Warum werden die Reichen nicht wütend?

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Warum werden die Reichen nicht wütend? Die einfachste und gewiss nicht rundum falsche Antwort: weil sie am meisten profitieren. Doch kratzt diese Überlegung allenfalls an der Oberfläche. Ein bisschen fieser könnte man die Antwort so formulieren: Aus den gleichen Gründen, die uns in Wut versetzen, werden sie nicht wütend. Das haben wir nämlich mit ihnen gemein: Dass wir einfach nur reagieren. Dumpf reagieren. Meistens jedenfalls. Bobby Langer

Tatsache ist: Würde ein Reicher wütend, wäre sein Licht sehr viel schneller ausgeknipst als das des Armen. Warum das so ist? Wie immer gibt es mehrere Gründe. Hier mal zwei:

– Ein wütender Reicher wird deutlicher und schärfer gehört als ein wütender Armer, dessen Zorn am Stammtisch verhallt. Ein wütender Reicher könnte zum Beispiel seine Kontakte spielen lassen und ein zorniges Interview geben, das – nein, nicht in der taz – das in der FAZ abgedruckt werden würde. Auf Seite 1.

– Der zweite Grund ist sehr viel komplexer und ist am ehesten über eine kleine Geschichte zugänglich. Stellen wir uns also vor, unser Reicher, den wir hier Monsieur X nennen, trüge seine Wut noch sicher verkapselt in der Brust und machte einen Vater-Sohn-Kurzurlaub im President Wilson in Genf; zur Feier des Tages in der Hotel-Suite, weil sein Sohn 18 wird. Mit seinem Geschäftsfreund und dessen Tochter trifft sich Monsieur X in der Bar des Jachthafens von Jetée des Eaux-Vives, um einen gemeinsamen Segeltörn zu besprechen: Wessen Jacht nimmt man? Wie lange bleibt man „draußen“? Kann Ihre Tochter auch segeln? Wer besorgt das „kleine Picknick“ an Bord? Das alles mit unverholenen Hintergedanken. Die beiden Papas haben festgestellt, dass die jungen Leutchen sich auf dem Hotel-Tennisplatz gut angefreundet haben. Dem will man nichts in den Weg legen.

Abends an der Hotelbar, bei zwei, drei Gläschen Malt Whisky, vereinbart man das Du, die „Kinder“ kuscheln schon ein bisschen. Und da passiert es. Monsieur X ist einen Moment nicht auf der Hut und die Kapsel in seiner Brust öffnet sich. Er wird wütend. Er hinterfragt sein Leben, die ethische Sauberkeit seiner Lieferketten, seine Investitionen in Waffengeschäfte. Monsieur Y hört zu und lächelt. Er wird schneller müde als sonst und der Abend geht eigentümlich reserviert zu Ende. Die beiden jungen Leutchen dürfen die Nacht nicht miteinander verbringen; man hat schließlich Prinzipien. Monsieur Y hat noch während der Kapselöffnung von Monsieur X sein Handy auf Aufnahme geschaltet. Die Audiodatei schickt er in der gleichen Nacht noch an seinen Sekretär – wir lassen nichts anbrennen – mit der Bitte, die Vita von Monsieur X mal zu „checken“. Zwei Detekteien werden angesetzt, zwei investigative Journalisten erhalten einen lukrativen Auftrag, es ist über Mosieur X etwas durchgesickert. Die Presse greift ihn an. Als er sich in der FAZ rechtfertigen will, ist die Chefredaktion nicht zu sprechen.

Hier möchte ich diese Geschichte mal beenden, aus der man locker einen kleinen, harmlosen Roman zaubern könnte. Hier geht es nur um das vertiefte Verständnis, warum die Reichen nicht so schnell wütend werden. Wie die Black Box eines Flugzeugs muss die Kapsel in ihrer Brust auch den härtesten Absturz überstehen.

Womit wir leider noch nicht am Ende sind. In den ersten Absatz dieses Textchens hatte ich das unschöne Adjektiv „dumpf“ eingeschleust. Und vermutlich haben die meisten Leserinnen dumpf verstanden, was damit gemeint war. Ich möchte das Dumpfe nun etwas aufklaren: Dumpf bezieht sich hier auf die ganz alltägliche Reiz-Reaktions-Kette, der uns durch die Tage zwingt. Der Wecker klingelt: „Wir wachen auf. Er klingelt immer noch: strecken den Arm aus und bringen ihn zum Schweigen. Erster Gedanke an die Arbeit. Wir müssen duschen. Wir gestatten uns ein kleines, schnelles Frühstück. Abends die Heimfahrt, der Stau, die die vor sich hin tanzenden Gedanken. Die Partnerin, der Partner, dem man es wird recht machen müssen. Das Schlafbedürfnis vorm Fernseher. So verlaufen die Tage. Bei uns allen. Mit den Freiheit simulierenden Variationen der vielen Reiz-Reaktions-Ketten in einer pluralistischen Multi-Kulti-Gesellschaft. Und die wenigen, neu aufdämmernden Ideen und Gedanken stören die gewohnte Sicherheit und verschwinden rasch unter der Milchhaut des Alltags. Das ist bei den Armen so und bei den Reichen. Ob jemand einen Malt Whisky trinkt oder einen billigen Klaren macht keinen wirklichen Unterschied.

Warum also werden viel mehr Arme wütend als Reiche? Ein paar Gründe habe ich ja schon geliefert. Ein letzter fehlt, und der ist statistischer Natur: Gäbe es sehr viel mehr Reiche als Arme, dann gäbe es auch mehr wütende Reiche. Aber dem ist nicht so.

Anzeigen von 5 Kommentaren
  • ert_ertrus
    Antworten
    Außerdem hat der Reiche seinen Reichtum zu verlieren, der Arme lediglich seine Armut – m.E. der entscheidende Unterschied 😉
  • Bobby
    Antworten
    Richtig. Dankeschön für den Hinweis.. Das subumiere ich zwar unter die von mir genannten Gründe, ist aber zweifellos wichtig und kann gar nicht genugbetont werden. Reichtum macht abhängig. Warum wollen ihn dann nur (fast) alle?
    • ReniWeiss
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      Weil Reichtum gleich Macht ist! Macht macht süchtig!

  • ReniWeiss
    Antworten
    Je reicher jemand ist, desto mehr müsste er sein Leben umkrempeln. Das ist sehr schwer, fällt es doch schon uns “normalen ” Menschen oft schwer, Dinge zu ändern.
  • ert_ertrus
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    Mir wäre lieber, ihm/ ihr würde sich die Leber umkrempeln, bei der Erkenntnis seiner (un)menschlichen Verworfenheit … Und in der Folge sein Zöllner Zachäus-Erlebnis auslösen.

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