Wieder einmal: Griechenland ganz von unten gesehen
116. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Die Not in Griechenland ist so groß, unsere Möglichkeit, zu helfen, quantitativ dagegen so gering, dass man versucht ist, auf eine umfassende Lösung des Problems auf politischer Ebene zu warten und so lange untätig zu bleiben. Aber vergessen wir nicht, wie wichtig unsere Hilfe für nicht wenige einzelne Menschen gewesen ist und weiter ist. Wenn ein Aufstand des Volkes gegen seine Unterdrücker überhaupt möglich ist, dann noch am ehesten, wenn Menschen satt sind, etwas Mut gefasst haben und Solidarität spüren. Zwei Erfahrungsberichte aus Griechenland beweisen, wie notwendig unsere Aktion unvermindert ist. (Holdger Platta)
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
gleich zwei Berichte von Evi und Tassos Chatzatoglou haben mich in den letzten Tagen erreicht, Berichte von ihrer derzeitigen Hilfsfahrt durch Griechenland. Ich nehme es vorweg: es sind erschütternde Berichte. Es sind Berichte, die von ganz unten her schildern, was in diesem kaputtgeretteten Griechenland mittlerweile los ist. Es sind Berichte, die zeigen, wie ungeheuer wichtig unsere Hilfsaktion ist, Berichte, aus denen sogar an einigen Stellen hervorgeht, dass hie und da Eure Spenden bereits lebensrettenden Charakter besitzen, buchstäblich Menschen vor dem allmählichen Verhungern bewahren. Sie sind damit, diese Berichte, auch Berichte der Schande, Berichte einer Schande, für die inzwischen nicht nur die europäische Staatengemeinschaft verantwortlich ist, sondern – leider, leider – auch die Tsipras-Regierung der SYRIZA. Ich selber werde mich deswegen heute zurückhalten können mit einer Schilderung der Situation in Griechenland, mit Darstellungs- und Analyseversuchen von außen her mit Zahlenmaterial, das die Not von Millionen von Griechinnen und Griechen überwiegend nur auf abstrakte Weise wiederzugeben vermag. Wie gesagt: es werden zwei Berichte sein, die das entwürdigende Elend der notleidenden Menschen von unten her darstellen werden – und, was mindestens so wichtig ist, ganz, ganz nahe bei den betroffenen Menschen. Im doppelten Wortsinn, um das vorweg festzustellen!
Lasst mich gleichwohl, wie schon vertraut, mit der Kurzinformation über die neuesten SpenderInnen/Spendenzahlen beginnen!
Nun ja, selbstverständlich war klar, dass wir in dieser zweiten Maiwoche nicht das Ergebnis vom Monatsbeginn, mit seinen zahlreichen DauerspenderInnen, würden halten können. Vielleicht erinnert Ihr Euch ja: in der Vorwoche sorgten 19 UnterstützerInnen für einen Spendenzuwachs in der Höhe von 1.065,- Euro. Während der vergangenen (knapp) sieben Tage gingen hingegen nur 165,- Euro an Neuspenden bei uns ein, überwiesen auf unser Hilfskonto von 4 Unterstützern und Unterstützerinnen. Selbstverständlich spreche ich, im Namen des gesamten Organisationsteams, Euch allen meinen herzlichen Dank aus! Mit der Halb-Gewissheit, daß in der nächsten Woche bereits wieder ein besseres Ergebnis mitgeteilt werden kann. Nun, warten wir’s ab!
Und damit zu den beiden langen Mailberichten von Evi und Tassos Chatzatoglou – die, wie ich glaube, für sich selber sprechen und keiner weiteren Kommentierung durch mich bedürfen. Deswegen auch nur eine Bemerkung vorweg: ja, an einigen Berichtsstellen habe ich – zum Schutz der betroffenen Menschen – für eine “Anonymisierung” der Notleidenden gesorgt. Denn mittlerweile ist nicht mal mehr ausgeschlossen, dass eine in der eigenen Devotheit verschüttgegangene Tsipras-Regierung alles daran setzt, den verelendeten Menschen sogar noch ihre Hilfsgelder wegzunehmen. Nebenbei: ein Vorgehen, das auch bei uns in der Bundesrepublik seit Hartz-IV-Beginn möglich ist und Tag für Tag an Erwerbslosen und ArmutsrentnerInnen in unserem Wirtschaftswunderland der Christ- und Sozialdemokraten unerbittlich praktiziert und exekutiert wird. Ich selber, ganz persönlich, könnte ein Lied davon singen, und viele HdS-Leserinnen und HdS-Leser mit Sicherheit auch.
