Auf Seiten der Menschlichkeit: Erich Fried

 In FEATURED, Holdger Platta, Poesie

Ich hoffe sehr, dass viele mir zustimmen werden: es ist längst überfällig, innerhalb dieser Textreihe Auf Seiten der Menschlichkeit auch Erich Fried vorzustellen. Kaum einer wie er, der österreichisch-jüdische Poet, der 1921 in Wien geboren wurde, hat sich in seinem literarischen Werk derart konsequent für die Menschlichkeit auf diesem Planeten eingesetzt. Und ich füge gleich an dieser Stelle hinzu: auch nicht mit dieser beeindruckenden literarischen Qualität wie Erich Fried! Holdger Platta

 

Ein besonderes Zeichen hat Erich Fried mit seinem Gedichte-Zyklus Höre, Israel! gesetzt, erstmalig im Jahr 1974, publiziert vom damals noch existierenden Hamburger Verlag Association, nachgedruckt dann 2010 vom Melzer Verlag Darmstadt. Was dahintersteckt, dass sein “Hausverlag” in diesen Jahren – der Berliner Wagenbach-Verlag – diese eminent wichtigen und eminent wertvollen Texte seinerzeit nicht drucken mochte, ist mir nicht bekannt.

Da bei vielen der Autor Erich Fried fast schon wieder vergessen ist, hier noch einige Mitteilungen zu seinem Lebensweg:

Erich Fried war das einzige Kind seiner Eltern Nellie Fried, einer Grafikerin, und Hugo Fried, Spediteur von Beruf. Er wuchs in Wien auf, trat bereits als Fünfjähriger mit einer Kinderschauspielgruppe in seiner Heimatstadt auf, absolvierte dort auch das Gymnasium und musste, nicht einmal achtzehn Jahre alt, als Jude aus Österreich fliehen – 1938 also, nach dem sogenannten „Anschluss“ seines Heimatlandes ans „Deutsche Reich“. Sein Vater war kurz zuvor, im Mai dieses Jahres 1938, an den Folgen der Folter bei einem Verhör durch die Gestapo gestorben.

Ihn, Erich Fried, verschlug es dann, nach einem Umweg über Belgien, nach Großbritannien, nach London, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1988 lebte. Typisch für Erich Fried: bereits in diesem jungen Alter begann er, sich humanitär-politisch zu engagieren. Er gründete eine Selbsthilfegruppe „Emigrantenjugend“, die, neben Erich Frieds Mutter, auch zahlreiche andere Menschen in Gefahr nach England zu holen vermochte. Er wurde auch Mitglied in anderen politischen – durchweg antifaschistischen – Gruppen wie im „Freien Deutschen Kulturbund“ und dem „Kommunistischen Jugendverband Österreichs“ (aus dem er dann allerdings , im Jahre 1943, wieder austrat, wegen wachsender stalinistischer Tendenzen  in dieser Organisation).

Bis 1944 schlug sich Erich Fried mit zahlreichen Gelegenheitsarbeiten durch – als Bibliothekar, Milchchemiker und Fabrikarbeiter –, doch bereits in diesem Jahr 1944 vermochte der nicht einmal Fünfundzwanzigjährige auch seinen ersten Lyrik-Band zu veröffentlichen, die antifaschistische Gedichte-Sammlung „Deutschland“ (herausgegeben vom britischen Exilverlag des österreichischen PEN-Clubs). Wahrlich, für Erich Fried eine durch und durch typischer Beginn seiner literarischen Tätigkeit: als Lyriker, als freiheitlich-gesonnener Kommunist und als zweifelsfrei antifaschistischer Autor von Anfang an.

Und typisch auch in der Hinsicht, dass Erich Fried schnell eine gesicherte Berufskarriere ansteuern konnte. Schon 1945 wurde er Mitarbeiter bei der britischen BBC (dort tätig bis 1968!). Und spätestens mit seinen Antikriegsgedichten „und Vietnam und“, herausgegeben von Wagenbach in Berlin 1966, wurde Erich Fried auch in Deutschland zum Verfasser politischer Gedichte schlechthin. Noch heute haben viele von uns Älteren, mich eingeschlossen, die alljährlich erscheinenden Quarthefte mit Gedichten von ihm nicht vergessen, jene Bücher im typischen schwarzen Karton, die für viele von uns zu den Gedichten der APO-Bewegung wurden. Niemals, ich sage es mit aller Deutlichkeit, kamen für uns Zweifel auf an Erich Frieds Qualität als Lyriker, niemals auch als sensibler, freiheitlich gesonnener, als glaubhafter Vertreter eines echten, eines menschlichen Sozialismus.

