Attac und die aberkannte Gemeinnützigkeit – jetzt erst recht
Das Frankfurter Finanzamt hat dem Attac Trägerverein e.V. nun die Gemeinnützigkeit entzogen, weil es der Meinung ist, dass der Schwerpunkt der tatsächlichen Arbeit der Nichtregierungs-organisation wohl mehr auf politischen Einmischungen und politischem Mitgestalten der Bürger besteht, als es die gesetzliche Grundlage, die Abgabenordnung, erlaubt (http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/frankfurter-finanzamt-entzieht-attac-die-gemeinnuetzigkeit/?no_cache=1&cHash=473e9265d59965653fac45ba22cf81af). Anscheinend soll nur unwirksame Opposition gefördert werden. War Attac womöglich zu erfolgreich und soll deshalb nicht mehr gefördert werden? (Christine Wicht)
Dies wirft die Frage auf, was eigentlich Gemeinnützigkeit ist? In Art. 52 der Abgabenordnung ist in Absatz 1 geregelt (http://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__52.html), in welcher es heißt „Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung der Allgemeinheit ist nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann. Eine Förderung der Allgemeinheit liegt nicht allein deswegen vor, weil eine Körperschaft ihre Mittel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuführt.“
Die Voraussetzungen werden unter Absatz 2 aufgeführt. Darunter ist unter Punkt 24 die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens genannt. Für Attac führt politische Bildung zu politischer Meinungsbildung, diese führt im besten Fall zu politischem Engagement – mit realen Auswirkungen. Attac nimmt seinen Anspruch als Bildungsbewegung ernst und sieht es als Erfolg der Informations- und Bildungsarbeit, wenn viele Menschen sich einmischen. Demokratie kann nicht wie eine Trockenübung jenseits der gesellschaftlichen Realität simuliert werden. Es ist sogar, so Attac, die definierte Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen, politische Entscheidungsprozesse zu begleiten und Menschen zu befähigen, sich aktiv einzubringen. Dieses Verständnis von Arbeit und Wirkung gemeinnütziger Vereine als Teil der Zivilgesellschaft ist ein breit getragener gesellschaftlicher Konsens.
Attac ist eine Basisbewegung, deren Handeln sich auf die Förderung der Demokratie bezieht. Eine Demokratie ist wertlos, wenn sie auf Wahlen begrenzt ist und die Bürger keinerlei Einfluss auf die politische Willensbildung mehr ausüben können. Wir leben heute mehr in einer Technokratie, einer Wirtschaftsdiktatur, als in einer echten Demokratie. Wer Nichtregierungsorganisationen, die den demokratischen Willensprozess vorantreiben, den Geldhahn zudreht, dreht auch der Demokratie den Hahn zu. Es ist heute wichtiger denn je, dass es Organisationen gibt, die die Hintergründe der Finanzkrise, die Interessen der Lobbyisten in Brüssel und hierzulande offenlegen. Die Bürger sind zum Spielball globaler Interessen geworden, ihre Mitbestimmung begrenzt sich auf ein Kreuz zu den Wahlen und auf Demonstrationen. Es hat nur den Anschein einer Demokratie, in der sich die Bürger frei bewegen und ihre Meinung äußern können. Die Entscheidungen aber werden an anderen Orten getroffen, fernab von den Einflusssphären der Bürger.
Attac sieht sich als globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation. Es ist ein politisches Netzwerk, das mit politischen Bildungsangeboten und Aufklärungskampagnen (die sehr wohl Informationsveranstaltungen im Sinne der Gemeinnützigkeit sind) ein wenig Sand in das Getriebe der neoliberal geprägten Politik streut. Das Netzwerk will die Bürger über Hintergründe des politischen Treibens aufklären. Attac ist nicht, wie in Medien gern behauptet wird, ein Globalisierungsgegner. Ganz im Gegenteil, Attac propagiert eine andere Welt, eine soziale, gerechte, ökologische Welt. Es ist eine bunte Bewegung, deren Mitglieder sich aus unterschiedlichen Beweggründen zusammengeschlossen haben. Und es ist eine Sisyphusarbeit gegen den Mainstream zu arbeiten. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, sie investieren Zeit, Ideen und ihr oft auch eigenes Geld, um ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen und das was einen demokratischen Staat ausmacht, nämlich die Herrschaft durch das Volk mit freier Meinungsäußerung und Willensbildung zu leben. Dass weltweit inzwischen weit über 25.000 politisch engagierte Menschen Attac beigetreten sind, zeigt deutlich, dass im Volk der Wunsch nach mehr Mitbestimmung wächst und ein wachsendes Interesse an Hintergrundinformationen besteht, die von den gängigen Medien nicht mehr geliefert werden.
