Verachtung fürs Volk
Angenommen, die Bevölkerung eines Landes erhält nach und nach Kenntnis über Geheimverhandlungen: Mit aller Macht und undemokratischen Tricks will die Regierung zusammen mit der Exekutive eines Wirtschaftsverbundes („Kommission“) international agierenden Konzernen das Recht verschaffen, gegen Regierungen zu klagen, wenn diese Gesetze zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger erlassen. Wie groß wäre die Glaubwürdigkeit dieser Regierung? Verdient sie das Vertrauen der Menschen? (Von Georg Rammer. Herzlicher Dank an Georg Rammer für die Bereitstellung dieses Textes.)
Die erwähnte Kommission vertritt 28 Länder mit dem Anspruch „wettbewerbsfähigster Wirtschaftsraum der Welt“. Gesetzt den Fall, sie will einen „Rat für Regulierungsfragen“ schaffen, in dem geplante Gesetze und Regelungen Großkonzernen zur Stellungnahme vorgelegt werden müssen – bevor Parlamente davon überhaupt nur erfahren. Spräche die Ausschaltung gewählter Vertretungen nicht jeglichem demokratischen Anspruch Hohn?
Nehmen wir an, diese supranationale Kommission und die Bundesregierung kämen zu der Einschätzung, ein Vertragswerk mit den genannten Inhalten würde vom Volk mehrheitlich abgelehnt. Das wollen sie zugunsten der höherwertigen Interessen der Großkonzerne unbedingt vermieden. Also planen sie die handstreichartige „vorläufige Anwendung“ der Verträge oder zumindest ihrer wichtigsten Teile ohne jede Mitwirkung der Volksvertretungen. Denn sie wissen, dass eine parlamentarische Korrektur Jahre dauern würde; bis dahin könnten aber mit Sicherheit unwiderrufliche Fakten geschaffen werden.
Ließe die EU-Kommission und die Bundesregierung die Bevölkerung tatsächlich über die genannten „Essentials“ dieser Verträge abstimmen – die Rede ist natürlich von den „Freihandelsverträgen“ CETA, TTIP und TiSA – wäre das Ergebnis abzusehen, das Ziel der Akteure verfehlt. Um „demokratische Risiken“ auszuschalten, ergreifen EU-Kommission und Bundesregierung die demokratiefendlichen Maßnahmen: Geheimverhandlungen, Investitionsgerichte, Regulierungsräte, vorläufige Anwendung, Ausschaltung der Parlamente. Die exekutiven Gewalten muten der Bevölkerung nicht nur die Entrechtung gewählter Vertretungen zu, sie bürden ihr auch noch die zu erwartenden Milliarden-Kosten der Konzernklagen auf. Aber das Volk wird unruhig, es gibt Proteste, Gutachten zur Verfassungswidrigkeit und ablehnende Initiativen großer Körperschaften. Sie kritisieren heftig die Mobilisierung des ganzen Machtapparates für die totalitäre Durchsetzung der Profitinteressen von Konzernen.
In dieser Auseinandersetzung um einen zentralen Konflikt unserer Zeit, im „Klassenkampf Reich gegen Arm“ (Multimilliardär Warren Buffet), ist die Loyalität der herrschenden Elite klar auf der Seite der Konzerne und Investoren, während Konflikte mit Verlierern und Entrechteten weltweit wachsen. Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Wirtschaftsminister handelt anders als er redet und äußert sich – im geschlossenen Kreis der Machtelite – verächtlich über das Volk („reich und hysterisch“). Bundeskanzlerin Angela Merkel beschreibt als das Prinzip des Regierens, „große Entscheidungen gegen die Mehrheit“ der Bevölkerung durchzusetzen (Rede bei Allensbach, 3.3.2010). Genau danach soll verfahren werden. Beim G7- Gipfel in Japan hat sie einmal mehr betont, dass das TTIP- Abkommen zwischen der EU und den USA bis Ende des Jahres fertig verhandelt werden soll.
Die entscheidende Frage ist, warum – und wie lang – sich die Bevölkerung all das gefallen lässt. Immerhin gibt es gewichtige Indizien dafür, dass die Sieger in diesem Klassenkampf