Zum Tod von Claude Lanzmann

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Szene aus “Shoah”, Claude Lanzmann

Claude Lanzmann ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Mit ihm verliert die Welt einen Chronisten, der es verstand, die Tragödien des 20. Jahrhunderts durch eigenes Erleben dem Publikum erfahrbar zu machen. Den Abgründen autobiographischer Obsession entkam er dabei – in den meisten Fällen zumindest. (Frank Jödicke, www.skug.at)

Beinahe hätte Claude Lanzmann bei seinem letzten Österreichbesuch skug ein Interview gegeben. Ort und Zeitpunkt des Treffens waren vereinbart und plötzlich fiel ihm ein, dass er für das Gespräch gerne 1.000 US-Dollar hätte. Nun, der große Filmemacher, Autor und Herausgeber hat in seinem Leben vieles richtig eingeschätzt, die finanziellen Möglichkeiten von skug gehörten nicht dazu. Die Episode ist nicht untypisch für die Person Lanzmanns. Er war ein starker Mann und erlaubte sich eine zügellose Sprunghaftigkeit, die für seine Mitwelt nicht immer ganz leicht auszuhalten gewesen sein muss. Aber hier gehörten Werk und Person zusammen. Nur jemand, der diese Energie und diese gewisse Maßlosigkeit hat, kann das bewältigen, was Lanzmann bewältigt hat.

Einverleiben als Formprinzip

Robert Walser hat einmal über Goethe gesagt, dieser sei einfach deswegen ein solch guter Autor gewesen, weil er es verstand, sich maßlos selbst zu lieben. Der alte Geheimrat konnte in seinem Studierkammerl sitzen und sich unablässig an den eigenen Einfällen erfreuen. Wie bei Lanzmann darf man sich sehr wohl fragen, ob man unbedingt mit so jemandem befreundet sein möchte, und Goethe war es ja auch gelungen, sein gesamtes persönliches Umfeld zu erledigen. Ein wenig wie Goethe darf man sich auch Lanzmann vorstellen. Er war in der Lage, die großen Dramen des 20. Jahrhunderts zu seiner eigenen, persönlichen Geschichte umzuformen. Lanzmann konnte den Korea-Konflikt bis ins letzte Detail erklären und in jeder einzelnen Szene machte es »Pardauz!« und Claude stand mit auf der Bühne. Der französische und deutsche Existenzialismus wurde erst durch den gewieften Interpreten Lanzmann zu dem, was er war. Das Erstaunliche ist, dass er damit gar nicht so vollkommen Unrecht hatte.

Das Einverleiben war für den Künstler und Intellektuellen Lanzmann Formprinzip. Damit konnte er abstrakte, politische und intellektuelle Vorgänge anschaulich machen. Zunächst für sich selbst, dann aber auch für sein Publikum. Und er hatte enormes Gespür, das ihm dazu verhalf, immer mittenmang dabei zu sein. Paris: Gleich mal bei Sartre und Beauvoir klingeln und mit ihnen gemeinsam eine Zeitung herausgeben. Der Ostblock bildet sich und kapselt sich ab: Lanzmann zieht als Landstreicher durch die DDR. Und natürlich Nordkorea, kaum ein Mensch kann heute sagen, ob Lanzmann mit seiner legendären Affäre im Zentrum einer internationalen Spionageaffäre stand oder nicht. Selbstverständlich wachsen Fabulierlust und Analyse ineinander. Aber bei all dem stand Lanzmann immer auf der richtigen Seite. Er hat in der Résistance gekämpft und sich später mit westdeutschen Nazis geprügelt. Gewalt ist keine Lösung, klar. Aber wenn man schon wem in die Goschen haut, dann muss man sagen, Lanzmann hat hier Geschmack bewiesen.

Welt, Ich, Welt

Nun sind aber autobiografisch geprägte Arbeiten so etwas wie die Schreckschrauben unserer Zeit. Sie lauern hinter jeder Ecke und es muss ein obsessiver Bezug der Schreibenden, Filmschaffenden und sonstiger Kunstproduzierender zum Verarbeiten eigener Erlebnisse diagnostiziert werden. Mehr noch, im Grunde scheinen heute alle Personen des öffentlichen Lebens im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt zu sein. Deswegen soll an dieser Stelle eine wichtige Unterscheidung gemacht werden. Wer Lanzmanns Magazin »Les Temps Modernes«, seine wunderbaren Dokumentarfilme oder das Buch »Der patagonische Hase«, Lanzmanns »Autobiografie« (das Buch wurde de facto von der Philosophin Juliet Simon geschrieben, was Lanzmann aber auch in den ersten Zeilen zugibt) nicht kennt, könnte sich denken: Ach, ein alter, aufgeblasener, weißer Mann, der nur mit sich selbst beschäftigt war. Gute Reise, Alterchen, aber von dir haben wir genug. Beispielsweise Frank Stronach (hat gerade ein neues Buch über den »Sinn des Lebens« herausgebracht: unbedingt nicht lesen!) oder natürlich der Pate Don Trump.

