten Tiefpunkt, der Schröder Ära, gewesen ist. Denn das interne Wahlergebnis scheint zu zeigen: es gibt nicht im Ansatz etwas wir innerparteiliche Opposition, die die Bezeichnung „Sozialdemokratie“ verdienen würde. Dabei war die „alte Tante SPD“ einmal eine stolze Partei, gar – Gott bewahre! – eine marxistische. Holdger Platta blickt zurück im Zorn und macht deutlich: der Selbstverrat der SPD ist an sich kein neues Phänomen.
(Holdger Platta)

Feldfrüchte

<…>
Sinnend geh ich durch den Garten
unsrer deutschen Politik;
Suppenkohl in allen Arten
im Kompost der Republik.
Bonzen, Brillen, Gehberockte,
Parlamentsroutinendreh …
Ja, und hier – ? Die ganz verbockte
liebe gute SPD.
Hermann Müller, Hilferlieschen
blühn so harmlos, doof und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.
(Kurt Tucholsky, 1926, veröffentlicht in der „Weltbühne“)

Vor einigen Jahren hat Konstantin Wecker einen leidenschaftlichen Appell an die ‚GenossInnen’ der SPD gerichtet, zu einer Politik zurückzukehren, die wieder die Interessen der arbeitenden Menschen sowie der ausgegrenzten und verelendeten Hartz-IV-Betroffenen in den Mittelpunkt rückt. Manche LeserInnen haben ihm deswegen ‚Naivität’ vorgeworfen, obwohl dem Appell des politisch engagierten Künstlers aufs deutlichste zu entnehmen ist, daß er diesen Appell als quasi letzten Aufruf betrachtet, die SPD wieder zurückführen zu können zu dem, was die SPD einmal war: eben nicht eine Partei der Reichen und Mächtigen, sondern der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Doch wird die SPD diesen Weg gehen? Oder schreitet sie weiter auf ihren Untergang zu, in Treue fest an der Seite der Herrschafts’eliten’ in unserer Republik, unbeirrt von der Tatsache, daß sie mittlerweile mehr als die Hälfte aller Mitglieder verloren hat, mehr auch als die Hälfte ihrer WählerInnen? Und: wann zuletzt gab es eigentlich diese andere, diese bessere SPD – eine SPD, die man ohne Einschränkung als Partei der Menschen ganz unten bezeichnen konnte, als Partei, die ohne Einschränkung auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten stand?

Tatsächlich, die SPD war einmal eine marxistische Partei!

Nun, selbst wenn es manche auch überraschen mag, angesichts der heutigen SPD: tatsächlich war die deutsche Sozialdemokratie einmal die Bewegung des Proletariats. Sie war tatsächlich, man will es kaum glauben, eine marxistische Partei – selbst im Urteil des Marxismus-Begründers Karl Marx. Doch: lang, lang ist’s her! Und seit jenen Zeiten hat die SPD mindestens zweimal ihre Identität gewechselt beziehungsweise zweimal Mehrfachverrat begangenen an sich selbst und ihren Wählern. Weshalb es heute auch nichts mehr in der SPD gibt, das man noch ernsthaft als sozialdemokratisch bezeichnen könnte (sieht man vom Bewusstsein einzelner – sozusagen restverbliebener – ParteigenossInnen ab). Und man kann, trotz schleichender Prozesse im Inneren dieser Partei, auch zwei präzise Daten nennen, an denen sich die vollkommene Selbstvernichtung dieser Partei als sozialdemokratischer Partei vollzog: den 4. August 1914 – ich komme gleich auf dieses Datum zurück – sowie den 27. Oktober 1998, den Beginn der Kanzlerschaft Gerhard Schröders. Auch dazu später noch einiges mehr!