Warum betone ich das?

Nun, deshalb, weil spätestens mit seinem herzzerreißenden Appel an den jüdischen Staat in Nahost, mit seinem Gedichtband Höre, Israel!, sowohl der Lyriker als auch der Menschenrechtler Erich Fried aufs polemischste in Zweifel gezogen wurde, diffamiert wurde von „Kollegen“, die ihm dieses klare Engagement für ein menschlich agierendes Israel übelnahmen! Gelinde gesagt…

Für den späteren Seitenwechsler Wolf Biermann, der ohnehin, so mein Eindruck, keine gleichwertigen Dichter neben sich auszuhalten vermochte – hießen diese nun Walther Mossmann oder Franz-Josef Degenhardt, Hannes Wader oder Dieter Süverkrüp –, für Wolf Biermann schrieb Erich Fried keine „Gedichte“, sondern „Gedachte“. Und Henryk M. Broder (das „M“ steht übrigens für „Marcin“, auf Deutsch „Sohn des Krieges“ – eine Tatsache, für die Broder selbstverständlich nichts kann!), Jude wie Erich Fried, wirft diesem bis heute „antisemitische Beiträge“ vor (so am 10. Juli dieses Jahres auf der Broder-Website „achgut.com“) und hantierte vorher – im Jahre 2010 zum Beispiel, nachdem Herrn Broder per Gerichtsentscheid verboten worden war, Fried weiterhin noch als „Antisemiten“ bezeichnen zu dürfen – mit dem gestelzten Verdikt, dass Fried unter einer „Judäophobie“ leide. Heißt und hieß auf gut Deutsch: Fried dürfte für Broder ein Fall für den Psychiater gewesen zu sein. Mieser geht’s nicht!

Wer nun den folgenden Auszug aus Frieds Gedichtband Höre, Israel! liest, wird hingegen schnell feststellen:

Die Leidenschaftlichkeit, die Inständigkeit geradezu, mit der Erich Fried Israel zu einer menschlichen Politik gegenüber den Palästinensern zu bewegen versuchte, dieses verzweifelt-hoffnungsvolle  Flehen stellt alles andere als nur „Gedachtes“ dar. Wer dieses nicht wahrzunehmen vermag, wie Biermann, zeigt ausschließich, wie schlecht er selber nur zu lesen vermag! Ohne Übertreibung gesagt: die eminente Sorgfalt der Friedschen Gedichte, das unpolemisch-genaue Leisesein, das immer wieder so herausragend typisch für Erich Frieds Gedichte ist, zeigt das genaue Gegenteil von bloßer Gedankenspielerei, von bloßem Intellektualismus (was immer das sei). Die humane Emotionalität dieser Gedichte kann nur überhören, wer sich vorher die eigenen Ohren verstopft hat. Für mich ist das Bloßstellung eines Dichters, die restlos zurückfällt auf den Diffamierenden selbst. Und im Übrigen: vom Vorhandensein differenzierender Intelligenz messerscharf zurückschließen zu wollen auf völligen Mangel an Gefühlen: das ist selber intellektuelles Idiotentum.

Dasselbe gilt für die literarische Herabsetzung der Friedschen Gedichte (freilich räume ich ein: von den meisten FriedleserInnen bis heute noch nicht entdeckt, oft sogar von seinen Sympathisanten und Weggefährten nicht): Frieds Gedichte sind von einer leisen – das ja! –, aber gleichwohl großartigen Musikalität! Kaum einer wußte oder weiß derart gestaltungssicher mit der behutsamen, niemals aufdringlichen, Rhythmisierung von Sprache umzugehen.

Und was den angeblichen „Antisemiten“ Erich Fried betrifft – so Broder immer noch: wer das unterstellt, der hat bis heute nicht begriffen, dass dieser Poet und engagierte Zeitgenosse Fried niemals die israelische Politik als „jüdische“ Politik oder „jüdische“ Symptomatik bezeichnet hätte. Broder und andere können offenbar nicht aushalten, dass einer der ihren allen Menschen Menschlichkeit abverlangt (nicht zuletzt sich selber und der eigenen Literatur). Und das muss ich an dieser Stelle nicht beweisen. Das wird im Folgenden Erich Frieds eigener Text tun. Man prüfe jeden Satz, jede Aussage von ihm daraufhin durch! Wer Menschen um Menschlichkeit bittet, spricht ihnen die Befähigung zur Menschlichkeit doch gerade damit zu, nicht ab! Und: wer gegen das Verteufeln von Palästinensern anschreibt, verteufelt „die „Juden“ noch lange nicht! Ein Erich Fried jedenfalls hat das niemals getan – und das trifft auch auf Erich Frieds Umgang mit anderen politischen Gegnern zu! Typisch war und ist bei allen Gedichten und Aussagen von Erich Fried das achtsame Verstehenwollen der anderen gewesen. Man zeige mir irgendein Gedicht, wo das bei Fried nicht der Fall gewesen sein sollte!

