Auf Seiten der Menschlichkeit: Barbara Hundegger
Poesie und Widerstand: Die Lyrik-Reihe auf „Hinter den Schlagzeilen“, ausgewählt und kommentiert von Siljarosa Schletterer.
aus: stille kollisionen
das hochgefühl
eines tiefbauingenieurs
die unpünktlichkeit
einer uhrmacherin
das unterschwellige
der überanpassung
die geheimhaltung
des offensichtlichen
das halbseidene
eines vollprofis
das weitreichende
einer kurzatmigkeit
das todesnahe
einer lebensversicherung
das innenleben
eines außenstandes
das tagwerk
eines nachtportiers
das gehässige
eines freundschaftsdienstes
die dauerwelle
eines spontanheilers
das abstoßende
einer anziehung
die innung
der außenhandelsvertreterinnen
das verschwiegene
eines offenbarungseides
die brutalität
des behagens
die langatmigkeit
eines kurzstreckenläufers
das planmäßige
eines exzesses
die heiterkeit
einer krisenberaterin
das heterogene
einer homosexuellen
die depressionstendenz
eines freudenmädchens
die trennungstricks
eines verbindungsmannes
die orgasmusstarre
eines tantra-freaks
der gesundheitsplan
einer krankenschwester
die geradlinigkeit
eines querdenkers
das absichtliche
der absichtslosigkeit
die geburt
eines bestatters
das fortlaufende
des liegengebliebenen
das übergewicht
der unterlassung
die abseiltendenz
eines klettergurus
das fortkommen
einer zugehfrau
die taktlosigkeiten
eines solohornisten
das vorsätzliche
eines nachsatzes
die farblosigkeit
einer malerin
das anmaßende
der unterwerfung
das lebenswerk
einer sterbeforscherin
die gekünsteltheit
des naturburschenvolkes
das zufällige
von frauenabsenz
der satzverlust
der dichterin
familienalbum 1 + 2
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1 kinder-reich
mein königs-paar: schlägt mich aus gürteln | mit
zeptern | ich bin ihre länderei | ich bin ihre diener |
ihr hof-staat | ihr galgen-knoten erreicht nur mich |
die königin: mutter-seelen-allein | der könig: vater-
freuden-los | vom boden | sänfte ihrer male | schaut
sie mich blutend an | von der couch | seinem thron
der flimmert | holt er nach meinem kinds-kopf aus
2 schlagen
ich über die stränge | sie sich auf keine seite | er
uns mit seiner eigenen waffe | ich aus der art | ihr
das herz bis zum hals | er mir das aus dem kopf |
beide: kein kapital aus mir | sie: ihrer wahrheit ins
gesicht | er: mit der faust auf den tisch | auf mich |
auf euch | ich: mir die nächte um die ohren | taub
Von Gedichtakupunkturen und enstürzenden Vorurteilen: Gedanken zu Barbara Hundeggers Gedichten (Siljarosa Schletterer)
„Verse muss man so schreiben, dass die Scheibe kaputtgeht, wenn man das Gedicht dagegen wirft“ soll Daniil Charms (1905-1942) gesagt haben und wenn das auf Verse zu treffen kann, dann auf jene von Barbara Hundegger. Es sind Zeilen, die nicht nur punktgenau sondern buchstaben genau treffen – einer Wort-Akupunktur gleich. Es sind Zeilen, die nicht nur Scheiben zum Einsturz bringen, sondern Vor-Ur-Teile zum bersten bringt.
„Poesie und Politik sind bei ihr untrennbar verbunden, weil ihre Literatur sich nicht aus der Gesellschaft ablöst. Barbara Hundegger schreibt eine in-medias-res-Literatur, die die Lesenden anpackt, so wie die Autorin die Welt mit ihren Texten anpackt. Ihre Texte konfrontieren uns mit der Realität – laden uns ein, die dialektische Denkweise der Autorin im Erkunden von Welt und Gesellschaft mitzugehen.“ schreibt Barbara Neuwirth in ihrer Laudatio für Barbara Hundegger für den Anton Wildgans Preis 2014. Und damit hat sie recht.
