Auf Seiten der Menschlichkeit: Markus Jäger

 In FEATURED, Poesie

Grafik: Franz Wassermann, „I’m an apocalypse writer“

Poesie und Widerstand: Die Lyrik-Reihe auf „Hinter den Schlagzeilen“, ausgewählt und kommentiert von Siljarosa Schletterer.

 

In die Flucht geflüstert
(für Joan Baez)

Ihre Stimme sammelt Steinchen für
das große Mosaik durch Taten und
Musik, denn Mut und Tränen bringen
immer einen Sieg im Krieg gegen den
Krieg. Durch Herz und Hirn wird das
Geschrei der Tradition in seine Flucht
geflüstert und der Feind durch wilde
Milde wutgemustert und irgendwann
und irgendwie und irgendwo geheilt.

© Markus Jäger, 2018

 

Wir tanzen hinter Mauern

Wir tanzen hinter Mauern und werden
nicht mehr nass. Tropfen finden nicht
mal mehr ihr wurmzerfressenes Fass.

Wir küssen unsere Angst ganz ohne
Unterlass. Nächstenliebe speisen
wir mit blau glasiertem Hass.

Wir tanzen hinter Mauern und schließen
unsere Tür. Menschenzüge laut
entgleisen für die leis‘ erdachte Kür.

Wir ficken unsere Angst und können
nichts dafür. Der Stoß-Trieb stärkt stur
weiter das stolze Abendland der Gier.

© Markus Jäger, 2018

 

Ein Statement zu gesungener und geschriebener Politik (Siljarosa Schletterer)

Markus Jäger ist nicht nur Schriftsteller und Übersetzer, sondern auch Kritiker, Liedermacher und Bibliothekar in Innsbruck. Sein neuer Roman „Helden für immer“ handelt von einer Liebes- und Fluchtgeschichte zweier schwuler Männer zu Zeiten des Nationalsozialismus und „[…] kann als mutiges und engagiertes Plädoyer für Liebe und Toleranz gelesen werden.“ (Tiroler Tageszeitung, September 2018).

Auch die Promotion von Markus Jäger, eine Dissertation über niemand geringeren als Joan Baez in Amerikanischer Literatur- und Kulturwissenschaft, ist mittlerweile in Buchform erhältlich: Popular is not enough: the Political Voice of Joan Baez – A Case Study in the Biographical Method. Stuttgart, Ibidem Verlag, 2010).

Markus Jäger bezeichnet die Musik von J.Baez als „gesungene Politik“. Eigentlich kann man sich seiner Meinung nur anschließen: Die Sängerin hätte den Friedensnobelpreis verdient. Wenn Joan Baez singt: „I wish the wars were all over“, antwortet Jäger: „Es gibt ihn nicht und wird ihn auch nie geben: den gerechten Krieg. Wenn alle nur in den Krieg ziehen, um sich zu verteidigen – gäbe es keinen Krieg. […] Wer für den Krieg ist, findet Töten gut.“ Die Zeilen von Jäger sind ebenfalls gesungene und geschriebene Politik!

„Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen“, soll Friedrich Nietzsche gesagt haben, und diese Aussage trifft wohl für einen großen Teil von politischer Poesie zu, so auch das Gedicht In die Flucht geflüstert von Markus Jäger. Die Gedichtzeilen: „Durch Herz und Hirn wird das // Geschrei der Tradition in seine Flucht // Geflüstert“ kann als ein Motto Jägers bezeichnet werden. Vielleicht kann man noch hinzufügen: und durch solche Poesie, die so dringend benötigt wird.

Poesie: eine Apokalypse des Jetzt

Genau wie in der Grafik von Franz Wassermann „I’M AN APOCALYPSE WRITER“ (ein Zitat von Bradford Cox) dargestellt ist, kann auch Poesie die „apokalyptische Funktion“ erreichen: Apokalypse stammt vom griechischen Wort ἀποκάλυψις ab, das soviel bedeutet wie „Enthüllung“, oder wörtlich „Entschleierung“. Und genau das kann Poesie, kann die Poesie Markus Jägers: sie kann enthüllen, aufdecken und uns Lesenden vor das unverhüllte Jetzt stellen. „Es gibt keine Arbeiterbewegung mehr. Es gibt eigentlich kaum noch Bewegung. Wir sind erstarrt. Mit dieser Resignation treten wir uns selbst ins Knie. Besonders in Zeiten wie den unseren“, schreibt Jäger in seinem Blog und bezieht Stellung. Er bezieht Stellung in seinen Texten und seinen Bühnenprogrammen wie zum Beispiel „Im rechten Licht“. Der folgende Song stammt aus diesem Programm

In diesem selbstgeschriebenen Song wie auch in dem Gedicht Wir tanzen hinter Mauern wird die immer stärker werdende Angst- und Hasskultur thematisiert und die Sehnsucht nach einem „starken Mann“ hinterfragt. Es ist leider so, dass wir in Zeiten eines erstarkenden Rassismus und Nationalismus leben. In einer Zeit, in der Mauern wieder eine Rolle spielen. Reale Mauern! Wir sind über die Zeiten der Metapher hinweg, die grausigen Pleonasmen und Vergangenheitsbeschwörungen werden Wirklichkeit! Lasst uns gemeinsam wieder farbig sein, lasst uns aufstehen gegen Hoffnungslosigkeit: mit Poesie und Kunst.

Nähere Informationen zum Werk und Schaffen des Autor sind auf seiner Homepage zu finden: http://www.markusjaegerliteratur.at/

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