Die Welt braucht Nichtregierungsorganisationen wie Attac, denn die gegenwärtige Globalisierung orientiert sich viel zu einseitig an mächtigen Wirtschaftsinteressen. Die Interessen der Bürger spielen dabei nur bedingt eine Rolle, bestenfalls die von Konsumenten. Denn nur wenn der Konsum steigt, geht es auch der Wirtschaft gut. In erster Linie geht es in der globalisierten Welt um Profite, die zwar von Arbeitnehmern erwirtschaftet werden sollen, doch bitte nur mit niedrigen Löhnen und reduzierter sozialer Absicherung. Transnationale Konzerne entziehen sich jeder gesellschaftspolitischen Verantwortung, sie fordern eine gut ausgebaute Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitnehmer, doch die Steuern, die dafür notwendig sind, vermeiden sie durch geschickte, legale Steuertricks. Die Politik treibt beständig, im Sinne der Wirtschaft, die Liberalisierung der Märkte im Interesse der großen Konzerne voran. Insbesondere auf EU-Ebene, erarbeiten Technokraten in einer Art Arkanum einen Vertrag und halten wie hohe Priester den Ariadnefaden des Vertragslabyrinths in der Hand. Sie erarbeiten, abgeschirmt von jeder Öffentlichkeit und ohne öffentliche Diskussion Konvolute, die weder Politiker noch die europäischen Bürgern verstehen, da sie unzugänglich sind und im Geheimen verhandelt werden. Es gilt mehr als je zuvor: Brüssel ist weit weg und die Zusammenhänge sind schwer herzustellen. Nationale Regierungen verweisen gern auf Brüssel, wenn unpopuläre Entscheiden von dort kommen und sie angeblich nichts dagegen tun können, obwohl sie in Brüssel abgestimmt haben. Attac lüftet das Dickicht der übernationalen Verträge, bringt Hintergründe an die Öffentlichkeit und versucht komplexe Themen herunterzubrechen, damit sie allgemeinverständlich sind. Das ist eine mühsame Arbeit, die oftmals juristisches und volkswirtschaftliches Wissen erfordert. Die Mitglieder arbeiten sich in Themen ein, diskutieren, tauschen sich aus und erarbeiten Papiere, die der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich gemacht werden. Das ist eine wichtige, politische Graswurzelarbeit, die von der Gesellschaft Anerkennung braucht, sonst läuft sie ins Leere. Man kann sich die Frage stellen, ob es politisch gewollt ist, dass Attac nicht gemeinnützig arbeiten kann, weil es den politischen Interessen zuwider läuft. Sollen etwa die Hintergründe der wirtschaftlichen Interessen etwa gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen?