Die Bildreihenfolge BLOSSOM DUST MAPS zu Beginn, die um das Thema Flucht zirkulieren, verortet Hundegger selbst unter ihrer „public poetry“. Es sind meine Texte, die für die Erich-Fried-Tage (6.–10.11.2013) mit dem Thema: „welt wohin?“ entstanden sind. Der Titel hängt mit den verwendeten Fotos zusammen: „[A]ls ich mein „rom-buch“ schrieb, war ich in klausur am mondsee – und der jahreslauf wollte es, dass es da ein, zwei tage gab, an denen das wasser ganz mit blütenstaub übersät war. und das habe ich fotografiert – weil es wie luftaufnahmen von kontinenten/landstrichen aussah, die es gar nicht gibt“, so die Autorin.
In den zwei Gedichten aus dem Zyklus FAMILIENALBUM wird Familien wird Gewalt innerhalb der Familie thematisiert, jener Graubereich, der so gern mit Schweigen bedacht wird. Es ist Teil einer Auftragsarbeit für das Tiroler Frauenhaus anlässlich der „internationalen Tage gegen Gewalt an Frauen und Kindern“.
In dem Auszug aus STILLE KOLLISIONEN räumt sie mit Vorurteile und Schubladendenken und zeigt uns einmal mehr auf, dass wir alle vielseitig sind und voller Widersprüche. Sie selbst schreibt darüber: „so ca. „clash of civilizations“ innerhalb eines einzigen menschen“.
Die Autorin gehört zu den wichtigsten politisch-lyrischen Stimmen dieser Zeit. Sie wurde in Hall i. Tirol geboren und hat nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in Innsbruck und Wien arbeitete sie bis 2002 als Redakteurin, Korrektorin und Lektorin bei einer Tageszeitung. Seit Anfang der 1980er ist sie Teammitglied in zahlreichen feministischen Arbeitsgruppen und Projekten. Thematische Schwerpunkte sind unter anderem: Gen- und Reproduktionstechnologien, Homosexualität, Homophobie, sexualisierte Gewalt, Faschismus, Patriarchale Gewalt und Kriminalisierung von Widerstand. Sie ist seit 1990 mit der Planung und Organisation von kulturpolitischen und literarischen Veranstaltungen in Österreich befasst und war Universitätslektorin an der Universität für Angewandte Kunst Wien /Institut für Sprachkunst. Für ihre Werke wurde sie neben dem Anton Wildgans Preis (2014) unter anderem auch zweimal mit dem Kunstpreis der Stadt Innsbruck (1996 + 2002) und dem Outstanding Artist Award für Literatur ausgezeichnet. Im Herbst erscheint ihr neuer Gedichtband zu Peter Anich.
Mehr Informationen finden sich auf der Website der Autorin http://www.bahu.at/
Ich will ja nicht so morbid erscheinen, aber für mich sieht er aus wie eine Darstellung von Grabplatten, die mich selbst ausnahmsweise mal nichts angehen. Herzliches Beileid.
Und was sagen mir die Gedichte? Diese stakkatoartigen Wortsequenzen erinnern mich an einen harten, beschleunigten Puls.
Vielleicht deuten sie auf die zu schnelle Rhythmik innerhalb deutscher/österreichischer Großstädte.
Inhaltlich? Im ersten Gedicht werden gleichzeitig vorhandene scheinbare Polaritäten gegenübergestellt.
Das zweite das Dilemma eines physisch und emotional misshandelten Kindes.
Das dritte Gedicht ist traurig. Der andere will/kann anscheinend nicht verstehen. Da hilft nur direkte Kommunikation. (Jetzt habe ich das Gedicht wieder auf meine persönliche Situation hin interpretiert).