Wachstum, Wachstum über alles

 In FEATURED, Wirtschaft

Oder: Ist Wirtschaft das, was den Wirt schafft? Wachstum ist ein Götze unserer Zeit, und seine Hohepriester bläuen uns landauf, landab ein, dass wir ihm zu opfern haben. Im Gegensatz zu anderen “Goldenen Kälbern” ist Wachstum jedoch höchst destruktiv, schädigt unsere Umwelt, unsere körperliche und seelische Gesundheit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Mitverantwortlich dafür ist die Zinsdynamik, die eine fortdauernde Umverteilung von Fleißig zu Reich bewirkt. Geld arbeitet nicht, Menschen arbeiten: für Zinsprofiteure, die im Kapitalismus am längeren Hebel sitzen. Aber es gibt alternative Konzepte, die dem Wahn ein Ende setzen könnten (Volker Freystedt)

 

Immer wieder wird uns erklärt, dass unser aller Wohl und Wehe davon abhinge, wie gut es der Wirtschaft gehe. Und der Wirtschaft geht es nur dann gut, wenn sie wächst. Nun ist Wachstum etwas ganz Natürliches – wir alle sind aus einer winzigen Zelle entstanden, die sich rasant multipliziert hat. Nur hat das Wachstum dabei im Laufe der Jahre zu unserem Glück die Bremse angezogen, und wenn wir „erwachsen“ sind, begnügen sich unsere Zellen damit, sich zu erneuern. Wenn es irgendwo im Körper doch wieder eine Vermehrung gibt, sind wir zurecht entsetzt und versuchen, dies zu unterbinden. Denn dieses Wachstum ist todbringend, weil es sich auf Kosten seines Wirtsorganismus ausbreitet.

Längst ist nicht mehr zu übersehen, dass durch das Wachstum immer mehr Schäden verursacht werden, die nicht nur eine große Zahl der heute Lebenden treffen, sondern auch die Zukunft allen komplexen Lebens auf diesem Planeten gefährden. Und es wird immer schwieriger, auf den übersättigten Märkten der industriell frühentwickelten Volkswirtschaften überhaupt noch Wachstumsmöglichkeiten zu finden; oft müssen diese erst mit aller Anstrengung erzeugt werden. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Wirtschaftswachstum an sich ein so hoher Wert zu sein scheint, der alles andere zweitrangig werden lässt: Ressourcenverbrauch, Umweltschäden, Gesundheitsschäden, gesellschaftliche und kulturelle Defizite.

Vor allem aber wird immer wieder ignoriert, dass das Anwachsen der Vermögen einher geht mit der parallelen Zunahme der Verschuldung und umgekehrt ein Schuldenabbau nur möglich ist, wenn auch die Vermögen abnehmen. Dabei ist allerdings ganz realistisch zu sagen, dass die heutige Verschuldungssituation Ausmaße angenommen hat, die auf normalem Wege, d.h. auf dem Wege der Schuldenbegleichung, unmöglich in den Griff zu bekommen ist. Dies gilt sowohl für die bundesrepublikanischen als auch für die weltweiten Schulden. Doch welcher Gläubiger hat überhaupt ein Interesse, sein Geld zurück zu erhalten und somit den ewigen Zinsstrom versiegen zu lassen? Die Entwicklungsländer z.B. haben in den letzten Jahrzehnten das Mehrfache dessen gezahlt, was sie als Kredite bekommen haben – und ihre Schulden sind nicht weniger geworden!

Woher rührt dieser Zwang, der Wachstum (meist mit dem Versprechen von Arbeitsplätzen gekoppelt) so unabdingbar werden lässt, dass selbst Verschwendung und Zerstörung in Kauf genommen werden? Warum reicht es nicht, wenn in einem Land wie Deutschland mit seinen vollgestopften Wohnungen, Kellern und Garagen in diesem Jahr genauso viel produziert wird wie im letzten Jahr? Nichts anderes bedeutet das politische Pfui-Wort „Nullwachstum“ nämlich! Aus Politikermündern (und aus denen der soufflierenden „Wirtschaftsweisen“) klingt dieser Begriff aber so, als würde uns dieses Jahr etwas weggenommen! Dabei kann ich die gleiche Menge CDs, Bücher, Hemden, Winterreifen, Bierträger, Klopapierrollen etc kaufen wie im Jahr zuvor, kann eine gleich große Urlaubsreise antreten, weiter meine Lebensversicherungsraten und meine Miete zahlen – wobei beim Kauf von Waren, die nicht verbraucht werden (Bücher; CDs), ja auch bei „Nullwachstum“ ein Zuwachs zu verzeichnen ist.

