Wer eine faschistoide Frage stellt, bekommt eine faschistoide Antwort

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Darstellerinnen und Darsteller des Fernsehfilms "Terror"

Darstellerinnen und Darsteller des Fernsehfilms „Terror“

„Ein Toter ist eine Tragödie, Hunderttausend eine Statistik“. Anmerkung zu dem gleichzeitig von ARD, ORF und SRG ausgestrahlten Fernsehfilm „Terror- Ihr Urteil.“ (Frank Jödicke, skug.at)

Wer eine faschistoide Frage stellt bekommt leicht eine faschistoide Antwort. Das deutsche Fernsehen fragte im Rahmen der propagandistischen Kriegsvorbereitung: „Wen würden sie denn töten?“ Der ehemalige Christusdarsteller Florian David Fitz gibt als Kampfpilot „Lars Koch“ die zwei Wahlmöglichkeiten vor: Eine vollbesetzte Lufthansamaschine wird abgeschossen oder sie wird von Terroristen ins vollbesetzte Münchner Fußballstadion gelenkt. Das Publikum ruft zu fast 90%: „Abknallen!“ So lässt sich Gleichschaltung inszenieren.

Die Arithmetik ist scheinbar unbestechlich: Die knapp zweihundert Flugzeuginsassen sterben ohnehin, die 70.000 im Stadion können gerettet werden. Wieso überhaupt diskutieren?, fragt sich der deutsche Tatmensch. Terrorismus ist längst ein Naturereignis. Wie Regen oder Schnee ist ihm nicht grundsätzlich beizukommen, und so wie einen Schirm aufspannen muss, wer nicht nass werden möchte, so muss Terroristen einfach töten, wer nicht selbst sterben will. In solch einer konstruierten Zwangslage müssen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde längst zur Hintertür hinauskomplimentiert werden. Nur, diese Darstellung folgt einer Art kleinbürgerlichem Mythos, der die wahre Komplexität der Weltlage zu verdecken versucht.

Der „War on Terror“ ist ein ewiger Krieg

Die Fernsehinszenierung genauso wie der Autor der theatralischen Vorlage, Ferdinand von Schirach, lassen keinen Blick mehr durch diesen Mythos dringen. Die Augen sollen vor der Realität fest verschlossen bleiben und es wird die Flucht angetreten in die Abstraktion eines arithmetischen Beispiels. Konstruierte Gedankenexperimente können nicht mehr auf die Wirklichkeit zurückbezogen werden, da ihre Elemente beziehungslose Vereinfachungen sind. Hier ist der Mensch nur mehr eine Zahl. Die Summe der Zahlen, gerne Volk genannt, ist ein ebensolches Abstraktum. Da nun die „Völker“ in einer Art ewigem Krieg untereinander befindlich sind – so der Mythos – bleibt nichts anderes als abzuwägen, wie bei möglichst geringen eigenen Verlusten, möglichst viele der anderen abserviert werden. Mit unterschiedlich großer Eleganz wurde diese reduzierte Weltsicht von Thomas Hobbes, Carl Schmitt und Ursula von der Leyen vertreten. Die Aufgabe der Theaterkunst oder des Fernsehfilm scheint hier nur mehr zu sein, den Mythos dieser durch und durch faschistischen Weltauffassung eines „ewigen und niemals beendbaren Krieges“ der Bevölkerung durch lehrreiche Rechenexempel nahe zu bringen.

„Das Gewicht eines Menschenlebens wiegt schwerer als die Erdkugel“

Lew Nikolajewitsch Tolstoi führte Berechnungen und Gedankenexperimente dieser Art mit einem einzigen Gedanken ad absurdum. Er sagte, jedes Jahr nehmen sich ungefähr 10.000 Menschen in Russland das Leben. Jahr für Jahr zeigt diese Statistik einen ähnlichen Wert, nur ist dies bedeutungslos, da die einzelnen Beweggründe einzigartig sind und die Geschehnisse, die zum Tod einer jeden Selbstmörderin und eines jeden Selbstmörders geführt haben, würden einen langen Roman füllen. Bedauerlicherweise nutzt weder der Autor Schirach seine künstlerischen Fähigkeiten, noch die ARD ihre logistischen Möglichkeiten, um in einem umfangreichen Fernsehfilm dem Publikum einmal das Leben eines einzigen Terroristen zu zeigen. Sie würden dann vielleicht die komplizierte und widersprüchliche Lebensgeschichte eines Menschen erzählen, der so lange gedemütigt wurde, bis er oder sie keinerlei Ausweg mehr sah, als sich selbst und andere zu töten. Was für ein Stoff! Es müssten allerdings all diese vom Mythos überdeckten Dimensionen aufgezeigt werden – wie einerseits die Ungerechtigkeiten des ausbeuterischen Kapitalismus und andererseits das verwirrende Seelenleben des Terroristen. Es müsste der Selbsthass der Täter und das Leid der Opfer anschaulich gezeigt werden und den Zuseherinnen und Zusehern spürbar werden, wie unauflöslich verwoben unser aller Leben sind. Und dass wir mehr sind als ein von Machthabern und Militärs zu kalkulierender Zahlenhaufen.

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