Am Literaturkamin (7)
Ein Fluß wie ein Floß
Holdger Platta, in memoriam M.T.
(Anmerkung der Redaktion: Alle LeserInnen dürfen mitraten, welche AutorInnen, die Holdger Platta zu seinem Gedicht inspiriert haben, sich hinter diesen Initialen verbergen. Die Auflösung wird am kommenden Montag verraten)
Ihr könnt nichts von mir wissen, außer der Mississippi
fließt durch Euren Kopf, sagt der Junge, und der Strom
gleitet im heißen Mittagslicht an ihm und dem Sklaven vorbei.
Ihr könnt nichts von mir wissen, sagt der Junge, außer
Ihr habt das Buch über den andren gelesen, die Meerschaumpfeife
im Mund. Und man sieht, er hat alle Sandbänke des Mississippi
in seinem Kopf, diese Weltreise durch die eigene Kindheit.
Der Alte mit dem Kreuzzeichen unter den Schuhen ist da
lange schon tot, auch der Scherz mit der Schlangenhaut
längst schon geschehen. „Unglück, Honey Huck, Unglück!“
Da hilft auch das Salzwerfen nicht mehr, links über die Schulter.
Herzog und König treten auf, wie Herzöge und Könige stets
auftreten: als lumpiges Gaunerpack. Der Junge bleibt gut.
In dieser Nebelnacht verlieren sie sich, er wacht
mitten in einer Fehde auf, idiotisch wie alle Fehden.
Huck lernt die Capulets unter dem Namen Grangerford kennen.
Trägt er schon Flügel auf seinem Rücken,
als er von der mittagsheißen Kirche mit den Schweinen
zurückkommt? Das Erröten, das alles verrät.
Das Ende vor dem Glück ist voller Sägewerk, eine Befreiung
mit einem Pfund Butter auf dem Kopf, eine Bücherei
mit zig Schießgewehren, Tante Polly als auferstandenes
Empörtsein, bibelfest, mit Brille und Dutt, ein Konflikt
zwischen schwarzem und weißem Gewissen und ein Fluß,
der vorbeigleitet, vorbeigleitet, vorbeigleitet wie ein ewiges Floß.
(Auflösung des “Rätsels” aus dem Gedicht vom vorigen Montag: Robert Louis Stevenson)