Hier nun also, nur geringfügig gekürzt, der erste Mailbericht von Evi und Tassos Chatzatoglou. Er ging mir am vergangenen Samstag, den 5. Mai, zu:
„Lieber Holdger, liebe alle,
seit einer Woche sind wir in Griechenland und haben bisher noch keine Zeile geschrieben. Der Zweifel, ob ich das, was wir hier erleben, hören und sehen, objektiv wiedergeben kann, hinderte mich, Euch zu schreiben. Heute jedoch ist etwas geschehen, das mich zutiefst getroffen hat.
Der Besuch bei der Familie des kleinen D. ist etwas, das ich stellvertretend für den Teil der bedürftigen Griechen erzählen möchte. Unser Besuch war nicht angemeldet. Wir fanden die Familie in einer sichtbar unangenehmen Situation. Die Ratlosigkeit war nicht zu verbergen. Wir haben nicht gewusst, was die Familie bedrückt. Als ich nach dem Befinden der Kinder fragte, antwortete die Mutter zögernd, es gehe ihnen gut. <…> Auf die Frage, was sie heute gegessen hätten, antwortete die Mutter zögernd mit einem Seufzer: ‚Heute gab es Suppe‘. Ich vermutete etwas Unangenehmes, weshalb ich die Mutter bat, uns zu zeigen, wie so eine Suppe aussieht. Es war ihr peinlich, aber sie zeigte uns zögernd den Topf. Es war Wasser mit ein wenig Reis. Keine Karotten, keine Zwiebel oder Grünzeug wie Petersilie drinnen. Eine graue Reissuppe.
Ich fragte nach den Finanzen. Der Vater hat endlich einen Job, das Geld aber reicht bis zum zwanzigsten des Monats. Geld gibt es meistens am 10. des Folgemonats. Die Mutter, eine sichtlich unterernährte junge Frau, versucht mit eiserner Disziplin, die Familie über den Monat zu bringen. Die Tatsache, dass die meisten griechischen Familien nicht über den ganzen Monat ihre Bedürfnisse erfüllen können, habe wir von allen unseren Gesprächspartnern gehört. Man versucht, den fehlenden Betrag mit dem Verkauf von Schmuck, Werkzeug, Kleidern oder Haushaltsgütern zu decken. Unsere Familie M. hat ein sehr großes Problem, das bald gelöst werden muss. Der Warmwasser-Boiler ist defekt. Der Installateur verlangt 160 €. Das kann die Familie nicht aufbringen, es gibt derzeit kein Geld, um den Kindern eine anständige Suppe zu kochen, an einen neuen Boiler ist nicht zu denken. Sie warten auf das Geld. Dann soll erstmal der Boiler repariert werden, und es gibt auch wieder etwas Anständiges zu essen – in diesem Monat sicher nicht vor dem Zwanzigsten. Und die Spirale zieht die Familie weiter hinunter.
Die Veröffentlichung einer Studie des IOBE (Forschungsinstitut für Industrielle Entwicklung) über die Situation der Griechen zeigt, dass 7 von 10 Griechen ohne den regelmäßigen Verkauf des ‚Familiensilbers‘ nicht über die Runden kommen. Das Institut erwartet für das Jahr 2019 eine Verschlechterung der Verhältnisse nach dem Memorandum.
Generell hat sich die Wirtschaft ein wenig erholt. 9 % der Haushalte geben eine Verschuldung zu. Vor einem Jahr waren es 15 %. Ich wage zu behaupten, dass ein weit verbreitetes Desinteresse an der Umfrage Grund für dieses ‚tolle‘ Ergebnis war, denn wir sehen immer wieder gut gekleidete und ordentlich aussehende Menschen, die in Mülltonnen nach Essbarem oder noch verwertbaren Gegenständen suchen.
Im staatlichen Rundfunk gibt es immer wieder Aufrufe, die vor den Supermärkten deponierten Einkaufswagen mit Lebensmitteln für bedürftige Mitmenschen zu füllen. Zumindest ist das Elend offiziell bekannt.
