Alexanders CD-Tipp der Woche: Bettina Wegner – Was ich zu sagen hatte

 In CD-Tipp

Die große Liedermacherin Bettina Wegner hat eine 5 CD Box „Was ich zu sagen hatte – 120 Lieder aus 50 Jahren“ veröffentlicht, die ihre wichtigsten Lieder thematisch geordnet in über fünf Stunden ganz intensive Liedermacher-Liedspieldauer zusammenpackt und ausschließlich über ihre Homepage bestellbar ist. (Alexander Kinsky)

Wer sich so wie der Schreiber dieser Zeilen in den späten 70ern für deutschsprachige Liedermacher zu interessieren begann, landete irgendwann bei Konstantin Wecker und dessen „Willy“, aber auch bei Bettina Wegner, die damals genauso wie Wecker vielfach auf ein Lied reduziert wurde, in ihrem Fall auf „Kinder (Sind so kleine Hände…)“. Man wusste sie kam aus der DDR und lebte ab den 80ern im Westen, man begann, auch ihre Platten zu sammeln und die rororo Taschenbücher mit ihren Texten zu lesen, man war berührt von ihrer einprägsam sensiblen Stimme, ihrem ideal zum Liedcharakter passenden Gitarrenspiel, und vor allem von all den Liedern selbst, die das kritische Bewusstsein sowie den individuellen Widerstandsgeist großartig schärfen konnten – und vielfach auch inhaltlich enorm zu bewegen vermochten.

Bettina Wegner wurde 1947 in Berlin geboren. Sie wuchs in Ostberlin auf, erlernte Bibliotheksfacharbeit, studierte Schauspiel und musste bald die Erfahrung machen, dass unzensierte Auftritte mit eigenen Liedern nicht durchsetzbar waren. Flugblätter gegen die Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei 1968 brachten ihr Exmatrikulation, Verhaftung und eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung ein. In U-Haft musste sie zu dem Zeitpunkt, als ihr erstes Kind geboren wurde. Nach dem Ende der Bewährungszeit machte sie eine Ausbildung als Sängerin und lebte dann freischaffend. Sie musste lernen, mit Verboten von Veranstaltungsreihen umzugehen. Immer intensiver wurde Druck auf sie ausgeübt, immer mehr musste sie zum Geheimtipp werden. 1978 erlangte Bettina Wegner durch eine Fernsehsendung auch in der BRD größere Bekanntheit und konnte dort bei CBS eine Liveplatte veröffentlichen. Es folgte die erste Studio LP, aufgenommen mit einer Rockband. Westreisen brachten Konzerte in der BRD, Österreich, Belgien und der Schweiz. Die DDR wollte sie damit aber auch loswerden. 1983 stand sie vor der Entscheidung: Gefängnis wegen eines Ermittlungsverfahrens oder Ausbürgerung. Bettina Wegner zog nach Westberlin. Den Verlust der Heimat hat sie ab da vielfach künstlerisch formuliert.

Riesengroß war die Überraschung und Freude, als ich 1983 als Wecker Fan wie so oft im Wiener Plattengeschäft Carola in der Albertinapassage die LP-Neuerscheinungen durchgesehen habe und auf eine Bettina Wegner Platte gestoßen bin, die Konstantin Wecker in München mit ihr aufgenommen hat, zusammen mit Konstantins Team Musikon („Weine nicht, aber schrei“). Es war die Zeit der großen Friedensdemos und mehrerer solcher Zusammenarbeiten von uns geschätzten Künstlerinnen und Künstlern. Das Duett „Stille ist´s“ war uns jungen Liedermacherfans wie nur wenige Lieder damals unmittelbar aus dem Herzen gesungen. Konstantin ging mit Bettina und Joan Baez auch auf Tournee. Joan Baez sang neben Weckers „Wenn unsere Brüder kommen“ und Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da“ auch Bettinas „Kinder“ in ihren Konzerten. Es gab auch Auftritte Bettinas unter anderem mit Angelo Branduardi. 1985 entstand in Konstantin Weckers Kaffee Giesing in München eine zweite zusammen produzierte LP, „Heimweh nach Heimat“, wieder mit Musikern des Team Musikon.

Einige Jahre arbeitete Bettina Wegner mit dem Gitarristen Peter Meier zusammen. Für die Zeit danach sind das Begleit-Trio L’art de passage und Karsten Troyke als musikalische Wegbegleiter bedeutend. 2007 ging Bettina Wegner auf Abschiedstournee.

2017 veröffentlichte sie nun die 5 CD Box „Was ich zu sagen hätte – 120 Lieder aus 50 Jahren“. Im Begleitheft findet sich ein Gespräch mit Karsten Troyke, in dem Bettina Wegner unter anderem ihr Leben von den Anfängen in der DDR (es ging um die Person) über die ersten Erfahrungen im Westen (zwischen Plattenboss und Konzertveranstalter, die sie beide ausschließlich als Produkt sahen) bis zum Rückzug von der Bühne (sie kam sich vor wie eine Prostituierte) reflektiert. Die Lieder sind nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet. Zwei Lieder gibt es zweimal, auch das wird im Interview erläutert.

Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen, Für meine weggegangenen Freunde, Über Gebote, Für Vera Kamenko, Klein Zaches, Von Deutschland nach Deutschland, Heimweh nach Heimat, Verbannung, So alt bin ich geworden, Jesus, Traurig bin ich sowieso, Wiegenlied von der Insel Gotland, Jeder Staat, Er kam an einem Sonntag an, Smogalarm, Was ich zu sagen hatte, Gettolied, Meinetwegen – Klassiker, Neueres, Bekanntes, zu Entdeckendes, Persönliches, Politisches, der einzelne Mensch singt, was ihn bewegt, was ihn erschüttert.

Ich finde, Bettina Wegners so umfangreiche wie umfassende und vielfältige Liedauswahl geht ungemein zu Herzen, sie regt vehement zum individuellen Reflektieren über all die besungenen Schicksale, Geschichten und Themen an.

Mehr über Bettina Wegner und Bestellmöglichkeit:

http://www.bettinawegner.de/

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