Aufrüstung im Imagekrieg

 In FEATURED, Medien, Politik (Inland)

Foto: Olaf Kosinsky, Lizenz Creative Commons

Das Auswärtige Amt beschäftigt einen ganzen Stab an Netzwächtern und PR-Leuten, damit kein dunkler Fleck das öffentliche Bild der Ministerin beschädigt. Annalena Baerbock ist der Stern am deutschen Politikerhimmel. Weiblich, jung und zwar nicht mehr ledig, aber dafür fotogen und auch deshalb überall zu sehen, selbst barfuß am Strand von Palau. Die Umfragen sagen es ununterbrochen: Baerbock vor Habeck oder beide gleichauf. Scholz, Lindner, Söder, Klingbeil unter „ferner liefen“, Wagenknecht und Weidel im Keller der Schmuddelkinder. Monat für Monat das gleiche Ranking, hin und wieder mit einer Delle für die grünen Stars. Dass daraus kein dauerhafter Absturz wird, lässt sich die Bundesregierung etwas kosten. Genauer: Wir bezahlen mit unseren Steuern für die Gewissheit, dass Annalena auch morgen wieder von ganz oben lächeln kann. Michael Meyen

 

Die wirklich spannenden Geschichten stehen hinter der Bezahlschranke, auch im Handelsblatt. Nicht auszudenken, wenn die Verschwörer- und Schwurblerszene einfach einen Link durch ihre schmutzigen Kanäle jagen könnte und dabei vielleicht sogar das Framing ändert. Bei Albrecht Meier und Hans Monath, zwei Journalisten, die auch für den Tagesspiegel schreiben oder für Die Zeit, heißt der Rahmen „Krieg“. Die Ukraine. Moskau. Desinformation und Propaganda. Überschrift im Handelsblatt am 23. November 2022: „Mit welchen Strategien westliche Demokratien russische Fake News bekämpfen.“

Normalerweise lese ich solche Texte nicht. Wer schon im Titel nur schwarz und weiß aufruft, kann in aller Regel nichts über die Wirklichkeit erzählen. Bei Meier und Monath hat mich die Unterzeile neugierig gemacht: „Wird ‚Annalena Baerbock‘ im Netz häufig gesucht, herrscht im Auswärtigen Amt Alarm.“ Wer sich davon zum Kauf verführen lässt, lernt Peter Ptassek kennen, einen Vorzeigebeamten, Jahrgang 1961, der fast alles gemacht hat, was im diplomatischen Dienst möglich ist. Brüssel, Moskau, Afghanistan. Referatsleiter in Berlin. Zuletzt Botschafter in Kolumbien. Seine Ministerin hat ihn im Sommer von dort abberufen und zu ihrem Beauftragten für strategische Kommunikation gemacht. Ptassek kehrt damit gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück. Er hat in Tübingen über „Rhetorische Rationalität“ promoviert (1) und damals außerdem ein Sachbuch mit dem Titel „Macht und Meinung“ vorgelegt (2).

Definitionsmacht: Darum geht es im neuen Job von Peter Ptassek. „Rund 40 Mitarbeiter“, sagt das Handelsblatt, liefern dem Kommunikationsbeauftragten von Annalena Baerbock zu. Auch „die 33 Experten im AA-Pressereferat“ seien „eingespannt“ und „die rund 200 deutschen Botschaften, Konsulate und Vertretungen in der Welt“ sowieso. Im Text von Albrecht Meier und Hans Monath klingt das nicht bedrohlich, denn der Gegner dieser kleinen PR-Armee scheint übermächtig. „Spaltende Lügen“ kontern. „Kampagnen zur Desinformation identifizieren und abwehren.“ „Bewusst manipulierte Information, die mit technischen Mitteln, etwa mit Bots, verstärkt wird, um möglichst viel Wirkung zu erzielen.“

Bei so viel Bedrohung ist der Wechsel in die Militärsprache fast folgerichtig — genauso wie der Ruf nach Aufrüstung und internationalem Gleichschritt. In Schweden, sagt mir das Handelsblatt, gibt es schon länger eine „Behörde für psychologische Verteidigung“.