Der erste, gleich dreifache, Selbstverrat der SPD

Historiker und Politologen sind sich weitgehend einig: bis zum 4. August 1914 war die SPD eigentlich eine marxistische Partei – also jene mächtige Sozialbewegung der deutschen Arbeiterschaft, die, wenn man so will, gleich zweimal gegründet worden ist (und gleich zweimal zunächst auch noch unter anderen Namen). Zum einen als „Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADAV)“ von Ferdinand Lassalle am 23. Mai 1863 in Leipzig, zum anderen, im Jahre 1869, von August Bebel und Wilhelm Liebknecht, in Eisenach als „Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP)“. Zwar setzte die deutsche Sozialdemokratie – fast von Anfang an – auf einen sogenannten „Legalitätskurs“ (= ausschließlich über Wahlen wollte man die Verhältnisse umstürzen auf deutschem Gebiet), und dieser „Legalitätskurs“ war von Anfang an verknüpft mit der „Parlamentsorientierung“, mit Absage an die Anwendung jeglicher Gewalt, verknüpft im übrigen auch mit der Pflege innerparteilicher „Autoritäts-Orientierung“ (bis zu dessen Tod im Jahre 1913 war August Bebel quasi der „Übervater“ der SPD). Heißt: das Setzen allein auf Partei (und nicht auf Massenbewegung) und auf Parlamente etablierte in dieser Marxismusvariante das „Stellvertreterprinzip“ – irgendwelche Parteioberen sollten so etwas zustande bringen wie „Revolution“ -, und dieses „Stellvertreterprinzip“ wiederum etablierte sehr rasch auch eine „Bevormundungsstruktur“ innerhalb dieser Partei – nebenbei: bis heute typisches Merkmal für sogenannte „repräsentative“ Demokratien! Aber dennoch wollte diese SPD zugleich die Revolution. Sie wollte Abschaffung des Kapitalismus und Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft, sie war eine entschieden internationalistische Partei und gegen jeden Chauvinismus (= „Ein französischer Arbeiter steht dem deutschen Arbeiter näher als ein deutscher Kapitalist“), und sie war eine entschieden antimilitaristische oder Antikriegspartei (= Kriege, das galt auch für das Denken der deutschen Sozialdemokratie, waren Ausdruck von „Imperialismus“ der jeweiligen Länder, Ausdruck kapitalistischer Expansionsgelüste mithin, auch auf gewaltsamem Wege Absatzmärkte zu erobern, wenn nicht gar die Weltherrschaft). Dementsprechend waren Antikapitalismus, Internationalismus, Antimilitarismus auch die zentralen Bestandteile des „Erfurter Programms“ der SPD aus dem Jahre 1891. Und dementsprechend wurde in diesem, von Karl Kautsky und Eduard Bernstein entworfenen, Parteiprogramm auch der „Revisionismus“ abgelehnt und erneut das Erfordernis einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaftsverhältnisse betont. Im übrigen: Positionen, die von der deutschen Sozialdemokratie auch durchgesetzt wurden auf dem Gründungskongress der „Zweiten Internationale“ im Juli 1889 zu Paris, unter der Führung von Wilhelm Liebknecht – mit Wohlwollen registriert von Friedrich Engels, der vom fernen London aus diese Neugründung der „Internationale“ mitinitiiert und vorangetrieben hatte. Und dieses war und blieb Stand der Dinge bei der SPD, bis zu eben jenem 4. August 1914, da es zum ersten – und gleich dreifachen! – Selbstverrat der deutschen Sozialdemokratie kam, drei Tage nach Eintritt des Deutschen Reichs in den Krieg gegen Russland, Frankreich und andere Nationen, in einen Krieg, der sich binnen weniger Wochen ausweiten sollte zum 1. Weltkrieg, zum ersten barbarischen Gemetzel der europäischen Nationen (unter Beteiligung auch außereuropäischer Staaten wie der USA und des Osmanischen Reichs). Was passierte an diesem Tag, an diesem 4. August 1914?