Zum Abschluss also ein Aphorismus, gerichtet an die Biermanns und Broders auch unserer Zeit noch, ein Aphorismus, der bereits mehr als zwei Jahrhunderte auf dem Buckel hat und trotzdem  aktuell sein dürfte wie eh und je. Eine kleine Weisheit also aus den „Sudelbüchern“ des Göttinger Naturwissenschaftlers und Poeten Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799):

„Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das denn allemal im Buch?“

Eine Frage, die Lichtenberg anderswo noch drastischer auf den Punkt gebracht hat und mit entsprechender Antwort versah:

„Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken!“

Doch nun überlasse ich sehr, sehr gerne Erich Fried selber das Wort! Lest (und hört, mit einem inneren Ohr zumindest) den folgenden Ausschnitt aus Erich Frieds bewegendem Appell für ein friedliches, für ein freiheitliches und für ein menschliches Israel – heute, einen Tag nach der Wiederwahl eines Netanyahu in Israel aktueller denn je:

 

Höre, Israel!

Erich Fried

 

1.

Nicht als Fremder und nicht als Feind
von Hass gegen euch entzündet
ich spreche als einer von euch
der auch Irrwege kennt
In den Gaskammern und in den Öfen
wo eure Familien vergingen
wurden auch meine Verwandten
vergast und verbrannt

Seither kämpfe ich gegen das
was dahin geführt hat
gegen die Mächte
die Hitler zur Macht verhalfen
Sie sind noch nicht verschwunden
von dieser Erde
und was tut   i h r?
Ihr laßt euch von ihnen fördern

 

2.

Sie wollen das gleiche von euch
was sie von Hitler wollten:
Ihr sollt Vorposten sein
für ihre Ordnung der Welt
Darum muss ich das Bittere sagen
in eure Ohren
die ihr im Unrecht verstopft
wie zur Zeit der Propheten

Auch wenn es bitter schwer ist
auch wenn ihr es mit Bitterkeit heimzahlt
aber ihr sollt nicht sagen können
das sagten euch nur eure Feinde
und später soll es nicht heißen;
Zur Zeit als die Juden noch siegten
sprach keiner von ihnen
gegen ihr eigenes Unrecht

 

3.

Ihr habt in Europa
die Höllen der Höllen erlitten
Verfolgung Vertreibung
langsamen Hungertod
die Gewalt der Mörder
die Hilflosigkeit eurer Schwäche
die Urform des Unrechts
das nichts als die eigene Macht kennt

Ihr habt eure Henker
beobachtet und von ihnen
den Blitzkrieg gelernt
und die wirksamen Grausamkeiten
Was ihr gelernt habt
das wollt ihr jetzt weitergeben
Kinder der Zeit des Unrechts
erzogen in seinem Bild

 

4.

Ihr seid tüchtige Pflanzer geworden
ihr habt die Wüste bewässert
doch die Armen die vor euch dort wohnten
die habt ihr weg gedrängt
Eure Gönner die Saatgut schickten
und Geld für eure Arbeit
und Waffen für eure Macht
sehen: die Saat geht jetzt auf

Nicht nur Pflanzen:
An Stelle des ungerechten
Hasses der euch verfolgt hat
sät ihr heute gerechteren Hass
Ich wollte nicht
dass ihr im Meer ertrinkt
aber auch nicht dass andre durch euch
in der Wüste verdursten

Als ihr verfolgt wurdet
war ich einer von euch
Wie kann ich das bleiben
wenn ihr Verfolger seid?

 

5.

Ihr habt nicht von den Völkern gelernt
sondern von ihren Herren
Ihr seid nicht mehr Opfer der andern:
ihr selbst wollt andere opfern
eurer vergänglichen Macht
von der ihr glaubt sie genügt
um den Armen ihr Land zu nehmen
auf dem sie saßen

 

6.