In Frankreich könne Stéphane Bouillon, Chefbeamter für Verteidigung und nationale Sicherheit, auf die Agentur „Viginum“ bauen — eine „Einheit“ — was sonst —, bei der im Moment 42 Leute Twitter, Facebook, Snapchat und TikTok beobachten. Und London baut gerade nicht nur eine ganz ähnliche „Abteilung gegen Desinformation“ auf, sondern will App-Betreiber außerdem verpflichten, „staatliche Desinformation zu unterbinden“. Dass damit nicht die Kollegen in den anderen Ministerien gemeint sind, versteht sich für Albrecht Meier und Hans Monath offenbar von selbst. Der Feind steht im Osten, wo sonst. Und dieser Feind ist stark. Dass Emmanuel Macron noch im Amt ist, grenzt fast an ein Wunder, wenn man all die russischen Sprachrohre im Hinterkopf hat, von denen die beiden Handelsblatt-Reporter berichten.

In Deutschland haben wir jetzt Peter Ptassek und Journalisten, die wissen, wen sie zu loben haben. „Das Außenministerium ist bekanntlich gut vernetzt“, schreiben Albrecht Meier und Hans Monath. Welch ein Glück. Eine Behörde auf der Höhe der Zeit und in Kontakt mit den befreundeten Generalen. Meier und Monath beruhigen das Handelsblatt-Publikum: „Niemand in der Bundesregierung will diesen Kampf verlieren.“

Nebenbei plaudern die beiden Journalisten ein wenig aus dem Nähkästchen. Punkt eins: Sie beobachten uns, mit KI und „ausgefeilten Programmen“. Objekte: „einschlägig bekannte Absender, wichtige Zielorganisationen“ und bestimmte Begriffe, Annalena Baerbock etwa. Wenn so ein Name plötzlich trendet, tritt Peter Ptassek auf den Plan. Das führt direkt zu Punkt zwei: Sie beherrschen ihr Handwerk. Sie wissen, dass es schnell gehen muss und dass man immer ein „eigenes Narrativ“ braucht. In der Fachsprache: Prebunking statt Debunking. Selbst den Rahmen setzen und nicht nur dementieren oder widerlegen. Man kann das bei Elisabeth Wehling nachlesen (3). Wir aktivieren einen Frame auch dann, wenn wir gegen ihn argumentieren. Wer den „Rettungsschirm“ ablehnt, muss eigene Begriffe prägen. Sonst bleibt er im Deutungsrahmen „Naturereignis“ und „Schutz“. Und Punkt drei, nicht unwichtig: Die „Informationskrieger aus dem Auswärtigen Amt“ gehen dahin, wo die Nutzer sind — im Zweifel auch in die „klassischen Medien“.

Natürlich: Irgendwie wussten wir das alles schon. Im Rubikon-Buch „Die Propaganda-Matrix“ schreibe ich über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und die knapp 500 Mitarbeiter, die nichts weiter zu tun haben, als die Arbeit von Kanzler und Ministern in ein gutes Licht zu rücken (4). Schon drei Jahre vorher hatte ich berichtet, wie sich in zwei norwegischen Behörden alles um die Performance in den Leitmedien dreht — vom Arbeitsrhythmus über die Sprache bis hin zu konkreten Entscheidungen. In dieser Studie ging es um das Justizministerium und die Einwanderungsdirektion und damit um das Eingemachte, wenn man so will (5).

Mein Mantra damals, gestützt auf gut zehn Jahre Forschung in Behörden und Unternehmen, Sport, Wissenschaft und Kultur: „Norwegen ist überall“ (6). Heute muss man nicht mehr zwei Monate in die Bürokratie eintauchen wie die beiden Kolleginnen aus Oslo, die seinerzeit einfach aufgeschrieben haben, was sie als teilnehmende Beobachterinnen sehen durften. Heute gehen die Propagandisten aus dem Auswärtigen Amt selbst zu den Leitmedien, frei nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber. Das hat eine neue Qualität.