Auf der anderen Seite tut die Regierung so, als sei das Elend unter der griechischen Bevölkerung kein wirkliches Problem. Sie verspricht irgendwelche Zuschüsse, um den Menschen in Armut Hoffnung zu machen. <…> Die Regierung gibt immer wieder ihre Durchhalteparolen in Form von Phantasiezahlen aus und gaukelt so eine positive Entwicklung der Wirtschaft vor. Eine Umfrage, wie man die wirtschaftliche Entwicklung in der EU sähe, hat gezeigt, dass die meisten Menschen, die eine negative Entwicklung erwarten, die Griechen sind, gefolgt von Bulgaren, Rumänen, Kroaten und Briten. Parallel zu den staatlichen Anstrengungen zur Verbesserung der Wirtschaft funktioniert eine Schattenwirtschaft. Die Besteuerung der kleinen Gewerbetreibenden treibt sie zur offiziellen Schließung ihrer Läden. Sie betreiben das Gleiche im Verborgenen – ohne Registrierung und Erlaubnis der Finanzbehörde. Restaurants, Installateure, Elektriker, Maler und Anstreicher, Automechaniker usw. stellen meistens keine Quittungen mehr aus. Sie umgehen so das Finanzamt, um überleben zu können. So einfach ist das, ein reiner Überlebenskampf!“
Dies, wie gesagt, der eine, der erste Bericht unserer “Außenteamer” Evi und Tassos Chatzatoglou. Und hier der zweite Mailbericht, der mich heute, am Mittwoch, den 9. Mai, erreichte. Auch er bedarf keiner Kommentierung von meiner Seite aus:
„Lieber Holdger, liebe alle,
bis jetzt haben wir 1.100 € für Lebensmittel-Bons ausgegeben. Familie K. in Megara ist damit für Monate abgedeckt. Alle Versuche der Mutter, einen Job zu finden, sind im Sand verlaufen. Die drittälteste Tochter, Angeliki, hat wie ihre Großmutter einen Job in einer Taverne. Die beiden erwachsenen Töchter arbeiten in Athen und wohnen beim Vater. Die Lebensmittel-Bons bekommt die Familie auf Bitten der Großmutter monatlich und nicht alles auf einmal. Dank unserer Hilfe ist auch die Wohnungsmiete gesichert.
Dem arbeitslosen Schauspieler Alexander D. haben wir vorerst mal 200 € Lebensmittel-Bons übergeben. Seine Situation ist unverändert. Er ist nach wie vor als mittellos registriert und bekommt vom Staat 200 € Sozialhilfe im Monat. Er versucht verzweifelt, sich in die Liste der Sozialstromtarif-Bezieher einzugliedern. Alle Versuche, seine zu große Wohnung zu verkaufen, waren bisher vergebens. Auch die deutsche Interessentin ist abgesprungen. So ist auch seine Chance, in den Genuss einer eigentlich ihm zustehenden Pension zu kommen, auf Null gesunken. Der Staat schreibt vor, dass ein Ein-Personenhaushalt nur über eine maximal 45 Quadratmeter große Wohnung verfügen darf, um Pension zu erhalten – eine Groteske. Ich habe Alexander geraten, die Wohnung keinesfalls unter ihren Wert zu verkaufen. Immobilien sind immer noch das, was man als erstes verkaufen kann. Die Preise fallen, Alexander besitzt nichts mehr – außer diese für den Pensionsbezug zu große Wohnung im Herzen von Athen, nur wenige Gehminuten vom Hilton und Caravell-Hotel entfernt.
1.060 € durften wir mit Freude der Familie von D. übergeben. Damit ist der Bedarf an teurer Diätnahrung für die nächsten Monate gedeckt. Auch der Boiler kann nun repariert werden. Speziell die 3 Kinder können wieder den Luxus einer warmen Dusche genießen.
Spiros, unser MS-Patient, hat 300 € für seiner Nahrungsergänzungsmittel bekommen. Ich möchte hier seinen speziellen Dank an die Spenderinnen und Spender weitergeben.
Die Insel Andros haben wir für eine spätere Aktion vorgemerkt.
Leider ist die Situation der bedürftigen Griechen in den letzten 3 Jahren unverändert geblieben.
Trotz allem bemüht sich die jetzige Regierung als reiner Verwalter der Krise, den Bedürftigen ein wenig zu helfen – sie verteilt Almosen in Höhe von 200 €. Diese Sozialhilfe war bei den früheren Regierungen kein Thema. Sehr vielen Griechen aber, vorwiegend Arbeitslose, werden die 200 € verweigert, weil sie ein Auto besitzen. Auch wenn sie das Auto nicht benützen können, ist dies ein Kriterium für die Vergabe.
Die Pensionen werden erst nach 3 oder mehr Jahren ausbezahlt. Auch ein verstorbener Freund, Österreicher und ehemaliger Lehrer an der Deutschen Schule in Athen, hätte Anspruch auf Pension gehabt und hoffte 3 1/2 Jahre lang darauf. Er bekam sie bis zu seinem frühen Tode nicht, weil der Wind in Griechenland anders weht als in den reichen Mitgliedstaaten der EU.
