Alexanders Albumtipp der Woche: Reinhard Mey – Leuchtfeuer

 In CD-Tipp

Für 8.5.2020 ist Reinhard Meys neues Album “Das Haus an der Ampel” angekündigt. Eventuell zur Verkürzung der Wartezeit hier eine Albumempfehlung für das vielleicht beste Reinhard Mey Album, das bisher erschienen ist. (Alexander Kinsky)

Reinhard Meys im Mai 1996 erschienenes 19. Studioalbum „Leuchtfeuer“ wirkt wie ein Quantensprung. Mit ihm ist der Liedermacher endgültig im CD-Zeitalter angekommen, was sich schon an der die Textausführlichkeit und Liedlängen beflügelnden Spielzeit von mehr als 73 Minuten ablesen lässt.

Fast alle Lieder hat Manni Leuchter arrangiert, zwei Edo Zanki. Das sorgt (zumal gegenüber den Produktionen der 70er Jahre) für maßgeschneiderte Feinarbeit, die fast nichts zu wünschen übriglässt, jedes Lied erhält seine kongenial ihm angepasste Farbgebung.

Einzig das Coverfoto, so freundlich Mey da auch den Kunden anblickt, erfüllt lediglich die Ansprüche strengster Konvention.

Die CD startet mit drei Liedern die sofort einen besonders hohen Standard vorgeben.

Altes Kind versucht, eingekleidet in sanften Country-Rock, die Vaterrolle zwischen Autorität und liebendem Verständnis zu umreißen.

Sei wachsam ist eines der politischsten Lieder von Reinhard Mey, das sehr ausführlich beschreibt, wie die neue Rechte durch alle Gesellschaftsschichten das System okkupiert. Musikalisch überrascht hier der Hip-Hop-Ansatz.

Kati und Sandy erschüttert – alleingelassene Großstadtmädchen ohne Perspektive auf dem Parkhausdeck, mit schlimmstmöglicher Wendung. Eindringliche Textintensität erneut zu Countryklängen nimmt die Hörerschaft hier hautnah mit in diese perspektivlose Welt.

Tierpolizei setzt die Reihe der Tierschutzlieder Meys fort. Diesmal treffen militante Tierschützer auf gedanken- und verantwortungslose Normalbürger. Musikalisch wird dazu die Kriminalfilmmusikästhetik der 60er Jahre eingesetzt.

Mein roter Bär ist ein echtes Liedkleinod, eines der berührendsten Reinhard Mey Lieder überhaupt, ein erzählendes Strophenlied, auch schlicht arrangiert, nur Gitarre und Mundharmonika, die Geschichte vom Teddybären, den ihm seine Frau geschenkt und den er schließlich auf einer Reise verloren hat. Zum Heulen schön besingt Mey selbst noch das Akzeptieren des Verlusts.

Drei Stühle gibt es in einer griechischen Fischertaverne, und das Lied dazu fängt die erdverbundene, bodenständige Atmosphäre dieser Szenerie kongenial ein.

Pöter ist Kabarett pur, wie Georg Kreisler, ein Kaleidoskop der Menschentypen, auffallend subtil auch arrangiert, mit Männerchor (!) und dem Klezmerklarinettisten Giora Feidman als Gast.

Irgendein Depp bohrt irgendwo immer lässt musikalisch einen Mississippidampfer tuckern und erfüllt dann doch noch die sehr beliebte Reinhard Mey Konvention seiner Alltagsslapsticksongs.

Alle rennen ist der auch musikalisch sehr deutlich unterstrichene Motivationsschub für innere Ausgeglichen- und Naturverbundenheit gegenüber der alltäglichen Hetze des getriebenen Menschen.

Ein und alles hingegen ist das obligate Liebeslied, und erstaunlicherweise fällt Reinhard Mey auch diesbezüglich immer wieder erneut ungemein Berührendes ein. Dankbarkeit und Innigkeit sind zumindest im Lied stärker als eingeschliffene Routine, das bewegt sehr. Leuchter hat das Lied als sich steigernde Popballade arrangiert. Es beginnt nur mit Klavier und endet auch mit dem Klavier. Das ist einer der ganz wenigen Leuchter-Fälle, wo vielleicht ein anderes Arrangement, nur mit Klavier, quasi als Klavierkunstlied, noch eindringlicher wirken könnte.

Kaspar, eines der eindringlichsten Mey Lieder überhaupt, die Kaspar Hauser Geschichte aus der Sicht der einfühlsamen Lehrerfamilie, erlebt hier, selten bei Mey, eine Studio-Zweitaufnahme mit leicht bedrohlichem Sound als Grundfläche. Erstveröffentlicht wurde das Lied 1969 auf der LP „Ankomme Freitag den 13.“.  Bleibt aber eines jener Lieder, die man sich dann doch nach wie vor am allerliebsten in Meys Liveversion nur mit Gitarre anhört.

Gib mir Musik manifestiert aus dem Lebensalltag heraus die Musik als für Mey unverzichtbare Lebensader, ein großartiges Bekenntnis- und Danklied.

Lilienthals Traum würdigt sowohl musikalisch als auch textlich grandios eindringlich den deutschen Flugpionier Otto Lilienthal (1848-1896). Wie Mey hier den Lebenstraum dieses Mannes genauso wie die Familiensituation die dieser außergewöhnliche Traum mit sich bringt in eine der schönsten Strophenmelodien seiner Liedermacherkarriere einkleidet, auch wunderschön als sanfte Intensivierung arrangiert von Manni Leuchter, ruft geradezu nach weiterer Vergrößerung dieses über sieben Minuten langen Liedepos, und prompt wird auf „Lebenszeichen live“ 1997 eine Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern nachgereicht werden, einer der markantesten Marksteine dieses Liedermacherlebens. Der klassikaffine Liedermacherfan würde wahrscheinlich deswegen, wäre er gezwungen sich so zu entscheiden, diese Aufnahme Meys (dürfte es nur eine einzige sein) auf die einsame Insel mitnehmen.

Nein, ich lass dich nicht allein setzt noch einmal besonders einfühlsam nach, Mey versichert einem Freund, mit dem ihn seit vielen Jahren viel verbindet, ihn nicht im Stich zu lassen.

Ohne dich überrascht und verblüfft zum CD-Finale textlich pointiert als Liebeslied für die Brille und musikalisch als Elvis-Parodie.

„Leuchtfeuer“-Fazit: Was für eine inhaltliche und musikalische Bandbreite, was für ein großes Liedermacheralbum! Altes Kind, Sei wachsam, Kati und Sandy, Mein roter Bär, Ein und alles, Lilienthals Traum und Nein, ich lass dich nicht allein ragen aus dieser einmaligen Liederreise noch heraus, große, wichtige, zeitlos gute Liedermacherlieder. Gib mir Musik auch natürlich, aber da tut sich der Musiker schwer damit das auch noch herauszuheben, das ist für ihn so selbstverständlich.

Die Homepage von Reinhard Mey: https://www.reinhard-mey.de/

Kommentare
  • Ruth
    Antworten
    Ich las mit Erstaunen, dass Giora Feidmann auf der CD zu hören ist.

    Seine Klarinette und seine Klezmer Musik sind einzigartig! Ich habe ihn auf der Bonner Museumsmeile gehört und gesehen und war begeistert!

    Stellt doch mal etwas auf HdS vor; seine Klarinette und er –   eine Einheit, großartig!

    Zu Reinhard May: Ich bin ein eine treue Begleiterin seiner Musik und seiner einfühlsamen Texte!

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