Auf Seiten der Menschlichkeit: Markus Bundi

 In FEATURED, Poesie

Poesie und Widerstand: Die Lyrik-Reihe auf „Hinter den Schlagzeilen“, ausgewählt und kommentiert von Siljarosa Schletterer.

 

Grafik Franz Wassermann: THE WRITING OF OUR TIME IS EXACT AND IMPERSONAL

So zahm war sie noch nie
gleichmütig ohne Furcht
geht die Maus in die Falle
lässt sich von dir führen
lässt sich von dir drücken
Doppelklick für Doppelklick
und wenn ihr großer Bruder
dich eines Tages verschlingt
wirst du nichts merken

 

WIEGENLIED
Kinder
alles ist gekauft
wir sind
die immer Treibenden
Kinder
bleibt nicht stehen
lauft!

(Rep.)

 

CHILLING 9/11 PHOTO grafik SHOWS MOMENTS AFTER PLANE STRUCK TWIN TOWERS: Franz Wassermann

ELF ZEILEN
Seither reden wir durcheinander
ground zero – und dennoch
bleibt der Blick verstellt
bubbles zu Babel zu Staub
die Uhr tickt nicht mehr
dieser beat schlug uns
heftig an die Schläfen
die show muss weitergehen
und sieh da der Erdball
dreht sich weiter
inschallah – so Gott will

 

 

                            Für Erika B
Die Kraft des Gedichts
ist die Kraft in deiner Hand
was du noch im Schlaf hältst
ist ein zerknülltes Taschentuch
geballtes Licht, ist zugleich
das Himmelszelt, weißes Blatt

 

Gedichte als Zeitaufnahmen als Antworten auf Abgötter dieser TAge: Gedanken zu Markus Bundis Gedichten (Siljarosa Schletterer)
Das Gedicht „Für Erika B.“ ist der Schweizer Dichterin Erika Burkhart gewidmet († 14.04.2010) und ist nach Angaben des Autors kurz vor ihrem Tod entstanden. Eine Dichterin, die nur für Bundi ein Vorbild war und ist. Es sind Zeilen die gleichzeitig von der den Übergang schildern und die Wirkkraft der Poesie beschreiben. Oder ist jede Poesie auch ein Fingerzeig des Übergangs?

ELF ZEILEN verweist auf in elf Versen auf die Anschläge vom 11. September 2001 hin und thematisiert die „blickverstellenden“ Folgen. Das „Wiegenlied“ ist eine Folge oder Antwort auf Rainer Maria Rilkes XXII. Sonettzeile „Wir sind die Treibenden.“ aus: Die Sonette an Orpheus, Erster Teil (1922). Rilke ist zurecht nicht nur ein Abgott von Konstantin Wecker, er prägte mit seinen Sonetten auch Bundis Schreiben. Das Gedicht kann oder soll repetiert – also wiederholt werden. Ähnlich wie „wir“ immer die Treibenden und Getriebenen sind im Korsett unsrer/dieser Gesellschaft. Ähnlich Blind ähnlich stumpf, wie Bundi es im ersten Gedicht „So zahm…“ ausdrückt, merken wir diese gesellschaftlichen Fallen kaum.

So gleichen Bundis Gedichte einem Gedankensprengsel, ein Wortaufleuchten mit viel Assoziationsraum: ein Zwischen-Raum gespannt von Gesagtem zum Nichtgesagten, von Anstoß und Antwortsuche. Es sind Zeitaufnahmen, ganz nah an der Gegenwart am realen Leben geboren, wie die Grafiken von Franz Wassermann auch. Markus Bundi wurde 1969 in Wettingen (Aargau-Schweiz) geboren. Er studierte Philosophie, Neue Deutsche Literatur und Linguistik an der Universität Zürich (lic. phil. l). Er ist Autor, Redakteur und Lehrer und Herausgeber der Werkausgabe Klaus Merz (Haymon Verlag) und der wunderbaren Lyrikreihe mit dem treffenden Titel DIE REIHE, welche bei Wolfbach Verlag seit 2010 erscheint.

Weitere Informationen zur Reihe sind unter: http://www.diereihe.ch und

zum Autor unter: www.markusbundi.ch zu finden.

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