Eine andere Arbeitsweise der Regierung bringt die griechische Bevölkerung – vorwiegend der Inseln – auf die Barrikaden. Wie bekannt, weht auf den meisten Inseln der Wind sehr stark. Somit sind die Inseln prädestiniert für Windenergie. Die Gemeinden versuchen, das Recht zur Errichtung solcher Wind-Parks zu bekommen. Die Regierung erteilt jedoch die Genehmigung zur Errichtung von Wind-Parks ausschließlich privaten Firmen, die ohne Rücksicht auf die Natur Windkraftwerke errichten. So auch in Karystos, im südlichen Euböa. Das Gebiet um Karystos wurde im, Eiltempo als Waldgebiet und nicht als Nationalpark deklariert, wie es der Wunsch der Bevölkerung war. Ab dann war das Problem der Verwaltung des Waldes eine Aufgabe der Waldbehörde und nicht einer unabhängigen Nationalpark-Verwaltung mit Beteiligung der Pflichten und Ansprüche der angrenzenden Gemeinden und Dörfer. Der Plan wurde verwirklicht. Die Waldbehörde erteilte das Recht zur Errichtung von sogenannten Wind-Parks. Straßen wurden mit schwerem Gerät ohne Rücksicht auf die Natur durch die Landschaft gezogen, Betonsockel ausgegossen, eine ökologische Katastrophe sondergleichen. Auf meine Frage, warum der Bürgermeister nicht reagierte, erhielt ich als Antwort, dass der Bruder des Bürgermeisters der Eigentümer einer Fertigbeton-Firma ist, und somit bleibt das Geld in der Familie. Eine Hand wäscht die andere. Eine Linderung der Wut der Bevölkerung brachte die Vermietung von Ferien-Appartements und Zimmern an die Techniker der Baufirmen. Die Preise für die Vermietung stiegen um 100 %. Die Bevölkerung, die keine Ferienwohnungen besitzt, ging erneut leer aus. Hoch lebe das Kapital, das mit dem Segen einer “linken” Regierung auf der Jagd nach Profit in seiner blinden und profitgierigen Zerstörungswut Griechenland in kleinste Stücke zerlegt!
Als ich meinen Freunden vom Bericht an Euch erzählte, meinten diese, es sei verlorene Mühe. Die Firmen bestechen alle, und das leidende Volk hält den Mund in der Erwartung, ein paar Krümel des großen Geldkuchens zu erhaschen. Die Griechen – einst ein stolzes Volk – heute ein Volk, dem man das Rückgrat gebrochen hat.
Herzliche Grüße an Euch und unsere Spenderinnen und Spender, ohne deren Hilfe unsere Schützlinge vermutlich längst schon ihre menschliche Würde verloren hätten.
Tassos & Evi“
Liebe HdS-Leserinnen und HdS-Leser, ich hoffe, dass beide Berichte von Evi und Tassos Chatzatoglou verdeutlichen konnten, wie dringend erforderlich unsere Hilfe ist und wie hilfreich in jedem einzelnen Fall. Dass es sich bei der Notwendigkeit dieser Hilfe keinesfalls um eine Hilfe handelt, die in Griechenland die Not zur Gänze zu wenden vermag, nicht mal zu einem Gutteil, das, liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser, ist dabei noch jedem von uns bewusst! Aber, vergessen wir übers Große und Ganze – bei dem auch wir machtlos sind – nicht diese vielen einzelnen Menschen in Griechenland! Verstecken wir uns mit unserer Hilfsbereitschaft nicht hinter der Richtigkeit einer politökonomischen Gesamtanalyse der Verhältnisse in Griechenland, die nach ungleich größeren Veränderungen und Verbesserungen schreit! Denken und empfinden wir uns nicht selber in ein falsches, in ein inhumanes Entweder-Oder hinein: entweder grundlegend andere Politik in Griechenland oder kleine Menschenhilfe durch uns! Wir bleiben mit unserer Aktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ das, was wir von Anfang an waren: Hilfs- und Protestaktion, politische und humane Aktion!
Womit ich wieder einmal bei meinen Schlusshinweisen bin:
Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe, der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):
Peter Latuska
Theodor Heuss Str. 14
37075 Göttingen
Email: latuskalatuska@web.de
Mit herzlichen Grüßen wie stets
Euer Holdger Platta