Nun, die deutsche Sozialdemokratie stimmte an diesem Tag im Reichstag einhellig der Bewilligung von Kriegskrediten zu, und sie beschloß an diesem Tage gleichzeitig auch, für die Dauer dieses Krieges, ihre sogenannte „Burgfriedenspolitik“ – hieß: ihre Absage an jedweden innerdeutschen Kampf gegen Reichsregierung und Kapitalismus, ihre Absage auch an jedwede argumentative Auseinandersetzung mit allen anderen Parteien im Reichstag, durchweg prokapitalistischen Parteien! Dasselbe galt auch für sämtliche anderen Parlamente im Deutschen Reich. Trotz der Tatsache, daß ebendieselbe SPD, nichtmal eine Woche vor diesem Reichstagstermin, noch fast 1 Millionen von Deutschen zu Protestdemonstrationen gegen den Eintritt des Reichs in den Weltkrieg auf die Straßen gebracht hatte – davon allein 750.000 Demonstranten in Berlin. Heißt: trotz all dieser Tatsachen war die deutsche Sozialdemokratie urplötzlich für den Krieg, kannte keinen „Internationalismus“ mehr und beendete ihren antikapitalistischen Kampf – einen Kampf, den sie, im übrigen, niemals wieder aufnehmen sollte, auch in den Nachkriegszeiten nicht! Von einem Tag auf den anderen gab es die frühere, die eigentliche, die marxistische SPD nicht mehr. Und sie würde niemals mehr jene Partei und Bewegung sein, die sie rund 50 Jahre lang gewesen war. Doch zu welcher SPD mutierte diese Organisation im Gefolge dieses dreifachen Selbstverrats vom 4. August?

SPD wird zur Schutzmacht für einen „Kapitalismus des kleineren Übels“

Selbstverständlich kann ich nicht die gesamte Geschichte der SPD seit jenem Datum nacherzählen. Selbst wichtigste Fakten muß ich unerwähnt lassen. Deswegen kennzeichne ich die neue, die reichlich selbstverstümmelte Identität der SPD zunächst auch nur mit einem einzigen Satz. Die SPD der Kriegs- und Nachkriegszeit war keinesfalls mehr gegen den Kapitalismus, sie war auch nicht ohne weiteres für den Kapitalismus, sie war für irgendetwas, das zwischen diesen beiden Positionen plaziert war, sie wurde zu einer Schutzmacht für den „Kapitalismus des kleineren Übels“. Konkreter gefasst: sie wurde zu einer Partei, die jeglichen Kampf gegen das kapitalistische System aufgab, sie blieb aber, immerhin das, eine Partei, die nach wie vor für Arbeitnehmerinteressen und die Belange der „kleinen Leute“ eintrat – wie gesagt: innerhalb des nunmehr als gegeben anerkannten kapitalistischen Systems. Sie wurde zu einer Partei – nebenbei: während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 schon! -, die man, mit großem Wohlwollen formuliert, als eine Art Parteiorganisation für einen „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ bezeichnen kann. Bei aller Brutalität gegenüber der Konkurrenz, die links von ihr entstand (= USPD, Spartakusbund, dann KPD):

• die bestialische Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 unter der Führung eines Hauptmannes mit Namen Waldemar Pabst fand zumindest unter Mitwisserschaft und mit Billigung führender Nachkriegs-‚Sozen’ wie Gustav Noske und Friedrich Ebert statt -;

• nach dem sogenannten „Kapp-Putsch“ im März 1920 – ließ die SPD Tausende von Arbeitern erschießen, die eben noch die Republik vor den Putschisten gerettet hatten, mit Bomben und Reichswehr -;