Während sich Politiker und Wirtschaftsexperten um eine Erklärung des Wachstumszwangs drücken und alle Diskussionen darüber meiden, wie das eigentlich Unmögliche (exponentielles Teilwachstum in einem endlichen Raum) doch möglich und sogar wünschenswert sein soll; während dieses Verdrängen sogar bis zur Verkündigung einer scheinbaren Alternativlosigkeit führt, gibt es durchaus Erklärungen und Alternativmodelle. Nur dürfen diese nicht an die Öffentlichkeit kommen, müsste doch dann jeder, der den falschen Weg immer schneller weiterzuverfolgen empfahl, um seinen Ruf und seine Position fürchten.

Hierbei kommt den Sackgassen-Enthusiasten entgegen, dass die Kapitalismus-Kritiker in verfeindete Lager gespalten sind: Da ist zum einen der marxistische Ansatz, der die Ursache für die Scherenbildung zwischen Arbeit und Kapital in der Produktionssphäre sieht (der Unternehmer als Kapitalist beutet den Arbeiter aus, indem er ihm nicht den vollen Arbeitsertrag lässt); zum anderen sind da die Kritiker der bestehenden Geld- und Bodenordnung, meist verkürzt auf den Part der Geldreform. Ihnen wird in der Regel verkürzend und verfälschend unterstellt, dass sie den Zins abschaffen wollten, und in der Tat sieht es auf den ersten Blick so aus (und wird leider auch von vielen Kritikern des Zinssystems selbst oft so dargestellt).

Worum es aber wirklich geht, ist nicht eine Abschaffung oder gar ein Verbot des Zinses, sondern darum, dem Geld seinen „Jokervorteil“ zu nehmen. Eigentlich hat Geld ja keinen Wert an sich, sondern soll in einer komplex arbeitsteiligen Wirtschaft den Tausch ermöglichen. Weitere Funktionen, die dem Geld zugedacht wurden, sind zum einen seine Maßstabfunktion und zum anderen seine Wertaufbewahrungsfunktion, die beide nur bei einer stabilen, also inflationsfreien Währung funktionieren können. Die Voraussetzung dafür wäre aber, dass die emittierende Zentralbank (in der EU heute die EZB) den Geldumlauf kontrollieren kann – was im geltenden System schlicht nicht möglich ist. Doch dazu später mehr.

Problematisch ist vor allem, dass Geld nicht rostet oder schimmelt oder aus der Mode kommt, wie es aber bei den Produkten der Fall ist, die der Mensch für den Markt herstellt. Deshalb ist der im Vorteil, der Geld hortet, während jemand, der Produkte hortet, in der Regel den sicheren Verlust erleidet. Und wer eine Dienstleistung „hortet“, besser gesagt: heute nicht erbringt, erleidet Totalverlust.

Und während das Horten von Gegenständen, selbst wenn sie – wie Gold und Edelsteine – nicht verrotten, Lager- und Sicherheitskosten verursacht, bekommt man, wenn man sein Geld einer Bank anvertraut, auch noch eine Belohnung. Denn diese nutzt die so erzeugte Geldverknappung, um das erhaltene Geld, für das sie einen geringen Zins zahlt, gegen viel höhere Zinsen denen zu leihen, die dringend Geld benötigen. Auf diese Weise werden alle Kreditnehmer, wozu Privathaushalte, Unternehmen und der Staat gehören, jährlich mit gigantischen Zinsbeträgen belastet; und da letztlich die Zinsbeträge, die ein Unternehmen zahlt, über die Preise an die Kunden, und die Zinsen, die der Staat zahlt, über Steuern an die Steuerzahler weitergegeben werden, zahlt auch derjenige Zinsen, der selbst keinen Kredit aufgenommen hat. Die Gesamtbelastung der Volkswirtschaft mit Zinsen betrug (nach Zahlen der Bundesbank) im Jahr 2001 enorme 382 Milliarden Euro! D.h., dieser Betrag geht (ohne Leistungserbringung) an diejenigen, die Geld überschüssig haben, und kam von denen, die es benötigten – eine Art „Asozialhilfe für Reiche“.

