Aus gegebenem Anlass: mit Pillen stellt man keine Glückseligkeit her

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

304. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Wer es bisher nicht gewusst haben sollte: Griechenland, dieses Land der Sommerseligkeit und Sonnenstrände, dieses Land der Sirtaki-Musik und der langen warmen wunderbaren Abende am Meer, diese Land, wie wir Touristen es kennen, ist zugleich – und dieses seit langem schon! – ein Land der Verzweiflung und des Unglücks, ein Land, in dem Millionen von Menschen das Leben nur noch ertragen oder durchhalten können, weil es für diese Zwecke Medikamente gibt oder gar Drogen. Davon handelt heute der Bericht vor allem. Und nicht nur allgemein, nicht nur abstrakt! Vier Menschen, denen wir seit langem materiell zu helfen vermochten, sind urplötzlich wieder von einem Schicksalsschlag betroffen, mit dem weder sie noch wir gerechnet haben. Dennoch: soweit wir können, werden wir auch diesen Menschen wieder zur Seite stehen – mit Eurer Hilfe ganz gewiß. Holdger Platta

 

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

leider, eine ganz, ganz ungute Nachricht vorweg:

Panagiota aus Megara muss mit ihren drei Töchtern die Wohnung, die wir ihr mithilfe von Tassos Chatzatoglou vor längerer Zeit vermitteln konnten, aufgeben. Diese schlimme Nachricht erhielt ich vor einigen Tagen von Tassos mitgeteilt. Und die gleichzeitig politische und rechtliche Fragwürdigkeit dieses Räumungszwangs ist: nicht etwa deshalb – was zur Not noch zu verstehen wäre –, weil die Vermieterin „Eigenbedarf“ anzumelden gehabt hätte – so ja die Prämisse für das Kündigungsrecht von Wohnungsinhabern im deutschen Mietrecht. Nein, die betreffende Wohnung soll nun der Eigentümerin auf andere Weise Geld verschaffen – deren Spekulation dürfte sein: erheblich mehr Geld als bisher! –, nämlich deshalb, weil diese Wohnung nunmehr für Airbnb, für touristische Zwecke also, zur Verfügung stehen soll. Mein Eindruck also: Brutale Profitinteressen rangieren vor dem Menschenrecht, gegen Obdachlosigkeit geschützt zu sein – und dieses offenbar vom griechischen Mietrecht gedeckt! Und das griechische Staatswesen schaut einfach zu!

Selbstverständlich – das glaube ich indirekt der Mail von Tassos entnommen zu haben – wird unser “Außenhelfer” Tassos bei der Suche nach einer neuen Wohnung für diese vierköpfige Familie behilflich sein. Ob Panagiota noch geschützt ist durch eine Frist, die sie vor einer sofortigen oder allzu raschen Auszugspflicht bewahrt, ist mir allerdings noch nicht bekannt. Und unklar ist für mich zur Stunde auch noch, weshalb bei Panagiota darüber hinaus Stromschulden angelaufen sind, Stromschulden, die zudem hinderlich sein sollen für den Abschluss eines neuen Mietvertrages.

Unsere Reaktion von hier aus jedenfalls ist: Selbstverständlich werden wir auch diese Stromschulden zu tilgen versuchen, und selbstverständlich werden wir auch der von Tassos vorgeschlagenen Lösung zustimmen, den neuen Mietvertrag gegebenenfalls auf den Namen der Großmutter von Panagiota abschließen zu lassen. Wie erbärmlich und todtraurig die Situation für Panagiota ist, geht im Übrigen auch noch aus der folgenden Tatsache hervor: Panagiota hat bis auf weiteres auch keinen Anspruch auf Eingliederung in ein Arbeitsprogramm ihrer Gemeinde – ein Zustand, der noch anderthalb Jahre andauern dürfte. Ursache dafür (Rechtfertigung natürlich nicht!): Panagiota hatte bis vor einem halben Jahr an einem solchen Programm teilnehmen dürfen. Sozialhilfe – nennen wir es einmal so – gibt’s also in Griechenland nur häppchenweise, zeitlich begrenzt. Dazwischen darf gerne gestorben werden, oder – vielleicht klingt das für einige ja allzu ungeheuer in den Ohren, diese Formulierung eben – dazwischen dürfen wieder Obdachlosigkeit und Hungernmüssen das Leben der Menschen bestimmen.