Der wesentliche Unterschied zwischen all diesen Spukgestalten und Lanzmann lässt sich ganz gut mittels Rückgriff auf die marxistische Analyse der Tauschrelationen erklären. Das Ich ist dem Geld nämlih nicht unähnlich, weil es den Weltbestand vermittelt, wie das Geld die Waren. Die unterschiedlichsten Waren können in Geld aufgewogen werden und mit dem Geld wieder in Waren eingetauscht werden. Eine praktikable und sinnvolle Beziehung entsteht, die dem Schema »Ware, Geld, Ware« folgt. Historisch gesehen geht dies innerhalb kapitalistischer Produktionsverhältnisse nicht lange gut, weil das Tauschäquivalent Geld als Kapital wächst, während die Ware im Wert schrumpft. Bald ist das Verhältnis pervertiert zu »Geld, Ware, Geld« und es geht folglich nur mehr ums Geld. Voilà, einer der Gründe, warum es uns in dieser Gesellschaft so schlecht geht.

Dies hat aber auch eine psychologische Dimension und die leben uns die komplett verblödeten Milliardäre Franz Strohsack (aka Stronach) und Trump exemplarisch vor. Ihr Verhältnis zur Welt folgt dem Schema: »Ich, Welt, Ich«. Alles was ihnen in der Welt begegnet, wird für sie nur sichtbar, wenn es bereits in fester Relation zu ihrem Ich steht, und wird nach kurzer Umformung wieder zu Ich gemacht. Die Welt ist dadurch bald verschwunden, weshalb letztlich die Tauschrelation lautet »Ich, Ich, Ich«. (In der Ökonomie das gleiche Lied, wir befinden uns in Verhältnissen, die längst nach dem Schema »Geld, Geld, Geld« laufen.) Um die Tragik auf den Punkt zu bringen: Es ist sinnlos, ein Buch von Stronach zu lesen, weil es nur für ihn selbst Sinn ergibt (»Ich, Ich, Ich«), das sagt ihm aber niemand, weil er so reich ist und weil er es eh nicht mehr verstehen würde. So aber war Lanzmann nicht. Sein zugegeben voluminöses Ich hatte den Weltbezug des Schemas »Welt, Ich, Welt« und konnte sich anfüllen mit dem, was es sah, hörte und erlebte. Deswegen ist das, was Claude Lanzmann wiedergab, für Leser*innen, Zuschauer*innen und sonstigen Rezipient*innen von großem Gewinn. Die Welt wird durch ein leidendes, denkendes und fühlendes Ich vermittelt und erkennbar.

»Shoah«

Durch diese Maßlosigkeit, Stärke und Intensität war Claude Lanzmann ein Muskelberg, der andere zu schützen in der Lage war. Lanzmann preschte vor und warf sich in die Schneise, in die ihm, zumindest gefahrloser, gefolgt werden durfte. Mit seinem Hauptwerk »Shoah« hat er vielleicht einen der besten Filme gemacht, der je gedreht wurde. Lanzmann selbst meinte, er könne den Film nicht sehen, ohne zu heulen. Das ist wahr. Man muss aus Stein sein, wenn einen dieses Werk nicht zu Tränen rührt. Alle Tränen dieser Welt fließen, jene der Trauer, der Wut, der Verzweiflung, der Furcht und auch jene einer eigentümlichen kathartischen Erlösung. Ein rätselhaftes Glück kann das Publikum beschleichen, wenn es diesen fast 600-minütigen Film zumindest in Teilen gesehen und durchgestanden hat.

Durch den Film wird der Schleier des Ominösen gehoben. Die Verbrechen liegen offen dar und mit ihnen die sichtbar gewordene Conditio humana. Das sind die Menschen. Sie nutzen die ihnen gegebenen Mittel zum industriellen Mord. Es nützt nichts, daran vorbeizuschauen. Jede Beschwichtigung birgt ungeheure Gefahren. Mit dieser Erkenntnis ist eine existenzielle Aufgabe gestellt. Lanzmann war durch Sartre und Jaspers gut für diese Aufgabe vorbereitet. Er wusste, es gilt die Wut, die Verzweiflung und die Trauer auszuhalten. Es müssen gerade die technischen Vorgänge aufgefasst werden, weil was sich in den Gaskammern vollzog, in seinem Kern technisch war. Der Rest ist Schweigen. Ein unfassbares moralisches Versagen, das nie vergessen werden sollte. Wo immer sich auch nur leise Ansätze der Entmenschlichung von Menschen finden, muss daran erinnert werden. Wer diese Vorgänge für einen »Fliegenschiss« angesichts von stolzen tausend Jahren hält, dem kann man nur die schwingenden Fäuste Lanzmanns an den Hals wünschen. Der ist nun aber von uns gegangen, andere werden in seine Fußstapfen treten müssen. Mit seinem Werk und den von ihm zusammengetragenen Dokumenten hat er für diese Aufgabe zumindest eine unschätzbare Hilfe hinterlassen.

 

 

 

 

 

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