Ihre Gesichter
sind euren Gesichtern ähnlich
ihre Sprache
ist eurer Sprache verwandt
Auch sie taten manchmal Unrecht
Nicht alles ist schwarz oder weiß
Ihr beide seid gebrannt
von derselben Sonne

Aber euer Unrecht war größer
denn ihr habt euch Land geben lassen
von denen die kein Recht hatten
es euch zu geben
Zwar ihr selbst wart bedrückt wo ihr herkamt
mehr als andere Kolonisten
doch die Armen im Land das ihr nahmt
waren nicht schuld daran

Zwar ihr selbst wart arm
aber immer noch reich gegen die
deren Boden ihr kauftet
fast wie Yankees einst den der Indianer

 

7.

Kehrt um! kehrt um!
Die euch Geld oder Waffen gaben
werden nicht immer da sein
um euch zu schützen
Umkehren wird nicht leicht sein:
Der Hass der Armen lebt lange
und viele wünschen euch das
was einst ihr euren Peinigern wünschtet

Doch euch bleibt kein anderer Weg
euch die Zukunft zu öffnen
wenn es nicht eine Zukunft
der ewig Verhassten sein soll
Kehrt um! kehrt um!
Die euch Geld oder Waffen geben
brauchen euch nur als Söldner
gegen die Zukunft

gegen das Ende der Ausbeutung
gegen die Hoffnung der Armen
gegen die Völker
die eure Brüder sein sollten

 

8.

Zwar unter denen sind solche
die haben gerufen:
„Alle Juden ins Meer!“
Das sind keine Stimmen der Zukunft
Aber vergesst nicht
es denken nicht alle dasselbe
so wie auch bei euch nicht alle
dasselbe denken

In Ägypten und Syrien
waren andere Kräfte am Werk
als in den Palästen
Arabiens oder Jordaniens

 

9.

Die Könige riefen zum Hass auf
Sie kennen kein anderes Mittel
ihre Untertanen
anzustacheln zum Kampf
doch auch die Feindschaft der anderen
habt ihr erworben
Ihr seid nicht schuldlos daran
dass sie gegen euch sind

Und vergesst auch nicht:
In New York in Hamburg und London
schrieben die Zeitungen
freundlicher über die
aus deren Ländern die Rufe
zum Völkermord kamen
über Feisal und Hussein
als über Ägypten und Syrien

Denn die Könige wollen sie stützen
aber die Länder die sich mühsam
hintasten zum Sozialismus
zu Falle bringen
Und dazu sollt ihr ihnen dienen
mit Haut und Haaren
mit eurem ganzen Vermögen
von dem sie euch etwas ersetzen

 

10.

Wenn ihr euch nicht zu gut seid
für diese Rolle
nicht zu tüchtig und nicht zu klug
nicht zu menschlich und unabhängig
dann werdet ihr abhängen
von den dürren Trägern des Unrechts
wie ein Gehenkter abhängt
von seinem Galgen

als warnendes Beispiel
wohin die Tapferkeit führt
und die Tüchtigkeit wenn sie verführt ist
dem Unrecht zu dienen

 

11.

Ich sage das nicht für die
die euch immer schon Feinde waren
und nur neue Vorwände suchen
für ihren alten Hass
auch nicht für die unter euch
die lernten von ihren Hassern
sich selbst zu hassen
oder sich hässlich zu finden

Doch ich sage das gegen die
die sich heute erschaffen wollen
nach dem Ebenbild ihrer Vernichter
um selbst Vernichter zu werden
denn wenn die euch beherrschen
vernichten sie trotz ihrer Siege
zuletzt sich selbst
wie das eure Vernichter taten

Und ich sage das auch
gegen die falschen Freunde
die eure Not benützen
um euch tiefer in Schuld zu verstricken
Gegen die die euch vor treiben wollen
bis es zur Umkehr zu spät ist
um ihre Zwecke zu fördern
mit eurem Blut

 

12.

Ihr habt die überlebt
die zu euch grausam waren
Lebt ihre Grausamkeit
in euch jetzt weiter?
Eure Sehnsucht war so zu werden
wie die Völker Europas
die euch mordeten
Nun seid ihr geworden wie sie

Den Geschlagenen habt ihr befohlen:
„Zieht eure Schuhe aus!“
Wie den Sündenbock habt ihr sie
in die Wüste getrieben
in die große Moschee des Todes
deren Sandalen Sand sind
doch sie nahmen die Sünde nicht an
die ihr ihnen auflegen wolltet

Der Eindruck der nackten Füße
im Wüstensand
überdauert die Spur
eurer Bomben und Panzer

 

Erich Fried: Höre, Israel! Melzer-Verlag Darmstadt 2010 (nur noch antiquarisch erhältlich)

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