Abschließend für heute zu diesem – wahrlich! – unverhofften Notfall noch: Einschränkungslos hatten wir von der GriechInnenhilfe während der letzten Jahre die 220,- Euro Mietpreis pro Monat für Panagiota und ihre drei Töchter übernommen – und übernehmen können. Ob das so bleiben kann, entscheidet alleine Ihr, die Leserinnen und Leser von HdS, das entscheidet alleine der Spendenetat, der uns für solche lebensrettenden Hilfen zur Verfügung steht. Womit ich, fast unversehens, auch beim Spendeneingang während der letzten Woche bin. Leider, auch da sieht es, nach der positiven Woche davor (mit 405,- Euro Spendeneingang, überwiesen von acht SpenderInnen an uns), gar nicht so gut aus:

Lediglich 20,- Euro, überwiesen von einem Spender, gingen auf unserem Hilfskonto ein. Dank natürlich diesem Spender, von Herzen sogar, aber heute erlaube ich mir bereits an dieser Stelle in meinem Bericht auf die Dringlichkeit weiterer Spenden hinzuweisen. Es darf nicht sein, dass völlig sachfremde Gründe, dass Vorwände, die mit unserer Hilfstätigkeit in Griechenland nichts, aber auch gar nichts zu tun haben – Meinungsverschiedenheiten nämlich in unserem Team (und partiell Ex-Team) in Sachen Corona beziehungsweise Maßnahmenkritik in Sachen Corona –, so viel Unsicherheit und Beunruhigung erzeugen bei Euch, dass demnächst unsere GriechInnenhilfe der Vergangenheit angehören könnte. Nach wie vor versichere ich Euch: Roland Rottenfußer und Volker Töbel, Tassos Chatzatoglou, meine Ehefrau Sybille Marggraf und ich, wir alle stehen nach wie vor für das Gegenteil ein! Doch mehr um Euer Vertrauen bitten, was diese Zusicherung angeht: das freilich kann auch ich nicht.

Aus der Fülle der Nachrichten, die mir inzwischen aus Griechenland direkt (und auch von allgemeinerer Art) zugegangen sind, greife ich heute nur ein Nachrichtenbündel noch heraus – aus der Ausgabe der „Griechenland Zeitung“ (GZ) vom 2. Februar dieses Jahres. Unter dem Titel „Enormer Anstieg bei Antidepressiva, Antipsychotika und Kokain in Attika“ (= Verwaltungsregion um Athen). Meinem Eindruck zufolge hat offenbar auch die GZ-Redaktion diese Zahlenangaben mehr oder minder als repräsentativ eingeschätzt für Gesamtgriechenland.

Um das traurige Fazit vorwegzunehmen: statt die realen Ursachen für Unglück in Griechenland zu bekämpfen, statt in wirkliche, in nichtkapitalistische Sozialpolitik und Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik in Griechenland zu investieren, von Seiten des Staates aus und von der Seite aller Kräften aus, die in diesem Staat über Macht und Geld verfügen, stopft man die Menschen lieber mit Psychopharmaka voll, mit Ersatzglück und Ersatzzufriedenheit, mit Ersatzruhe und Ersatzbefriedigungen. Aber konkret:

Untersuchungen des Fachbereichs Chemie an der Universität in Athen zufolge hat der Konsum von Antidepressiva und Antipsychotika von März 2019 bis November 2021 um bis zu 60 Prozent zugenommen. Mehr oder minder gleichzeitig – im Zeitraum November 2020 bis November 2021 – nahm der Verbrauch von angstbefreienden Beruhigungsmitteln um mindestens 36 Prozent zu. Und selbst bei den Antipsychotika (die bei schwersten seelischen Störungen wie der Schizophrenie eingesetzt werden) soll bis zum März 2021 eine Zunahme von 58 Prozent zu verzeichnen gewesen sein gegenüber dem März 2019. Tja, und was den Konsum von Kokain, diesem künstlichen Glücksgefühlsbringer betrifft, soll gegenüber 2019 der Verbrauch bis zum Sommer 2020 um 60 Prozent angestiegen sein. „Etwa zwei Prozent der Bevölkerung von Attika würden diese Droge konsumieren“, so, der GZ zufolge, die Studie des chemischen Instituts an der Athener Universität.