trotz all dieser Brutalitäten setzte sich die SPD für den 8-Stunden-Arbeitstag ein, für das Betriebsrätegesetz, für Anstieg der Löhne, für Kündigungsschutz undundund. Dennoch war die SPD seither eine Partei des prinzipiellen Kompromisses mit dem kapitalistischem System, eine Partei auch des prinzipiellen Kompromisses mit den Herrschafts’eliten’ der Weimarer Republik (was nicht zuletzt – weil diese Herrschafts’eliten’ 1918/1919 von der SPD nicht entmachtet worden waren – mit beitrug zum Untergang dieser ersten Demokratie auf deutschem Boden, ganz erheblich sogar). Und das sollte auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht anders sein. Es blieb bei der unentschiedenen Doppelnatur dieser Partei: keine Systemgegnerschaft mehr gegenüber dem rasch re-etablierten Kapitalismus, auch nach der Gründung der Bundesrepublik nicht, doch immerhin weiteres Eintreten für die Verbesserung der Lebensverhältnisse bei den „kleinen Leuten“, unter den Bedingungen des Kapitalismus, auch in dieser neuen, in dieser zweiten Demokratie auf deutschem Terrain.

• Einführung also zum Beispiel von Mitbestimmung,

• enge Partnerschaft mit den Gewerkschaften, wenn es etwa um Lohnerhöhungen ging,

• Absicherung der Menschen vor dem totalen Absturz ins Nichts, einigermaßen menschenwürdiger Schutz vor dem Nichtmehrexistierenkönnen im Falle von Erwerbslosigkeit.

Und mit der Brandtschen „Ostpolitik“ flammte sogar der alte Antimilitarismus, der frühere „Pazifismus“ der SPD, in Ansätzen wieder auf. Die eigene alte Identität, den Marxismus, allerdings bekämpfte man auch weiterhin, egal, wo man ihn zu entdecken glaubte: in der Gestalt von KPD und SDS und DKP – Stichworte „KPD-Verbot 1956“, „Radikalenerlaß 1972“, „Berufsverbote 1972“. Trotzdem sei noch einmal betont: bei Lohntarifkämpfen, bei Sozialschutz für die Menschen im Krisenfall undundund sah man die SPD überwiegend immer noch auf der Seite der Menschen, die ganz unten ihr kleines, einigermaßen abgesichertes Glück zu leben versuchten. Und das blieb auch so nach Willy Brandt! Das hatte selbst noch Gültigkeit für die Ära der Kanzlerschaft Helmut Schmidt. Erst nach ihm, erst mit Beginn und Ausbau der Kanzlerschaft Gerhard Schröders war Schluß mit der Politik für einen „Kapitalismus des kleineren Übels“. Und damit sind wir auch beim zweiten Selbstverratsdatum der SPD – und damit bei der endgültigen Vernichtung einer echten, einer eigenen, einer ernstzunehmenden sozialdemokratischen Identität: beim 27. Oktober 1998.

SPD wird nahezu einschränkungslos zur Kapitalistenpartei

Um es deutlichst zu sagen: beginnend mit diesem Datum, beginnend mit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders, betrieb die ehemals marxistische SPD präzise, konsequent und nahezu einschränkungslos Politik selbst gegen die allerletzten, längst vorher schon aufgeweichten Interessen des „kleinen Mannes“ und wurde zur Partei der großen Bosse.. Die „Identität“ der SPD stellte seit dem Beginn der Kanzlerschaft Schröders sozusagen nur noch ein Nullum, eine Leerstelle, dar. Wir haben es mit einer Sozialdemokratie zu tun – – – ohne Sozialdemokratie.

Ich denke nicht, daß ich an dieser Stelle mehr als nur Stichworte aufzählen muß.

• Absenkung des Spitzensteuersatzes von – unter Helmut Kohl! – noch 53 Prozent auf 42 Prozent (im Jahr 2001);

• armutsgenerierende Reduzierung der Rentenbeträge;

• mehrfache Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von ursprünglich 15 auf nunmehr 19 Prozent (sie ist die einzige Steuer, der sich praktisch niemand entziehen kann – selbst das Hartz-IV-Opfer nicht! -, und sie ist diejenige Steuer, die, gemessen am Einkommen, den „kleinen Mann“ am stärksten trifft und am wenigsten die Betuchten!).