Das funktioniert schon recht lange so, und so haben wir uns daran gewöhnt. Auch diejenigen, die weit mehr Zinsen zahlen als sie für ihre geringen Ersparnisse bekommen, stellen das Geldsystem nicht infrage, da der gewaltige Zinsstrom eben im Verborgenen fließt.[1] Dabei genügte ein wenig logisches und gerechtigkeitsorientiertes Denken, um zu erkennen, dass dieses System falsch aufgezogen ist. Wer eine öffentliche Einrichtung (und dazu gehört nun mal auch das Geld!) blockiert, wird normalerweise nicht durch eine Belohnung, sondern durch eine Strafe zu ihrer Freigabe gebracht.

Die Lösung bestünde darin, das Geld durch einen eingebauten Verfall den Waren anzugleichen, ihm damit den Anreiz zum Horten zu nehmen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hat dafür den Begriff „Durchhaltekosten“ gewählt. Manche sagen auch schlicht „Negativzins“. Erprobt wird dieses Modell heute von immer mehr Bürgerinitiativen unter der Bezeichnung „Regionalwährungen“. Geld verliert in bestimmten Zeitabständen an Wert bzw. muss durch Zahlung einer Gebühr in seinem Nennwert erhalten werden. Dadurch soll die Umlaufgeschwindigkeit verstetigt werden.

Oft wird als berechtigter Grund des Geld-Hortens die Zukunftsvorsorge gesehen. Nun stelle man sich vor, es gäbe keine Banken, und man müsste sein Geld im Haus aufbewahren. Was für ein Risiko! Die Gefahr, im Alter nicht über all das mühsam Gesparte verfügen zu können, wäre enorm. Hinzu käme die ständige Sorge. Und nun stelle man sich vor, es käme jemand, der einem das Geld mit der Zusage abnähme, es einem bei Bedarf mit der gleichen Kaufkraft zurückzugeben! Wäre das nicht bereits das Höchste, was man sich erwarten dürfte? Warum auch noch einen Bonus obendrein, der noch dazu von irgendjemand genommen werden müsste, der mit hoher Wahrscheinlichkeit finanziell weit schlechter da steht?

Ach ja, die Inflation – ein an dieser Stelle beliebter Einwand. Die müsste natürlich ausgeglichen werden – wenn es sie in einem umlaufgesicherten Geldsystem denn noch gäbe! Denn woher kommt die Inflation? Zum großen Teil rührt sie daher, dass die Zentralbank keinen Schimmer hat, wie viel Bargeld von dem im Umlauf ist, was sie ausgegeben hat. Wie sich bei der Umstellung von Mark zu Euro gezeigt hat, waren (und sind inzwischen wieder) weit mehr Bargeldbestände aus dem Verkehr gezogen als jemals angenommen wurde. (Oder wie erklärt man die starke Zunahme der Zahl der hohen Werte, vor allem 500er-Euroscheine, wenn man mit einem 100er-Schein oft schon Schwierigkeiten beim Einkaufen bekommt?). Das Ergebnis ist, dass die Zentralbank in einem „Korridor“ die Geldmenge eher zu hoch „steuert“ und damit Inflation erzeugt.

Viele sehen in der Inflation bereits eine ausreichend laute Peitsche, die das Geld unter den Matratzen und aus den Schwarzen Koffern hervortreibt – doch auch hier hat sich gezeigt: Wer auf unredlichem Wege ans Geld gekommen ist, nimmt Inflation und entgehende Zinsen locker in Kauf.

Eine Umlaufsicherung, mit der man dem Geld Beine machen würde, hätte den großen Vorteil gegenüber der Inflation, dass sie erstens berechenbar ist und zum anderen auch nur die Geldmenge trifft, die tatsächlich dem Kreislauf entzogen ist. Denn jeder, der sein überschüssiges Geld bei einer Bank abliefert, wäre davon nicht betroffen, da dieses Geld ja dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung steht. Nur müsste ein Kreditnehmer dann keine Zinsen mehr zahlen, sondern nur noch eine Bearbeitungsgebühr und eine Risiko-Versicherungsprämie.

Die Zentralbank wäre, wenn nahezu alles Bargeld im Umlauf ist, zum ersten Mal in der Lage, die Geldmenge ständig dem Bedarf anzupassen und somit endlich für Geldwertstabilität zu sorgen. Dann auch würde das Geld nicht nur seine Tauschmittelfunktion erfüllen, sondern es kämen sowohl die Wertaufbewahrungs- als auch die Maßstabfunktion des Geldes überhaupt erst zur Geltung; bisher besteht der Maßstab – bildlich gesprochen – aus dehnbarem Gummi.

100.000 Euro, heute bei der Bank abgeliefert, um sie fürs Alter aufzuheben, wären nach 40 Jahren immer noch 100.000 Euro mit der gleichen Kaufkraft – nicht weniger, aber auch nicht mehr!

