«Sogar» Daimler und BASF
Zur kapitalistischen Empörungsskala der SPD (Holdger Platta)
Was vor einigen Tagen passiert ist, geschieht zumeist nur äußerst selten: dass man an einem einzigen Wort den Gesinnungsverfall einer ganzen Partei ablesen kann. In diesem Falle: den todtraurigen Abschied, vor längerer Zeit schon vollzogen, einer einstmals verdienstvollen Partei von sich selbst. Es geht um die SPD – und was ich unter dieser Selbstverabschiedung verstehe, habe ich bereits unlängst schon mal in einem längeren Artikel hier auf HdS darzustellen versucht, in meinem Beitrag „Vom Verschwinden der SPD“ (https://hinter-den-schlagzeilen.de/vom-verschwinden-der-spd-3). Und wer konkret mit welchem Begriff gemeint ist von mir, das soll in dieser Glosse kurz dargelegt werden.
Am Donnerstag letzter Woche war es, am 20. Juli, da teilte Bundesaußenminister und Sozialdemokrat Sigmar Gabriel der Öffentlichkeit das Folgende mit – konfrontiert mit der Tatsache, daß der türkische Despot Erdogan nunmehr auch bundesdeutsche „Großunternehmen“ wie Daimler und BASF auf eine Liste „mutmaßlicher Terrorunterstützer“ gesetzt habe. Ich zitierte wörtlich nach Angaben aus der TAZ: „Man kann niemandem zu Investitionen in ein Land raten, wenn es dort keine Rechtssicherheit mehr gibt und sogar Unternehmen, völlig unbescholtene Unternehmen, in die Nähe von Terroristen gerückt werden“.
Lassen wir beiseite, daß es mit der „Unbescholtenheit“ der genannten Unternehmen so strahlend oft gar nicht aussieht. Dieser Punkt sei Gabriel ganz ausdrücklich – an dieser Stelle jedenfalls – geschenkt. Interessant, höchstinteressant, ja, geradezu verräterisch finde ich ein ganz anderes Wort im Statement dieses „Staatsmannes“ und Außenministers Gabriel: das Wörtchen „sogar“! – „Sogar“? – Weshalb „sogar“? – Nun, vergegenwärtigen wir uns:
Das Wörtchen „sogar“ – ein Modaladverb, wie uns die DUDEN-Grammatik belehrt, bzw. ein „Steigerungspartikel“, wie uns die DUDEN-Etymologie mitteilt – kennzeichnet einen Sachverhalt von ganz besonders hohem Rang! Jedenfalls der Einschätzung des Sprechers zufolge.
Machen wir’s uns zunächst klar am Beispiel, das die DUDEN-Grammatik gleich selber an dieser Stelle präsentiert, an einem Beispiel wahrlich harmlosester Art: „Sogar wochentags findet man dort einen Parkplatz“. Überraschung meldet sich da zu Wort, Erstaunen, Hervorhebung eines Umstandes ganz besonderer, besonders bemerkenswerter Natur! Ähnliche Beispiele – ebenfalls denkbar harmlosen Charakters – könnten auch wir hinzuerfinden. Was die Menüfolge etwa eines Abendessens betrifft: „Sogar Hummer gab’s bei den Müllers!“ Oder, was den Catering-Dienst für einen reisenden Bühnenkünstler betrifft: „Sogar echten Champagner hatte man für den Popsänger kaltgestellt, nicht nur normalen Sekt!“ Kurz also: das Wörtchen „sogar“ signalisiert einen besonders hohen Rang, den die erwähnte Sache auf einer imaginären Stufenskala einnimmt. Und damit sind wir auch schon mittendrin in der Merkwürdigkeit, die das Wörtchen „sogar“ in Gabriels Äußerung darstellt. Und ich bringe damit den ideologisch-selbstverräterischen Kern der Aussage Gabriels auf den Punkt:
Nicht die Auflistung von Journalisten und Menschenrechtlern in einem „Terroristendossier“ des türkischen Alleinherrschers Erdogan hat Gabriel auf die Palme gebracht und damit zu dem Höchststeigerungsbegriff „sogar“, nicht die Inhaftierung Zigtausender völlig unschuldiger Menschen „ganz unten“ in der Türkei hat unserem Staatsmann das hochfahrende Wort „sogar“ in den Mund gelegt! Nein, die Tatsache, dass nunmehr auch Unternehmen, deutsche Unternehmen, deutsche Großunternehmen dem Terrorismusverdacht ausgesetzt worden sind, hat den Sozialdemokraten Gabriel in äußerste Höchstrage versetzt. Auf der kapitalistischen Empörungsskala des Sozen Gabriel ist genau dieses der ganz große Skandal! Der Vertreter einer Partei, die es angeblich mit den kleinen Leuten hält, nach wie vor, läuft zu ganz großer Entrüstung auf nicht bei den Menschenrechtlern, nicht bei den Journalisten, nicht bei den unschuldigen ‚Normalbürgern’ in der Türkei, nein, bei den bundesdeutschen Großkonzernen schlägt urplötzlich das Menschenrechtlerherz des Sozialdemokraten Gabriel aufs heftigste aus. Der ganz große Skandal – verräterisch eingefangen in diesem Wörtchen „sogar“ – wird erst dort vom SPD-Vize gesehen, wo Deutschlands ganz großes Geld zuhause ist! Wir haben es mit Ethik auf Vorstandsebene zu tun, mit Entrüstung, die erst zum Schutze von Großkonzernen rhetorisch so richtig in Gang kommt, mit großer Empörung, stattlich-staatlich in Szene gesetzt, auf dem Level des ganz großen Gelds.
Wie hieß es über Gerhard Schröder oft? – Dass er, der Maschmeierfreund und und und, der „Genosse der Bosse“ sei?
Nun, spätestens mit diesem klitzekleinen Wörtchen „sogar“ ist Gabriel in Schröders Fußstapfen getreten. Was die SPD spätestens nach der Wahl Schröders geworden ist, im Jahre 1998 erstmals in aller Klarheit, eine Partei auf der Seite der Großkonzerne in unserem Land, das ist sie mit den heutigen Gabriels in der Partei immer noch. Und daran hat auch die Wahl eines Sankt Martin als Vorsitzenden für diese Partei nicht das geringste geändert!
„Sogar“ Wohlwollende sollten dieses unerschrocken verkünden dürfen, und „sogar“ in aller Öffentlichkeit!