Und dann, nach allem anderen und vor allem anderen, Hartz-IV – hochtrabend auch als „Agenda 2010“ tituliert! Schröder mit seinen „Genossen“ ließ praktisch nichts aus, was die Menschen ganz oben zu entlasten vermochte (bis in zig „Deregulierungen“ hinein, vor allem die Arbeitswelt betreffend – Stichwort „Kündigungsschutz“, Stichwort „Leiharbeit“, Stichwort „Werkverträge“), und er ließ praktisch keine Maßnahme aus, als es um das Herunterreglementieren der Menschen ganz unten in die Regionen des Fast-nicht-mehr-Existierenkönnens ging, als für ihn und seine „Genossen“ die Zerstörung menschenwürdiger Existenzbedingungen schlechthin für diese Ärmsten der Armen angesagt war. Schröder mit seinen „Genossen“ führte Lebensverhältnisse für das untere Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung ein, unter denen man nicht mehr in Würde leben kann, sondern nur noch – bestenfalls – in äußerster Not überleben. Die SPD wurde zur Waffe des Kapitalismus gegen alle Menschen in Bedrängnis und stellte diese Bedrängnis vor allem selber erst her. Sie ist zur Kampfpartei geworden gegen jeden Menschen, der am Boden liegt. Und vergessen wir nicht:

Als es im Jahre 2013 für die gesamte Mitgliederschaft der SPD um die Frage ging, ob diese Politik fortgesetzt werden solle – nunmehr als „Juniorpartner“ der CDU in einer „Großen Koalition“ -, da stimmten bei einer Wahlbeteiligung von über 70 Prozent gut Dreiviertel aller SPD-Mitglieder genau diesem Kurs zu! An dieser Stelle deshalb auch mein einziger Zweifel an Konstantin Weckers Appell in Richtung SPD (einige weitere Zahlen nenne ich gleich anschließend noch): ganz sicher wird es so sein, daß „an der Basis“ der SPD noch „Genossen“ existieren, die eine Abkehr wollen von diesem bestialischen Kurs der SPD. Und ich glaube Konstantin Wecker aufs Wort, daß er wieder und wieder auf seinen Konzert-Tourneen gerade von solchen wahren, von solchen aufrechtgebliebenen „Genossen“ angesprochen wird. Doch sollte er bedenken dabei, daß andere „Genossen“ – „Genossen“, die halt anders ticken – gerade ihn nicht ansprechen dürften. Auch ich halte von einigen GenossInnen in dieser Partei noch einiges – von Hilde Mattheis zum Beispiel oder von Andrea Ypsilanti (die, typischerweise für diese SPD in der dritten Version, auf übelste Weise ausgetrickst worden ist, als sie im Lande Hessen eine Koalition beschließen wollte mit der Linkspartei), aber wer da ansonsten in der SPD heute noch mitmacht, dem traue ich, ehrlich gesagt, eine solche Umkehr zu den guten Anfängen der Sozialdemokratie nicht mehr zu. Denn man bedenke:

Diese Partei, die zu ihren besten Zeiten, im Jahre 1977, über 1 Million Mitglieder hatte, verlor, mit Schwerpunkt dieser Schwund-Entwicklung seit Hartz-IV-Beginn am 1. Januar 2005, über 500.000 Mitglieder und lag im Dezember 2015 gerade noch bei einer Mitgliederzahl von 445.535. Mehr als eine Halbierung mithin! Das aber wirft die Frage auf: wer dürfte – angesichts der von mir in Stichworten geschilderten Selbstverratsgeschichte der SPD seit 1998 – wohl vor allem ausgetreten sein? Die Rechten, die Pseudo-Sozialdemokraten? Nun, mit Sicherheit nicht! Doch hat’s die Sozen-Bosse bekümmert, dieser Massen-Exodus der sozial-engagierten Mitglieder, der Sozialdemokraten nach wie vor mit Traditionsbewusstsein und Herz? Mit Sicherheit nicht. Frage deshalb: von wem in dieser Partei sollten da also Umkehr und Rückbesinnung ausgehen (apropos: Rückbesinnung auf welche SPD?)? Dies zum einen. Und zum zweiten:

Wenn diese Partei(Oberen) einen WählerInnenschwund hingenommen haben, der ebenfalls mehr als nur Halbierung ist, wie sollten Leutchen wie Sigmar Gabriel, Walter Steinmeier und Andrea Nahles gerade jetzt eine frühere SPD wiederbeleben wollen? 1972, bei den sogenannten „Willy-Wahlen“, bekam die Partei noch 45,8 Prozent aller Stimmen! Und Schröder – jawohl: Schröder! – wurde 1998 noch mit 40,9 Prozent ins Amt gewählt. Doch von da an ging’s bergab: 2002 – immerhin noch 38,5 Prozent; doch bereits im Herbst 2005, rund 10 Monate nach Hartz-IV-Beginn, ein erster Absturz auf 34,2 Prozent; 2009 dann 23,- Prozent – und heute krebst die Partei, wie allgemein bekannt, bei sämtlichen Umfragen um die 20-Prozent-Marke herum. Anlaß für ein Aufwachen jetzt?

Und schließlich sei auch Folgendes noch bedacht: längst ist ja die SPD angekommen im Empfängerkreis der bundesdeutschen Großkonzerne und Banken, was Spendengelder betrifft: seit 2000 (bis 2008) erhielt diese Partei, mit Daimler Chrysler AG an der Spitze (sie spendierte der SPD rund 1,4 Millionen Euro), über 4,7 Millionen Euro zugesteckt, weitere 7,3 Millionen Euro kamen dann allein 2013 noch an Spendengeldern hinzu, aufs SPD-Konto überwiesen von sicherlich nicht ganz unbetuchten „natürlichen Personen“. Da nicht uninteressant, seien deshalb auch die zehn Hauptspender aus den Kreisen der Finanzwelt und Großindustrie an dieser Stelle hier aufgezählt (in der Reihenfolge der Spendenhöhe): nach Daimler, dem Größtspender, waren das also : BMW, dann Porsche, Allianz-Versicherung, Verband der Chemischen Industrie, Deutsche Bank, EON, B TV Television GmbH & Co KG (Hauptsitz in Baden-Württemberg), Südwestmetall und Commerzbank. Ob gegen eine solche Spenden’front’ ein kleiner Hartz-IV-Verelendeter „anstinken“ kann? Man darf da seine Zweifel haben.

Mein Fazit jedenfalls lautet: das Sozialdemokratische – egal, auf welche Phase dieser Partei man sich aus der Vorgeschichte bezieht – ist aus der SPD schon lange verschwunden. Nun folgt, allmählich zwar, aber deutlich, diesem Verschwinden des Sozialdemokratischen aus der Partei auch das Verschwinden eben dieser Partei. Denn wer braucht noch eine Sozialdemokratie, in der es eine Sozialdemokratie nicht mehr gibt?

Die SPD gleicht – und ich probiere da mal eine ausgesprochen freundliche Metapher aus! – einem Sinfonieorchester. Aber: sie gleicht einem Sinfonieorchester, das nach und nach alle seine Instrumente verscherbelt hat. Und deswegen nur noch eine Musik zu spielen vermag, die keiner mehr hören kann, weil nichts mehr zu hören ist. Die SPD spielt – in puncto „Sozialdemokratisches“ – schon lange ohne Partitur, vor allem aber ohne Instrumentarium, also ohne hörbare Klänge und Töne, ohne Harmonien und Melodien. Sie spielt nichts mehr, diese SPD, weil sie zum Nichts geworden ist. Weil die sozialen Inhalte dieser Partei verschwunden sind, folgt diesem Verschwinden nunmehr auch die Parteiorganisation selbst.

Es sei denn, einem Konstantin Wecker gelänge das Kunststück und er brächte dieser Partei tatsächlich wieder die rechten, also linken Flötentöne bei. Und sei es auf dem Klavier. An seiner Begabung wird’s nicht fehlen, ich weiß. Ich befürchte aber: an einer SPD, die noch zu hören versteht.

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