Leistung würde sich endlich wirklich lohnen, wenn nicht mehr von den Leistungserbringern diejenigen mit durchgefüttert werden müssten, die sich heute damit brüsten, ihr „Geld arbeiten zu lassen“.

Zur Klarstellung: der Zins soll nicht etwa abgeschafft oder verboten werden; aber es soll ein freier Markt entstehen, auf dem alles den gleichen fairen Bedingungen unterliegt. Was aber ist fair daran, wenn die Arbeit in weltweite Konkurrenz treten muss, das weltweit im Überfluss vorhandene Kapital aber durch künstliche Verknappung einen Erstanspruch an die Wirtschaftsleistung erzwingen kann? Der freie Markt existiert erst dann, wenn nicht nur Fliesenleger und Softwareprogrammierer sich unterbieten, sondern auch Kapitalbesitzer weltweit versuchen, ihr Geld möglichst wertverlustfrei anzubieten – ohne jegliche Erwartung an einen Zugewinn.

Und noch etwas an diejenigen, die bei einer Kritik am herrschenden Zinssystem gleich mit der Nazi-Keule kommen und darauf hinweisen, dass auch die NSDAP zu Beginn die „Brechung der Zinsknechtschaft“ propagierte: Erstens haben fast sämtliche Religionen, zuvörderst der Islam und das Christentum, den Zins geächtet; zweitens sind Gottfried Feder und sein Zinsverbot ziemlich schnell – und zwar schon vor der Machtergreifung 1933 – in der Versenkung verschwunden. Hätte Hitler damit wirklich etwas im Sinne gehabt, hätte er es sicher wie viele seiner anderen weitreichenden Entscheidungen auch umgesetzt. Die NSDAP benutzte nie antikapitalistisches Vokabular und stand sich sehr gut mit der Großindustrie; ihr ganzes Augenmerk galt allein dem großen Kapital in jüdischen Händen. Programmatische Aussagen wurden sowieso äußerst vage gehalten, um einen möglichst breiten Interpretationsspielraum zu behalten.

Vor allem aber soll jemand, der den Zins immer noch nicht als gewaltigen Problemgenerator akzeptiert hat, die heute zu beobachtende exponentielle Dynamik der sich verschärfenden Krisen in Wirtschaft und Gesellschaft einmal anders begründen. Dies dürfte ihm sicher schwer fallen.

Ein weiteres, parallel zu oder eigentlich vor einer Reform der Geldordnung anzugehendes Thema ist die Bodenordnung. Hier soll nur kurz skizziert werden, wie ein neues Modell im Gegensatz zum bestehenden aussehen könnte. In erster Linie geht es darum, dass Boden, der ja schließlich nicht vermehrbar ist, von niemand besessen werden kann, sondern immer Eigentum der Gemeinschaft bleibt. Einzelne können Grund pachten und ihn (gemäß des Zulässigen) nutzen. Sie haben dafür eine Nutzungsgebühr zu zahlen, die sich danach richtet, welchen Wert die Interessenten dem Grundstück zuerkennen. Innerhalb der Pachtzeit kann innerhalb der Familie weitervererbt werden. Wertsteigerungen (z. B. durch eine bessere Infrastruktur) kommen nicht mehr wie heute dem Grundstücksbesitzer, sondern der Gemeinschaft zugute. Wer kaum Grund beansprucht, bekäme aus dem Topf der Pachteinnahmen mehr heraus als er selbst einzahlt. Die Verteilung der Gelder könnte pro Kopf erfolgen, würde also Familien mit Kindern besser stellen. Bodenspekulation wäre wegen der zu zahlenden Abgaben für ungenutzte Grundstücke uninteressant.

Dies nur als Hinweis, dass eine Reform allein nicht wirken kann, sondern dass sich weitere, flankierende Reformen anschließen müssen. Dazu gehören sicher auch noch eine Reform unseres parlamentarischen Systems, die Reform unserer internationalen Institutionen und etliches anderes. Wer mehr zu diesem und ähnlichen Themen wissen möchte, findet alternative Konzepte in dem Buch „EQUILIBRISMUS – Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht“ von Volker Freystedt und Eric Bihl; Signum-Verlag, München und Wien 2005.

 

[1] Um zu erkennen, ob man zu den Gewinnern oder zu den Verlierern des Zinssystems gehört, kann man folgende kleine Rechnung aufmachen: Wer weniger als das Zehnfache seiner Jahresausgaben als zinsbringendes Vermögen angelegt hat, gehört noch nicht zu den Gewinnern!

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