Nach neoliberalem Dafürhalten soll der Staat Recht und Ordnung aufrechterhalten. Eingriffe des Staates sind nur insofern vorgesehen, wie sie zur Sicherung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs erlaubt sind. Dass eine solche Ausrichtung soziale Belange vernachlässigt, wird ignoriert, denn es herrscht die Meinung vor, dass der Markt schon alles regeln werde. Dass dem nicht so ist, zeigte die Finanzkrise. Unsere plötzlich ratlosen Wirtschaftsexperten riefen in ihrer Not nach dem Staat, der Rettungspakete schnüren sollte, nachdem zuvor hemmungslos gezockt wurde, als wäre der Finanzmarkt eine Spielbank und das Geld der Kunden Jetons. Die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation Attac fordert seit Jahren demokratische Kontrollen von Banken und Kapitalmärkten. Der neoliberale Mythos gehe davon aus, so Attac, dass unregulierte Finanzmärkte wirtschaftliche Risiken breiter streue und zu einer stabileren Wirtschaft beitrage. Tatsächlich zeige sich jedoch wieder einmal, dass in Boomzeiten einige wenige Spekulierende und Aktionäre Profite gemacht haben, von der jetzigen Krise sind aber ganze Ökonomien und damit die breite Masse der Menschen betroffen. Das Konjunkturpaket, das nun doch wieder besser gestellte Bürger bevorzugt und schlechter gestellte Bürger benachteiligt, zeigt deutlich, in wessen Sinne Politik gemacht wird. Die Politik, die Internationaler Währungsfond, Weltbank, WTO und die Europäische Union vertreten, hinterlässt die Bewohner der armen Länder meist als Verlierer. Gewinner sind im Allgemeinen die global agierenden Konzerne der reichen Geberländer. Attac befasst sich mit den Fragen, wessen Interessen sich hinter der neoliberalen Politik verbergen, wer die treibenden Kräfte hinter dieser Politik sind, welche Organisationen Einfluss und Macht haben und welche Abkommen dieser Politik Vorschub leisten. Attac setzte sich auseinander mit dem Inhalt des Vertrags von Lissabon und zeigte auf, dass dieser verbunden ist mit der Lissabon-Strategie, der Dienstleistungsrichtlinie und dem Flexicurity-Konzept. Hinter der Wortverbindung „Sicherheit“ und „Flexibilität“ verbirgt sich eine europaweite Doppelstrategie, mit dem (vagen) Versprechen von mehr Sicherheit gleichzeitig einen massiven Abbau von Arbeitnehmerrechten auf europäischer Ebene durchzusetzen. Die neoliberale Wirtschaftspolitik greift tief in die persönlichen Bereiche von uns allen ein. Es wird mehr Flexibilität bei weniger sozialer Absicherung gefordert und Leistung und Profit sind das Maß aller Dinge. Arbeitnehmer sind den Bedingungen des Wettbewerbs weitgehend schutzlos ausgeliefert.
Im Jahr 2002 initiierte Attac eine Kampagne gegen das GATS (General Agreement on Trade and Services). Mit dem Dienstleistungsabkommen GATS sollten alle Sektoren – von den unternehmensnahen Dienstleistungen über Handel, Tourismus, Transport, Telekommunikation, Umwelt, Wasser, Energie bis hin zu Gesundheit, Bildung und Kultur – den WTO-Prinzipien unterworfen werden. Attac hat die unbemerkt von der Öffentlichkeit laufenden Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten (AKP-Staaten) zu den Economic Partnership Agreements (EPAs) an die Öffentlichkeit gebracht und darüber aufgeklärt was wirklich dahinter steht und warum trotz der „wohlwollenden“ Wirtschaftsabkommen immer mehr Afrikaner über das Mittelmeer nach Europa flüchten. Aktuell klärt Attac über das TTIP auf. Das geplante Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) ist nur die Fortsetzung einer schon jahrzehntelang betriebenen, massiven Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungspolitik innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union sowie darüber hinaus. Attac enthüllt das filzartige Netzwerks der Lobbygremien innerhalb Europas und weltweit. Dass öffentlich rechtliche Partnerschaften kein Zaubermittel gegen klamme Kassen sind, weiß der Bürger spätestens seit der PPP-Irrweg-Kampagne gegen die Wasserprivatisierung in Berlin.
Attac hat einen wesentlichen Anteil geleistet zur Aufklärung über das Cross-Border-Leasing mit welchem Kommunen Infrastrukturen an US-amerikanische Investoren verkauft und zurückgeleast haben. Mit Info-Ständen hat Attac über die umstrittenen Pläne von Vodafone informiert, den öffentlichen Kassen rund 20 Milliarden Euro vorzuenthalten, indem Buchverluste aus der Mannesmann-Übernahme in Höhe von 50 Milliarden Euro abgeschrieben werden. Die Occupy-Bewegung wendet sich gegen die Unterhöhlung der Demokratie und fordert mehr soziale Gerechtigkeit. Das von Attac initiierte Bankentribunal war eine hochkarätig besetzte kulturelle Veranstaltung, begleitet von zwölf Stunden Workshops und Vorträgen über die Hintergründe der Finanzkrise. Dies sind nur einige von vielen Beispielen an Aufklärungsarbeit, die Attac geleistet hat. Anscheinend soll Attac nun in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden. Der Neoliberalismus duldet keine Kritik. Diese Politik fordert von uns stillschweigende Akzeptanz. Wer die Politik kritisiert oder sich gar dagegen wehrt, wird schnell als Gegner kriminalisiert, nach dem Motto: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Der nicht verfassungskonforme Bundeswehreinsatz auf dem G8-Gipfel hat gezeigt, wie der Staat mit Kritikern dieser Politik umgeht. Sie wurden überwacht, schikaniert und als Terroristen bezeichnet. Dieses Verhalten war einer Demokratie nicht würdig.