Darf ich hier einen „Kurz-Schluss“ riskieren? Darf ich diese Zahlen, diese furchtbaren Zahlen, in Verbindung setzen mit dem „Fall“ Panagiota, den ich eingangs dieses Berichts geschildert habe? Darf ich feststellen und sagen, dass eine Politik, die solche Miseren wie bei Panagiota verursacht beziehungsweise nicht zu verhindern weiß, sich über solche Auswirkungen wahrlich nicht wundern darf? Und nebenbei: auch grandiose Psychobehandlungen würden die bösartigen Gesellschaftsursachen nicht wegtherapieren können! So läppisch das Wortspiel erscheinen mag: wer realiter so viel schlucken muss in Griechenland – Millionen von Menschen sind das –, der muss am Ende auch all diese Pillen schlucken!

Ich will nicht indiskret werden hier, aber eines deute ich doch an: Selbst unsere Hilfen, die – immerhin das – Realhilfen sind, befreien nicht alle Menschen, denen wir helfen, von Sorgen, von Depressionen, von Verzweiflung gar. Unerlässlich sind unsere Hilfen, das zweifellos! Befreiung aber stellen auch sie nicht dar! Es tut so manchen Menschen, denen wir helfen, gut – verdammt gut sogar! –, dass es uns HelferInnen gibt, aber trotzdem gibt es für jeden noch, dem wir materiell zu helfen imstande sind, einen schlimmen Alltag, den es immer wieder erneut zu überstehen gilt, einen Alltag ohne Aussicht auf grundlegende Besserung!

Wir wissen, dass es manchem der Menschen, denen wir helfen, gut tut, zu wissen, dass es in fernen Ländern wie Deutschland oder Österreich Menschen gibt, die ihnen helfen wollen und ein Stück weit auch zu helfen vermögen – bislang jedenfalls –, aber das alleine macht die Zufriedenheit und das Glück der Menschen nicht aus. Das stellt nicht einmal gesicherte Sorglosigkeit her!

Ich bitte hiermit also erneut um Eure Hilfe. Mit den üblichen Angaben zum Schluss:

Wer von Euch uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

 

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21 GOE

Inhaber: IHW

 

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an Volker Töbel, entweder unter der Postanschrift Tewaagstraße 12, 44141 Dortmund, oder unter der Mailadresse vtoebel@web.de.

 

Mit herzlichen Grüßen

Euer Holdger Platta

 

 

Kommentare
  • Volker
    Antworten
    Die Pharmaindustrie wird es freuen, und gleichzeitig kann man somit einen Teil der Bevölkerung sowie ihre Handlungsfähigkeit beeinflussen, besser gesagt, unter Kontrolle halten – mit Psychodrogen. Nicht nur in Griechenland. Auch hier wird großzügig verschrieben, was ruhig stellt, heranwachsende/Kinder schon mit Chemie vollgepumpt.

    Weis auch nicht, was ich zu Deinen Berichten noch sagen soll, außer, dass sich mit dieser Menschenverachtung – mit all ihren grausamst unmenschlichen Folgen – unsere hoch gelobte, sogenannte EU schmückt, dies Fortschritt für Freiheit, Demokratie und sonst was nennt. Und dies unter dem Grinsen korrupter Macht-Politiker, einer geldgierigen Finanzelite und einem Heer williger, bestens versorgter Schreibtischtäter, korrekterweise als Beamte oder sonst wie bezeichnet.

    Ferienfreuden per Mausklick, inkl. warme Küche, Spaßanimateure und Sightseeing-Rundfahrten.
    Sonnenhungrige, mit Anspruch auf Postkarten-Idylle, sollten sich schon überlegen, wer hinter den Kulissen agiert, sich die Konten füllt, und wer dabei auf der Strecke bleibt, auf der Straße landet, wie Müll.
    Tourismus als Lebensgrundlage war mal, heute bestimmt eine Tourismusindustrie die Regeln, mit Billigangeboten fürs Glück – dank Aldi & Co.

    Gut. Ich möchte keinem seinen Sonnenbrand neiden, aber, wer schwimmt schon entspannt unter südlicher Sonne, schnorchelt gelassen durchs Mittelmeer, wenn da treibt, was nicht hingehört.
    Sorry, ist mir so raus gerutscht …

    Weia, böse Worte: Sollte ich Elon M. und seinen Spaßfreunden begegnen, werde ich ihn höflich darum bitten, den Gegenwert eines Tesla-Kotflügels zu spenden, unter zugesagter Garantie, ihm Griechenland zu schenken. Somit wäre Elons Wasserproblem gelöst, das Mittelmeer trocken gelegt, und ++ glucks ++ einen Weltraumbahnhof gäbe es dazu noch umsonst, für Spaßflüge gestresster EU-Politiker.

Schreibe einen Kommentar zu Volker Antworten abbrechen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen