Alexanders CD-Tipp der Woche: David Rubin und 10 ZeitzeugInnen: Sternkinder

 In CD-Tipp, FEATURED

Der Wiener Liedermacher, Komponist und Produzent David Rubin lässt auf der im Februar 2019 in seinem Label Tuneframe erschienenen CD „Sternkinder“ zehn ZeitzeugInnen des Holocaust zu Wort kommen – sie erzählen singend und in Interviewausschnitten, was nach wie vor unbegreiflich aber von Menschen systematisch geplant geschehen ist und niemals vergessen werden sollte. (Alexander Kinsky)

In der Filmdokumentation „Wader Wecker Vater Land“ (Regie Rudi Gaul, 2011) sagt Hannes Wader: „Nur die ewige Diskussion darum ob man nicht doch endlich mal das alles abschütteln sollte, sich ständig vorhalten zu lassen dass man sechs Millionen Juden vernichtet hat – wobei meine Ansicht ist wir haben damit zu leben. Jeden Tag! Und wer nicht jeden Tag daran denkt, den soll der Teufel holen. Ich tu das jedenfalls. … Das gehört auch zu meinem Deutschland dazu.“

Und wie sieht es 2018/19 aus? Konstantin Wecker eröffnet seine Konzerte mit einem neuerlichen Besuch am Grab seines antifaschistischen Liedfreundes Willy: „Du werst as ned glaubn, du  konnst as ned glaubn Willy – heit drucka die neuen Nazis ins Parlament und erklären die unmenschlichste Epoche der Menschheitsgeschichte zu einem Vogelschiss in Anbetracht der 1000jährigen erfolgreichen Geschichte des deutschen Volkes….1000 Jahre deutsche Geschichte? Da sind dem Herrn Gauland wohl die Wahnvorstellungen seines Führers dazwischengekommen.“

Der Holocaust, auch Schoah, Schoa, Shoah oder Shoa, der von 1941 bis 1945 durchgezogene, ab 1942 industriell systematisch geplante nationalsozialistische Völkermord vor allem in Konzentrations- und Vernichtungslagern an rund sechs Millionen Juden, kam aus dem deutschsprachigen Raum, aus dem Land Bachs und Goethes. Nachgeborene blicken darauf zurück, wozu die Zivilisation entsetzlicherweise imstande war und hoffentlich nie wieder imstande sein wird.

Noch leben einige Zeitzeugen. Noch ist es möglich, von ihnen selbst zu hören, was sie erlebt haben, was sie erleiden mussten, wie unfassbar das Grauen war, das aus mitteleuropäischer angeblicher Zivilisation kam.

Der 1982 geborene David Rubin stammt aus einem jüdischen Elternhaus. Es ist ihm wie er auf der Homepage zur CD schreibt „…ein persönliches Anliegen, ein Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Hetze, rechtes Gedankengut und Intoleranz zu setzen“.

Rubin hat sich ausführlich mit zehn jüdischen ZeitzeugInnen unterhalten. Aussagen aus diesen Gesprächen fließen in die Lieder der CD ein. Er hat aber vor allem versucht, die Kernaussagen der Interviewten in Reime zu fassen und dabei Fakten wie Empathie mit gebotener höchster Sensibilität zu vermitteln. Stilistisch hat sich Rubin großteils für sanfte, von der Stimmung her sehr nachdenkliche Rockballaden entschieden, die einen erzählenden Charakter ermöglichen. Die so entstandenen Lieder werden von den ZeitzeugInnen selbst und von Rubin gesungen.

Die Erinnerung von Herbert Schwarz, der vier Konzentrationslager überlebt hat (Nie vergessen, nie verstehen) und 2017 (bald nach der Aufnahme) verstarb, beginnt mit des österreichischen Noch-Kanzlers Schuschniggs Radioworten vor dem Anschluss „Gott schütze Österreich“.

Helga Kinsky (Theresienklang) hat im Ghetto Theresienstadt Tagebuch geführt (Buchveröffentlichung „Die Mädchen von Zimmer 28“ 2004) und musste zwischenzeitlich auch nach Auschwitz. (Der Schreiber ist nicht verwandt mit ihr.)

Gideon Eckhaus und sein Bruder wurden sofort nach dem Anschluss auf der Wiener Taborstraße verprügelt und schwer verletzt, sein Vater wurde in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg war er lange Jahre Vorsitzender des Zentralkomitees der Juden aus Österreich in Israel. Den Begriff Wiedergutmachung lehnt er ab (Unwiedergutmachbar).

Für das Mädchen Lucia Heilman (Unsichtbar) begann das Trauma am 12.3.1938 am Wiener Heldenplatz, dem sich der Schulverweis anschloss, die Ermordung ihres Großvaters in Buchenwald und drei Jahre in einem Versteck in der Wiener Mollardgasse sowie nach einem Luftangriff weitere Monate in einem Kellerversteck.

Josef Albin (Not kennt kein Gebot) konnte aus den Konzentrationslagern Lublin und Plaszow fliehen und wurde zum Partisan. Der Holocaust hat einen Rächer aus ihm gemacht.

Eva Fahidi musste ab 1944 (Mutter und Schwester wurden vergast) die Hölle von Auschwitz mit allen unbegreiflichen Details erleiden. Unter diesen furchtbaren Umständen etwa die geliebte Schwester verloren zu haben (Gilike bleibt ein Kind) hat sie versucht ab 2004 in Worte zu fassen (Buch „Anima rerum“, 2011 deutsch „Die Seele der Dinge“) und mit einer Ausdruckstänzerin auf die Bühne zu bringen („Strandflieder oder die Euphorie des Seins“).

Kitty Schrott musste als Kind über Rumänien und Palästina nach Mauritius emigrieren. Ihr späterer Mann Herbert hingegen erlitt auch Theresienstadt und Auschwitz sowie ein Unterlager Dachaus, in dem dann sein Vater starb (Anderssein).

Alfred Schreier wurde auch als Kind in Wien verprügelt und gedemütigt, landete in einem Waisenhaus und schließlich in einem italienischen Exildorf. Auf Wunsch seiner Mutter feierte er schon mit 13 Jahren in Neapel seine Bar Mitzwa (Als Kind zum Mann).

Marco Feingold, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und Österreichs ältester Überlebende des Holocaust (Buch „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“), überlebte Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald und musste nach dem Krieg Verharmlosung und Leugnung erleben und ertragen (Man war ja nirgendwo dabei).

Rubins Großvater Franz Szczepanski überlebte den Krieg versteckt und unter falschem Namen. Der Enkel konnte hier eine Videoaufnahme aus dem Jahr 1993 heranziehen (Coda).

Ist ein Niemals vergessen, ein Nie wieder genug? Oder gehört nicht viel mehr dazu, dass so etwas nie wieder geschehen kann? David Rubin fragt das in seinem eigenen Gesangsbeitrag, der auch gut ins Ohr gehenden Rockballade Wieder nie wieder, dem vorletzten Lied der erschütternden, eindringlichen CD.

Alles tun um das Nie wieder weiter zu tragen, weiter zu leben – mit Hannes Wader und mit dieser CD: Das gehört auch zu Deutschland und zu Österreich dazu.

Die Sternkinder Homepage mit allen Informationen und CD-Bestellmöglichkeit: https://www.sternkinder.at/

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