Sie wissen, dass wir wissen, wie die Medienrealität entsteht. Also kann jetzt offensiv um öffentliche Zustimmung geworben werden. Das Gegenmittel liefert das Handelsblatt immerhin mit. Es bringt nichts, am Dämon „russische Propaganda“ herumzukritteln. Es ist egal, ob es diesen Dämon gibt und wie er wirkt. Man braucht eine eigene Geschichte, am besten mit Annalena Baerbock, schönen Fotos und unseren Steuergeldern oder von einem Journalismus, der sofort korrigiert wird, wenn er einem Ministerium in die Quere kommt.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Vergleiche Peter Ptassek: Rhetorische Rationalität. Stationen einer Verdrängungsgeschichte von der Antike bis zur Neuzeit, Wilhelm Fink, München 1993
(2) Vergleiche Peter Ptassek, Birgit Sandkaulen-Bock, Jochen Wagner, Georg Zenkert: Macht und Meinung. Die rhetorische Konstitution der politischen Welt, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992
(3) Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet — und daraus Politik macht, Herbert von Halem, Köln 2015
(4) Michael Meyen: Die Propaganda-Matrix. Der Kampf für freie Medien entscheidet über unsere Zukunft, Rubikon, München 2021, Seite 172
(5) Vergleiche Kjersti Thorbjørnsrud, Tine Ustad Figenschou, Øyvind Ihlen: Mediatization in Public Bureaucracies: A Typology. In: Communications: The European Journal of Communication Research, 39. Jahrgang (2014), Nummer 1, Seite 3 bis 22
(6) Michael Meyen: Breaking News, Westend, Frankfurt/Main 2018, Seite 129

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Freiherr
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    tja….

    wenn dieses ” ranking” echt ist, verifiziererabel, ( was immer auch gering zu bezweifeln ist zwar ),

    dann ist es eben auch der Beweis für die Dummheit einer Bevölkerung – die Dümmsten, Inkompetentesten, Charakterlosigsten, menschlich Schlechtestzen u.s.w…

    they win the race –

    es ist also auch ein Spiegelbild der Arschlöcher im Land welche leider leider immer in der Mehrheit sind.

     

     

     

     

     

  • Volker
    Antworten
    Make Knuddel-Love not Chaos

    Warum gibt es noch keine knuffigen Knuddeltiere der Marke Bundesadler im Ohr, Oli, Karli, Robi, Chrisi, und, und, und, die wir mehrmals täglich – kräftig aber liebevoll – lustvoll durchknuddeln könnten, was wiederum zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen könnte.
    Fragezeichen.

    Heute schon geknuddelt?

    ++ glucks ++

    Analena du,
    geliebter Teddybär,
    siehst verknuddelt aus,
    keine Ohren mehr.

    Analena, lass dich herzen,
    bis die Nase auch noch ab,
    gut geknuddelt, abgenudelt,
    Karlis Kopf hängt auch schon schlapp.

    Hab noch Nadel, Knöpfe, Faden,
    Flicken, Uhu Alleskleber,
    keine Sorge Knuddelschatz,
    Nähmaschine ist geladen.

    ++ weia ++

  • Rainer Plüsch
    Antworten
    Volker@ Sehr gute Idee. Höchste Zeit  für eine Online-Petition. Wer spendet, für die Realisierung? So ein knuddeliger Onkel Schwab, und eine extra-knuddelige Ursula, das wäre doch was, für die frühkindliche Prägung, und darüber hinaus. Der verpflichtende Kita-Einsatz der knuffigen Knuddeltiere könnte ja eventuell  in entsprechendes Bundesgesetz geregelt werden? Nur wer knuddelt, ist solidarisch. Wir alle merken es ja gerade, die Leute reagieren zunehmend skeptisch, sind irritiert über steigende Käsepreise, und werden immer  anfälliger für fremdgesteuerte Desinformationskampagnen.  Hinzu kommt  die soziale Kälte.  Deshalb steht fest: für den konsistenten und nachhaltigen Image-Transfer ist eine inkludierende,  wertebasierte, emotional und haptisch ansprechende Knuddel-Offensive unverzichtbar.

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