Auf Seiten der Menschlichkeit: José F.A. Oliver
Poesie und Widerstand: Die Lyrik-Reihe auf „Hinter den Schlagzeilen“
1
mit stotternder Hand:
(und leg deine Augendahin wo es weh tut) dein ohr
höre den blutgarten. 1 nachbar
sagte er, Stephan E.
sei viel fahrrad gefahren sei immer
vor 7 uhr aus dem haus
zur schichtarbeit oft
habe er einen schlicht
en blau
mann
getragen und habe nur
mit ihm gestritten
weil er, der nachbar, den garten
nicht dauerhaft löwenzahnfrei
gehalten habe / er, Stephan E. sei
schließlich schuss- und zielwund
trunken & löwenzahnfrei
eines nachts / habe hand
& seinen blutgarten
angelegt
2
Cor
pus, an dem wir
den laib unseres Herrn
hinaus
t:ragen die w:orte. Hymnisch die rostigen nägel
das stumpfgehauene schwert & hymnisch 1 blut
garten. Maria, bekrönt
am hang & schrägwechseln die frommschatten
namen vs. statuen. In jenen tagen
predigte h:euer auch 1 alt
bundespräsident
ins einlullende narbenhorn. Im horn also
das bloße meuchelhorn & das kloakengedächtnis
1 hassstich / hate-speach der jagd. Wie
in „fliegenschiss“ 1 nackt-
los ruch los 1 tot-
schw:eigen / nur 1 scherenschnitt noch
die entblößte mär von den 5 broten & fischen
Galilea era = 1 fortgeborenes st:ottern
im sumpf & frohlockend die verniedlicher. Oú
est le jour?
verniemanden, die Geschichte verniemanden
lautet die devise
3
„… wie einsam die Opfer sind, die im Netz
tagtäglich durch den Dreck
gezogen werden…“
José Oliver ist Kurator des 1998 von ihm ins Leben gerufenen Literaturfestes Hausacher LeseLenz (www.leselenz.com). Er hat gemeinsam mit dem Literaturhaus Stuttgart Schreibwerkstätten für Schulen entwickelt, um die Sprachsensibilität von Kindern und Jugendlichen zu fördern und ihr Verständnis für den Umgang mit Literatur zu erweitern. Für seine dichterischen Arbeiten erhielt er u.a. 1989 das Literaturstipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg e.V., 1994 das Aufenthaltsstipendium des Berliner Senats im Literarischen Colloquium Berlin. 2001 war er Stadtschreiber in Dresden. 2002 Gastprofessor und writer-in-residence am MIT (Cambridge / USA). 2004 Stadtschreiber in Kairo. 2007 Chamisso-Poetik-Dozentur an der TU Dresden. 1997 ist er mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet worden. 2007 erhielt er den Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg; 2009 den Thaddäus-Troll-Preis. 2012 den Joachim-Ringelnatz-Preis (Nachwuchs). 2013 erhielt er das Stipendium er Kulturakademie Tarabya in Istanbul. 2015 den Basler Lyrikpreis.
„Wer im heutigen Gedicht nach Musik, nach Lust am sprachlichen und formalen Experiment, nach Übereinstimmung von Atem und Bild, nach Lautkristallen sucht, wird hier reichlich belohnt.“ (Joachim Sartorius, Süddeutsche Zeitung)
„Manchmal beflüstert er ein Unterwort. Und schärft mit dem sprachlich Unkonventionellen unsere Sinne. (…) Wäre ich ein Wort, ein Halbsatz, ein Satz, ein Absatz, und würde ich kränkeln, sagen wir an der Grippe der Sprache, der gemeinen Abgegriffenheit, ich würde mich von José Oliver behandeln lassen, so behutsam, zart und präzise geht er um mit jeder Silbe.” (Ilija Trojanow, Kulturkurier)
Mehr Informationen sind auf der Website des Autors zu finden: http://oliverjose.com/
Eine sympathische Frau. Ich hätte sie gerne kennengelernt wenn ich noch in ihrem Alter wäre, allein wegen ihrer Menschlichkeit:
https://www.youtube.com/watch?v=Y6ZL-xiQn68