Auf Seiten der Menschlichkeit: Melanie Katz
Poesie und Widerstand: Die Lyrik-Reihe auf „Hinter den Schlagzeilen“
3. Es ist (niemals) genug
Scham bedeutet, sich
zuständig zu fühlen
M. Vidláková
Sie ist gegangen
Siehst du ihren Schatten,
erinnere dich
an die Bäume
an den Dunst deiner Stadt
und keiner weiss
So bin ich stets auf der Suche
nach jemandem der diese Welt
rettet in jenen Worten
wohnt ein unbedingter Wille
zu tragen
denn keiner weiss
wie viele Töchter
die Zierde ihrer Väter waren
die wir nun zu vermissen haben
uns fehlen die Zahlen
Místo nárku/instead of a lament
(to the memory of Ilse Weber)
(Im Traum) trug ich
Asche zum Meer (zum Meer)
sass mit Capek zum Tee
der hielt einen Maiglöckchenstrauss
Nachts schreib ich Briefe an mein und dein Kind
In die Tür häng ich ein Trauerkleid
aus lichtblauem Taft
der Klage der Mohnfelder genäht
Nicht soll beschwiegen
und die waren grösser als
andere kleiner
Im Traum
trug ich Asche zum Meer (zum Meer)
wo die Unversehrte wacht
der Märzschnee
verwischt
tags alle Zweifel
Dr. phil. Melanie Katz studierte Sozialpsychologie und Deutsche Literaturwissenschaften und promovierte zu Geschlecht als Kategorie des Wissens an der Universität Basel. Sie lebt in Zürich und arbeitet als Lehrbeauftragte und Dozentin, Autorin, Coach und Künstlerin. Sie ist Mitglied der Autor_innengruppe index und leitet das Einsame Begräbnis in der Deutschschweiz.
“So wie das Falten der Zeit letztlich etwas gänzlich Neues hervorbringt, so unterliegt ihre Lyrik gemeinhin einem steten Falten, Schichten, Stapeln, Verwirbeln und Verwandeln. Diese poetischen Prozesse setzen alles in Bewegung und verschieben beständig die Grenzen zwischen Wahrnehmung, Traum und Illusion.”
Beat Mazenauer zu Silent Syntax, viceversa, 2018
Mehr Informationen sind auf der Homepage der Autorin zu finden: https://www.minipli.ch/