Johannes Agnoli prägte den Begriff der „Involution“ in der Politikwissenschaft, was so viel bedeutet wie die „Rückbildung demokratischer Staaten, Parteien, Theorien in vor- oder antidemokratische Formen“. Er sah den „Abbau und die Schwächung demokratisch-rechtsstaatlicher Institutionen ebenso wie die Disziplinierung und Marginalisierung von einzelnen Schichten oder den Trend zum permanenten Ausbau sicherheitsstaatlicher Strukturen“ voraus. Dieser Trend kann aus heutiger Sicht leider nur bestätigt werden. Denn in dem Maße wie der Staat die soziale Absicherung zurückfährt, baut er Überwachungsstrukturen auf, die dem Bürger eine vermeintliche Sicherheit geben sollen. So findet in unserem Land eine Verschiebung vom vormals fürsorgenden Staat zum nunmehr überwachenden Staat statt. Die nächste Stufe wäre dann der mehr oder weniger subtil repressive Staat. Wir bewegen uns schleichend auf eine Law and Order Politik zu, die einher geht mit einem schleichenden Abbau der Grundrechte.
Organisationen wie Attac sind in dieser Zeit wichtiger denn je, denn wirkliche Demokratie bedingt laut Attac dreierlei: Erstens das Wissen darüber, wie Gesellschaft funktioniert, zweitens die Möglichkeit, auf politische Prozesse tatsächlich Einfluss nehmen zu können und drittens die Bereitschaft, dies auch zu tun. In diesem Sinne versteht sich Attac als eine politisch-emanzipatorische Bildungsbewegung. Nur wer versteht, wie Gesellschaft funktioniert, kann sich erfolgreich in politische Prozesse einmischen, nur wer weiß, dass Einmischung erfolgreich sein kann, wird sich engagieren wollen (http://www.attac.de/themen/demokratie/). Demokratie ist mehr als zum Wählen zu gehen, Demokratie ist lebendig und die demokratischen Rechte müssen von den Bürgern immer wieder eingefordert werden. Attac ist eine Bürgerbewegung, die sich der Themen annimmt, die in den Mainstreammedien nicht mehr recherchiert werden.
Die grundsätzliche Einstellung der heute regierenden Politiker konnte in einem Klima gedeihen, in dem die Lobby der Wirtschaft immer mehr Einfluss und Macht gewonnen und das weitgehend einflusslose Volk die Verantwortung an die Parlamente abgegeben hat. In der Bevölkerung ist wenig Hintergrundwissen vorhanden, weil die Zusammenhänge zu komplex geworden sind. Attac trägt Hintergründe und Fakten zusammen, informiert über Zusammenhänge, Korruption, über die Machenschaften der Weltbank und des Internationalen Währungsfond, der Welthandelsorganisationen, über Vertragsinhalte und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft, über die Privatisierung der öffentlichen Güter, über die Macht der Akteure auf den Finanzmärkten, über soziale Gerechtigkeit und vieles mehr. Das Motto der Bürger sollte nun heißen „jetzt erst recht“.
Nachdem Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, wäre es eine Geste des demokratischen Zusammenhalts, wenn die Bürger nun Attac beitreten und auf die Steuerbescheinigung verzichten. Bei einem monatlichen Beitrag von 10 Euro ist das kein großer Verzicht, in Anbetracht dessen was diese Organisation im Sinne der Aufklärung leistet, wäre es ein Zeichen gegen den unsäglichen Neoliberalismus und dessen unmenschliche Auswirkungen auf die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft. Pierre Bourdieu, einer der Mitbegründer von Attac sagte, dass eine echte Demokratie nicht möglich sei ohne ein Minimum an wirtschaftlicher Demokratie. Die Bürger können daran mitwirken, dass aus einem Minimum ein Maximum wird, denn „Wir sind viele“.